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Themenkomplex G
Der Missbrauch des Heimatgefühls
in Vergangenheit und Gegenwart


Zusammenfassung
Maria Burkard
10.02.2002

Auf dieser Seite wird die Zusammenfassung zum Themenkomplex G veröffentlicht. Sie ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit. Die Gliederung folgt nachstehend.
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Die vorliegenden Beiträge zum Themenkomplex G finden Sie hier:
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    1. Einleitung
    2. Heimatkultur: Kitsch oder echte Gefühle?
    3. Instrumentalisierung, Kommerzialisierung
    4. Historisch-politischer Bereich
    5. Probleme einer Wertung
    6. Schlussfolgerung

     

    1. Einleitung
    In diesem Themenkomplex haben wir die Frage untersucht, inwieweit Heimatgefühle missbraucht werden können, bzw. inwieweit sie missbraucht wurden und auch heute noch missbraucht werden.
    Wir gingen dabei von der allgemein anerkannten These aus:

              "Heimat ist mit Gefühl verbunden".

    Schon im Vorfeld gab es recht kontroverse Diskussionen. Beide Begriffe, Heimatgefühl und Missbrauch, sind immer etwas Subjektives, sie sind mit Wertungen verbunden, entziehen sich also leicht einer allgemein gültigen Definition.
    Der Begriff "Miss - brauch" wird in vielen Bereichen verwendet. In der Regel wird darunter der falsche oder nicht erlaubte Gebrauch verstanden.
    Wir haben eine Eingrenzung versucht, die sich auf unsere Thematik bezieht. Peter hat folgende Definition vorgeschlagen:
              Das Wort, der Begriff werden nicht genutzt sondern benutzt.
    Die Frage: Wem nützt bzw. schadet es, kann oft helfen, eine entsprechende Antwort zu finden.

