Gedankenaussetzer
Wie wir
vergessen und erinnern. Ein erhellendes Buch
von Ellen Salverius-Krökel
Sie kennen das alle: … eben hatte ich es doch noch gewusst,
oder: ich habe den Namen auf der Zunge! Alles kein Problem, passiert
doch jedem, sagen Sie. Naja, und dass ich hin und wieder nach meinem
Passwort suchen muss, liegt doch nur an meiner mangelhaften
Organisation. Aber ist das wirklich so? Ist es so normal, wie es der
amerikanische Psychologe und Harvard-Professor Daniel L. Schacter uns in
seinem Buch „Aussetzer“ darlegt?
Vergessen!
Der Gelegenheiten gibt es viele, in denen wir über unser
„unvollständiges“ oder „unzuverlässiges“ Gedächtnis stolpern. Diese
Gedächtnislücken, falsche Erinnerungen gar - Nebenprodukte des Denkens,
nennt Schacter dies. Noch mehr, es sei das logische Ergebnis der
Evolution.
Im Klappentext des Buches heißt es: Viele Probleme
des Gedächtnisses sind unangenehme Begleiter des Alltags; Wissen ist
vergänglich, der Geist ist abwesend, irgendwas blockiert die Erinnerung,
falsche Zusammenhänge werden geknüpft, jemand kann uns die Erinnerung
einreden, Ereignisse werden im Nachhinein verfälscht, etwas Unangenehmes
drängt sich immer wieder nach vorn.
Das Gehirn verstehen
Doch was soll uns das helfen, wie können und sollen wir damit umgehen?
Zunächst einmal kann man nichts anderes, als damit leben. Und wir
sollten, so der Autor Schacter, wissen, warum diese Gedächtnislücken
überhaupt entstehen. Letztlich nämlich sind sie ein ganz natürliches
Nebenprodukt unseres Alltags. Wir sammeln Informationen, Ereignisse, die
unser Gehirn verarbeitet, und das Gehirn hat dann die Aufgabe, diese
Informationen in Form von Erinnerungen wieder herauszugeben. Dies macht
es am liebsten, wenn irgendwie Beziehungen zu unserer Gegenwart
hergestellt werden können. Je enger, je besser. Lücken entstehen, wenn
die Beziehung zu den alltäglichen Begebenheiten weniger deutlich
erscheinen.
Was ist wichtig?
Aber sind diese Dinge, die wir erinnern, immer auch wichtig? Alles
was wir erleben ist ja mitnichten so wichtig, als dass man sich damit
immer auseinandersetzen müsste. Und dann gibt es Ereignisse, die immens
sind, z.B. traumatische Erlenbisse. Sie werden denn auch langfristig im
Gedächtnis angelegt, da sie lebenserhaltend sein können. Andererseits
können sie aber auch bedrohlich sein, so dass sie verdrängt werden. Wir
das geschieht erläutert der Autor anschaulich an Hand verschiedener
Beispiele, Studien und Gerichtsprotokollen. Er erklärt sehr
verständlich, wie unser Gedächtnis funktioniert, wie es mit dem Erlebten
umgeht und wie die Informationen sortiert werden, um sie bei Bedarf
wieder verfügbar zu machen.
Wissenschaft verständlich
Wer sich schon jetzt von diesem Buch abwendet, tut Autor und Buch
unrecht. Es ist nämlich überaus verständlich geschrieben. Dabei verliert
der Autor nie seinen wissenschaftlichen Anspruch. Er macht sie mit
Anekdoten verdaulich, und da diese im Grunde allen geläufig sind, man
erinnere sich nur an die Gedächtnislücken des Bill Clinton, kann Leserin
und Leser gut folgen. Denn hier wird nicht quasi als eine Erholungsphase
Unterhaltendes geboten. Diese Beispiele werden immer zur Verdeutlichung
des Sachverhalts „Gedächtnisarbeit“ verwendet – und sie funktionieren.
Gedankenfehler
Aber da bleiben nun immer noch unsere Erinnerungslücken oder
Gedankenfehler. Was sollen wir nun damit anfangen? Denn bei aller
„Normalität“ und nunmehr Verständlichkeit, sind sie doch irgendwie auch
beunruhigend. Der Autor ist dann auch weit davon entfernt, es uns damit
leicht zu machen. Mit dem Verständnis der Arbeit unseres Gedächtnisses
ja, und wir lernen es auch in seinen vielfältigen Arbeits- und
Funktionsweisen kennen. Der Mensch, so Schacter, kann doch etwas
nachhelfen diese Gedankenfehler zu mindest zu erkennen. Nachdenken,
Erinnerungen kritisch hinterfragen, kann helfen, ihrem Gehalt an
Realität näher zu kommen. Und er weist auf mögliche
Manipulationsmöglichkeiten hin, die auch angewendet werden –
Suggestivfragen vor Gericht haben schon so manchen Zeugen beeinflusst.
Aber es geht auch einfacher – wenn wir einen Sachverhalt nur lang genug
wiederholen, lässt sich unser Gedächtnis ganz schnell überlisten.
Fazit
Ein gut lesbares, nicht nur für an der Thematik interessierte Leser.
Es gibt uns sehr gute Einblicke in die Funktionsweisen unseres
Gedächtnisses und gibt uns so manches zu bedenken. Denn Gedankenfehler
und Gedächtnislücken dürfen sein, haben aber auch Grenzen des
Erträglichen.
“Als genauem und zugleich poetischem Beobachter ist Schacter eine
originelle Synthese gelungen, die die aktuellen Forschungsergebnisse
zusammenfasst und ein ergreifendes Bild von der fragilen Macht des
Gedächtnisse zeichnet.“ So der Autor Oliver Sacks in seinem Urteil über
dieses Buches.
Titelnachweis.
Daniel L. Schacter
Aussetzer. Wie wir vergessen und uns erinnern
Bergisch Gladbach, 2005
ISBN 3785722060
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