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Themenkomplex G
Der Missbrauch des Heimatgefühls
in Vergangenheit und Gegenwart


Beiträge zum Themenkomplex

Die auf dieser Seite gesammelten Beiträge beziehen sich auf den Themenkomplex G. Sie können jedoch auch Gedanken und Feststellungen zu anderen Themenkomplexen enthalten. Ebenso ist es möglich, dass sich in Beiträgen, die anderen Themenkomplexen zugeordnet wurden, Informationen mit Relevanz für diesen Komplex finden.
In Ausnahmefällen wird auf wichtige Beiträge in anderen Themenkomplexen am Ende der nachfolgenden Liste verwiesen.

  • G01 Maria Burkard, 31.10.2001, Was fällt dir beim Begriff "Heimatgefühl" ein?
  • G02 Maria Burkard, 31.10.2001, Heimat, was ist das?
  • G03 Maria Burkard, 25.11.2001, Wo die Heimatglocken klingen
  • G04 Maria Burkard, 25.11.2001, Warum empfinden wir "Heimat" oft als Kitsch?
  • G05 Volkmar Gimpel, 02.12.2001, Was ist heute Missbrauch des Heimatgefühls?
  • G06 Peter Joksch, 05.12.2001, Aus der Geschichte Baden-Württembergs
  • G07 Dieter Böckmann, 31.10.2001, Heimat-Gefühle - und Missbrauch.
  • G08 Angenita Stock-de Jong, 07.11.2001, Die mißbräuchliche Nutzung des
    Heimatbegriffs
  • G09 Peter Joksch, 14.11.2001, Heimatroman
  • G10 Dieter Böckmann, 28.11.2001, "Berufliche Heimat" - Missbrauch?
  • G11 Madeleine Dauteuille, 01.12.2001, Die missbräuchliche Nutzung
  • G12 Madeleine Dauteuille, 01.12.2001, Berufliche Heimat
  • G13 Madeleine Dauteuille, 01.12.2001, Heimatroman
  • G14 Madeleine Dauteuille, 01.12.2001, Heimatgefühle und Missbrauch
  • G15 Peter Joksch, 03.12.2001, Heimatroman
  • G16 Dieter Böckmann, 15.12.2001, Zu G05 und G06: 2 x Mißbrauch
  • G17 Volkmar Gimpel, 31.12.2001, Heimat in der FASZ
  • G18 Volkmar Gimpel, 04.01.2002, Bemerkungen zum Artikel Brussig
  • G19 Dieter Böckmann, 06.01.2002, Heimat - FASZ-Artikel - Kommentare
  • G20 Maria Burkard, 06.01.2002, Plädoyer für den Heimatroman
  • G21 Maria Burkard, 14.01.2002, Heimatgefühl im Wandel der Geschichte
  • G22 Maria Burkard, 15.01.2002, Das Hirtenlied vom Kaisertal
  • G23 Volkmar Gimpel, 15.01.2002, Kleine Ergänzung zum "Hirtenlied"
  • G24 Madeleine Dauteuille, 28.01.2002, Missbrauch des Heimatgefühls?
  • G25 Maria Burkard, 02.02.2002, Hitler, die Psyche der breiten Masse
  • G26 Madeleine Dauteuille, 04.02.2002, Antwort auf G20
  • G27 Madeleine Dauteuille, 06.02.2002, Heimatromane und -filme in den
    deutschsprachigen Ländern und in Frankreich.

  • Diskussionsforum



G01 Maria Burkard schrieb am 31.10.2001:

Was fällt dir beim Begriff "Heimatgefühl" ein?

Diese Frage stellte ich Judith, einer Schülerin der Jahrgangsstufe 13.
Einiges in diesem Bericht erscheint mir typisch für diese Generation.
Das ist einmal die offene, unkomplizierte Sprache.
Dann die Aussagen, darin steckt etwas von der Gespaltenheit, die wir bei dieser Thematik eigentlich alle haben. Wir lächeln über die Sentimentalität und gleichzeitig brauchen wir sie ab und zu.
    Die Funktion von Festen und Abenden ist bei mir einfach nur ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Ich war ja mal in einer Volkstanzgruppe (ich schäme mich nicht) und wir hatten geniale Trachten. Das fand ich zumindest damals.
    Es war alleine schon toll, beim Tag der Internationalen Begegnung durch unsere Stadt zu rennen, jeder erkannte sofort, wo man hingehörte. Hat das etwas mit Heimat zu tun? Ich denke schon, denn man fühlt sich ein bißchen "wichtig", als Teil eines Ganzen.
    Typisch deutsche Gedichte, Romane, etc.? Kenne ich keine, nur halt so Schnulzzeug à la Musikantenstadl, aber das gehört wahrscheinlich nicht zu ihrem Thema.
    Ich habe letzte Wochen mit Melli (die über uns wohnt) irgend so einen Heimatfilm geguckt, die haben Premiere und da gibt es einen extra Heimatkanal. Ich kam rein, sah den Film und fing an zu lachen. Wir haben ihn uns aber denn doch zusammen reingezogen. Ich habe sie natürlich gefragt, warum sie das guckt. Antwort: Sie habe das früher immer mit ihrer Oma geguckt, also, positive Erinnerung. Und außerdem sei die Musik toll, so deutsch.

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G02 Maria Burkard schrieb am 31.10.2001:

Heimat, was ist das?

"Natur ist für Kühe", sagte man schon im 19. Jahrhundert! Ich frage mich, warum gehen dann die Städter so oft in den Zoo? Warum schreien sie auf, wenn sie auf die Achalm kommen und rufen: "Sie haben es aber schön!" Wo doch keiner ein Wort wie Heimat mehr hören mag. Väter sagen: "Das ist vorbei", "Heimat, was ist das?" "Gegen so was sind wir immun", sagen die Söhne. Alle sind sich einig: "Das gab es nur im Dritten Reich."
Diese Sätze finden sich in einem Artikel des Holzschneiders HAP Grieshaber. In einem MERIAN-Heft über die Schwäbische Alb aus dem Jahre 1971. Er berichtet hier von seinem Leben in und mit der Alblandschaft.
Wie konnte er zu einer so negativen Aussage kommen?
In seinem Artikel versucht er, eine Antwort zu geben. Er weist darauf hin, dass schon vor 1933 Politiker und Beamte alles, was mit Heimat zu tun hatte für ihre Zwecke missbrauchten, er kritisiert die "verordnete" Heimatliebe und zeigt die Folgen auf. Der Text ist auch sprachlich interessant, die ungewöhnliche Häufung von "Heimat-Substantiven" zeigt die Wut des Autors über den Missbrauch des Heimatgefühls.

Holzschneider der Rauen Alb, Merian 3/XXIV, 1971, S. 47,48
    .....Man meint also, ich habe es besonders gut. Denn jemand, der jedesmal, wenn er aufschaut vom Tisch, gleich eine riesige Zeile Albrand vor sich hat, der fast keinen Schritt tun kann, ohne die vertrauten Berge zu sehen, der sogar auf dem schönsten Berg der Alb wohnt, so einer, denkt man, hat es leicht. Und gewiß nehmen die Konturen meiner Figuren den sanften Schwung der Hügel fast von selber auf. Irgendwoher müssen ja die Emotionen kommen. Hauptsache ist, daß dergleichen hohe Gefühle nicht von Schulmeistern stammen. Auch deshalb bin ich der Sache nachgegangen. So viel ist sicher: Es hat nicht mit 1933 angefangen.
    Weh dem, der da erst zur Schule gehen mußte. Meine Schuljahre liegen in der Zeit des Ersten Weltkriegs und den Jahren danach. Meine Lehrer trugen Orden, fuhren die bevorzugte Wagenklasse, hatten Soldaten als Burschen und wurden immerzu gegrüßt. Wir brachten ihnen Blumen, wenn sie als Verwundete im Heimatlazarett lagen. Sie hatten die Heimat verteidigt. Manche hatten einen Fuß oder einen Arm dabei verloren. Sie waren nicht wie andere Menschen nach dem Krieg. Nicht wie das Volk, das genug von der Massenmetzelei hatte, das sich belogen und betrogen fühlte. Meine Lehrer blieben wirklichkeitsfremd und wollten immer noch ein beispielhaftes Vorbild sein. Eine Idealfigur, zum Opfer bereit. (Was hat sich daran geändert?) Jene Lehrer wollten irgendwie für das Heimatgefühl eine Art Quartiermacher sein. Sie wollten die Jugend zu den lichten Gotteshöhen der Heimatliebe führen. In ihren Träumen stürmten sie noch immer vorwärts. Ins Weite, Hohe und Tiefe. Oft auch ins Mächtige, Düstere und Grausige. Dazu erklang eine Geigenmelodie: einfaches Dorfleben. So ungefähr sah es in ihrer chaotischen Seele aus. Sie konnten nicht mähen, nicht dreschen, konnten nicht Kartoffeln ausgraben, nicht Holz hauen, nicht Ähren lesen auf der Alb, wie wir Buben es tun mußten, um unseren Familien über die Hungerjahre hinwegzuhelfen. Sie träumten nur davon, wie man bei aller Weichheit des Gemüts ein strahlendes "erst recht" durchführt. Und sie sangen so schön und so laut auf Albvereinswegen. So schwebten sie hoch über den Köpfen des armen Knaben, kommandierten ihn herum und behandelten ihn, als wäre er ein Soldat ihrer Kompanie. Heimat, Zucht und Ordnung waren ihre Ideale. Ich fand nicht, dass sie besonders politisch engagiert gewesen wären, eher indifferent und stark abhängig von der oberen Schulbehörde. Ihr Herrschaftsanspruch aus dem Offiziersstand tobte sich nur am Rand in der Heimatkunde und im Deutschunterricht aus. Hier entfalteten sie eine wieselhafte Tätigkeit, hatten ihren Spaß daran, alle Welt zur Gesundung und Erhaltung des Volks, zur Heimatpflicht und Sprachreinigung anzuhalten. Sie lasen die "Deutschen Gaue", eine Zeitschrift für Heimatforscher, waren im Verein "Heimat"; der "Führer zur Heimatkunde" und "Der Lehrer als Heimatforscher" waren ihr Brevier. Selbst in der kleinsten Albgemeinde wurden Ortschroniken angelegt. Wir mußten Zeitungsausschnitte sammeln, Photographien von Großeltern und Verwandten in die Schule mitbringen, und je mehr Stoff wir anschafften, um so besser ging es uns beim Zeugnis. Es gab einen Verein für ländliche Wohlfahrtspflege, dessen Zeitschrift "Schwäbische Heimat" die schönsten Funde abbildete und Preise verteilte. Von dort kamen auch die Richtlinien zur Heimatpflege: "Es sind Stimmungsbilder zu geben bei außergewöhnlichen Vorkommnissen, bei Wahlen, bei Einweihungen von Glocken, bei Aufzug von Beamten im Dorf, bei besonderen Regierungsverordnungen, bei Streiks, bei Maßnahmen der Gegner Deutschlands, bei vaterlandsloser Handlungsweise, bei Vergehen gegen die bestehende Regierung. Dichterische Schilderung der Heimatlandschaft." Damit fing es also an.
    Ein halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen, und niemand kann das Wort Heimat mehr hören. Die vom Weltkrieg trunkenen Offiziere und Feldwebel hatten es schon vor den Nazis geschafft. Das Spitzel- und Denunziantentum kam mit der Heimatpflege auf.