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    2. Heimatkultur: Kitsch oder echte Gefühle?
    Dazu gehört zunächst der ganze Bereich der Tradition, also Feste, Abende, Umzüge, Trachten.
    Hier wird vieles heute als Kitsch empfunden. Selbst wenn das zutrifft, ist dies die harmloseste, weil ungefährlichste Variante des Missbrauchs.
    Die Frage, was ist Kitsch und hat er nicht auch seine Berechtigung, ist nicht leicht zu beantworten, hier spielen subjektive Ansichten eine besonders starke Rolle. Das Encarta Lexikon gibt folgende Definition:
      "Kitsch zeigt meist einen Hang zur Gefühlsbetonung, zu einer übertriebenen Romantisierung, zur Verniedlichung und zum Dekorativen, gibt die Wirklichkeit verzerrt, stark vereinfacht oder ungenau wieder, will sich mit klischeehaften, falschen oder übertriebenen Gefühlen beim Publikum einschmeicheln und zielt auf einen unausgebildeten, unkritischen Geschmack."
      Aus: Microsoft® Encarta® 99 Enzyklopädie. © 1993-1998 Microsoft Corporation.
    In
    G04 habe ich die Frage untersucht , warum gerade "Heimatkultur" so oft als Kitsch empfunden wird:
    Häufig ist Heimat der Traum von der guten alten Zeit, Sehnsucht nach der vorgeblichen heilen Welt von früher und ist dann nichts anderes als ein Synonym für eine Flucht aus der Gegenwart in eine heile (kitschige) Welt. Aber mit den Erinnerungen an die Heimat ist es so eine Sache. Sie sind nicht besonders verlässlich. Oft löschen sie das Negative, das was man früher eigentlich auch abgelehnt hat, einfach aus. Es wird übersehen, dass überall, auch in der geliebten Heimat, sich vieles verändert hat. So wird Heimat zu einer Oase inmitten einer bösen Umgebung, zur Schein- und Ersatzwelt und damit zu Kitsch.
    Diese unehrliche "Verkitschung" muß aber nicht die Regel sein und es finden sich genügend andere Beispiele.
    So schreibt eine Schülerin, Klasse 13, in G01: Die Funktion von Festen und Abenden ist bei mir einfach nur ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
    Ein positives Urteil erlauben auch die Satzungen des Steinenbronner Heimat-Vereins, über die Dieter berichtet (G07): "Zweck des Vereins ist die Erhaltung alter Sitten und Gebräuche sowie Landschafts- und Denkmalschutz. Kommerzielle Interessen schließt die Satzung ausdrücklich aus, alles ruht auf ehrenamtlicher Arbeit."
    Wenn diese Gemeinde ein "Heimatbuch" herausgibt, an dem "eine ganze Schar von Bürgern mitgearbeitet hat", sollten wir so etwas durchaus ernst nehmen. "Hier wurde konkret etwas dafür getan, den Begriff Heimat hochzuhalten. Motto: nur wenn man seine Heimat und ihre Geschichte kennt, lebt man bewusst in ihr." Solche Heimatbücher gibt es übrigens in vielen Gemeinden und nicht nur in Deutschland, sondern z.B. auch in Frankreich (Madeleine, G14). In G07 hat sich Dieter auch ernsthaft mit den "Heimattagen" auseinandergesetzt und ist zu einer positiven Bewertung gekommen.
    Die Ergebnisse dieser Diskussionen lassen sich vielleicht in folgender Aussage zusammenfassen:
      Es ist mit der Heimatliebe wie mit vielem, wenn sie übertrieben oder fanatisch wird, wird sie verkitscht, wird sie missbraucht.
    Zum Bereich der Heimatkultur können wir auch Heimatromane, Heimatlieder, Heimatgedichte, also die Literatur rechnen, die sich in erster Linie mit "Heimat" und den damit verbundenen Gefühlen beschäftigt, sie wird ebenfalls häufig der Kategorie Kitsch zugeordnet.
    Auch hier ist die Frage Missbrauch oder nur Kitsch oder sogar literarisch wertvoll nicht so einfach zu beantworten. Dass diese Thematik durchaus ernst zu nehmen ist, zeigt mein Beitrag "Plädoyer für den Heimatroman" (G20). Der dort zitierte E. Turnher wendet sich dagegen, ihn einfach als Kitsch abzutun, er stützt sich auf Ergebnisse eines Symposiums der Universität Bonn zu diesem Thema und versucht, den so oft belächelten Heimatroman historisch einzuordnen, seine sozialkritische Funktion aufzuzeigen und ihn nicht einfach als Kitsch abzutun. Er schließt mit einem klaren Bekenntnis zum Heimatroman. Dieser Meinung konnten sich nicht alle deutschen Teilnehmer anschließen. Madeleine (G26, G27) sieht das etwas anders, stimmt aus französischer Sicht zu und versucht die Unterschiede der beiden Länder zu erklären.

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    3. Instrumentalisierung, Kommerzialisierung
    Sehen wir uns nun die Kommerzialisierung der Heimatgefühle an:
    Sobald echte Gefühle, Verbundenheit mit der Heimat, z.B. traditionelle Feste oder Umzüge so ausgenützt werden, dass andere dadurch materielle Vorteile haben, können wir von Missbrauch sprechen. Diese Gefahr besteht bei allen Veranstaltungen, die der Tourismus managt. Die Grenzen zwischen Profitgier und einfacher Geldbeschaffung zur Unterstützung der Heimatpflege sind sicher fließend. Es ist auch zu fragen, inwieweit der Tourismus die Traditionen einer Gegend zu kommerziellen Zwecken "ausschlachten" darf.
    In
    G03 habe ich einige sehr krasse Beispiele genannt, wie Heimat zu einem Konfektionsartikel von der Stange, zu einem Bestandteil der Kulturindustrie wird.
      "Wo der Wildbach rauscht und der Adler seine. Kreise zieht... Liebe, Schicksal, Leidenschaft, ... 20 ergreifende Romane führen Sie in die Welt der Berge... Entdecken Sie diese besonders schönen Heimatromane jetzt neu!"
    Es ist kaum vorstellbar, dass sich "Heimatgefühle" noch brutaler missbrauchen lassen als in dieser Anzeige aus dem Jahre 1988 und es ist erstaunlich, dass diese Vermarktung funktionierte, denn wir müssen davon ausgehen, dass Werbung nur dann praktiziert wird, wenn sie Erfolg verspricht.
    Hier wird Heimat auf wenige Aspekte reduziert, die ein "schönes" Bild ergeben, sie wird an Stereotypen festgemacht, die Behaglichkeit und Geborgenheit versprechen.
    Solche "Gefahren" sind allgegenwärtig: In einem Beitrag aus dem "Leben" weist Madeleine darauf hin, wie leicht wir z.B. bei einer Reise auf die Kommerzialisierung hereinfallen (G24).

