Meine Top Ten
                                    von Ursula Fritzle
Was hat mir an „meinen" Städten gefallen, was habe ich dort erlebt? Hier einige Notizen aus meiner Erinnerung.

Kleinstadt
In einem kleinen alten Haus in einer Kleinstadt aufgewachsen fühlte ich mich als Kind zu allen Orten hingezogen, die größer waren. Bereits ein bisschen größer reichte für meine bedingungslose Bewunderung aus. Selbst eine Mietwohnung in einem Mehr-Parteien-Haus mit einem Hinterhof kam mir wie ein wunderbarer städtischer Spielplatz vor. Es ist noch nicht lange her, dass ich Pumuckl-Folgen allein wegen des schönen Münchener Hinterhauses von Meister Eder gesehen habe. Meine Kleinstadt präsentiert sich mir mit zwei Gesichtern, einmal im bescheidenen Gewand der Jahre nach dem Krieg, heute als touristisches Kleinod. Vieles wurde herausgeputzt und schön renoviert, aber ich hänge mehr an der alten Version meiner Kinderzeit.

Hallo, Frankfurt!

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Hessischer Rundfunk, Foto dontworry, CC by-sa

Wahrhaft weltläufig und urban fand ich das bekannte Radioquiz der Fünfziger Jahre des Hessischen Rundfunks in Zusammenarbeit mit der BBC. „Raten Sie mit! Ein Quiz zwischen Frankfurt und London." Zwei Rateteams traten in einer 30minütigen Live-Schaltung gegeneinander an, für damalige Zeiten ein großartiges Hörwunder. Globalisierung und Vernetzung waren noch nicht an der Tagesordnung. Für Fans empfehle ich das bei den Links unten angeführte kleine Audio anzuklicken. „Hallo Frankfurt, können Sie uns hören?" Es begrüßten sich 1953: aus Frankfurt Leonie, Peter, Hans-Otto und aus London Christopher, Barbara und Klaus.

London
Kurz vor dem Abitur war ich mit meiner Klosterschulklasse in London. Wir wohnten im „Friendship Centre", streng bewacht von einer älteren Lehrerin. Ein Original war Freddy, unser „guide, philosopher and friend".

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Speakers' Corner

Zu dem, was mir heute noch in Erinnerung ist, gehören in erster Linie Hyde Park mit der Speakers' Corner und Hampton Court Palace, vermutlich weil ich eine Arbeit darüber schreiben musste, und Kew Gardens, weil sie mir gefallen haben. Ich fürchte Brücken, Kathedralen, Paläste und Wachablösungen haben mich kalt gelassen, übrigens auch das Essen. Nebel und Regen gab es nicht, nur eine furchtbare sommerliche Hitze. In einer späteren Prüfung hat es mir sehr geschadet, dass ich im British Museum nicht aufgepasst hatte.

Paris
In den Ferien fuhr man früher weniger in Städte, fürs Erholen gab es Berge und Meer. Städte-Kurztrips hatten erst später Konjunktur, Hinfahrt, Rückfahrt und Aufenthalt vor Ort 24 Stunden. Ich hatte das Au-Pair-Glück „Leben, Lernen, Arbeiten" in Paris für ein halbes Jahr. Das verschafft realistische Einblicke in eine Stadt. Unbegreiflich warum alle Pariser ständig irgendwo hin eilen. Unvergesslich die frühmorgendlichen Geräusche der Straßenreinigung. Die Verwandlung im August zu einer von Einheimischen befreiten und von Touristen gefüllten Stadt, nur ein Laden im Viertel geöffnet.

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Screen aus der Website

Wertvolle Erfahrungen habe ich in einem kleinen Hotel im Quartier Latin gesammelt, als Empfangsdame, Frühstück-ans-Bett-Bringerin - es gab keinen Raum dafür  -  und Herrin der Spülmaschine. Die Mutter des Besitzers konnte gleichzeitig nähen und rauchen, ihre Ente à l'orange war ein Gedicht. Beim Betrachten der Homepage des kleinen Hotels habe ich mich gerührt an meine dortige Zeit erinnert.