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G03 Maria Burkard schrieb am 25.11.2001:

Wo die Heimatglocken klingen

Wo der Wildbach rauscht und der Adler seine Kreise zieht... Liebe, Schicksal, Leidenschaft, die schönsten Berg- und Heimatromane komplett in 20 Bänden. 20 ergreifende Romane führen Sie in die Welt der Berge. Es erwarten Sie bewegende Geschichten, ... Standesdünkel trennen Liebespaare, Neid und Eifersucht treiben seltsame Blüten, Untaten bringen Schande übers Dorf ... Doch mit Anstand und Gottvertrauen trotzen die Rechtschaffenen den härtesten Schicksalsschlägen. Es siegt die Liebe, die Kraft des Herzens.
Entdecken Sie diese besonders schönen Heimatromane jetzt neu!


Diese Anzeige aus dem Jahre 1988 und auch einige der folgenden Gedanken fand ich in "Wesen und Wandel der Heimatliteratur...seit 1945". K.K. Polheim hat hier die Beiträge eines Symposiums in Bonn veröffentlicht.[
1 ] Sie ist nur ein Beispiel von vielen.
Es ist kaum vorstellbar, dass sich "Heimatgefühle" noch brutaler missbrauchen lassen und es ist erstaunlich, dass diese Vermarktung funktionierte, denn wir müssen davon ausgehen, dass Werbung nur dann praktiziert wird, wenn sie Erfolg verspricht.
Hier wird Heimat auf wenige Aspekte reduziert, die ein "schönes" Bild ergeben, sie wird an Stereotypen festgemacht, die Behaglichkeit und Geborgenheit versprechen. Heimat wird als Konfektion von der Stange geliefert.
Aber es sind nicht nur die Massenmedien, die Heimat vermarkten. Heimatobjekte, Heimatembleme jeder Art werden in ein kommerzielles Verteilersystem eingebaut. Die "echten" Trachten werden neu produziert, Feste, die längst vergessen waren, werden neu entdeckt und als Tradition ausgegeben, alte Lieder werden den Bedürfnissen der Fernsehzuschauer angepasst usw. Die Fremdenverkehrsindustrie kann fast alles vermarkten. Je direkter und ungestörter die vage Vorstellung Heimat durch Einzelelemente ausgelöst wird, um so leichter ist es möglich, dass über diese Elemente auch mit ganz anderer Zielsetzung verfügt wird.
Heimat ist zu einem Bestandteil der Kulturindustrie geworden. Sie kommt deshalb so gut an, weil ältere und vollere Konnotationen mitschwingen. So findet z.B. die Sehnsucht nach einer heileren Welt hier eine Antwort.

Wer über die oben zitierte Werbung lächelt und sie weit von sich weist, weil sie heute nicht mehr in unsere Vorstellung passt, der sollte über die folgenden Anzeigen nachdenken. Sie sind neueren Datums und versuchen junge Menschen des 21. Jahrhunderts anzusprechen.

Sind Sie Facharbeiter(in) oder Verkäufer(in)?
Sind Sie mit Ihrer augenblicklichen Stellung unzufrieden und suchen Sie Aufstiegschancen?.... dann sollten Sie umsteigen. Bei uns haben Sie als Außendienstmitarbeiter(in) eine Chance.....
Fühlen Sie sich angesprochen und suchen sie eine "berufliche Heimat" (und keinen Job), dann rufen Sie uns bitte an...


Oder: Ohne Regionalzeitung fehlt Ihnen ein Stück Heimat.

Werden hier nicht auch Gefühle, die mit dem Heimatgefühl verbunden sind, für kommerzielle Zwecke "missbraucht"?

[ 1 ] "Wesen und Wandel der Heimatliteratur, am Beispiel der österreichischen Literatur
seit 1945". hg.v. Karl Konrad Polheim, 1989, Verlag Peter Lang. S.247 ff.

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G04 Maria Burkard schrieb am 25.11.2001:

Warum empfinden wir "Heimat" oft als Kitsch?

Hier: Häuser, tristes Mauerwerk, Enge, Anonymität, Menschenmassen, Abgase, Heuchelei, Verbrechen jeder Art.
Dort: Nachbarschaft, gegenseitige Hilfe, Freundschaft, Ehrlichkeit, Freiheit, blauer Himmel, Blumenduft, Bravheit und Biedersinn.
Auf diesen simplen Grundgedanken, auf diesem Schwarzweiß-Kontrast beruht der Heimatkitsch.

Wie kann es dazu kommen?
Heimat ist oft der Traum von der guten alten Zeit, Reminiszenz an die Kinderzeit, Sehnsucht nach der vorgeblichen heilen Welt von früher, ist oft nicht mehr als ein Synonym für kitschige Gegenwartsflucht.
Aber mit den Erinnerungen an die Heimat, die man, aus welchen Gründen auch immer, verloren hat, ist es so eine Sache. Sie sind nicht besonders verlässlich. Oft löschen sie das Negative, das was man früher eigentlich auch abgelehnt hat, einfach aus und verklären vieles. Es wird übersehen, dass überall, auch in der geliebten Heimat, sich vieles verändert hat, dass die Entwicklung weitergegangen ist. Die vergangenen Zeiten werden in einer irrealen Gefühlswelt konserviert.. So wird Heimat zu einer Oase inmitten einer bösen Umgebung, zu einer Idylle außerhalb der Wirklichkeit, zur Schein- und Ersatzwelt und damit zu Kitsch.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich über ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung von Januar 1988 nachzudenken.
Heimat hat bei uns Konjunktur wie nie zuvor... Eine der erfolgreichsten und längsten Serien des deutschen Fernsehens nutzte den Trend und nannte sich schlicht "Heimat". Eine Bäuerin aus dem Hunsrück sagte dazu:
"Ich lebe seit 50 Jahren im Hunsrück, ich bin hier geboren. Es ist meine Heimat. Dass es so schön ist, seh' ich erst jetzt so richtig, wo das im Fernsehen kommt."
Heimatgefühle, die sich erst durch die indirekte Vermittlung des elektronischen Mediums entwickeln: Daran kann etwas nicht geheuer sein.

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G06 Peter Joksch schrieb am 05.12.2001:

Aus der Geschichte Baden-Württembergs

Nach der Bildung der Länder Württemberg-Baden (1946), (Süd-)Baden (1947) und Württemberg-Hohenzollern stießen die Bemühungen, diese Länder zu einem Südweststaat zusammenzufassen, besonders auf den Widerstand der (süd-)badischen Regierung (L. Wohleb); diese wünschte die Wiederherstellung des alten Baden. Nachdem die drei Länder eine freiwillige Verständigung (Art. 118 GG) nicht erreichten, ordnete die Regierung der Bundesrepublik Deutschland 1951 mit zwei Neugliederungsgesetzen Volksabstimmungen in vier Stimmbezirken an ... (aus: Der Große Brockhaus 1983).
Aus dieser Zeit stammt das Wahlplakat, auf dem mit Hinweis auf die Heimat für ein selbstständiges Land Baden geworben wurde. Es ist gegenwärtig in der Innenstadt von Freiburg als eins von acht Großplakaten mit Motiven der Volksabstimmung aus dem Jahre 1951 aufgestellt. Die Ausstellung steht unter dem Titel "Kampf um den Südweststaat". Hintergrund: Am 9. Dezember jährte sich zum 50. Mal die Volksabstimmung.




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G07 Dieter Böckmann schrieb am 31.10.2001:

Heimat-Gefühle - und Missbrauch.

Die folgenden Zitate hatte ich vor einiger Zeit in unserer Mailing-Liste mitgeteilt. Da wusste ich noch nicht, wo sie einzuordnen seien. Jetzt haben wir den Komplex G, und da geht es um Heimat-Gefühl. Auch um Missbrauch - den ich allerdings bei den Beispielen nicht erkennen kann. Ihr vielleicht ? Bitte lest auch meine Kommentare. Ich hoffe auf eine Debatte.

"Heimat-Verein"
"Zweck des Vereins ist die Erhaltung alter Sitten und Gebräuche sowie Landschafts- und Denkmalschutz. Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch:
Maibaumaufstellung, Sonnwendfeier, Errichtung und Erhaltung von Ruhebänken in Wald und Flur, Instandsetzung und Unterhalt der Heimatscheuer, Ausbau des Heimatmuseums, Sammlung alter Gegenstände, Erforschung und Dokumentation der Heimatgeschichte."
Kommentar: Kommerzielle Interessen schließt die Satzung ausdrücklich aus, und "profitieren" (= "missbrauchen") tut hier niemand. Im Gegenteil, alles ist freiwillig und ehrenamtlich. Wenn auch "Ruhebänke, Maibäume und Sonnwendfeier" wenig mit Heimat zu tun haben, so appellieren die anderen Aspekte doch sehr wohl an Heimat-Bewusstsein und Heimat-Gefühle. Und wozu ein Verein? Doch wohl, weil viele Menschen Austausch und gemeinsame Bemühungen dem einsamen Studium im stillen Kämmerlein vorziehen.

"Mundart"
SCHWÄBISCH ist ein Stück Heimat.
"Wer einmal längere Zeit in anderen Ländern oder auf anderen Kontinenten war, der lacht nicht mehr über das Wort Heimat. Wer fern der Heimat war, der hat erfahren, wie sehr der Klang der Heimatsprache ans Herz geht. Heimat ist nicht nur Wald und Feld, Berg und Tal, Stadt und Dorf. Heimat bedeutet vielmehr auch Menschen mit ihrer eigenen Sprache, unserer Sprache. Wer eine solche Heimat hat, kann sich glücklich schätzen."
Kommentar: Wenn das auch eher in den Komplex "Heimat und Sprache" gehört, so geht es hier doch gerade um Heimat-Gefühle . . .