    Aber es sind nicht nur die Massenmedien, die Heimat vermarkten. Heimatobjekte, Heimatembleme jeder Art werden in ein kommerzielles Verteilersystem eingebaut. Die "echten" Trachten werden neu produziert, Feste, die längst vergessen waren, werden neu entdeckt und als Tradition ausgegeben, alte Lieder werden den Bedürfnissen der Fernsehzuschauer angepasst usw. Die Fremdenverkehrsindustrie kann fast alles vermarkten.
    Fassen wir zusammen: Die Übergänge sind fließend, es läßt sich darüber streiten, ob und wann wir in diesen Bereichen von Missbrauch reden dürfen.

    Die Frage kommerzieller Missbrauch oder nicht stellt sich recht schnell bei Heimatfilmen ein. Es sind meist verfilmte Romane, die nur mit dem Blick auf Einspielergebnisse gedreht wurden.
    Um konkret zu werden, haben sich einige von uns das "Das Hirtenlied vom Kaisertal" im MDR angesehen. In G22 gebe ich eine kurze Inhaltsangabe und versuche, die einzelnen "Bausteine", die typisch für die heile Welt dieser Filmgattung sind, zu benennen und zu analysieren. Volkmar schreibt in G23: der Film entspricht genau den Kriterien von Brussig: stockkonservative Idylle, gefühlsduselig, systematische Realitätsausblendung (siehe G17).
    Warum solche Filme in den fünfziger Jahren Erfolge hatten, ist leicht nachzuvollziehen. In der Zeit des Wirtschaftswunders, aber auch des kalten Krieges, boten sie Abwechslung, man glaubt das zu finden, was man im alltäglichen Leben vermisst: Natur, Liebe, Geborgenheit.
    Die Frage, ob wir hier von Missbrauch der Gefühle reden, muß differenziert beantwortet werden.
    Sicher ist, dass die Filmwirtschaft davon profitierte, dass sie solche Filme am Fließband produzieren konnte und dabei kein Risiko einging.
    Aber wie ist es mit den Zuschauern?
    Solange sie wissen, dass in diesen Filmen billigste Unterhaltung geboten wird, solange sie nur Ablenkung, ein paar schöne Stunden suchen, solange schadet ihre Sehnsucht nach einer verlorenen Vergangenheit niemand. Bedenklich wird es erst, wenn die hier gezeigte heile Welt mit der Realität verwechselt wird.
    Wie ist es 2002? Ein alter Film ist eine preiswerte Möglichkeit ein Abendprogramm zu gestalten, also profitiert zumindest der Sender. Wir müssen davon ausgehen, dass auch heute Heimatfilme ihre Zuschauer finden, sonst würden sie nicht mit großer Regelmäßigkeit gesendet werden.
    Wer sieht sich einen solchen Film an und warum?
    Ist es nur ein billiger Zeitvertreib? Oder wird durch Flucht in solche Filme die Meinung gewonnen, dass "damals" alles so viel besser war?
    Wir haben keine genaueren Untersuchungen, deswegen sollen die Fragen offen bleiben und die gängigen Spekulationen nicht noch einmal wiederholt werden.
    Dass es auch anders geht, zeigt das elfteilige Film-Epos von 1984 "Heimat" des Filmemachers Edgar Reitz. Der Film wurde bei seiner Ausstrahlung im deutschen Fernsehen ein Straßenfeger, aber auch im Ausland erregte er Aufsehen, so ist er für französische Germanisten zum Symbol Deutschlands in der Nachkriegszeit geworden (Madeleine, G26). Siehe dazu auch den Artikel von Thomas Brussig in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 30.12.2001 (G17).