Au pair
Ein au-pair-Aufenthalt war eine kleine Reise ins Ungewisse. Ich habe in zwei Familien mit jeweils fünf Kindern meinen Lebensunterhalt verdient. Das war kein Zuckerschlecken. Die Orgelpfeifen-Kinder sahen nett aus, alle in den gleichen Polos, von Fremden immer sehr bewundert, aber zu Hause waren sie manchmal kleine Biester, die mir nicht immer das korrekteste Französisch beibrachten. Das habe ich dann nachmittags in der „Alliance Française" gelernt. Ich habe auch Gemüsesuppen in altertümlichen Schnellkochtöpfen zubereitet, das Parkett auf Knien rutschend gespänt, viele mühsame Stunden auf Spielplätzen verbracht und mich oft todmüde in mein Bett fallen lassen - im üblichen „chambre de bonne" ganz oben unter dem Dach, mit äußerst bescheidenen sanitären Einrichtungen. Die Ferien in der Bretagne waren schön, aber ebenso arbeitsreich.

New York
Mein erster Kurzbesuch war mit den üblichen Vorurteilen belastet. Vor lauter Hochhäusern kann man den Himmel nicht mehr sehen, man wird überfallen, vor allem im Central Park, geschossen wird auch überall, weiß man doch aus den Filmen. Und das ständige Geheul der Polizeisirenen, grässlich.

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FAO Schwarz, Foto Dudesleeper, CC by

Aber natürlich gab es auch die reizvollen Assoziationen: Wer kennt es nicht, das mitreißende „New York - New York" gesungen von Frank Sinatra. New York ist für mich die pulsierende Stadt, ich denke an Coffee-Shops, delis, Tiffany, die Buchhandlung Rizzoli, in der sich Merryl Streep und Robert de Niro in dem Film „Falling in love" getroffen haben, an das Algonquin-Hotel als Treffpunkt von intellektuellen Berühmtheiten, an Saks, die Grand Central Station und an den riesigen Spielzeugladen von FAO Schwarz.

Kunst-Trip nach New York
Ein zweite Reise war ein besonderes Kunsterlebnis: Wir hatten in einer kleinen Gruppe Gelegenheit, bekannte Künstler in ihren Lofts und Galerien zu treffen, darunter Leon Polk Smith, der damals für seine „Tondos" sehr bekannt war. Ich habe nie wieder jemanden mit solcher Verve über Kunst sprechen gehört wie Bernar Venet, von dem es hier in Deutschland an prominenten Plätzen einige Skulpturen gibt.

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Bernar Venet, Skulptur vor Miró-Wand Ludwigshafen

Er hat uns in seinem Loft begrüßt und mit seiner mitreißenden Art beeindruckt. Während eines Besuchs bei Manfred Mohr, laut Wikipedia ein Digitalkunst-Pionier,
  stellte sich heraus, dass wir beide aus derselben Stadt stammen und gemeinsame Bekannte haben.

Kairo
Fest steht, in Kairo habe ich mich nicht verliebt, das war die verkehrschaosreichste Stadt, die mir je begegnet ist. Günstig waren die Einblicke in das Alltagsleben in der deutschen Kolonie, die ich durch eine frühere Kommilitonin gewonnen habe. Sie hat
  im Deutschen Archäologischen Institut gearbeitet und ist sogar vor dem Autofahren nicht zurückgeschreckt. Neben Beruf und ständigem Verkehrschaos bestimmten das mühselige Besorgen von lebenswichtigen Dingen und Sandstürme ihren ereignisreichen Aufenthalt. Natürlich haben mich die bekannten Sehenswürdigkeiten sehr beeindruckt. An das Kamel, auf dem ich durch die Wüste geritten bin, erinnere ich mich noch heute sehr gut.

Madrid
Es war keine Flucht vor meinem 50.Geburtstag, sondern ein Bildungsurlaub. Na ja, ganz unerwünscht war mir der Termin nicht. Und wie habe ich diesen Festtag verbracht? In einem winzigen Zimmerchen bei Emma und José in der Madrider Altstadt, im November. Heizschlange und elektrisches Licht durften nicht gleichzeitig benutzt werden, die Bronchitis ließ nicht lange auf sich warten. Mein Wasserverbrauch wurde argwöhnisch beobachtet, das Telefon durfte ich nur kurz benutzen. Der Besuch der Schweizer Sprachschule war ein kleines Abenteuer. Die Gran Via ist stellenweise für kriminelle Energie von Kleinganoven bekannt. Unseren dickflüssigen Kakao - ich wünschte ich könnte ihn so zubereiten - tranken wir mit den „mariposas de la noche", genauer gesagt, mit den Schmetterlingen des Tages.