"Heimatbuch"
Die Gemeinde Steinenbronn (in diesem Dorf bei Stuttgart wohnen Böckmanns seit über 30 Jahren), hat vor einigen Jahren ein Buch (über 600 Seiten!) herausgegeben, das allgemein "das Heimatbuch" genannt wird. Eine ganze Schar von Bürgern hat daran mitgearbeitet und im Vorwort schrieb der Bürgermeister:
"Das Buch soll zur Besinnung anregen und die alten, fast verloren gegangenen Werte aufzeigen. Zu diesen Werten gehören ganz besonders die Heimat, die Landschaft die uns prägt und in der wir zu Hause sind, und die Menschen dieses Gebietes. - Das Wort Heimat soll dabei im rechten Sinne verstanden werden. Unsere Ortsgeschichte soll als Heimatbuch den hier geborenen und den hier lebenden Menschen Einblick in die Geschichte dieser Gemeinde geben. Es soll Vorstellungen vermitteln über das Leben der Menschen, die vor uns hier gelebt haben, über ihre Bräuche, Sitten und Lebensgewohnheiten, und schließlich helfen, wertvolles Kulturgut zu erhalten, zu pflegen und weiterzugeben. - Möge dieses Heimatbuch unser aller Beitrag an die kommenden Generationen sein."
Kommentar: Hier wurde konkret etwas dafür getan, den Begriff Heimat hochzuhalten, ihm Wert, Sinn, Inhalt zu geben. Motto: nur wenn man seine Heimat und ihre Geschichte kennt, lebt man bewusst in ihr.

"Heimattage"
" Zehntausende bei den Heimattagen (Stuttgarter Zeitung).
Bad Rappenau, Kreis Heilbronn. - Mit einem großen Trachtenumzug sind am Sonntag die Heimattage Baden-Württemberg in Bad Rappenau gefeiert worden. Etwa 75 Trachtengruppen aus dem ganzen Land und aus europäischen Partnerstädten zogen durch die Strassen der Bäderstadt. Das farbenprächtige Schauspiel lockte mehrere zehntausend Besucher an. Der Umzug war der Höhepunkt des diesjährigen Heimatfestes, das am vergangenen Donnerstag begonnen hatte ... Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) sagte in der Festansprache, Heimatverbundenheit und Weltoffenheit gehörten untrennbar zusammen. Gerade ein von Mobilität und Globalisierung geprägtes Zeitalter verlange einen ruhenden Gegenpol. "Wir brauchen eine Heimat, in der wir tief verwurzelt sind", sagte der Ministerpräsident."
Kommentar: Trachten? Tja, "Folklore" kommt leicht in den Verdacht, vor allem den Tourismus zu fördern, und hätte dann einen kommerziellen Hintergrund. Aber sie sogleich auch in das Fach Kitsch zu werfen, erscheint mir doch zu einfach. - Zu "Politiker-Sprüchen" hat sich ja Volkmar schon geäußert. Sagt vielleicht noch jemand etwas dazu?

"Vertriebene"
Hier das, was ich dazu in meiner Zusammenfassung zu Komplex C geschrieben hatte - und die ganze Heimat-Gruppe hat's abgesegnet:
"Am Ende des zweiten Weltkrieges wurden Millionen Deutsche aus dem Osten vertrieben. Sie wurden (Angenita B34) als gleichberechtigte Bürger aufgenommen und haben die neue Heimat akzeptiert, weil sie sich hier eine Existenz aufbauen konnten und weil sie die Heimat ihrer Kinder und Enkelkinder geworden ist. Die alte Heimat wurde aber nicht vergessen, die Sehnsucht nach ihr blieb. Zu diesem Verhältnis zur "alten" Heimat sagt Maria C dass das Anknüpfen an die Vergangenheit nichts mit dem rechtskonservativen Heimat-Gedudel zu tun hat, sondern dass es positive Kraftquelle ist."
Kommentar: Von mir dazu keiner mehr.

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G08 Angenita Stock-de Jong schrieb am 07.11.2001:

Die mißbräuchliche Nutzung des Heimatbegriffs

In "Heimat-Neue Erkundungen eines alten Themas (Dichtung und Sprache Bd. 3). München 1985, S.7." schreibt Horst Bienek (Hrsg.):
"Alle paar Jahrzehnte wird das Wort Heimat bei uns auf den Prüfstand gelegt, gewogen, gedeutet, erklärt, verrätselt".
Josef Roth (1894-1939), österreichischer Autor, legte 1931 "Bekenntnis zu Deutschland" in der "Frankfurter Zeitung" ab. Es zeigte die Problematik, der sich viele Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle in der Weimarer Republik konfrontiert sahen.
Zitat:
"Nirgends und niemals noch hat ein Bekenntnis zur Heimat einer Entschuldigung bedurft. Heute und bei uns sieht man sich gezwungen, vorerst die Bekenntnisformel von der schwülstigen Verlogenheit zu säubern, mit der man sie beworfen hat, von der papiernen Phraseologie, von der es seit Jahrzehnten um sie raschelt, von der blutrünstigen Rohheit, die seit Jahrzehnten den Patriotismus, die Liebe zur Nation und die Sprache in Pacht hält und vergewaltigt.
Und das Wort, das mißbrauchte, abgehetzte, durch alle Gossen geschleifte und durch alle undurchsichtigen Parteikanäle, das Wort Deutschland, deutsches Land, mit jener stillen Ehrfurcht zu wiederholen, mit der allein es ausgesprochen werden darf. Dennoch ein deutsches Wort: Wort einer tausendmal mißhandelten, durch Revolverpresse und Reklamewesen verschandelten, zu Programmen und Annoncen verwandelten Sprache. Unerträglich: das Vaterland als Objekt der Liftsäulen an den Straßenecken zu sehen. Das Bekenntnis erstirbt auf den Lippen, weil es von anderen in den Straßen gebrüllt wird. Wie schwierig ist es da, ein Patriot zu bleiben! Und wie notwendig ist es aber auch! Kein Land hat dermaßen Liebe nötig."

Jedes Plädoyer für einen Nationalismus war der Gefahr ausgesetzt, von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke instrumentalisiert zu werden. Am Beispiel der sogenannten "Heimatliteratur" und auch der Naturlyrik läßt sich leicht nachweisen, wie die Sehnsucht nach neuem Lebenssinn und die Suche nach neuer sozialer Geborgenheit missbraucht wurden.
Die Blut- und Boden-Ideologie hat sich der Heimatliteratur vertretenen Positionen ungeniert bedient und sie radikalisiert. "Heimat", "Volk", "Erde", "Bauer" werden mythisch aufgeladene Begriffe.
Für einzelne Autoren war es sehr schwer, gegenüber den Nazis eine Trennlinie zu ziehen und auf das Wertvolle im Heimatbewußtsein zu verweisen. Wie z.B. in Ernst Wiecherts Roman "Das einfache Leben". Es erschien 1939, da hatte er schon zwei Monate im KZ Buchenwald gesessen.
Wiechert (1887-1950) bot in seinen Romanen das an, was auch die Nationalsozialisten gebrauchen konnten: Mutterglück und Gläubigkeit, Naturinnigkeit und jenes "einfache Leben".
Man überließ den Nazis bald die Definitionsmacht über die Begriffe wie "Heimat", "Volk" und "Nation".
Der Begriff "Heimat" bleibt nach 1945 zunächst tabuisiert.
Die Tabuisierung eines Begriffs verhindert aber die geforderte Aufarbeitung. Dies gilt vor allem für die, die meinen, der Heimatbegriff sei, nicht zuletzt wegen seines ihm anhaftenden "Blut-und-Boden"Geruchs, ungebräuchlich geworden und nur den ewig Gestrigen oder im besten Falle der konservativen Rechten zuzuordnen.
In den großen Romanen der Literatur nach 1945 wird aber sehr facettenreich, ebenso unauffällig wie unübersehbar die Heimatfrage auf der Suche nach dem eigenen Standort zur Leitidee. Günter Grass schreibt z.B. die "Danziger Trilogie" und Siegfried Lenz erinnert an die ostpreußische Heimat.
Heimat bleibt thematisch zugleich aber verpönt: Die junge (linke) Generation meinte, nur dann solidarisch handeln zu können, wenn sie von der eigenen Identität und damit der eigenen Geschichte absah. Was sie der älteren Generation vorwarf, die mangelnde Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, betrieb sie selbst: Die Ignoranz gegenüber den eigenen Wurzeln, das Nicht-Hinterfragen des eigenen Standortes. Ihr Leitspruch hieß: Die Heimat der Eltern ist nicht die Heimat der Jugend. Wie für weite Teile der Jugend heute der "Nationen"-Begriff ein emotional fehl geleiteter ist, war auch der Heimat-Topos ein verdächtiger Begriff.
Zu Beginn der siebziger Jahre taucht das Wort von der "geistigen Heimat" auf. "Heimat" bezog sich weniger auf räumliche Verhältnisse als auf innere Strukturen.
Die Suche nach Bestandssicherung wird zur Suche nach Identitätssicherung.
Damit vollzieht die sozialgeschichtliche Entwicklung des Begriffs nur nach, was sich in der Literatur längst niedergeschlagen hat.
Das deutsche Fernsehen zeigt 1984 den Filmepos "Heimat" von Edgar Reitz. Die "geographische Verortung" des Begriffs hat wieder Platz gegriffen, aber keineswegs von rechtskonservativer Seite gefördert.
Was in der Diskussion für die Nation gilt, gilt auch für die Debatte um Heimat: Identität kann nicht verordnet, sondern nur gelebt werden (Gerd Langguth: Suche nach Sicherheiten. Stuttgart 1995, S. 102). Werden National- oder Heimatgefühl aufgezwungen, bleiben sie vage und damit manipulierbar.
"Heimat wird verordnet, ohne im Sinne des "Beisichselbstseins" tatsächlich gefunden zu sein" (Jürgen Bolten: Heimat und Aufwind. Anmerkungen zur Sozialgeschichte eines Bedeutungswandels). So lange dies der Fall ist, kann Heimat keine Identität beschreiben, wohl aber mißbraucht werden.

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G09 Peter Joksch schrieb am 14.11.2001:

Heimatroman

Im Chat haben wir uns mehrmals über Heimatromane unterhalten. Dazu nachstehendes Beispiel.
"... Jenen allzu nahen Bäumen bin ich aber deshalb doch niemals gram geworden. Und heut noch gedenk' ich ihrer in dankbarer Liebe. Strömte doch das geheimnisvolle Leben, das zwischen ihren weitgespannten Ästen und in ihrem moosigen Schatten webte und wirkte, jene unendliche Fülle grüner Poesie über die Zeit meiner frühesten Jugend aus! Wenn der Lenzwind leise durch die Wipfel plauderte und mit zischelndem Rauschen vom Waldsaum niederstrich über die rohrdurchwachsenen Teiche, wenn hoch in sonnigen Lüften der Weih seine stillen Kreise spannte, wenn aus den abenddunklen Buchen und Eichen das Gurren und Liebeslocken der Wildtauben klang, wenn im tauigen Wiesengrunde das schlanke braune Reh im Dämmerlicht zur Äsung zog und der graue Reiher mit ruhigem Flügelzuge zu Horste strich - wenn dann erst die Nacht herniedersank über die weite Flur, wenn ich pochenden Herzens am offenen Fenster saß, ... Und welch ein lautes, lustiges Jägerleben umgab mich im eigenen Hause! Da war der kiesige Hof mit den munteren, schmucken Hunden ..."
Dies ist ein Ausschnitt aus dem Buch: Bergheimat, Erlebtes und Erlauschtes von Ludwig Ganghofer, aus der Erzählung: Der Schuß in der Nacht.
Der Literatur Brockhaus von 1995 schreibt zu Ganghofer: "... Ganghofer schrieb neben viel gespielten Volksstücken zahlreiche von >sendungsbewusster Trivialität< (H. Schwerte) erfüllte Romane und Erzählungen...."
Seine Bücher und dieser Stil kam bei einer bestimmten Leserschaft jener Zeit offenbar gut an. Nun ist die Frage: War dies sein ehrliches Empfinden, dann ist es Geschmacksache; schrieb er jedoch so, weil er wusste, dass seine Leser dies so verlangten, dann könnte man von Missbrauch der Heimatgefühle sprechen.

