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Friedel


Hedwig Dohm ist eher bekannt als Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung und als Schriftstellerin, auch noch als Großmutter Katia Manns, jedoch nicht so sehr als Dichterin. An ihr Werk sind deshalb auch kaum literarische Massstäbe anzulegen.

Literatur und Streitschrift, Theorie und Praxis Der Titel ist als Imperativ formuliert und damit ist eindeutig klar, worum es HD geht. Dennoch ist es meiner Meinung nach Brecht als Dichter auf kleinerem Raum besser gelungen, der gleichen Forderung begründeten Ausdruck zu verleihen als der langen, larmoyanten, mit z.T. unverständlicher Symbolik überladenen Darstellung von Frau Dohm. Ob dies nur an dem jeweiligen anderen historischen Hintergrund liegt, oder an Brechts Genie mag noch untersucht werden. Viele der eindeutig formulierten Aussagen zur Benachteiligung der Frauen und ihrem Befinden dabei sind auch heute noch gültig und absolut richtig. Aber die Geschichte darum herum ist nicht immer stimmig, wie überhaupt praktische Dinge so gut wie nie erwähnt werden, häufig dagegen wird theoretisch doziert, deshalb ist die Geschichte (zumindest heute) wenig interessant und nicht angenehm zu lesen. Beispiel: lang und breit wird beklagt, dass sie Denken erst lernen müsse und wie Mann dies normaler weise lernt. Andererseits fängt sie ohne weiteres zu reisen an. Dass auch dies nicht einfach ist und dass man dies auch erst lernen muss, und wie da der Lernprozess war, ist nicht wert, zu schildern.

Wie weit geht das Leben HDs und Agnes Schmidt konform?

Haus- und Familienarbeit HD selbst fand Hausarbeiten und Kindererziehung (beides Aufgaben, mit der sie ihre Mutter in dem Riesenhaushalt beauftragte) einfach nur gräßlich. Dennoch hat sie trotz der notgedrungenen Erfüllung dieser Aufgaben nicht ihren eigenen Willen unterdrückt, sondern hat als junges Mädchen heimlich viel gelesen, politische Versammlungen besucht u.ä. Agnes Schmidt hingegen tat schon als 12 jährige "alles (im Haushalt) recht gern - es fiel ihr gar nicht ein, dass es anders hätte sein können". Romane allerdings hat auch sie - an Sonntagen - gelesen. Als verheiratete Frau und Mutter von 5 Kindern glaubte HD zunächst ihrem Mann, der sie für intellektuell unbedarft hielt. Sie selbst war lange Zeit tatsächlich fast so wie Agnes Schmidt, die "gute, brave, etwas beschränkte und philiströse Hausfrau ...unwissend und völlig im Familienleben aufgehend" - bis sie entdeckt, dass ihre (und die anderer Frauen) Minderwertigkeit nicht existiert und nur von den Männern behauptet wird. Nach 13 Jahren Ehe hat HD für ein Jahr den Familienhaushalt aufgelöst und bei ihrer Schwester in Rom gelebt. Nach fast 20 Jahren Ehe, aber noch zu Lebzeiten ihres Mannes, veröffentlicht sie ihre ersten polemischen Schriften, feministisch-emanzipatorische Ideen, die in Opposition zu seinen patriarchalischen Ansichten standen. Den autobiographischen Roman Schicksale einer Seele hat sie dann erst nach seinem Tode veröffentlicht.

Agnes Schmidt fängt erst nach 33 Ehejahren und zwei Jahre nach dem Tode ihres Mannes mit unabhängigem Denken an und es dauert lange, bis sie merkt, dass sie immer nur eine brav Rolle gespielt, aber nie sich selbst gelebt hat.

Das Alter Der Hauptunterschied zwischen AS und HD: AS merkt erst viel später, dass sie anders leben könnte, "aber da ist schon eine neue Kette - das Alter." Wahrscheinlich wird sie auch nur deshalb irrsinnig, weil sie sich jünger fühlt und jünger sein möchte, als sie ist. Schwer verständlich. Die gute AS nimmt für heutige Begriffe ihr Alter zu ernst. Vielleicht war man ja damals mit 55 schon eine Greisin? Sie stirbt ja auch mit 60. Warum eigentlich? HD und ihre Schöpfung werden zwar beide mit 52 Witwe, aber HD fängt schon vorher zw. 35 und 40 Jahren neu an, AS beginnt erst mit 54 ihr Tagebuch. Aber: Brechts Großmutter ist noch mit 72 fähig, ihr eigenes Leben zu leben. Das macht Brechts Geschichte so viel erfreulicher.

Das soziale Umfeld Die Geschichte spielt in totaler sozialer Isolierung. Außer "Bekannten von früher", vor denen sie sich bald verleugnen läßt und den Töchtern, die sie erst im Krankenhaus zu besuchen scheinen, ist da niemand. Theoretisch wird das dadurch erklärt, dass sie ja nun eine ganz andere Frau wird. In der Umbruchphase mag das auch realistisch sein, langfristig jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Warum sucht sie sich nicht, wie die Großmutter Brechts, neue Bekannte? HD selbst hatte um sich immer ihre Familie, wurde auch durch ihren Mann in die literarische, politische Gesellschaft Berlins aufgenommen und selbst noch als Greisin war sie von "einer Schar von seltsamen Jüngerinnen" umgeben, wie der Schwiegerenkel Thomas Mann in einem Essay über sie schrieb.