Wechselnde Moralbegriffe |
von Horst Glameyer „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett", sang Bill Ramsey 1962. Mord, Totschlag und deren Aufklärung üben anscheinend eine starke Anziehungskraft aus, wie man an den unzähligen Kriminalromanen, Filmen, Fernseh-, Hör- und Videospielen erkennen kann. Ein weiter Weg Seit den letzten Gladiatorenkämpfen mit tödlichem Ausgang vor begeistertem Publikum um 434 n. Chr. in Roms Colosseum und der Abschaffung der Todesstrafe 1949 mit Artikel 102 im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland sind mehr als 1500 Jahre vergangen. Bekanntlich ist die Todesstrafe keineswegs weltweit abgeschafft, und es gibt in einigen Ländern noch immer öffentliche Hinrichtungen, zu denen viele Zuschauer strömen. Erst nach 1864 fanden sie in Deutschland nicht mehr statt. Ganz allmählich hat sich ein Moralbegriff durchgesetzt, der nicht mehr fordert, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Ähnlich verhält es sich mit der langen, grauenvollen Geschichte der Folter. Ihre Abschaffung ist wiederholt verlangt worden. Nach Artikel 104 GG dürfen „festgehaltene Personen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden." „Kann denn Liebe Sünde sein, ..." „wenn man sich küsst, einmal alles vergisst vor Glück?" sang einst Zarah Leander. Küssen in der Öffentlichkeit gehörte sich damals nicht. Heute ist das längst kein Thema mehr. Dass Hildegard Knef sich 1950 im Film „Die Sünderin" in einer kurzen Szene nackt zeigte, wurde in mehreren deutschen Städten zum öffentlichen Ärgernis. Der Film führte seinerzeit u. a. zu erregten Demonstrationen. Heute stört sich kaum noch jemand daran, wenn Regisseure ihre SchauspielerInnen im Theater nackt auf der Bühne auftreten lassen. Über lange Zeit wagten Homosexuelle sich nicht zu „outen"; weil sie sonst verfolgt oder ausgestoßen worden wären. Heute bekennen sich selbst Minister zu ihrer Homosexualität, ohne deswegen Anstoß zu erregen. Die moralischen Anschauungen haben sich gewandelt. Die Gesellschaft ist toleranter geworden, auch gegenüber Miniröcken usw. Alleinerziehende Mütter In einer patriarchalischen, religiös geprägten Gesellschaft zu leben, war es für ledige wie für verheiratete Frauen trotz unterschiedlichster Verhältnisse wohl zu keiner Zeit einfach, eigene Interessen zu verfolgen und durchzusetzen. Es brauchte Jahrhunderte bis in unsere Gegenwart, dass Frauen, oft nur auf dem Papier, dieselben Rechte und Freiheiten zugestanden wurden, wie Männer sie für sich seit Langem in Anspruch nahmen. Vor allem die Kirche fand in der Heiligen Schrift reichlich Gründe, die Gleichheit von Mann und Frau zu bestreiten und die Frauen zu demütigen. Nicht selten wurden ledige Mütter von den Eltern verstoßen, weil sie mit der unehelichen Geburt ihres Kindes Schande über sich und ihre Familie gebracht hatten. Seit dem 1. Juli 1998 wird nach deutschem Recht nicht mehr zwischen ehelichen und unehelichen Kindern unterschieden. Ehrlosigkeit Wenn heute bei Filmfestspielen für berühmte Schauspielerinnen und Schauspieler ein roter Teppich ausgerollt wird und ihnen ihre zahlreich am Rande stehenden Bewunderer zujubeln, denkt niemand daran, dass sie noch im Mittelalter zum „Fahrenden Volk" gehört hätten. Zusammen mit Gauklern, Spielleuten und anderen zwielichtigen Gestalten galten sie als ehrlos. Örtlich unterschiedlich betrachtete die Gesellschaft einzelne Berufe und die sie ausübten als unehrlich. Ehrbare Männer und Frauen setzten sich nicht mit ihnen im Gasthaus an einen Tisch, sondern hielten sich möglichst von ihnen fern. Als ehrlos galten der Henker samt Frau und Kindern, die vor der Stadtmauer wohnen mussten, sowie der Abdecker, der Totengräber; aber auch Müller, Schneider, Bader und andere, die man aus vielerlei berechtigten oder unberechtigten Gründen verachtete. Der Pranger Verbrecher und kleinere Missetäter, einerlei ob Mann oder Frau, wurden zwecks demütigender Bloßstellung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts an den Pranger gestellt, wo sie von den Vorübergehenden geschmäht, bespuckt und geprügelt werden durften. Feste Gegenstände nach ihnen zu werfen, war in Lübeck jedoch verboten. Es gab verschiedene Formen von Prangern, an denen die Delinquenten gefesselt zur Schau gestellt wurden. Vornehmlich waren es Orte, die von vielen Bürgern aufgesucht wurden, wie z. B. auf Marktplätzen oder vor Rathaus- oder Kirchenportalen. Nachdem dort niemand mehr an den Pranger gestellt wird, besorgen die Medien das Anprangern, wobei zuweilen auch Unschuldige versehentlich bloßgestellt werden und dadurch fälschlich in Misskredit geraten können. Links Die Moral als Nebenprodukt der Evolution Moral Hinrichtung Scham- und Schuldkultur Frauenleben im Mittelalter Unehelichkeit Pranger Bilder von den Genannten bei www.pixelio.de |
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