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G13 Madeleine Dauteuille schrieb am 01.12.2001:

Heimatroman

Peter, wäre es dir möglich einen Auszug aus einem guten Buch zu finden, das das gleiche Thema behandelt, um zu zeigen, dass wir ees hier mit schlechter Literatur zu tun haben und warum.
Denn ich kenne zum Beispiel Regionalschriftsteller - so nennen wir die "Heimatschriftsteller", die die Beschreibung der Natur zu Meisterstücken gemacht haben. Hier wird die Heimat missbraucht, einfach deshalb, weil "das Produkt", sprich Stil, Beobachtungssinn usw... schlecht ist: bist du mit mir einverstanden?
Was mich manchmal traurig macht, ist die Tatsache, dass man mit so einem schrecklichen Stil nicht nur die Heimatliebe sondern auch die Liebe zur Natur lächerlich macht. Denn Heimat ist ja oft sehr eng verbunden mit der Natur (obwohl, das gebe ich gern zu, ein Städter auch eine Heimat hat natürlich!)

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G14 Madeleine Dauteuille schrieb am 01.12.2001:

Heimatgefühle und Missbrauch

Dieter, du hattest mich gefragt, ob so was wie ein Heimatbuch bei uns existierte und ich hatte mit "nein" geantwortet.
Und doch gibt es eines von unserem Dorf! Ich habe es sogar gekauft, dass ich es aber vergessen hatte, bedeutet, dass ich nach 22 Jahren noch nicht ganz von hier bin! Wieviel Generationen sind nötig, um "von hier" zu sein?
In deinem Beitrag kann man wichtige Wörter lesen "Kulturgut", "kennen": ja, Heimatkunde ist unentbehrlich (aber ohne Ideologie).
Wenn Historiker, Wissenschaftler ein Heimatmuseum betreuen, ist Kitsch nicht mehr zu befüchten (und man merkt schnell, dass die konkreten Probleme des Alltags überal ungefähr gleich gelöst worden sind: es führt uns zu einer universellen Geschichte der Völker und nicht nur der Politiker).
Die Trachten gefallen mir besser bei ausländischen Tanzgruppen, sonst ist Lokalpatriotismus nie weit entfernt!

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G15 Peter Joksch schrieb am 03.12.2001:

Heimatroman

Also Madeleine, da habe ich Schwierigkeiten. Was heißt: Das gleiche Thema? Und was ist überhaupt ein Heimatroman? Das Heimatthema wird ja meist verbunden mit irgendwelchen mehr oder weniger seichten Liebes-, Schicksals- oder Kriminalgeschichten. Fontane ist mir zwar nicht mehr genau im Gedächtnis, aber ich glaube, dass er schon ein exemplarisches Gegenstück zu dem Text von Ganghofer wäre.
Ein Buch, das m.E. auch Liebe zur Heimat ausstrahlt ist "Vom Wasser" von John von Düffel. Eine Leseprobe sei der Anfang des Kapitels "Vom Fliegenfischen"
"Es war ein wechselvoller Tag. Meergrün hatte der Rhein im Aufriss der Sonne geleuchtet, um dann wieder einen verhangenen Himmel zu spiegeln, bleiern und unbewegt, bis ein böiger Wind schnell verschlagende Wellen gegen den Strom aufbrachte und neue, gleißende Sonnengarben auf das Wasser warf. Am Nachmittag hatte sich der Himmel von Wolkenzügen geleert, die Sonne schien ungehindert und lähmte den Gang von Wind und Wasser. Sie goss die Hitze eines sonnenüberströmten Tages über den blaugrünen Wasserläufen aus und brachte einen frühen, schwülen Abend. ..."
Nun habe ich kein Literaturstudium und bin kein Germanist. Ich kann also nicht sagen, warum dies schön und ein Gegensatz zu dem Text von Ganghofer ist. Ich empfinde es einfach als schön und als echt.

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G17 Volkmar Gimpel schrieb am 31.12.2001:

Heimat in der FASZ

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 30.12.01 fand ich den Artikel "Heimat" von Thomas Brussig, den ich nachstehend unkommentiert in diese Website stelle.

Heimat
Von Thomas Brussig

Wer im Osten über Heimat redet, macht sich automatisch verdächtig, ein DDR-Nostalgiker zu sein. Auch die Medien profitieren vom undefinierten "Heimat"-Begriff. Neues vom Yeti gibt's nicht jeden Tag, und trotzdem muss die Zeitung jeden Tag voll werden - und aus dieser Not heraus lässt sich alle zwei Wochen eine "neue Heimatlosigkeit der Ostdeutschen" entdecken. Beispielsweise wurde das Verschwinden der DDR-Programmzeitschrift "ff dabei" im zirka siebten Jahr der Einheit zu "einem Verlust von einem Stück Heimat" hochgeschrieben. Während die Benutzung des "Heimat"-Begriffes im Osten niemandem wehtut, weil es alles bedeuten kann, erkennen sich im Westen Freund und Feind daran, ob sie dieses Wort im Munde führen - vorausgesetzt, Freund und Feind sind unverbesserlich und sittenstreng.
"Heimat" war für anständige Menschen lange tabu, weil von den Nazis missbraucht. Da die Nazi-Ideologie ständig verlogene Gefühle mobilisierte und sich auch der Heimatgefühle bemächtigte, wurde "Heimat" zum Bestandteil des Verbrechens. Wer Heimat sagt, so hieß es mehr oder weniger deutlich, hat aus Auschwitz nichts gelernt. Zumal Deutschland als Strafe für Auschwitz nach dem Zweiten Weltkrieg Territorium an seine Nachbarn abtreten musste, und die Bewohner jener Gebiete mussten, wenn sie Deutsche bleiben wollten, ihre Heimat verlassen. Sie waren "Heimatvertriebene". Jedes Jahr zu Pfingsten fordern sie ihr "Recht auf Heimat" und weigern sich verstockt einzusehen, dass das deutsche Volk für Auschwitz auch büßen muss und sei es mit Vertreibung aus der Heimat. Fast schon logisch, dass ausgerechnet jene, die am ungeniertesten von Heimat sprachen, jene Unverbesserlichen waren, die die europäische Nachkriegsordnung in Frage stellten. Und solange sogenannte "Heimatfilme" ein stockkonservatives Idyll zeigten (das in seiner "Vorzeigbarkeit" und seinen systematischen Realitätsausblendungen den Heimat-DDR-Propaganda-plakaten glich), blieb "Heimat' ein gefühlsduseliges Wort der Ewiggestrigen. "Heimat" hätte mindestens entstaubt werden müssen, wenn nicht neu erfunden. Das Verdienst des Filmemachers Edgar Reitz, sein elfteiliges Film-Epos von 1984 "Heimat" zu nennen, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Reitz setzte dem verschlissenen Begriff einen Film entgegen, der unbeirrbar, ernsthaft und mit unendlich viel Zeit sein Thema einkreist.
Der Film ließ deutlich werden, dass Heimat ein ungemein lebendiges Phänomen ist - ob man es nun wahrhaben will oder nicht. Der Film wurde bei seiner Ausstrahlung im deutschen Fernsehen ein Straßenfeger. Die Linken waren verwirrt, dass Heimat-gefühle nicht zwangsläufig mit Verlogenheit einhergehen, die Rechten waren verwirrt, dass Heimat nicht zwangsläufig Idyll ist. Indem der Heimatbegriff weder schwarz noch weiß verstanden wurde, sondern in eine Ambivalenz gestellt wurde, war er plötzlich wieder lebensfähig und glaubwürdig wie nie zuvor. Der Begriff "Heimat" taugte plötzlich zum Gegenstand hochproblematischer Auseinandersetzungen. Heimat war plötzlich etwas, das sich zugleich lieben und verfluchen ließ.
Mittlerweile, scheint mir, haben sich die alten Lager wieder gebildet. (Nicht zu denken war schon immer bequemer als zu denken.) Aus den Zentralen der um sich greifenden Verblödung, "Fernsehen" genannt, werden "Heimatliche Melodien" ausgestrahlt, die ihre Zielgruppe im fortgeschrittenen Alter nie verfehlen. Die Linken hingegen nehmen den Begriff Heimat nur in den Mund, wenn sie auf das harte Schicksal der Asylanten und Bürgerkriegsflüchtlinge hinweisen, die "ihre Heimat verlassen mussten".
Aber davon abgesehen gilt es heute als altmodisch, die Heimat an einem Ort haben zu wollen. Der Mensch von heute finde seine Heimat in der Zeit, in einer Zeitgenossenschaft, in den herrschenden Moden und Trends, die er miterlebt und denen er sich unterwirft, in den Fernsehserien, die er sich anschaut, in den Stars, die er anbetet. Vielleicht ist das auch ein Ausdruck der Globalisierung. Sie kann uns um so besser zu Nomaden machen, je weniger es für uns eine Rolle spielt, dass jeder von uns mal irgendwo zu Hause war und immer eine Zugehörigkeit empfinden wird - eine Zugehörigkeit (wie prekär auch immer) zu einem Kosmos, der sich aus Hügeln, Mauern, Bäumen, Straßen, Häusern, Menschen, Dialekten, Ritualen, Festen, Gerüchen und Klängen zusammensetzt.

