von Lore Wagener
„Stiftung
Wilhelm Lehmbruck - Zentrum internationale Skulptur" ist der
offizielle Name des Duisburger Kunstmuseums. Es entstand erst im
Laufe des 20.Jahrhunderts und präsentiert heute eine vielschichtige
Sammlung internationaler Skulptur der Moderne.
Die
Anfänge
Als Duisburg in der Gründerzeit zu einer florierenden
Industriestadt wurde, wollte man hier auch so etwas Kulturvolles wie
das Folkwang-Museum haben, das 1902 in Hagen von Karl Ernst Osthaus
gegründet worden war. Nach diesem Vorbild etablierte sich um 1905
ein lokaler Museumsverein, der in Duisburg eine Sammlung
zeitgenössischer Kunst aufbauen wollte. Unterstützt wurde er von
Duisburger Industriellen, wie der Familie Böninger, die 1912 den
ersten Lehmbruck-Ankauf finanzierte und 1916 der Stadt das Grundstück
des heutigen Museums samt großzügiger Geldspende überließ. 1924
wurde der Kunsthistoriker August Hoff zum Geschäftsführer des
Museumsvereins und später zum Gründungsdirektor des städtischen
Kunstmuseums berufen. Er verfolgte eine kluge Ankaufspolitik. Hoff
kaufte unter anderem Werke von Lehmbruck, Barlach, Kollwitz, Mataré
und Marcks und zeigte sie in wechselnden Ausstellungen in städtischen
Räumen.
Entartete Kunst
Es
war für die damalige Zeit wirklich Avantgarde, was Hoff sammelte.
Die Mehrheit der Bürger war darauf nicht vorbereitet. So gab es 1927
einen Eklat, als der Rat der Stadt die „Kniende" von Wilhelm
Lehmbruck im Museumsgarten aufstellen ließ. Eine nackte weibliche
Figur in einem öffentlichen Park, diesem „Schandmale der heutigen
Zeit" sagte der „Groß-Duisburger-Hausfrauenbund" den Kampf an.
Die Polemik ging so weit, dass sich einige junge Leute berufen
fühlten, die Figur zu demolieren.
Viel schlimmer war aber, was
die Nazis der städtischen Kunstsammlung antaten. Sie setzten Hoff ab
und veranlassten, dass etwa 100 der von ihm angekauften Werke nach
München in die berüchtigte Ausstellung „Entartete Kunst" kamen.
Die meisten dieser Werke wurden von ihnen in der Schweiz gegen
Devisen versteigert. 1940 sollte zudem der „Sitzende Jüngling"
von Lehmbruck mit der „Metallsammlung des Deutschen Volkes"
eingeschmolzen werden. Er blieb nur durch Zufall erhalten.
Wilhelm
Lehmbruck
Das Museum ging also arg gerupft aus dem 2.Weltkrieg
hervor. Dennoch bemühten sich Stadt und Verein um einen Neuanfang.
Basis hierfür waren die „Lehmbruck-Spende des Kulturkreises im
BDI" sowie der Nachlass des Bildhauers Wilhelm Lehmbruck. Dieser
Künstler, der von 1881 bis 1919 lebte, entstammte einer Duisburger
Bergmannsfamilie. Er besuchte die Düsseldorfer Kunstakademie und war
Meisterschüler von Professor Karl Janssen, einem prominenten
Vertreter des Neubarock. Lehmbrucks Frühwerk zeugt hiervon. Später
lebte und arbeitete er in Paris, Berlin und Zürich und lernte viele
internationale Künstler kennen. So entwickelte er seinen eigenen
expressionistischen Stil überproportional lang gestreckter
Idealgestalten. Einige Kunsthistoriker beschreiben seinen Stil als
„gotikisierend", andere erkennen eine „übersinnliche
Tektonik". Aus heutiger Sicht kann Lehmbruck, neben Ernst Barlach,
als wichtigster deutscher Bildhauer der klassischen Moderne
bezeichnet werden.