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Screen aus der Website

Mit das Beste an meinem Aufenthalt waren die Museumsbesuche. Das „Thyssen Bornemisza" war gerade erst eröffnet worden und gähnend leer. Ein wahrer Glücksfall.

Emma und José
Meine Wirtsleute luden mich manchmal zum Marktgang ein. Vorher gab es in einer winzigen Bar Chocolate con churros. Zur Familie des Besitzers gehörte eine alte Dame, angetan mit einem hellblauen wattierten Morgenmantel, sie sah nicht mehr gut und hatte mich zu Emmas Entsetzen für die Frau von José gehalten. Emma hat mir auf dem Markt bewiesen, dass ihre Textilien billiger und genauso gut wie meine waren. Und dass man mit dem Tütchen Safranpulver für wenig Geld eine schöne Paella hinbekommt. Seitdem glaube ich, dass das teuerste Gewürz der Welt - der echte Safran - vielleicht doch etwas überbewertet ist. Was mir unglaublich geschmeichelt hat: Ich bin in meinem Viertel mehrfach von Spaniern nach dem Weg gefragt worden, so Vertrauen erweckend und kompetent habe ich damals gewirkt.

Wien / Budapest
Es kommt immer darauf an, in welcher Zeit man eine Stadt besucht hat. Auf heutigen Fotos und in Filmen machen Wien und Budapest einen strahlenden Eindruck. Mir haben sich die beiden Städte bei meinem ersten Besuch an einem regnerischen Osterfest in den sechziger Jahren noch grau und trist präsentiert. Die Sache mit dem Heurigen hat mich nicht vom Bussitz gerissen, und die vielen Kirchen auch nicht. Die ungarische Grenze hat mich in Angst und Schrecken versetzt mit ihren abschreckend wirkenden Wachtürmen und Soldaten mit Maschinengewehren. In Budapest habe ich einen Staatsbesuch von Chruschtschow miterlebt. Ich erinnere mich an Menschenmengen am Straßenrand, die eher lustlos mit Fähnchen winkten. Wir wurden oft auf Perlonstrümpfe und -mäntel angesprochen, der Bedarf war da, aber wir konnten die Ware nicht liefern.

Wo leben?
In einer Stadt muss man leben Wochen, Monate, Jahre oder für immer. Es sind nicht allein die Sehenswürdigkeiten und die Kulturevents, die sie liebenswert machen. Wichtig ist das kleine Netz um uns herum. Unser Lebensgefühl wird beeinflusst von den Nachbarn, dem Ortsteil, dem Supermarkt oder Tante-Emma-Laden oder vom Lieblingsrestaurant. Ich bin oft gefragt worden, ob ich nach dem Berufsleben in die Kleinstadt meiner Kindheit zurückkehren wolle. Ich wusste darauf keine Antwort. Beide Lebensentwürfe haben ihren Reiz, die geordnete Enge der Kleinstadt, die Unüberschaubarkeit der großen Stadt. Dem „Studienreisen" fühle ich mich nicht mehr gewachsen. Umso schöner, dass mir diese Notizen und Internetrecherchen die Städte meiner Vergangenheit wieder lebendig gemacht haben.

Links
Lied "My little town" Simon und Garfunkel 1975, Text und Lied bei LyricsFreak
Quiz zwischen London und Frankfurt. Hörprobe: Begrüßungsmoderation 17.01.1953
Grand Central Station.
You-Tube-Video
Aerial virtual tour of New York - man schwebt über der Stadt
Bernar Venet Homepage
Autos in Kairo. Ein kleiner Führer zum Thema
Museo Thyssen Bornemisza in Madrid mit schönem virtuellen Rundgang

Lizenz CC (Creative Commons 3.0)

 

 
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