ViLE-Seminar in Bad Urach vom 04. bis 8. März 2019

Vorträge am Vormittag wechselten mit Workshops am Nachmittag ab, eine bewährte Mischung der vergangenen Seminare in Bad Urach, aufgelockert durch Essens- und Kaffeepausen im schönen Ambiente des Hauses und einem freien Nachmittag am Mittwoch. Für die Hauptvorträge am Dienstag und Mittwoch konnten hochkarätige Vortragende gewonnen werden: Welf Schröter und Aytekin Celik. Die Abende waren reserviert für Interviewtechniken am Montag, einemVortrag von Celik am Dienstag und einen Vortrag über „Influencer“ am Donnerstag. Am Mittwochabend wurde aus der Arbeit von ViLE berichtet – als Ersatz für die zu spät angekündigte Mitgliederversammlung.
Vortrag:Welf Schröter „Wirtschaft, Forschung und Technik als Triebfeder der Digitalisierung“.Schröter ist Initiator, Mitbegründer und Leiter des Forum Soziale Technikgestaltung (seit 1991) undist Mitglied der Enquetekommission Multimedia des Landtages von Baden-Württemberg (1994/95). Bei der Gründung des ehrenamtlichen Personennetzwerks FST nahmen damals 120 Kolleginnen und Kollegen verschiedener Gewerkschaften teil. Inzwischen gehören dem Netzwerk ca. 4000 Leute an. Das FST will in moderierten Prozessen komplexes technisches Fachwissen in die Lebenswelt des arbeitenden Menschen „übersetzen“ und will umgekehrt erfahrungsgeprägte Gestaltungsanforderungen aus der Arbeitswelt selbstbewusst in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung hinübertragen. Wünsche, rechtsverbindlicheVollmacht an die Technik:DieTechnik wird durch autonome Softwaresysteme verändert, und ist z.B. mit 98% Trefferquote besser als die menschliche prädiktive Personenauswahl.
Vortragund Diskussion:Welf Schröter „Technologiefolgenabschätzung.Bis 1990 war die Arbeitswelt betriebsorientiert, inzwischen ist die Bindung an den Betrieb von 85% auf etwa 50% gesunken. Dieser Entkopplungsprozess wurde durch die Digitalisierung beschleunigt. Das Projektprinzip fördernicht das Erlernen der Sozialkompetenz. Es müssen öffentliche Orte geschaffen werden, wie Bibliotheken, Stadtteilarbeit, wie für Kitas, Straßenquartiere, kirchliche Gemeindearbeit, wo die Sozialkompetenz gefördert wird. Der Schutz der Privatheit ist ein Teil deDemokratie, Homeoffice sollte als Recht aber nicht Pflicht gelten, Tandemlösungen erfahrener und neuer Mitarbeiter. Alle Gebäude müssten Kabel haben, das Recht auf Internetanschluss als Basis der Lebensqualität, also Grundversorgung, nicht unbedingt WLAN, aber wenigstens KabelRecht auf Souveränität, z.B. zur Nutzung von Smartphone. Smartphoneim Besitz von Krankenkasse oder Versicherungen? Institutionen und staatlichen Einrichtungenmüssen zusätzlich online Zugang anbieten, auch mit Unterstützung.
Vortrag:AytekinCelik „Technologische Entwicklung und gesellschaftlicher Wandel“. Erstes Internet gab es 1968, Web 1 entstand 1991, seitdem gab es eine exponentielle Entwicklung. Web 5 ist 2019 die neueste Entwicklung: es kann Gedanken lesen, und mit Gedanken Auto steuern. Smartphoneentwicklung: Nokia war 2007 der größte Handyhersteller der Welt, dann kam iPhone ein Jahr und Nokia war weggefegt. DerWatson Computer ist zur Zeit der klügste Computer, z.Bim medizinischen Bereich. Im Algorithmus lernt die Maschine irgendwann zu unterscheiden.
KI (künstliche Intelligenz) ist in der Justiz sehr gut: Sie kennt die ganzen Gesetze, sie kann in einer Woche eine ganze Ordnerwand durcharbeiten. Wahl-Manipulationen. Praktisches Beispiel: „Precops“: dieses berechnet die Wahrscheinlichkeiten von Diebstählen, nach den Eingaben von der Polizei und von den Städten. Seitdem sind die Einbrüche um 35% zurückgegangen.
Vortrag:AytekinCelik „Zukunftswerkstatt zur Digitalisierung aller Lebensbereiche“.Algorithmische Profilerstellung, also die individuelle Erkennung z.B. von Gesicht, aber natürlich auch von allen persönlichen Merkmalen, wird in China genutzt. Auch in den USA arbeitet die Firma Acxiom in diese Richtung. Neueste Nachricht: 50 Millionen Profile von Facebook wurden geknackt: bei pseudopsycho-Tests haben sie auch die Profile der Freunde noch analysiert. Microtargeting: die von der Werbung angezeigten Dinge, die man immer gewünscht hat, werden dann ohne Aufforderung sofort angezeigt. Man kann auch Zielgruppen ausrechnen. Kognitive Verzerrung ist individuell, kann zur Erkennung des Individuums verwendet werden: das ist confirmation bias, was an die Schädelvermessung der Nationalsozialisten erinnert. Mustererkennung machen Abweichungen deutlich, können also Diskriminierung fördern oder entdecken. Im Übrigen: man kann die Stimmen nachbilden, Videos können gefälscht werden ohne große Vorkenntnisse und ist mit handelsüblichen Computer zu machen. Diese Fälschungen können nur mit KI entdeckt werden. Deshalb sind Datensammlung bei Unternehmen, aber auch bei Staaten kritisch.
Die Vorträge von Markus Marquard, Karl-Ulrich Templ und Lea Buchholz befassten sich mit Digitalisierungsgestaltung, Politik und sozialen Robotern.
Ein Anliegen vieler Teilnehmern früherer Seminare war es gewesen, wieder an einem Workshop zu moderner Interview-Technik teilzunehmen. Sehr erfolgreich war nun der Workshop mit Constantin Schnell: In wenigen Schritten, mit den wichtigsten Tipps und mit inzwischen relativ einfacher Technik wurden 5 Interviews angefertigt und präsentiert.
Resümee: Hervorragende Vorträge, interessante und engagierte Diskussionen, gute Atmosphäre und das wunderbare Ambiente des Hauses auf der Alb. Das Haus wird ab März 2020 umgebaut, und wird ca.9 Monate geschlossen sein.
 

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