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    4. Historisch-politischer Bereich
    Missbrauch ist dann zu sehen, wenn Gefühle benützt werden, um konkrete politische Ziele zu erreichen, Je besser es gelingt, Emotionen anzuheizen, also Reflexionen auszuschalten, desto erfolgversprechender ist dieses Verfahren. Hitler hat dies nicht nur angewendet, sondern es in "Mein Kampf" sehr aufschlussreich erläutert. Siehe mein Beitrag G25.
    Eine genauere Analyse von Einzelfällen hätte den Rahmen dieses Projektes gesprengt, Drei unterschiedliche Beispiele aus verschiedenen Epochen sollen jedoch die Problematik verdeutlichen:
    Auf einen interessanten Aspekt weise ich in G02 hin. Grieshaber beschreibt in einem Merian-Artikel Erfahrungen aus seiner Schulzeit nach dem 1. Weltkrieg. Seiner Generation sollte die Heimatliebe "eingetrichtert" werden, Die Wirklichkeit sah anders aus und erreichte das Gegenteil:
      "Jene Lehrer wollten irgendwie für das Heimatgefühl eine Art Quartiermacher sein. Sie wollten die Jugend zu den lichten Gotteshöhen der Heimatliebe führen. ... Ein halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen, und niemand kann das Wort Heimat mehr hören. Die vom Weltkrieg trunkenen Offiziere und Feldwebel hatten es schon vor den Nazis geschafft. Das Spitzel - und Denunziantentum kam mit der Heimatpflege auf."
     
    Im Dezember 2001 entdeckte Peter in Freiburg ein Plakat, das sich auf die Volksabstimmung aus dem Jahre 1951 bezieht (G06). Mit diesem und ähnlichen Plakaten wurde damals gegen die Gründung des "Südweststaates" Stimmung gemacht.

    Was sehen wir?
    Ein Paar aus dem Nordschwarzwald, im Hintergrund ein typisches Schwarzwaldhaus, Geborgenheit, eine Atmosphäre der Vertrautheit, eben "Heimat". All dies wird bedroht, wenn der Wähler nicht für den Erhalt der alten Länder stimmt.
    Sicher ist, dieses Plakat wirbt für ein konkretes politisches Ziel, aber ist es die Darstellung echter Heimatgefühle?
    Oder wie Dieter in G16 meint ein Beispiel für Missbrauch von Heimat?


    Missbrauch im politischen Bereich finden wir auch heute noch in erschreckender Weise, wenn wir die Augen offen halten.
    In G05 zitiert Volkmar einen Leserbrief an DIE WOCHE.
    Hier zunächst einiges Sätze, um die polemische Tendenz zu zeigen:
      Schon lange nicht mehr haben Sie so plump die seit mehr als einem Jahrzehnt laufende Umerziehungskampagne in die intellektuelle Arena hineingetragen: Weg mit allen überkommenen, patriotischen, womöglich deutschen Heimatgefühlen, hin zu multikultureller Freude an Zuwanderung und Veränderung der Gesellschaft - Heimat überall! Wie lange werden sich die Deutschen diese ununterbrochene Manipulation wohl noch gefallen lassen?
    Und dazu einige Sätze aus Volkmars Kommentar, die auch die Meinung der Gruppe wiedergeben:
      Also: Nach Herrn Römhild gehört die deutsche Heimat ausschließlich den Deutschen und sonst niemandem. ... Diejenigen, die für ein weltoffenes Deutschland eintreten, werden der Manipulation der "Durchschnittsdeutschen" verdächtigt. Das ist die Sprache des Antisemitismus, des Rassismus und des Neofaschismus und passt zu dem, was die NPD in ihren offiziellen Dokumenten propagiert. ... Man könnte den Leserbrief als die Meinung eines Unverbesserlichen abtun, wenn nicht die Aufmärsche der NPD gegenwärtig wären, bei denen die Nazi-Vergangenheit verherrlicht wird.
      Deshalb erfordert gerade die Bewahrung echter Heimatgefühle die Auseinandersetzung mit derartigen Äußerungen. Überlassen wir die Heimat nicht rechten Rattenfängern!