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G19 Dieter Böckmann schrieb am 06.01.2002:

Heimat - FASZ-Artikel - einige Kommentare


Ich lese täglich die Stuttgarter Zeitung (über 500.000 Auflage). Artikel über "neue Heimatlosigkeit der Ostdeutschen" müssen wohl in anderen Zeitungen erscheinen.
Ich verstehe nicht, wer bei Heimat "im Westen Freund / Feind" sein soll.
Heimatvertriebene und Auschwitz: Wo kann man hören oder lesen, dass die dafür büßen?
Welche "europäische Nachkriegsordnung" wird denn in Frage gestellt?
Ich meine, dass "Heimatfilme" weder stockkonservativ noch gefühlsduselig noch ewiggestrig sind.
Bedauere, ich habe Edgar Reitz' Heimatfilme von 1984 (noch) nicht gesehen.
Fernsehen mit Verblödung gleichzusetzen, ist schon stark. Aber nun gerade die Alten zu meinen, noch mehr. Und wir sind ja alle Senioren.
Für jeden (nicht nur für Linke) gibt es Heimat doch nicht nur im Zusammenhang mit Asylanten und Flüchtlingen.
Für wen ist Heimat "altmodisch"? Für uns doch wohl nicht. Und dass Mode, Trends und Stars Heimat bedeuten, ist mir neu.
Wieviele Menschen "macht die Globalisierung zu Nomaden", für die "es weniger eine Rolle spielt ..."? Aber - einverstanden - bei "Zugehörigkeit" (das kann man wohl mit Heimatgefühl übersetzen) kommen die Wörtchen "immer" und "empfinden" vor, und die Beschreibung des "Kosmos" im letzten Satz zählt die meisten (nicht alle) Aspekte auf, die Heimat ausmachen.

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G20 Maria Burkard schrieb am 06.01.2002:

Plädoyer für den Heimatroman


Karl Konrad Polheim hat 1989 in "Wesen und Wandel der Heimatliteratur, am Beispiel der österreichischen Literatur seit 1945" die Ergebnisse eines Symposiums zu diesem Thema veröffentlicht. Es wurde im Oktober 1984 von der Universität Bonn und der österreichischen Botschaft durchgeführt.
Eugen Thurnher, Innsbruck versucht auf den Seiten 25 - 37, den so oft belächelten Heimatroman historisch einzuordnen und seine sozialkritische Funktion aufzuzeigen. Ich werde im folgenden Beitrag seine wichtigsten Gedanken wiedergeben. Obwohl ich nicht mit all seinen Formulierungen und Schlußfolgerungen einverstanden bin, finde ich dass es sich lohnt, über manches genauer nachzudenken. Auch wir sind in unseren Diskussionen schnell bereit, den Heimatroman als Kitsch oder als Mißbrauch echter Gefühle abzutun.

Thurnher wendet sich zunächst gegen die durch Aristoteles begründete Theorie, dass alle literarischen Gattungen zeitlos, also Ausdruck des "Ewig-Gleichen", sind. Er glaubt, dass sie das Bewußtsein eines jeweiligen geschichtlichen Zustandes wieder spiegeln, dass die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Ordnungen, die sozialen Bedingungen und die Gedankengänge eines bestimmten Zeitalters darin zum Ausdruck kommen. Er führt u.a. das Minnelied an, das an eine ganz konkrete gesellschaftliche Ordnung gebunden war und das verfiel, als diese soziale Voraussetzung im geschichtlichen Kontext sich wandelte. Ähnlich verhielt es sich mit der Fabel, die in der Aufklärung ihren Sinn verlor oder mit dem Fastnachtsspiel, das in dieser Form nur in der spätmittelalterlichen Bürgergesellschaft möglich war.
In diesem Bezugsrahmen muß auch der Heimatroman gesehen werden. Wir können ihn nicht einfach als "Kitsch" abtun.
Seine Entstehung und Entwicklung wird immer wieder in enge Beziehung zur Heimatkundtbewegung der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gebracht. Aber er weist weit hinter diese Bewegung zurück. Als Gattung betrachtet ist er so alt wie die Dichtung selbst.
"Das heroische Zeitalter der griechischen Welt verkörpert sich uns in den großen Epen Homers, wobei ich die Frage durchaus offen lassen will, ob wir in der Heimkehr des Odysseus einen ersten Ansatz zur Suche nach Heimat sehen dürfen".
Fast tausend Jahre später preist Vergil in seiner "Georgia" den Bauern seiner oberitalienischen Heimat in einer Weise, die dieser Arbeit fast Ewigkeitswert verleiht, er gibt Anweisungen, "durch die sein Fleiß belohnt und ihm das im Schweiß bebaute Stück Boden als Heimat, als stiller Hort des Glücks geschenkt werden sollen. Wie für Vergil so bedeutet auch für Strabo aus dem Kloster Reichenau "cultura" ebenso Pflege des Bodens wie die Entfaltung der geistigen Fähigkeiten des Menschen. Können wir hier nicht eine Grundidee aller echten Heimatdichtung erkennen?"
Um 1250 konnte eine Dichtung wie Meier Helmbrecht entstehen. Sie entwirft ein realistisches Bild der verfallenden ritterlichen Epoche. Man hat diese Erzählung oft als "erste deutsche Dorfgeschichte" bezeichnet, Thurnher sieht hier den ersten deutschen Heimatroman, er weist darauf hin, dass ein genetischer Zusammenhang zwischen der Dorfgeschichte des 19. Jahrhunderts und den Heimatromanen des 20. Jahrhunderts besteht.
Als im Barock das höfische Leben eine allzu steile Stilisierung erfährt, wacht gleichzeitig die Sehnsucht nach der Heimat, nach Geborgenheit und Stille im Umgang mit Natur und Mensch. Die höfische Gesellschaft sucht dies in der Schäferdichtung. Für die bürgerlich-bäuerliche Welt ist Heimat nicht nur der Ort abgeschirmter Ruhe, sondern auch die Möglichkeit, den Frieden der Seele zu finden. So gewinnt z.B. die Heimat in Grimmelshausens Simplizisimus einen durchaus religiösen Charakter. Als Ort der Einkehr steht sie der Welt des ewigen Wechsels gegenüber.
Durch weitere Beispiele belegt Thurnher die folgende These:
"Heimat ist nicht unbedingt ein bestimmter Ort, Heimat ist ein innerer Zustand, sie bedeutet das Glück der Übereinstimmung von Welt und Ich. Heimat ist überall. Man muß sie nur finden."
Diese Erkenntnis findet sich an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, und zwar vor allem bei Schriftstellern, die selbst aus der ländlichen Umwelt kommen und in Arbeit und Lebensstil dem bäuerlichen Menschen verbunden sind. Thurnher nennt hier u.a.: A. Wildgans, Pestalozzi, M. Felder. Dem letzteren ist z.B. jeder literarische Ehrgeiz fremd, er will bessern, erziehen, soziale Mißstände anprangern. Mit verschiedenen Akzenten, aber in ähnlicher Absicht, zeichnen L.Anzengruber, P. Rosegger und L. Thoma die bäuerliche Welt.
"Sie alle kennen auch die negativen Seiten der bäuerliche Seele; Stolz und Besitzgier werden nicht verschwiegen; kalter Starrsinn stemmt sich oft gegen jeden Fortschritt."
Betrachtet man diese Aspekte, so muß man erkennen, dass der Heimatroman nur sehr wenig mit der Heimatkunstbewegung zu tun hat. Selbst wenn sich einzelne Übereinstimmungen finden lassen, so muß man grundsätzlich zwischen geistesgeschichtlichem Werden und einem bloß äußeren Anklang von gewissen Stoffen oder Motiven unterscheiden.
Nachdem wir gesehen haben, dass der Heimatroman vielfältige Wurzeln und durchaus ernst zunehmende Anliegen hat, können wir uns die konkreten Vorwürfe gegen ihn näher ansehen. Was wird gegen ihn vom ästhetischen, viel stärker noch vom ideologischen Standpunkt vorgebracht? Werden nicht ästhetische Urteil oft vorgebracht, um die ideologischen zu verschleiern?
"Es heißt, der Heimatroman verkläre die dörfliche Welt, seine Zeichnung beruhe nicht auf der Erfahrung der Realität, sondern gehe aus vom Schema des guten Dorfes und der schlechten Großstadt, das schlicht an der Wirklichkeit vorbeigehe. Daraus ergebe sich zwangsläufig, dass die soziale Problematik völlig übersehen werde, da eine falsche Harmonisierung der Gemeinschaft die tiefen menschlichen Gegensätze einfach zudecke." Thurnher untersucht diese Vorwürfe an Heinrich Waggerls, Roman "Mütter" und kommt zu dem Ergebnis:
"Was der Dichter da vor uns aufrollt, ist wahrlich nicht das Ergebnis einer heilen Welt. ... Aber er weiß, dass Besserung nicht durch politische Programme herbeigeführt wird. Sie muß von den einzelnen Menschen ausgehen. Um sie ist er bemüht, indem er ihre Fehler und Schwächen aufdeckt."
In den Jahre 1960-1980 kommt es zu einer Gegenbewegung. Der Anti-Heimatroman wendet sich gegen diese scheinbare, manchmal sicher auch falsche Harmonisierung. Man wendet sich, "gegen die mythologisierende Verhunzung von Heimat, Landschaft und Natur". Bei dieser Kritik sind gesellschaftskritische, ja klassenkämpferische Gründe viel wichtiger als ästhetische. Es geht dabei um ein politisches Konzept, das Veränderungen um der Veränderungen willen sucht.
"Der Anti-Heimatroman lebt nicht von einer neuen Auseinandersetzung mit der Bäuerlichen Wirklichkeit, sondern fast ausschließlich von der Negation der alten Heimatliteratur." So ist für Franz Innenhofer, "SchöneTage", das Dorf ein "Bauern-KZ". "Es herrscht Zwang und Ausbeutung. ... War im traditionellen Heimatroman das Dorf ein Hort der Geborgenheit und Sicherheit, so wird es für Innenhofer zu einer wahren Hölle ...". Die handelnden Personen tragen keine Namen, sie werden nicht als Menschen, sondern nur als Funktionäre gesehen. Genau so summarisch werden die ständig unterdrückten Dienstboten beschrieben. Jeder, der ein Dorf nur einmal oberflächlich gesehen hat, weiß, wenig dieses Bild er Wirklichkeit entspricht.
Die Anti-Heimatliteratur liegt im Modetrend unserer Zeit aber:
"Letzten Endes sind die Autoren denselben Fehlern verfallen, die sie der traditionellen Heimatliteratur vorwerfen. Sie operieren nämlich im Grunde genau so mit Klischees, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen."
Thurnher schließ seine Ausführungen mit einem klaren Bekenntnis zum Heimatroman:
Die Abstände zu den großen Dichtern der Weltliteratur sollen nicht verringert werden. "Die Fundamente der Sittlichkeit, auf denen das menschliche Zusammenleben beruht, durch die dichterische Gestaltung sichtbar zu machen, das ist ein Grundsatz, der über alle Unterschiede von Rang und Ausstrahlung hinweg Große und Kleine miteinander verbindet. So wenig die Maßstäbe verrückt werden dürfen, so bleibt doch anzumerken, dass der Heimatroman in einem Kontext gesehen werden muß, der zwar die Grade und Unterschiede nicht auslöscht, aber die Gleichheit des Wesens und Wollens betont. In dieser Erwägung - trotz mancher ästhetischer Mängel, die ich nicht übersehen will - mein Bekenntnis zum Heimatroman."

