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Heimat und Fremde in meinem Leben
Ich bin 1964 in Oldenburg geboren. Zwei Jahre später sind meine Eltern nach Norden in Ostfriesland gezogen, wo ich dann - gleich am Meer - aufgewachsen bin.
Ostfriesland war damals wie heute eine sehr strukturschwache Region. Wer nicht gerade im Hotelgewerbe gelernt hat, hatte wenig Aussicht, in Ostfriesland zu bleiben. Nicht nur, wer studieren wollte, ging weg, sondern auch viele, nur um eine Ausbildung zu finden oder nach der Ausbildung, weil in Ostfriesland keine Arbeit zu finden war. Das wußte ich schon als Kind und so war mir früh klar, daß ich in Ostfriesland kaum bleiben (können) würde. Auch wenn ich mich in Norden in meiner Jugend sehr wohlgefühlt habe: Das prägt glaub ich den Bezug zu "Heimat". Meine Großeltern wohnten im Ruhrgebiet, wo ich sie fast jedes Jahr für zwei Wochen besuchte. Das Ruhrgebiet gefiel mir sehr gut, der Rhein, die städtische Umgebung. Meine erste Liebe wohnte ebenfalls aus dem Ruhrgebiet. Das Ruhrgebiet weckte so für mich viele positive Erinnerungen, so etwas wie "Heimatgefühle". Als ich mit der Schule fertig war, war ich mit meiner ersten Freundin schon nicht mehr zusammen, Ute wohnte auch nicht mehr in Oberhausen. Trotzdem war bei der Wahl des Studienortes für mich ohne Überlegen klar, daß ich im Ruhrgebiet studieren würde. Ich zog nach Bochum, wo ich an der Ruhruniversität Kommunikationswissenschaften und Sozialmedizin im Magisterstudiengang wählte. Das Studium war interessant, die Wahl des Studienortes aber eine fahrlässige Entscheidung, wie sich bald herausstellte. - Fast alle Studierenden an der Ruhr-Universität kamen aus dem Ruhrgebiet, wohnten oftmals noch zuhause und fuhren in Fahrgemeinschaften aus den umliegenden Städten nach Bochum. Ein geselliges Studentenleben, das ich mir vorgestellt hatte, fand ich dort nicht vor und ich fühlte mich ziemlich schnell fremd und unwohl. Eine große Enttäuschung, wo ich das Ruhrgebiet doch eigentlich so gemocht hatte. Ich zog die Konsequenz und studierte in Göttingen weiter, eine Stadt, die ich nicht kannte, die mir vom Studienklima aber das Gegenteil zu Bochum erschien. So war es auch, das Studieren in Göttingen war leicht, die Studierenden kamen aus ganz Deutschland und waren entsprechend kontaktbereit und gesellig. Später zog ich dann doch wieder ins Ruhrgebiet, nach Witten, weil ich mit der gewählten Fächerkombination nur in Bochum einen Abschluß machen konnte. Nun fuhr ich selbst zur Uni und genoß meine Freizeit in Witten, das ein sehr schönes Umland hat. Ich hatte dort einen Hund, mit dem ich täglich kleinere oder längere Wanderungen im Gebirge über der Ruhr machte. Die Gegend ist bis heute mit vielen Heimatgefühlen verbunden. Nach dem Studium in Bochum bin ich 1991 nach Bremen gewechselt, wo ich am Institut für interdisziplinäre Alternsforschung gearbeitet und begleitend Sozialpädagogik an der Uni studiert habe. Während der Arbeit an einer Promotion, die leider nicht fertig wurde, zog ich 1995 nochmal nach Göttingen. 1997 fing ich dann in Ulm beim ZAWiW an. Manches in Ulm war mir schon recht fremd, besonders die Dialekte sind nicht immer leicht zu verstehen. Die Arbeit mit den überregionalen Projekten (Senior-Info-Mobil, LiLL) ließ auch nur begrenzt Zeit, mir die Region so anzueignen, wie ich mir das wünsche. Mein Hund lebt nicht mehr, so gibt es auch weniger Zwang, das Umland weiter zu erkunden. Sich im Gelände auskennen ist für mich glaube ich der wichtigste Pfeiler von Heimatbezug. Aber das wird - nach Ende des Modellversuchs "Senior-Info-Mobil" (das Senior-Info-Mobil wird weitermachen) - vielleicht demnächst ja besser :-). Fragebogen zum Thema Heimat
