Warum sich Menschen engagieren
                              von Roswitha Ludwig
Ich – du – wir, in diesen Beziehungen leben wir. Auf Hilfe angewiesen sind wir am Lebensbeginn, oft am Ende und in besonderen Situationen. Menschen denken über sich, ihre Mitmenschen und ihre Aktionsfelder nach und stellen sich Aufgaben.

Sinnvolles Tun für die Gemeinschaft
Gefragt werden soll hier nach dem außerberuflichen freiwilligen Engagement für die Gemeinschaft, ausgeklammert bleibt das Engagement in Familienstrukturen.
Von der Katastrophenhilfe bis zur Mithilfe im Eine-Welt-Laden wenden sich Menschen Bereichen zu, die sie für sinnvoll erachten. Sie befürworten nicht nur die gewählten Strukturen sondern sie werden aktiv mit finanzieller Förderung oder im Tun. Gerade das Tun stiftet für sie ganz persönlich Sinn. Wenn sie auf Gleichgesinnte stoßen, weckt das ein Wir-Gefühl und schafft Wirkungskraft nach außen mit größeren Durchsetzungsmöglichkeiten für die Sache.
Und letztendlich wird für die Gemeinschaft sinnerfüllte Zeit gemeinsam verbracht. Wird eine Idee öffentlich gut präsentiert von der aktiven Gruppe, so besitzt sie Anziehungskraft für weitere potentielle „Sinnsucher“: Sei aktiv und rede darüber!

Gottesliebe – Nächstenliebe
Auf den Nächsten als Aufgabe verweisen sehr viele Religionen. Die drei monotheistischen Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam fußen auf der  Offenbarung Gottes als Schöpfer, der einen Bund mit den Menschen schließt.
Im Judentum regeln die 10 Gebote die Beziehungen – auch zu den Mitmenschen. Diese antworten mit der Liebe zu Gott und der Einhaltung der Gebote. Propheten prangern Verstöße an. Amos etwa übt Sozialkritik, indem er Gottes Gericht ankündigt, weil die Reichen nur ihren Reichtum im Blick haben. und die Armen unterdrücken.
Im Neuen Testament wird die Zuwendung zum Nächsten, vor allem dem bedürftigen und leidenden, als Aufgabe für den tätigen Glauben hervorgehoben. Jesus solidarisiert sich gerade mit den Schwächsten: „Was ihr getan habt einem diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Matth.25,42)

Image
St.Gallus Kirche Welzheim (Quelle: Foto Kühnle gen.)

Zu den Grundpfeilern und –geboten des Glaubens im Islam gehört die Armensteuer (Zakat).

Struktur einer mittelalterlichen Stadt

Sie war mit den umgebenden Mauern ein ständisch gegliedertes Sozialgefüge mit zugewiesenen Gemeinschaftsaufgaben. Sowohl der Einzelne als auch die Stadtobrigkeit sahen sich in der Pflicht, Armen zu helfen im Sinne der christlichen Gebote.
Zahlreiche Stiftungen Vermögender stehen für religiöse und soziale Motivation. Bekannt ist die Fuggerei in Augsburg, eine Art Sozialsiedlung, deren Bewohner gut und sehr billig wohnen konnten. In ihrem Vertrag verpflichteten sie sich, für das Seelenheil der Fuggerfamilie täglich zu beten.
In Weil der Stadt hat die Begine Hail Brodbeckin ihr Vermögen für ein Spital gestiftet, das den Bewohnern der Stadt als Armen- und Siechenhaus diente.
Image
Tafel am Spital, Foto privat

Image
Spitalgebäude links

Die Zünfte als Vereinigung einzelner Handwerke unterstützten unschuldig in Not geratene Mitglieder. Dienst für die Gemeinschaft verrichtete auch, wer für Bewachungs- und Feuerschutzaufgaben eingeteilt war.

Solidarisierung der Arbeiterklasse

In der Marxschen Terminologie veränderte sich mit der Industrialisierung die Gesellschaft in eine Klassengesellschaft. In den Städten entstanden Fabriken, deren Beschäftigte in Elendsquartieren wohnten. Die teilweise entwurzelten Menschen mussten die schlimmsten Arbeitsbedingungen hinnehmen. Um ihre Lage zu verbessern, solidarisierten sich viele trotz staatlicher Verbote. Massenaktionen wie Arbeitsniederlegungen, Demonstrationen vereinzelte Aufstände waren die Mittel. Der Staat reagierte mit Abwehr, setzte seine Machtinstrumente ein, weil er den Frieden gefährdet sah. Das Sozialistengesetz (1878-1890) schränkte die Arbeiterbewegung im öffentlichen Auftreten ein. Doch wer kontrolliert, unterdrückt oder gar verfolgt wird, solidarisiert sich umso mehr, rückt umso enger zusammen. 1912 stellte die SPD die stärkste Reichstagsfraktion. Die vorbildliche Sozialgesetzgebung erreichte nicht die Aussöhnung mit dem Kaiserreich.