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G21 Maria Burkard schrieb am 14.01.2002:

Heimatgefühl im Wandel der Geschichte


Da "Heimat" im Laufe der Geschichte nicht immer derselbe Stellenwert zugesprochen wurde, läßt sich auch nicht so einfach sagen wann, wo und wie der Begriff von der Politik für ihre Ziele eingesetzt wurde. Die folgenden Überlegungen beziehen sich nur auf die deutsche Geschichte.
Es gab Zeiten, da war die Heimat so selbstverständlich, dass sie nicht thematisiert wurde, es gab Zeiten in denen sie bedroht war und verteidigt werden musste und es gab Zeiten, in denen sie überbetont wurde. Heimatideologie und Heimatnostalgie zeigten sich also in aufeinanderfolgenden Wellen, die durch bestimmte historische Situationen bestimmt waren.
In der Romantik spielte die Heimatproblematik eine große Rolle. Nach 1870 und nach 1900 war Heimat ein betont konservatives, restauratives und systemkonformes Ideal. Die Heimatkunst und auch der Heimatroman, die um 1900 vermehrt sichtbar werden, sind Vertreter dieser Heimatsuche.
Die "Blut und Boden Dichtung" führte dann zum tiefsten Abgrund der Heimatideologie, zu ihrer Deformierung durch die Nazis. Die logische Folge war, dass man nach dem Krieg mit dem Begriff Heimat sehr vorsichtig geworden ist. Heimat war zum Synonym für irrationales, gleichermaßen aggressives und sentimentales Denken geworden.
Anfang der 50er Jahre erlebten wir eine neue trivial-sentimentale Welle vor allem im Heimatfilm. Der Kinobesuch gehörte der zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen. Diese Filme hatten kaum eine Aussage, sondern wurden nach dem Geschmack und Wunsch des damaligen Publikums fabriziert, weil sie ein gutes Geschäft versprachen. Sie erlaubten die Flucht in eine Scheinwelt. 84,5 Prozent der westdeutschen Streifen nach 1945 besaßen ein Happy End.
"Mach Dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino"
Das war der Werbeslogan der deutschen Filmwirtschaft.
Der erste deutsche Farbfilm nach dem Zweiten Weltkrieg war "Das Schwarzwaldmädel" mit dem neuen Liebespaar des Heimatfilms, Sonja Ziemann und Rudolf Prack. Wichtiger als die problemorientierte Vergangenheitsbewältigung war das Heile-Welt-Epos.
Der Film "Grün ist die Heide" von 1951 in gleicher Besetzung leitete eine Reihe ähnlicher Filme ein. Sie lockten allesamt ein Millionenpublikum ins Kino und später auch vor die Fernsehbildschirme. Den "Förster vom Silberwald" aus dem Jahr 1954 sahen bis 1958 rund 22 Millionen Zuschauer. Die Machart der Filme war immer die gleiche. Wälder, Berge, Heiden und strahlend blauer Himmel ließen zerbombte Städte vergessen. Die Heimat war vor dem Hintergrund des verlorenen Landes im Osten und der Integration der Vertriebenen in die Bundesrepublik ein natürlich beliebtes Thema.
Seit Beginn der 70er Jahre ist ein Wandel festzustellen. Heimat soll nicht länger von oben - von Kulturfunktionären, Heimatvertriebenen-Verbandsfunktionären oder Lokalhonoratioren - sondern "von unten" und für unten definiert werden. Dabei kann es allerdings erneut dazu kommen, dass Heimatgefühle von bestimmten Gruppierungen ausgenützt werden und die Betroffenen das nicht oder zu spät bemerken. Zu nennen sind da u.a. regionale oder lokale Bürgerprotestaktionen, Ökologiebewegungen, Regionalismusbewegungen, sogar so harmlos erscheinende Bewegungen wie Förderung des Dialektes, empirische Kulturwissenschaft, Alternativkultur usw. können in diese Richtung gehen.
Trotzdem kann man vielleicht die Aussage wagen, dass der neue Heimatbegriff wieder frei von Ideologie und Schnulze ist, dass das Wort wieder ungeniert verwendet werden kann.

Anmerkung. Die Angaben zum Heimatfilm wurden einer CD der Bundeszentrale für politische Bildung (1997) entnommen: Deutsche Geschichte von 1949 bis zur Gegenwart

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G22 Maria Burkard schrieb am 15.01.2002:

Das Hirtenlied vom Kaisertal


Am Montag, dem 07.01.02 brachte der MDR um 20:15 Uhr, also zur besten Sendezeit, diesen österreichischen Heimatfilm aus dem Jahre 1956. Da er genau dem entspricht, was wir uns unter "Heimatfilm" vorstellen, möchte ich ihn kurz charakterisieren.
Die Handlung lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen.
Der Sohn des reichsten Bauern kehrt nach erfolgreichem Studium aus der Stadt zurück. Schon sehr bald erfährt er, dass sein Vater ihn mit der Tochter des ebenfalls zur Führungsschicht des Dorfes gehörenden Gastwirts verheiraten will. Dass die jungen Leute nicht gefragt werden und sich fügen, ist für die beiden Väter selbstverständlich. Der heutige Zuschauer ahnt allerdings sehr schnell den weiteren Verlauf der Geschichte. Der Student kümmert sich nicht darum, verliebt sich in die elternlose, arme Sennerin auf der Alm seiner Eltern. Auch die Tochter des Gastwirts sucht sich einen anderen Burschen. Sie spielt allerdings im weiteren Verlauf der Handlung keine Rolle. Die Liebe der Magd und des reichen Bauernsohnes ist so stark, dass die beiden alle Schwierigkeiten überwinden. Der Film endet mit einer romantisch inszenierten Hochzeit, an der das ganze Dorf teilnimmt.
Was macht nun diesen Film zu einem typischen Vertreter seiner Gattung?
Die ruhige, volkliednahe Musik lädt zum träumen ein, die Kamera zeigt uns ein sauberes Alpendorf mit glücklichen, immer gut gekleideten Menschen: eine heile Bilderbuchwelt. Der zweite Schauplatz, die Alm, gibt dem Regisseur die Möglichkeit zu sehr schönen Bergaufnahmen: Postkartenromantik. Im ganzen Film gibt es keine Gewalt, keinen Schmutz, nichts Hässliches.
Sehen wir uns die bewussten oder unbewussten Bausteine einmal genauer an:
Patriarchalische Strukturen
Die Männer treffen sich im Gasthaus, agieren in der Politik, geben zu Hause den Ton an. Ihre Dominanz wird in keiner Weise in Frage gestellt. Die Frauen spielen in der Handlung kaum eine Rolle, und wenn akzeptieren sie mit der größten Selbstverständlichkeit ihre untergeordnete Stellung. Selbst in der jungen Generation ist diese Gewichtsverteilung selbstverständlich.
Soziale Unterschiede
Es gibt die Reichen: der Hofbesitzer, er ist zugleich Abgeordneter, und der Gastwirt, er ist zugleich Bürgermeister. Daneben gibt es die übrigen Dorfbewohner und dann die Dienstboten. Auch diese Unterschiede werden nie hinterfragt, sind aber ständig spürbar. Der Bauer hat sich der elternlosen Magd und ihres kleinen Bruders angenommen, erwartet dafür Loyalität und Dankbarkeit. Hier nur eine Szene zur Veranschaulichung: Bauer und Bäuerin sind in der Kirche, und zwar alleine in der ersten Bank, die Sennerin kommt, knickst, geht vorbei und ganz nach hinten. Kommentar des Bauern zu seiner Frau: In dieser Familienbank haben Dienstboten nichts zu suchen.
Sexualität
Sie wird nur, und das ziemlich plump, angedeutet. Sie scheint eine Angelegenheit der Dienstboten zu sein, so z. Bsp. wenn ein Knecht seiner Angebeteten aus der Stadt schwarze Unterwäsche schicken lässt.
Religion
In dieser heilen Welt wird der Dorfpfarrer ganz positiv dargestellt. Er weiß wie man mit den reichen Geizhälsen umgeht und hat Verständnis für die Armen. Jeder im Dorf behandelt ihn mit größtem Respekt. Er ist es auch, der dem Bauern so tüchtig die Meinung sagt, dass der schließlich sein Verhalten ändert.
Sentimentalität
Die Sennerin lebt auf der Alm zusammen mit ihrem ungefähr 10-jährigen Bruder. Er hütet die Schafe, ist immer verantwortungsbewusst, fröhlich, höflich und selbstverständlich liebt er die Musik, mit einem Wort, er ist "süß". Da fällt es kaum unangenehm auf, dass er so naiv ist, in die Stadt zu gehen, in der er noch nie war, um den Freund seiner Schwester zu suchen und auch noch Erfolg hat. Genau so wenig entspricht es der Logik der Geschichte, dass die Bäuerin kurz danach auch in die Stadt fährt und durch ihre "Mutterliebe" den Sohn überzeugen kann zurückzukommen.
Konflikt der Generationen
Der fortschrittlich, vorurteilsfrei denkende Sohn stellt sich gegen den sturen, der Tradition verpflichteten Vater. Meinung steht gegen Meinung. Die Chance, diesen Konflikt aufzuarbeiten, wird allerdings vertan. Die Aussöhnung am Ende ergibt sich nicht folgerichtig aus der Handlung, es wird nicht einmal über die Problematik gesprochen, lediglich die Kamera zeigt durch harmonische Bilder, dass wieder alles in Ordnung ist.

Versuch einer Wertung:
1956: Zeit der harten Arbeit, Zeit des Wirtschaftswunders, aber auch Zeit des kalten Krieges.
Solche Filme werden fast als Massenware produziert, es lohnt sich finanziell, sie finden ihre Zuschauer. Sie sind nicht anstrengend, man muss nicht denken, kann sich entspannen, glaubt das zu finden, was man im alltäglichen Leben vermisst: Natur, Liebe, Geborgenheit.
Die Frage, ob wir hier von Missbrauch der Gefühle reden, ist nicht so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Sicher ist, dass die Filmwirtschaft davon profitiert, dass sie solche Filme am Fließband produzieren kann und dabei kein Risiko eingeht.
Aber wie ist es mit den Zuschauern?
Ich denke, solange sie wissen, dass in diesen Filmen billige Unterhaltung geboten wird, die im Niveau einem Groschenroman entspricht, solange sie nur Ablenkung, ein paar schöne Stunden suchen, solange schaden ihre Träume und ihre Sehnsucht nach einer verlorenen Vergangenheit niemand. Hier werden keine Gefühle missbraucht. Bedenklich wird es erst, wenn die hier gezeigte heile Welt mit der Realität verwechselt wird.
2002: Ein alter Film ist eine preiswerte Möglichkeit, ein Abendprogramm zu gestalten, also profitiert zumindest der Sender. Wir müssen davon ausgehen, dass auch heute Heimatfilme ihre Zuschauer finden, sonst würden sie nicht mit großer Regelmäßigkeit gesendet werden und das besonders häufig in den neuen Bundesländern.
Wer sieht sich einen solchen Film an?
Ich kann darüber nur spekulieren: Die Jugend wahrscheinlich nicht, sie hat andere Möglichkeiten der Unterhaltung. Die mittlere Generation? Kann sie hier etwas finden, was sie so in ihrer Jugend nicht erlebt hat? Können diese Bilder von der harten Wirklichkeit ablenken und für einige zeit Glück und Zufriedenheit vermitteln? Die heute über 60 Jährigen? Finden sie hier ihre Jugend, ihre damals nicht verwirklichten Träume wieder?
Ich denke, dass es bedenklich ist, wenn sie durch die Flucht in solche Filme die Meinung gewinnen, dass damals alles so viel besser war.
Ich selbst fand diesen Film ganz einfach langweilig und es ist schade um die Zeit, die man damit vergeudet.