Museumsbau
Ansicht vom Park aus
Lehmbrucks
1913 geborener Sohn Manfred wurde ein bekannter Museums-Architekt,
den auch die Duisburger mit der Planung ihres Kunstmuseums
beauftragten. Der Neubau sollte unter anderem die Werke seines Vaters
aufnehmen und auch dessen Namen tragen. Es entstand ein schlichter
funktionaler Museumsbau, der den umliegenden Skulpturen-Park mit
einbezog, und der vor allem die Kunstsammlungen wirkungsvoll ins
Licht setzte. 1964 wurde der Neubau im Duisburger Kantpark eröffnet.
1987 erhielt er nach Lehmbrucks Plänen einen Anbau. Seit dem Jahr
2000 hat das Museum die Rechtsform einer Stiftung. Neben modernen
malerischen und graphischen Beständen hat man dort eine Sammlung
internationaler Skulptur aufgebaut, die viele Beispiele aus der Zeit
von 1900 bis heute enthält. Vertieft wird dieser Ansatz durch eine
museumspädagogische Abteilung. Übrigens ist auch der Hausfrauenbund
längst versöhnt. Er versorgt an Wochenenden das kleine
Museums-Café.
Zentrum internationaler Skulptur
Die
Sammlung ist vielschichtig, weil die moderne Bildhauerei im
20.Jahrhundert verschiedene Stilrichtungen - aber auch
unverwechselbare Einzelpersönlichkeiten - hervorgebracht hat.
Gemeinsam ist allen Künstlern vielleicht, dass sie sich von den
überkommenen akademischen Dogmen lösten und in individueller
Sichtweise versuchten, die Befindlichkeit ihrer Zeit darzustellen.
Die „Gründerväter" der Moderne entwickelten vor dem ersten
Weltkrieg sowie in der Zeit direkt danach die Grundlagen und die
großen Stilelemente ihrer Kunst. Sie sind mit ihrer Symbolsprache,
Thematik oder Technik bis heute wegweisend und prägen auch noch
Postmoderne und Konzeptkunst. Viele exemplarische Beispiele hierfür
hat das Museum in seinem Bestand. Dazu gehören Werke von Picasso,
Matisse, Derain, Arp, Laurens oder Lipchitz.
Ein Rundgang durch
das Museum verspricht also interessante Einblicke. Ich habe mich auf
den Weg gemacht und will jetzt über einige meiner subjektiven
Eindrücke berichten.
Expressionisten und
Surrealisten
Lehmbruck-Trakt; Foto Bernd Kirtz
Begonnen
habe ich mit den Expressionisten im "Lehmbruck-Trakt". Diese
Künstler empfanden sich als Gegenströmung zum Naturalismus. Sie
wollten vor allem seelischen Ausdruck (Expression) in ihren Werken
erreichen. Man kann dies an den Arbeiten von Wilhelm Lehmbruck, Ernst
Barlach, Käthe Kollwitz oder Auguste Rodin erkennen. Ein bewegendes
Beispiel für diese Ausdruckskunst ist der „Gestürzte" von
Lehmbruck, der den Zusammenbruch eines reckenhaften Kriegers
nachempfindet.
Dann sah ich mir in der oberen Halle eine
surrealistische Skulptur des Spaniers Salvador Dali an. Es war der
verfremdete Kopf des Dichters Dante Allghieri, dessen Stirn - statt
mit Lorbeer - mit vergoldeten Silberlöffeln bekränzt ist.
Merkwürdig! Aber die Surrealisten beschäftigten sich mit dem
Unwirklichen und Traumhaften, Phantastischen und Absurden. Sie
wollten die Tiefen des Unbewussten ausloten. Surrealismus bedeutet ja
„über der Realität".