Ich kann nicht sagen, daß ich "eine Heimat" habe, der Begriff spielt für mich in meiner Selbstverortung keine Rolle. Es gibt aber mehrere Orte, mit denen ich Heimatgefühle verbinde, wo ich, wenn ich sie besuche, nur durch das dort sein innere Gelassenheit, Ruhe finde und Aufgehobenheits- und Glücksgefühle aufkommen. Das funktioniert (weniger eindrucksvoll) auch, wenn ich mich zu den Orten hindenke. Es sind Orte, wo ich besonders glückliche und kreative Zeiten verlebt habe. Die Gefühle sind sehr landschaftsgebunden und wirklich ortsgebunden, es reicht also z.B. nicht, in Bremen zu sein, aber im Bremer Bürgerpark, wo ich bei Spaziergängen mit meinem Hund viele kreative Ideen ("privatphilosophische" oder für meine Arbeit am Institut für interdisziplinäre Alternsforschung) entwickelt hatte. "Heimat ist da, wo meine Freunde sind" ist die Wendung, die mir am häufigsten begegnet ist, jedenfalls im Gespräch mit jüngeren Leuten. Mir erscheint das sehr abstrakt und nicht so überzeugend. Wenn man so redet ist Heimat glaube ich keine wirkliche Kategorie in der Selbstwahrnehmung. Überzeugender für mich wirkt, wenn das auch für die Orte vergangener Freundschaften gilt oder wo Freunde früher gewohnt haben. Für mich macht der Begriff nur Sinn, wenn auch eine Vergegenständlichung/Verörtlichung von Gefühlen gemeint ist. Heimatgefühle werden typischerweise mit Orten verbunden, wo man sich wohlfühlt und aufgehoben fühlt. Wo man den Dialekt kennt und spricht, ist es leichter, sich aufgehoben zu fühlen; bei fremdem Dialekt ist die Entwicklung von Vertrautheits-Heimatgefühlen auf jeden Fall schwieriger. Ich kann mir aber vorstellen, daß es auch Heimat durch Fremdheit gibt: Orte, wo man durch Fremdheit besonders auf sich selbst gestellt war, es anstrengend war, sich zurechtzufinden - die Intensität der Anstrengung, sich zurechtzufinden kann auch sehr starke emotionale Bindungen an Orte hervorrufen, Fremdheits-Heimatgefühle sozusagen. Auf jeden Fall. Wenn man an einen Ort eine starke emotionale Bindung haben kann, kann man auch zu zwei oder mehreren Orten solche Bindungen entwickeln. Am meisten durch Berichterstattung über "Heimatvertriebene". Ich kannte keine Heimatvertriebenen, jedenfalls keine, die das erkennen ließen. Da ich schon als Kind politisch sehr interessiert war, habe ich schon früh auch Berichte über "Heimatvertriebene" gehört und gelesen, das erschien mir immer sehr fremd und die Haltungen der Verbände politisch gefährlich. Für die Sichtweisen von Heimatvertriebenen habe ich mich erst später interessiert, als ich Ältere kennengelernt habe, die vertrieben wurden. Da habe ich es dann auch bedauert, daß der Begriff "Heimat" in den Medien oft so politisch - oberflächlich gehandhabt wird. In den Lebensentwürfen jüngerer Menschen ist Mobilität stärker vorgesehen als in der Generation der Eltern/Großeltern; das dürfte bei den Jüngeren zu einer flüchtigeren Heimat führen; Heimatgefühle werden bei antizipierter Mobilität (die zudem i.d.R. als freiwillig empfunden wird) nicht mehr auf die Region , in der man aufgewachsen ist, fixiert sein. Wenn man jemanden fragt, warum das seine/ihre Heimat ist, gibt es meiner Erfahrung nach oft sehr vage, unbestimmte Antworten. Es ist halt so. Das ist vielleicht die Qualität von Heimat: viele Selbstverständlichkeiten, vertraut, unreflektiert und entsprechend schwer beschreibbar. Seitenanfang Zurück Wenn Sie Fragen haben: E-Mail an Christian Carls |