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G23 Volkmar Gimpel schrieb am 15.01.2002:

Kleine Ergänzung zum "Hirtenlied"

Ich möchte Marias ausführlicher Würdigung des Films ein paar Gedanken hinzufügen.
Ich habe nur ein paar Minuten am Anfang und die letzte Viertelstunde gesehen. Aber das allein bringt mich zu dem Schluss, dass der Film genau den Kriterien von Brussig entspricht: stockkonservative Idylle, gefühlsduselig, systematische Realitätsausblendung.
Ich glaube nicht, dass er den Widerstand der Jugend gegen die Unsinnigkeit sozialer Unterschiede sichtbar macht. Die Aufsässigkeit des Sohnes, der sich wieder in die Stadt verzieht, gehört einfach zur Story.
Am Schluss dann wieder das Happyend. Der pfiffige kleine Bruder der Sennerin macht sich auf den Weg in die Stadt, um Jakob zu suchen, weil er den Liebeskummer seiner Schwester nicht mit ansehen kann. Er schafft es natürlich. Sogar die alte Bäuerin ist schießlich überzeugt und Jakob kehrt zurück ins Dorf.
Bei der Hochzeit der Liebenden sind dann alle versöhnt.
Meiner Meinung nach bedient der Film alle Klischees. Die imponierende Kulisse der Alpen, die Trachten der Hochzeitsgäste, die Heimatmusik, gespielt von der Heimatkapelle, die Almidylle, das Krippenspiel, der aufgeweckte Junge. Selbst der Dorftrottel durfte nicht fehlen.
Mir fiel noch während des Films Hedwig Courths-Mahler ein, die nach ähnlichem Muster Dutzende von Liebesromanen geschrieben hat.

Übrigens hat der MDR am 12.01.02 (20:15 Uhr) wieder einen Film dieses Genres gebracht: "Das Paradies am Ende der Berge", Heimatdrama von Otto W. Retzer mit George Hamilton. Ich habe diesen Programmhinweis leider erst am nächsten Vormittag entdeckt, sonst hätte ich sicher mal reingeschaut. Der MDR, der "Heimatsender der Mitteldeutschen", scheint tatsächlich der Spezialist für Filme dieser Art zu sein (oder zu werden).

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G24 Madeleine Dauteuille schrieb am 28.01.2002:

Missbrauch des Heimatgefühls?

Ein kleines Beispiel, das zeigt, wie schnell wir manchmal auf die geschickte Werbung hereinfallen.
Da ich von einer Reise zurückkomme, fällt mir Folgendes auf (nichts Neues übrigens):
die Vermarktung der Heimat für die Touristen. In manchen Reiseprospeken wird das Image eines Landes oft bis zur Karikatur mißbraucht.
Solche Prospekte gehen davon aus, dass der durchschnittliche Tourist ein Konzentrat von Folklore verlangt, als Ersatz für richtiges Abenteuer, ja eine Art billigen Exotismus. Er soll dadurch das Gefühl gewinnen, dass er etwas erlebt, was er im eigenen Land durch eben das Verschwinden vom Echten, Originalem (als Folge der Globalisierung) vermisst und so aufgespitzt findet in Form von Reiseabenden, Tänzen, Trachten, Museen, Veranstaltungen aller Art, die ihm letzten Endes ein Heimatpaket, ein Digest des besichtigten Landes vermitteln soll und ihm die Genugtuung geben, im "Ausland" gewesen zu sein.
Diese Vermarktung beweist, dass wir alle im Kopf das Image "Heimat" pflegen, nicht immer das beste, etwas Kindliches, ja Kindisches, aber Menschliches, so auch mit dem Weihnachtsmann, dem bärtigen Gott auf seiner Wolke, mit der naiven Vorstellung der Liebe: ein Herz im Kinde!
Meinen Enkelinnen habe ich z.B. aus Norwegen Plüscheisbären als Andenken geschenkt: eigentlich etwas Lächerliches, da es nur auf der Insel Spitzbergen Eisbären gibt und da die Dinge in China hergestellt worden waren ... Aber man schenkt ja Traum und etwas, was einer gewissen (falschen) Vorstellung eines Landes entspricht!

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G25 Maria Burkard schrieb am 02.02.2002:

Hitler, die Psyche der breiten Masse

Dieser Textauszug gibt eine so eindeutige Antwort auf die Frage, inwieweit Politiker "bewusst" Gefühle missbrauchen, dass ich ihn nicht näher kommentieren möchte. Es bleibt allerdings zu fragen, inwieweit auch heutige Politiker nach diesem Schema arbeiten?
    Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergesslichkeit groß. Aus dieser Tatsache heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda nur auf sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig solange zu verwenden, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag. ...
    Die breite Masse eines Volkes besteht weder aus Professoren noch aus Diplomaten. Das geringe abstrakte Wissen, das sie besitzt, weist ihre Empfindungen mehr in die Welt des Gefühls. Dort ruht ihre entweder positive oder negative Einstellung. ... Ihre gefühlsmäßige Einstellung aber bedingt zugleich ihre außerordentliche Stabilität. Der Glaube ist schwerer zu erschüttern als das Wissen, Liebe unterliegt weniger dem Wechsel als Achtung, Hass ist dauerhafter als Abneigung, und die Treibkraft zu den gewaltigsten Umwälzungen auf dieser Erde lag zu allen Zeiten weniger in einer die Masse beherrschenden wissenschaftliche Erkenntnis als in einem sie beseelenden Fanatismus und manchmal in einer sie vorwärtsjagenden Hysterie.
    Wer die breite Masse gewinnen will, muß den Schlüssel kennen, der das Tor zu ihrem Herzen öffnet. Es heißt nicht Objektivität, also Schwäche, sondern Wille und Kraft.

    Hitler, Mein Kampf, zitiert nach Hofer, Der Nationalsozialismus, 1960, Seite20/21

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G26 Madeleine Dauteuille schrieb am 04.02.2002:

Antwort auf G20

In ihrem Beitrag G20 zur Debatte um "Anti-Heimatromane" zitiert Maria die Äußerungen von Thurnher zum Roman des österreichischen Schriftstellers Franz Innerhofer "Schöne Tage":
"... das Dorf ist für ihn ein Bauern-KZ ... es herrscht Zwang und Ausbeutung ... War im traditionellen Heimatroman das Dorf ein Hort der Geborgenheit und Sicherheit, so wird es für Innerhofer zu einer wahren Hölle".
Ich habe dieses Buch nicht gelesen und ich kannte auch seinen Verfasser nicht. Ich will hier also auch nicht Thurnhers Beurteilung dieses Werkes kommentieren. Aber aus einem Artikel in Le Monde vom 30. Januar 2002 erfahre ich, dass Franz Innerhofer unlängst, im Alter von 57 Jahren, Selbstmord begangen hat. In diesem Artikel lesen wir auch, dass der Roman "Schöne Tage", der übrigens auch ins Französische übersetzt worden ist, bei seiner Veröffentlichung 1974 für Aufregung gesorgt hat. Er räumte mit der idyllischen Vorstellung eines ländlichen, religiösen und arbeitsamen Österreich auf, das durch die sehr populären Heimatfilme unsterblich gemacht worden war. Allein die Biografie von Innerhofer, kurz dargestellt in demselben Artikel, genügt um zu zeigen, was dieser Bewunderer von Büchner, Kafka und Thomas Bernhard (drei Autoren, die von vielen Franzosen verehrt werden) wollte: das idealisierte Bild seiner Mystik entkleiden, das Bild von einem Leben auf dem Lande, das meistens zur Darstellung von Heimat diente, so wie man sie sich allgemein vorstellt. Und dies durch Beschreibung seines eigenen Lebens: uneheliches Kind einer Magd, lebte Innerhofer während seiner ganzen Kindheit auf dem Bauernhof seines Vaters fast wie in Leibeigenschaft.
Man versteht, dass er von der Zeit an, wo er dieser Hölle entrinnen konnte, das Befürfnis hatte, das Gegenstück zum paradiesisch verbrämten Bild der Heimatfilme aufzuzeigen: mir scheint, dass er sich damit weniger einer allgemeinen Kritik anschließen, als vielmehr etwas richtig stellen wollte, durch Beschreibung seiner schrecklichen persönlichen Erfahrungen.
Und im Zusammenhang mit dieser Reaktion auf die Heimatfilme, deren Kitsch und auch schlechte Qualität, wir in unserer Arbeitsgruppe schon beklagt haben, möchte ich gerne ein wenig von dem Filmemacher Edgar Reitz sprechen, dem wir die schöne Fernseh-Serie Heimat aus 1988 verdanken ...
Für die französischen Germanisten ist das geradezu eine "Kult"-Serie. Zwar ist die Richtung ziemlich von der von Innerhofer verschieden, aber man hat doch den Eindruck, als ob Reitz auf seine Art ebenso auf die täuschende und deshalb gefährliche Rührseligkeit der Heimatfilme reagieren und ihnen ein ganz neues Ansehen geben wollte, um ihnen die bedauerliche Mittelmäßigkeit zu nehmen.
Sein Geheimnis? Ganz einfach sein großes Talent als Filmemacher (er nimmt sich die Zeit, das zu zeigen, was er liebt), die Auswahl der Darsteller und seine Kenntnis des Landes: er weiß genau, wovon er spricht, im Gegensatz zu manchen Heimatfilm-Autoren, die ein kommerziell ausgerichtetes, ja demagogisches Schema kräftig ausgeschmückt haben, sodass es viel einbrachte.
In dieser Serie erzählt er, alles in allem, die deutsche Geschichte von 1919 bis zur Mitte der 80er Jahre, wie drei Generationen einer Familie aus dem Hunsrück sie erlebt haben.
Er beschreibt uns eine bestimmte Landschaft, ein Dorf, ein Haus und eine Familie, vier Schlüsselworte für Heimat (dies lässt mich an das Reinheitsgebot beim Bier denken: Wasser, Gerste, Hopfen, Hefe), und darin sympathische Menschen, so wie sie für uns zur Traumwelt Heimat gehören (die unvergesslichen Großeltern, Maria, die Hauptfigur dieser Familiensaga, Otto, der sie liebt, ihr so empfindlicher Sohn, der Komponist wird). Er ist so ehrlich, uns auch eine Galerie von Leuten zu zeigen, die zwar nicht unbedingt unsympathisch, aber doch weniger tugendhaft sind: den Ehemann, der seine ganze Familie verlässt um nach Amerika zu gehen, ein Opfer desselben Fernwehs wie Marius (von Pagnol), und andere Comic-strip-Helden (ich denke an "Odysseus"), der Sohn, schäbiger Emporkömmling, die Leute, die sich - aus Schwäche oder Ehrgeiz - auf das Nazi-Abenteuer eingelassen haben, kurz gesagt, es sind Menschen aus Fleisch und Blut, denen wir uns zuneigen, mit denen wir uns identifizieren können, denn es sind einfache und arme menschliche Wesen, nicht solche Hampelmänner wie in den oben verrissenen Heimatfilmen. Und dann lässt er alle großen Erfindungen des Jahrhunderts vor uns wieder aufleben: Radio, Foto, Flugzeug, Auto, Fernsehen usw. - so viele Neuerungen, die das kleine Nest Heimat der großen weiten Welt geöffnet haben.
Dass dieser Filmemacher nicht nur die Gattung "Heimatfilme", sondern die Vorstellung einer wirklichen Heimat wiederherstellen wollte, die ein Schoß ist und ein magischer Kessel, in dem nicht nur eine gute Suppe oder ein Zaubertrank gekocht wird, dieser Mikrokosmos, wo es im Kleinen das Gute und das Böse gibt wie überall - das verdient besondere Betonung und Beifall, als positive und vernünftige Reaktion gegenüber einer bedauerlichen, von wirtschaftlichen oder gar ideologischen Interessen beeinflussten Modeerscheinung.
Dies sollte dem Kapitel "gegen den Heimatfilm" hinzugefügt werden, wo es hier doch einen wirklichen Heimatfilm gibt, der diesen Namen verdient.
Deshalb sagen die Franzosen, die ein bestimmtes Deutschland lieben: "Danke, Herr Reitz, jetzt warten wir ungeduldig auf die Fortsetzung Ihrer Familiensaga!"

