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Großstadtlyrik im Expressionismus
                             von Lore Wagener
"Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein
Zerreißet vor des Mondes Untergang.
Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein."

Expressionismus

In dem Gedicht von Georg Heym aus dem Jahre 1911 heißt es weiter:
"Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,
Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein
Eintönig kommt heraus in Stille matt."

Aus den Versen ist das Unbehagen des Dichters an der Großstadt zu spüren. Dieses Unbehagen verdeutlichte die Kunstrichtung des Expressionismus in Malerei, Musik und Lyrik, wobei die Großstadtlyrik eine spezielle Ausdrucksform des deutschsprachigen Expressionismus war. Ansonsten waren Krieg, Weltuntergang, Zivilisationskritik oder die Ästhetisierung des Hässlichen bevorzugte Themen dieser Richtung. Die Expressionisten sahen in ihrer ohnehin depressiven Verfassung die Großstadt vorwiegend negativ als Hort von Gottlosigkeit, Affektiertheit und als Zerstörerin der Natur, und so schrieben sie zwischen 1910 und 1925 ziemlich beklemmende Gedichte. Sie gaben ihrem subjektiven Empfinden gegenüber dem Leben in der Großstadt deutlichen Ausdruck.

Großstadtlyrik
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Bild ohne Titel von Georg Grosz 1920

Es war ja tatsächlich so, dass die vielen Großstädte, die sich im Laufe des 19. und des 20.Jahrhunderts so rasch entwickelten, für die einströmenden Menschenmassen nicht gerüstet und oft ein unerträglicher Ort des Aufenthalts waren, aber „wäre das Dorf nicht so stickig, die Provinzstadt nicht so provinziell langweilig gewesen, so hätte dieser Zug in die Metropolen nie stattgefunden. Stadtluft hat ja tatsächlich zunächst einmal frei gemacht" (Zitat Alexander Mitscherlich). Und im ersten Viertel des 20.Jahrhunderts erreichten Industrialisierung und Urbanisierung in Europa einen gewissen Höhepunkt. Von 1800 bis 1910 stieg zum Beispiel die Zahl der Arbeiter in den städtischen Manufakturen Deutschlands von 80 000 auf 8 Millionen. Ähnliche Zuwachsraten gab es in ganz Europa und gibt es heute noch in den Megastädten der Schwellenländer. Dieser einer Völkerwanderung ähnliche Prozess war viel zu komplex, um glatt abzulaufen. Fachleute sprechen auch von einer großen „Binnenmigration".

Georg Heym
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Die Expressionisten haben sich mit diesen Zuständen kritisch beschäftigt und ihre Gefühle, also das „Ich", in den Mittelpunkt ihrer Werke gestellt. Sie beschrieben ihre subjektiven Eindrücke meist so traurig wie oben Georg Heym.
Dieser Dichter wurde 1887 in Hirschberg (Schlesien) geboren und starb bereits 1912 in Berlin. Er entstammte einer Familie von Gutsbesitzern und Beamten. Entsprechend begann er ein Jurastudium und bewarb sich als Offiziersanwärter. Er schrieb seit 1899 und führte ein Tagebuch.An eine Existenz als freier Schriftsteller hat er vermutlich nie gedacht. Heym ertrank beim Schlittschuhlaufen auf der Havel. Er hinterließ ein beachtliches dichterisches Werk, aus dem auch das folgende Gedicht stammt:
 
„Der Gott der Stadt":
"Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.
Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
die letzten Häuser in das Land verirr'n."

Alfred Lichtenstein
Auch Alfred Lichtenstein, der das nachfolgende melancholische Gedicht schrieb, fand einen frühen Tod. Er wurde 1889 in Berlin geboren, studierte dort Jura und promovierte 1913 an der Universität Erlangen. Er nahm als Freiwilliger in einem  Infanterieregiment am 1.Weltkrieg teil und fiel 1914 an der Westfront. Sein Gedicht „Die Stadt" schrieb er im Jahre 1913:

"Ein weißer Vogel ist der große Himmel.
Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt.
Die Häuser sind halbtote alte Leute.
Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel.
Und Winde, magre Hunde, rennen matt.
An scharfen Ecken quietschen ihre Häute."

Georg Trakl
Der österreichische Dichter schrieb 1913 ein Gedicht, in dem er ähnliche Gefühle ausdrückte:
„An die Verstummten":
"O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend
An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren,
Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut;
Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt.
O, das versunkene Läuten der Abendglocken".

Geboren wurde Georg Trakl 1887 in Salzburg; er starb 1914 in einem Lazarett in Krakau an einer Überdosis Kokain. Er hatte in Wien Pharmazie studiert und war als Sanitätsgefreiter in den 1.Weltkrieg gezogen. Als Lyriker ist er dem Expressionismus zuzuordnen, war aber stark vom Symbolismus beeinflusst. In seinen Anfängen schrieb er über „Die schöne Stadt", vermutlich seine Heimatstadt Salzburg, diese Verse, die uns doch noch zu einem positiveren Abschluss bringen:

"Alte Plätze sonnig schweigen.
Tief in Blau und Gold versponnen.
Traumhaft hasten ernste Nonnen
Unter schwüler Buchen Schweigen".

Links
Einige der Gedichte und einige Interpretationen findet man über die folgenden  Links:

Das Bild der Stadt in der Lyrik des Expressionismus
Der Gott der Stadt
Gedichtinterpretation „An die Verstummten"
Alfred Lichtenstein, Kurzbiografie
Bilder: Wikipedia gemeinfrei

 

 
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