Solidarisierung erwünscht
Die Verfassung der BRD bekennt sich zum Rechtsstaat und zum Sozialstaat. Sich zu solidarisieren gehört zu den Grundrechten. Bürgerinitiativen bilden sich, um auf aktuelle politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Die Inhalte können auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene liegen.
Guppen- und Vereinsstrukturen wie Kirchen, Parteien, Vereine, Verbände laden zum Mitmachen ein. Sie vereinigen mehrere Generationen, die für eine Sache und füreinander aktiv sind und Gemeinschaft pflegen. Ein vielgestaltiges Vereinsleben empfiehlt eine Gemeinde als Wohnort.
Image
Personengruppe, Quelle Miteinander-Füreinander

Doch die Menschen wenden sich heutzutage nicht mehr ohne weiteres traditionellen Vereinigungen mit großer Zeitverpflichtung zu. Neue Strukturen bilden sich um gemeinsam entwickelte Ideen. Wenn in Agendabewegungen über Zukunft nachgedacht wird oder wurde, erwachsen daraus oft kurz- oder längerfristig aktive Strukturen.

Heutige Trends
Nach Trends befragt, antworten Analytiker ganz unterschiedlich. Gemeinsam ist out, beklagt die eine Seite. Ein paar Stichworte sollen dafür stehen: Selbstverwirklichungstrends, Ellbogengesellschaft. Karrierejagd, Tendenz zur Vereinzelung mit immer mehr Singlehaushalten, Konsumdenken, materialistische Grundhaltung.
Das Ende der „Ichlinge“ konstatiert der Zukunftsforscher Horst W. Opaschewski und sieht neue Solidaritäten wachsen. Aktiv kann man in allen gesellschaftlichen Bereichen werden, sei es im generationenübergreifenden Wohnen oder in Hilfeleistungen der Menschen füreinander. Betätigungsfelder gibt es in Fülle angesichts schwindender intakter Familienstrukturen, im Bildungsbereich, in der Arbeit mit Migranten oder Senioren.
Namen wie Kochmütter, Leihomas, Lesepaten oder Jobpaten drücken die gewünschte Nähe aus und verweisen auf den Bedarf an Engagierten.

Füreinander aktiv sein
.
In Poesiealben ist der Spruch zu lesen:
Willst Du glücklich sein im Leben,
trage bei zu anderer Glück;
denn die Freude, die wir geben,
kehrt ins eigne Herz zurück.
Nicht nur der Volksmund vermittelt diese Erkenntnis auch die Neurowissenschaften bestätigen, dass das Tun für andere eine Glückswirkung hervorbringt ebenso wie gemeinsames Tun. Wer sein Wohlergehen im Blick hat, sollte demnach ganz selbstbewusst eine Entscheidung für eine Aufgabe treffen.
Am Ende der beruflich aktiven Zeit werden noch einmal die Weichen gestellt für Lebenssinn. Gerade die Aktiven sind es, die zufriedener und ausgeglichener wirken. Gefragt zu sein, gebraucht zu werden, sich einzubringen, bereichert. und zeitigt auch den Effekt, dass man zuversichtlicher den Zeiten entgegen geht, in denen man vielleicht auch Hilfe annehmen muss. Der Begriff „Sozialkapital“ hat solche vernetzten Strukturen im Blick auf ganz verschiedenen Ebenen.

Ein Beispiel: „Miteinander Füreinander“
Die Bürgerschaftliche Vereinigung in Weil der Stadt wurde 1995 gegründet. Es handelt sich um einen gemeinnützigen Verein mit inzwischen über 250 Mitgliedern.
Image
Büro von Mi-Fü Weil d.St.

Auf ganz verschiedenen Ebenen begegnen sich Menschen mit Angeboten für gemeinsame Aktivitäten und mit der Bereitschaft, wo nötig zu helfen. Die Angebote sind kostenlos und werden den vier Bereichen zugeordnet:
Begegnung und Kommunikation,
Anregung und Bildung,
Spiel und Unterhaltung,
Helfen und Unterstützen.
Dem Leiter, Claus Ofterdinger, ist es wichtig, dass die Menschen Freude haben beim gemeinsamen Tun und sich als Gruppe fühlen, also ein Wir-Bewusstsein entwickeln. Der Verein hat auch soziale Aufgaben im Blick: Generationen übergreifend zu wirken, bei Bewerbungen zu unterstützen und Integration zu erleichtern. Und wer neue Ideen einbringen möchte, kann Mitmacher suchen.

Fazit:

Die inneren Antriebe heutiger Menschen können aus den verschiedensten weltanschaulich philosophischen Richtungen stammen oder ganz pragmatisch an Erfordernissen anknüpfen. Sich in der Heterogenität gemeinsame Aufgaben zu stellen, entspricht der Gesellschaft unserer Zeit.
An den Versorgungsstaat glauben die Menschen längst nicht mehr, es gab ihn eigentlich nie. Jedoch erwarten sie, dass Politik gute Rahmenbedingungen setzt für die Entwicklung solcher gewünschter bürgerschaftlicher Strukturen, auch dass die Politik die Wertigkeit ins öffentliche Bewusstsein trägt. Zusammenleben hat eine Geschichte, auch wenn die Zeiten ganz andere waren, liefert die mittelalterliche Stadt- oder Dorfgesellschaft Impulse für achtsames Zusammenleben auf überschaubarem Raum. Stadtmauern gibt es längst nicht mehr, aber Nachbarn, Stadtteile und soziale Aufgaben. Mitdenker, Mitplaner, Mitmacher sind gefragt!

Quellen und Links

Geschichte des Ehrenamts

Senderreihe „Wissen“ in SWR 2 Hörfunk , Sendung zum Nachhören oder als Manuskript

Homepage von Miteinander – Füreinander Weil der Stadt mit den laufenden Aktivitäten

Horst W. Opaschowski: WIR! Warum Ichlinge keine Zukunft mehr haben; auditorium maximum; DER HÖRBUCHVERLAG DER WBG

 
< zurück   weiter >