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Heimat und Fremde in meinem Leben
Nach den äußeren Stationen meines Lebens bin ich heimatverbunden und seßhaft gewesen: 1943 wurde ich in Brilon geboren, mit Ausnahme je eines Semesters in Freiburg und Nancy habe ich in Münster studiert. 1970 habe ich meine 1. Stelle im Schuldienst in Bünde angetreten, dort blieb ich bis zur vorzeitigen Pensionierung 1996.
Trotzdem ist mir die Fremde vielfältig begegnet: irgendwie war ich aus der sauerländischen Art geschlagen und war in besonderer Weise offen für Menschen, die hier fremd waren. In Münster, nicht im Spanienurlaub, habe ich meinen spanischen Mann kennengelernt und lebe also seither in binationaler Ehe. In den verbleibenden Studienjahren mit ihm lernte ich Teile der spanischen und lateinamerikanischen Kolonie unter den Münsteraner Studenten kennen. Zu unsern Freunden gehörten auch Gastarbeiter, und ich lernte hautnah ihre Problematik kennen. Die ersten italienischen Gastarbeiter aus Favignana, Prov. Trapani, einer im Westen Sizilien vorgelagerten Insel, hatte ich schon in Brilon während meiner Schulzeit zusammen mit meiner besten Freundin, die italienisch sprach, kennengelernt und mich für ihre Belange eingesetzt: zusammen mit dem kath. Pfarrer organisierten wir Weihnachtsfeiern und fragten uns, ob die Art der Unterbringung und teilweise der Arbeitsbedingungen mit unserer Auffassung von Menschenwürde vereinbar war. Auch Flüchtlinge jeder Couleur sind mir begegnet: junge Frauen aus Angola, die noch von der portugiesischen Kolonialmacht vom Tode bedroht waren und in Brilon am dortigen Goethe-Institut für eine Krankenschwester-Ausbildung in Frankfurt vorbereitet wurden. Oder die Chile-Flüchtlinge, die 15 Jahre hier in Bünde lebten. Durch meine Kinder habe ich mich mit türkischen Familien angefreundet und sie jahrelang aus der Nähe mit allen Hochs und Tiefs erlebt. 1993 war ich Mitinitiatorin des ersten "interreligiösen Gebets" in Bünde. Seit langem bin ich Mitglied in "Pax Christi" und in "Pro Asyl". Langsam werde ich zur Spezialistin im Ausländerrecht: Jeweils durch Zufall ergaben sich Begegnungen, in die ich meine besonderen Fähigkeiten nutzbringend einbringen konnte: meine Sauerländer Bodenständigkeit und sprichwörtliche Dickköpfigkeit, gepaart mit einem gesunden Menschenverstand, ließen mich öfters zur Hochform auflaufen, wenn sich deutsche Behördengründlichkeit und schicksalhafte Einzelfälle in dicker Konfrontation gegenüberstanden wie weiland Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" und die strammen preußisch-kaiserlichen Beamten der Polizeiwache . Da habe ich Erfolge erzielt, auf die ich stolz bin, wenn beispielsweise eine Frau, die gerade nach der Ermordung ihrer beiden Töchter in geistiger Verwirrung hier als Flüchtling ankam, zurückgeschickt werden sollte, weil sie mit dem falschen Visum bei grundsätzlicher Aufenthaltserlaubnis eingereist war. Seit Juni 2000 versuche ich , Hilfe für Rückkehrer nach Bosnien zu organisieren. Für Januar 2001 habe ich eine Eindadung für einen Runden Tisch gegen Ausländerfeindlichkeit von der Stadt Bünde erhalten. Fragebogen zum Thema Heimat
Mein Heimatort ist Brilon im Sauerland. Ihn habe ich praktisch bis zum Abitur nicht verlassen. Damals konnte ich es nicht abwarten, wegzugehen, heute zieht es mich zurück, auch weil meine Mutter dort noch lebt. Ich liebe den Kirchturm, den Marktplatz, die steilen Straßen, in denen man damals Schlitten fahren konnte, den Garten meiner Mutter, den mein Bruder heute als Hobby bearbeitet, und die Wälder und Berge ringsum.Auch die Bodenständigkeit vieler Leute gefällt mir heute. Ich habe mich schon bei der Frage ertappt, ob ich dort vielleicht im Alter wohnen möchte. Heimat war eigentlich keine Kategorie für mich, ich kannte hauptsächlich den negativ besetzten Heimatbegriff , wie er in Heimatfilmen "Heimat gleich Kitschroman" zum Ausdruck kommt, dazu die revanchistische Forderung der Vertriebenenverbände. Unsereiner war Weltbürger und träumte davon, in die große weite Welt zu ziehen. Dialekt ist für mich ein Medium, das viel größere Nähe und Vertrautheit ermöglicht als die Hochsprache. Ich bedaure, daß wir als Kinder zwar noch Plattdeutsch verstehen konnten, aber nicht mehr zu sprechen gelernt haben. Ich halte sie für etwas geschummelt, zumindest in dem Sinne, daß beide Heimaten gleichbedeutend sind und man darum in jeder dieser 2 Heimaten zu Hause ist; es gibt m.E. immer einen Teil, der Sehnsucht nach der andern Heimat hat. Und wenn man diesem Drang nachgibt, hat man wieder Sehnsucht nach dem andern. Für die größere Flexibilität zahlt man auch einen Preis. Vielleicht müssen wir mehr Techniken entwickeln, uns bei größerer Mobilität heimatliche Kuschelecken zu bewahren. Ich habe gerade meine Lieblingskinderbücher, Heidi und Gritlis Kinder, nochmal gelesen und war verblüfft, welche Heimatliebe die Menschen früher wohl keineswegs als chauvinistisch empfunden haben. Die Schweizer Berge als Inbegriff aller Seligkeit, das hat doch was Anziehendes. Das auf die eigene Heimat zu übertragen, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Leider ja. Heute fände ich schön, wenn sie meine heutige Auffassung teilten und sich in meiner Nähe niederlassen würden und wir wieder alte Großfamilie spielen könnten. Leider verhalten sie sich so wie ich zwischen 20 und 30 und ziehen hinaus in die Welt. Das heißt: Hier sind mir Menschen, Sprache, Verhältnisse vertraut. Seitenanfang Zurück Wenn Sie Fragen haben: E-Mail an Maria Bürger-de Castillo |