Übersetzung: Dieter Böckmann

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G27 Madeleine Dauteuille schrieb am 06.02.2002:

Heimatromane und -filme in den deutschsprachigen Ländern und in Frankreich

Ich möchte durch diesen Beitrag die Thesen Thurnhers unterstützen, die Maria zur Verteidigung des Heimatromanes angeführt hat. Dazu möchte ich die Heimatliteratur/littérature du terroir in den beiden Ländern vergleichen. Thurnher geht davon aus, dass "die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Ordnungen in literarischen Gattungen zum Ausdruck kommen".
Deutschland und Frankreich haben eine unterschiedliche Geschichte und auch unterschiedliche soziale Strukturen. Dadurch läßt sich erklären, dass - soweit mir und auch meinen Freunden bekannt ist - in Frankreich keine Entsprechung zu dem besteht, was die Deutschen "die belächelten kitschigen Heimatromane und -filme" nennen und folglich gibt es auch keine Bewegung der "Anti-Heimatfilme".
Nun, was gibt es bei uns?
Den Kitsch finden wir in den Liebesromanen und Liebesfilmen mit äußerst niedrigem Niveau. Wir finden sie in den Bahnhofsbuchhandlungen, das kommerzielle Fernsehen ist voll von allem, was in diesen Bereich gehört. Hier ist alles vertreten, was ihr bedauert: Langeweile, Unehrlichkeit/Künstelei, abgeschmackte Gefühle, der vereinfachte Gegensatz der Guten und der Bösen, die "ewige" Liebe mit all ihren Hochs und Tiefs und schließlich das "happy end". Also eine billige Traumfabrik, die immer nur von Träumen lebt.
Trotzdem unterscheiden sich diese Romane und Filme bei uns von denen im deutschen Sprachraum: Sie spielen irgendwo, in einer Umgebung, die nicht genau bestimmbar ist. Vielleicht können wir eine Entsprechung der Idealisierung der deutschen Heimatliteratur im Bereich der chanson d'amour finden. Aber hier steht Paris einsam an der Spitze, ein idealisiertes Paris, das als Hintergrund dient für die Romanze dient, und das in jeder nur möglichen Bedeutung.
Natürlich dient die Provinz - hier vielleicht ein Ausdruck, der eurer "Heimat" am nächsten kommt - oft als Kulisse für die Drehbücher der Filme, aber es ist keine "Gattung", diese "typische" Provinz reicht, um dem Ort der Handlung ein gewisses Gepräge zu verleihen, aber es beeinflusst überhaupt nicht die Qualität des Films.
Man kann aber immerhin dazusagen, dass der Süden in der Vorstellung der Franzosen so etwas ist wie in Euren Heimatromanen und -filmen die Alm, eine Art Traumwelt, übrigens weidlich von der Werbung ausgenutzt.

Und wo findet man sonst die "Provinz" (die Heimat) in Frankreich?
Da muss ich die großen Schriftsteller nennen, wie z.B. Balzac, der aus dieser "Provinz" die handelnden Personen seiner "menschlichen Komödie" holte: aber bei ihm kommen wir ja zur menschlichen Natur in ihrer ganzen Vielseitigkeit, und mehr zufällig hat er sie in diese Umgebung gestellt. Er hätte aber auch gewusst, ihnen woanders ein deutliches Bild zu geben.

Wenn man von Heimat-Literatur spricht, dann denkt man auch an die Bauern-Novellen von Guy de Maupassant, so verblüffend realistisch und grausam - keinerlei sentimentale oder romantische Träumereien, eher das Gegenteil!
Schließlich gibt es da noch die Kategorie der so genannten Heimat-Schriftsteller. Das ist oft abschätzig gemeint, dabei sind sie mitunter exzellente Schriftsteller, jedenfalls immer bemüht um wahrheitsgetreue Darstellung und darum, andere an der Kenntnis und der Liebe zu ihrer heimatlichen Gegend teilhaben zu lassen (ich habe einige in "Die Tour de France in Büchern usw..." zitiert).

Zusammengefasst: einerseits schlechte Literatur, die nichts mit (unserer) "Heimat" zu tun hat, andererseits eine echte Literatur, in der die Heimat bloß eine Kulisse ist, die keine große Rolle spielt und schließlich die eigentliche Heimat-Literatur (Bauern- und Landromane), zwar mehr oder weniger gut, aber aufrichtig, realistisch oder lyrisch, und immer echt, nicht künstlich aufgemacht oder gar als Künder einer zweifelhaften Ideologie.

Ja, woher kommt denn nun dieser Unterschied zwischen der deutschsprachigen Welt und Frankreich?
Tun wir gleich mal die Zeit beiseite, wo Heimatromane und -filme in Deutschland nur eine politische Ideologie stützen sollten - ihr kennt sie, leider: die Heimatliteratur hat viel darunter gelitten.
Und welche geographischen, historischen, soziologischen oder psychologischen Besonderheiten könnten denn sonst noch die Unterschiede zwischen einer Welt und der anderen erklären?
Heimat, das haben wir bei all unseren Diskussionen gesehen, die lieben wir alle, ihr ebenso wie wir - da brauchen wir gar nicht erst weiter zu suchen!
Ja wo sollen wir denn sonst noch suchen?
Wie wir gemeinsam gesehen haben, hat in Frankreich der Zentralismus mit Paris als allbeherrschendem Mittelpunkt sicherlich verhindert, dass sich eine volkstümliche Gattung entwickeln konnte, mit Dorf und Alm - und um den Kirchturm herum - als Hintergrund.
Übrigens bieten sich unsere Landschaften, ausgeprägter als euere, nach wie vor manchmal wild und oft rau (ich denke an die Causses, an die Bretagne) weniger als euere meist fröhlichen Berglandschaften dazu an, den verführerischen Operetten-Rahmen her zu geben, den Ihr dann Kitsch und langweilig nennt.
Schon wegen euerer großen Bevölkerungsdichte habt ihr weniger Natur als wir, ihr seid ja seit langem Bewohner großer, sehr moderner Städte, aber ihr habt es verstanden, viel Grün mitten im Beton zu erhalten (vergleichen wir nur Berlin mit Paris!), ja, Natur ist für euch noch etwas, was man unbedingt um sich herum braucht.
Diese Natur, die ist und bleibt für euch eine Quelle romantischer Gefühle - selbst bei den deutschen Grünen findet sich noch eine übertriebene Sentimentalität, die uns fehlt ... aber warum nur?
Eine mögliche Erklärung sehe ich darin, dass Frankreich lange ein "ländliches" Land war und es immer noch mehr als Deutschland ist: ein großer Teil seiner Bevölkerung lebt immer noch auf dem Lande ("die Franzosen in Holzschuhen" - aber das muss man schon zugeben, die gibt's bald nicht mehr), und das lädt ja nicht eben ein zu Phantastereien über eine idyllische Natur mit Liebesgeschichten. Ganz im Gegenteil, im Landleben gibt es nur zu oft Verwicklungen, die widerwärtiger sind als die in der Stadt (und bei uns ist das Land weniger herausgeputzt als bei euch, wo es mehr ein Park gleich nebenan ist). Auf dem Lande bei uns träumt man ... von der Gastronomie, für die Ferien sucht man eine Gegend, wo man gut essen kann (man darf es kaum zugeben, aber es ist so!). Und doch träumt der durchschnittliche Franzose vom Ski-Gebiet oder im Sommer vom Strand: zwei Feriengebiete, die sich gut für liebliche Filme eigenen, auch zu "Hits des Jahres" oder zu Groschen-Romanen. Aber von Heimat kann man da nun absolut nicht sprechen!
Noch etwas: die Religion. Die bedeutet bei uns praktisch überhaupt nichts im sozialen und Kunstleben. Und deshalb fehlen uns, übrigens ebenso wie gepflegte Traditionen, zwei wesentliche Bestandteile des Heimatfilms - oder täusche ich mich da?

Und schließlich, letzter Punkt, neigt Ihr dazu, die Gattungen fein säuberlich zu trennen, während wir gern alles vermischen. Wir sind eher unempfänglich für diese ökologische und gefühlsmäßige Reinheit, die die Heimatromane und -filme nahebringen, und sehr bald bringt das Lachen alles durcheinander, Komik ist wichtiger als Romantik. Wenn's zu sentimental wird, dann nehmen's wir nicht mehr ernst.
Aber ihr könnt Euch trösten: wir haben auch unser Kreuz, nämlich die "Intelligenzler-Filme". Da versteht man zwar gar nichts mehr, aber es gehört zum guten Ton, sie gesehen zu haben, und bei Parties kann man damit glänzen ...
Aber damit kommen wir weit von unserem Thema ab!

Übersetzung: Dieter Böckmann, Maria Burkard (teilweise)

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