Objektkunst
Glashalle; Foto: W.J. Hannappel
Surrealismus
und Dadaismus haben im Misstrauen gegenüber der „vernünftigen"
bürgerlichen Gesellschaft ihre geistigen Wurzeln. Die Künstler
provozierten mit „Unvernünftigem". Sie verfremdeten alltägliche
Gegenstände und brachten sie in absurde Zusammenhänge. Daraus
entwickelte sich die Objektkunst. Ein Beispiel hierfür sind
Dada-Objekte des Amerikaners Man Ray, wie das berühmte „vernagelte"
Bügeleisen oder - wie hier im Museum - eine Papptrommel mit
bronzenem Inhalt mit dem Titel „Cadeau" (Geschenk).
Auf dem
obigen Foto sieht man eine Konstruktion mit verschiedenen Objekten.
Es ist das „Märchenrelief" von Jean Tinguely mit Gartenzwerg und
Plastikente. Es soll wie ein mobiler Wanderzirkus bewegt werden und
„die Poesie erreichen". Ob Künstler, wie Kritiker meinen, mit
der Objektkunst auch eine „Verzauberung der Welt" bewirken
können, sei dahingestellt. Vielleicht erreicht sie Christo, von dem
das Museum auch ein Exponat hat, mit seinen temporären
Kunstwerken.
Kubisten und Konstruktivisten
Den Kubisten
ging es eher um die Form als um Gesellschaftskritik. Sie verzichteten
weitgehend auf eine naturgetreue Abbildung und gelangten mit
einfachen geometrischen Elementen zu einer starken Vereinfachung. Sie
führten die Natur praktisch auf Kubus und Kegel zurück. In der
Glashalle des Museums findet man einige Beispiele, wie den Clown von
Henri Laurens oder den Gitarristen von Jaques Lipchitz.
Die
Konstruktivisten gingen in der Reduktion noch weiter. Ihre radikale
Vereinfachung bewirkte eine deutliche Entfernung von der Natur hin zu
einer technischen Welt, wie sie Erich Buchholz mit der Plastik „Kreis
des Aufgangs" entwarf. Von dem belgischen Künstler Georges
Vantongerloo zeigte das Museum kürzlich in einer großen Ausstellung
Werke aus dessen konstruktivistischer Phase.
Eisen- und
Stahlplastik
Stahlplastik von Alf Lechner
Eine
überraschende Vielfalt konstruktiver Möglichkeiten zeigt die Eisen-
und Stahlplastik - auch draußen im Kantpark. Während die große
Würfelkonstruktion im Park noch dem Werkstoff angemessen erscheint,
staunt man darüber, was Künstler mit dem Schmiedewerkzeug alles
zustande brachten. Pablo Gargallo bildete eine Marmorstatue aus dem
Vatikan mit Eisenplatten nach und Alexander Calder schmiedete
zierliche Mobiles. Es ging hier wohl eher um das Material, weniger um
eine bestimmte Aussage.
Ich könnte noch weit mehr erkunden. Im
Anbau des Museums zeigt man die aktuelle Skulptur bis in die
Gegenwart hinein, zum Beispiel Lichtskulpturen oder Arbeiten, die
neue Medien mit einbeziehen. Auch der doch ziemlich unappetitliche
„90.000 DM-Raum" von Joseph Beuys macht neugierig. So wird sich
das Wiederkommen lohnen, auch wegen der spannenden
Wechselausstellungen, von denen mir die kürzliche Schau
bildhauerischer Schmuckstücke besonders gut gefiel.
Links
Moderne
Skulptur
Stiftung
Wilhelm Lehmbruck - Zentrum internationale
Skulptur
Ausstellung
Entartete
Kunst
Salvador
Dali
Viele
Bilder der oben genannten Werke finden Sie auf der virtuellen
Museumsplattform NRW
Zwei
Bilder sind Presseabbildungen der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum,
dort sind die Namen der Fotografen vermerkt. Die Fotos ohne
Namensnennung sind eigene Bilder.
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