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    5. Probleme einer Wertung
    Vier Beiträge, G08 (Angenita), G17 (Volkmar), G18 (Volkmar), G21 (Maria), zeigen,
         dass es nicht immer möglich ist, zu einer allgemein akzeptierten Beurteilung zu kommen,
         dass die Wertungen auf diesem Gebiet stark zeitgebunden sind,
         dass aber die Thematik durchaus aktuell ist.
    Sie sind so komplex, dass sie sich nicht in wenigen Worten zusammenfassen lassen, deshalb soll hier soll nur auf ihre Grundaussagen eingegangen werden.
    Zunächst zu G08 und G021, die sich inhaltlich ergänzen:
      Alle paar Jahrzehnte wird das Wort Heimat bei uns auf den Prüfstand gelegt, gewogen, gedeutet, erklärt, verrätselt. (G08)
      Heimatideologie und Heimatnostalgie zeigen sich also in aufeinanderfolgenden Wellen, die durch bestimmte historische Situationen bestimmt sind.
      In der Romantik spielt die Heimatproblematik eine große Rolle. Nach 1870 und nach 1900 ist Heimat ein betont konservatives, restauratives und systemkonformes Ideal.
      (G21)
    Schon 1931 zeigt J. Roth in der Frankfurter Zeitung die Problematik auf, mit der sich viele Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle in der Weimarer Republik konfrontiert sehen.
    Angenita zeigt, dass es für einzelne Autoren sehr schwer war, gegenüber den Nazis eine Trennlinie zu ziehen und auf das Wertvolle im Heimatbewußtsein zu verweisen.
      Jedes Plädoyer für einen Nationalismus war der Gefahr ausgesetzt von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke instrumentalisiert zu werden. Man überließ den Nazis bald die Definitionsmacht über die Begriffe wie "Heimat", "Volk" und "Nation". (G08)
    Als Folge dieser Erfahrungen bleibt der Begriff "Heimat" nach 1945 zunächst tabuisiert. Dies verhindert aber die geforderte Aufarbeitung. Der Heimatbegriff wird, nicht zuletzt wegen des ihm anhaftenden "Blut-und-Boden"-Geruchs, ungebräuchlich und wird immer stärker den ewig Gestrigen oder im besten Falle der konservativen Rechten zugeordnet.
      In den großen Romanen der Literatur nach 1945 wird aber sehr facettenreich, die Heimatfrage auf der Suche nach dem eigenen Standort zur Leitidee. (G08)
      Anfang der 50er Jahre erleben wir eine neue trivial-sentimentale Welle vor allem im Heimatfilm. (G21)
    Daneben findet sich allerdings bald eine andere Tendenz:
      Die junge (linke) Generation meint, nur dann solidarisch handeln zu können, wenn sie von der eigenen Identität und damit der eigenen Geschichte absieht. Was sie der älteren Generation vorwirft, die mangelnde Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, betreibt sie allerdings selbst: Die Ignoranz gegenüber den eigenen Wurzeln, das Nicht-Hinterfragen des eigenen Standortes. Ihr Leitspruch: Die Heimat der Eltern ist nicht die Heimat der Jugend.
      Zu Beginn der siebziger Jahre taucht das Wort von der "geistigen Heimat" auf. "Heimat" bezieht sich hier weniger auf räumliche Verhältnisse als auf innere Strukturen. Die Suche nach Bestandssicherung wird zur Suche nach Identitätssicherung. ...
      Das deutsche Fernsehen zeigt 1984 den Filmepos "Heimat" von Edgar Reitz. Die "geographische Verortung" des Begriffs hat wieder Platz gegriffen, aber keineswegs von rechtskonservativer Seite gefördert.
      Was in der Diskussion für die Nation gilt, gilt auch für die Debatte um Heimat: Identität kann nicht verordnet, sondern nur gelebt werden. Werden National- oder Heimatgefühl aufgezwungen, bleiben sie vage und damit manipulierbar.
      (G08)
    In G17 zitiert Volkmar einen Artikel "Heimat" von Brussig, einem 1965 in der DDR geborenen Autor, der sich vor allem mit dem Leben der Jugend in der DDR und mit dem Ost-West- Verhältnis beschäftigt. Wir haben damit nicht nur den zeitlichen, sondern auch politisch, geografischen Aspekt.
      Wer im Osten über Heimat redet, macht sich automatisch verdächtig, ein DDR-Nostalgiker zu sein. ... Während die Benutzung des "Heimat"-Begriffes im Osten niemandem weh tut, weil es alles bedeuten kann, erkennen sich im Westen Freund und Feind daran, ob sie dieses Wort im Munde führen - vorausgesetzt, Freund und Feind sind unverbesserlich und sittenstreng.
    Brussig wendet sich gegen die "Realitätsausblendungen" des "Heimatfilmes" und weist darauf hin, dass es Edgar Reitz 1984 mit dem Film "Heimat" gelungen ist, ernsthaft und mit unendlich viel Geduld dieses Thema einzukreisen.
      Der Film ließ deutlich werden, dass Heimat ein ungemein lebendiges Phänomen ist. ...
      Die Linken waren verwirrt, dass Heimatgefühle nicht zwangsläufig mit Verlogenheit einhergehen, die Rechten waren verwirrt, dass Heimat nicht zwangsläufig Idyll ist. Indem der Heimatbegriff weder schwarz noch weiß verstanden wurde, sondern in eine Ambivalenz gestellt wurde, war er plötzlich wieder lebensfähig und glaubwürdig wie nie zuvor.
    Im letzten Abschnitt weist Brussig auf eine neue Tendenz hin: es gilt als altmodisch, Heimat unbedingt an einen "Ort" gebunden zu sehen.
      Der Mensch von heute finde seine Heimat in der Zeit, in einer Zeitgenossenschaft, in den herrschenden Moden und Trends, die er miterlebt und denen er sich unterwirft, in den Fernsehserien, die er sich anschaut, in den Stars, die er anbetet.
    In G18 gibt Volkmar zusätzliche Informationen und auch seine persönliche Einschätzung:
      Wenn dieser Thomas Brussig sich jetzt einem so schwergewichtigen Thema wie Heimat zuwendet und dabei unterschiedliche Sichtweisen in Ost und West beleuchtet, darf man ihm Authentizität zutrauen. ... Dem, was Brussig zum Missbrauch des Heimatgefühls in der Nazizeit und zur Tabuisierung des Heimatbegriffs in der Nachkriegszeit sagt kann ich nur zustimmen. Ich möchte einiges aus DDR-Erfahrungen hinzufügen. Es gab sozusagen eine gute und eine schlechte Heimat. Von der Heimat in Schlesien, Ostpreußen oder dem Sudetenland wurde offiziell nicht gesprochen. Der Begriff "Heimatvertriebene" war ein Unwort. Das war die schlechte Heimat, sie war suspekt. Die Vertriebenen waren anfangs Umsiedler, später Neubürger. ...
      Andererseits gab es in größerer Zahl Gedichte und Lieder, in denen die Heimat besungen wurde ... Diese viel besungene und beschworene gute Heimat war zunächst ganz Deutschland.
      Das änderte sich, als die Einheit Deutschlands als Staatsziel der DDR aufgegeben wurde. Dann wurden die Heimatgefühle in die Richtung "Sozialistische Heimat DDR" kanalisiert. Dazu waren z.T. abenteuerliche Balanceakte erforderlich. Eine dieser schizophrenen Entscheidungen war, dass von einem bestimmten Zeitpunkt an bei der Nationalhymne nur noch die Melodie gespielt und der Text von Johannes R. Becher totgeschwiegen wurde, denn darin heißt es "Deutschland, einig Vaterland".
    Auch in den "Heimat-DDR-Propagandaplakaten" mit den markanten Gestalten von Werktätigen oder den Soldaten mit der Waffe in der Hand läßt sich Missbrauch des Heimatgefühls erkennen. Diesen Missbrauch gab es bestimmt nicht nur in der DDR, auch wenn er sonst in anderen Formen auftrat und nicht unbedingt vom Staat gesteuert wurde.

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    6. Schlussfolgerung