Ausgabe Nr. 36                         Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung älterer Erwachsener
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Gedankenaussetzer
Wie wir vergessen und erinnern. Ein erhellendes Buch

                                                                    von Ellen Salverius-Krökel

Sie kennen das alle: … eben hatte ich es doch noch gewusst, oder: ich habe den Namen auf der Zunge! Alles kein Problem, passiert doch jedem, sagen Sie. Naja, und dass ich hin und wieder nach meinem Passwort suchen muss, liegt doch nur an meiner mangelhaften Organisation. Aber ist das wirklich so? Ist es so normal, wie es der amerikanische Psychologe und Harvard-Professor Daniel L. Schacter uns in seinem Buch „Aussetzer“ darlegt?

Vergessen!
Der Gelegenheiten gibt es viele, in denen wir über unser „unvollständiges“ oder „unzuverlässiges“ Gedächtnis stolpern. Diese Gedächtnislücken, falsche Erinnerungen gar - Nebenprodukte des Denkens, nennt Schacter dies. Noch mehr, es sei das logische Ergebnis der Evolution.
Im Klappentext des Buches heißt es: Viele Probleme des Gedächtnisses sind unangenehme Begleiter des Alltags; Wissen ist vergänglich, der Geist ist abwesend, irgendwas blockiert die Erinnerung, falsche Zusammenhänge werden geknüpft, jemand kann uns die Erinnerung einreden, Ereignisse werden im Nachhinein verfälscht, etwas Unangenehmes drängt sich immer wieder nach vorn.

Das Gehirn verstehen
Doch was soll uns das helfen, wie können und sollen wir damit umgehen? Zunächst einmal kann man nichts anderes, als damit leben. Und wir sollten, so der Autor Schacter, wissen, warum diese Gedächtnislücken überhaupt entstehen. Letztlich nämlich sind sie ein ganz natürliches Nebenprodukt unseres Alltags. Wir sammeln Informationen, Ereignisse, die unser Gehirn verarbeitet, und das Gehirn hat dann die Aufgabe, diese Informationen in Form von Erinnerungen wieder herauszugeben. Dies macht es am liebsten, wenn irgendwie Beziehungen zu unserer Gegenwart hergestellt werden können. Je enger, je besser. Lücken entstehen, wenn die Beziehung zu den alltäglichen Begebenheiten weniger deutlich erscheinen.

 Was ist wichtig?
Aber sind diese Dinge, die wir erinnern, immer auch wichtig? Alles was wir erleben ist ja mitnichten so wichtig, als dass man sich damit immer auseinandersetzen müsste. Und dann gibt es Ereignisse, die immens sind, z.B. traumatische Erlenbisse. Sie werden denn auch langfristig im Gedächtnis angelegt, da sie lebenserhaltend sein können. Andererseits können sie aber auch bedrohlich sein, so dass sie verdrängt werden. Wir das geschieht erläutert der Autor anschaulich an Hand verschiedener Beispiele, Studien und Gerichtsprotokollen. Er erklärt sehr verständlich, wie unser Gedächtnis funktioniert, wie es mit dem Erlebten umgeht und wie die Informationen sortiert werden, um sie bei Bedarf wieder verfügbar zu machen.

Wissenschaft verständlich
Wer sich schon jetzt von diesem Buch abwendet, tut Autor und Buch unrecht. Es ist nämlich überaus verständlich geschrieben. Dabei verliert der Autor nie seinen wissenschaftlichen Anspruch. Er macht sie mit Anekdoten verdaulich, und da diese im Grunde allen geläufig sind, man erinnere sich nur an die Gedächtnislücken des Bill Clinton, kann Leserin und Leser gut folgen. Denn hier wird nicht quasi als eine Erholungsphase Unterhaltendes geboten. Diese Beispiele werden immer zur Verdeutlichung des Sachverhalts „Gedächtnisarbeit“ verwendet – und sie funktionieren.

Gedankenfehler
Aber da bleiben nun immer noch unsere Erinnerungslücken oder Gedankenfehler. Was sollen wir nun damit anfangen? Denn bei aller „Normalität“ und nunmehr Verständlichkeit, sind sie doch irgendwie auch beunruhigend. Der Autor ist dann auch weit davon entfernt, es uns damit leicht zu machen. Mit dem Verständnis der Arbeit unseres Gedächtnisses ja, und wir lernen es auch in seinen vielfältigen Arbeits- und Funktionsweisen kennen. Der Mensch, so Schacter, kann doch etwas nachhelfen diese Gedankenfehler zu mindest zu erkennen. Nachdenken, Erinnerungen kritisch hinterfragen, kann helfen, ihrem Gehalt an Realität näher zu kommen. Und er weist auf mögliche Manipulationsmöglichkeiten hin, die auch angewendet werden – Suggestivfragen vor Gericht haben schon so manchen Zeugen beeinflusst. Aber es geht auch einfacher – wenn wir einen Sachverhalt nur lang genug wiederholen, lässt sich unser Gedächtnis ganz schnell überlisten.

Fazit
Ein gut lesbares, nicht nur für an der Thematik interessierte Leser. Es gibt uns sehr gute Einblicke in die Funktionsweisen unseres Gedächtnisses und gibt uns so manches zu bedenken. Denn Gedankenfehler und Gedächtnislücken dürfen sein, haben aber auch Grenzen des Erträglichen.
“Als genauem und zugleich poetischem Beobachter ist Schacter eine originelle Synthese gelungen, die die aktuellen Forschungsergebnisse zusammenfasst und ein ergreifendes Bild von der fragilen Macht des Gedächtnisse zeichnet.“ So der Autor Oliver Sacks in seinem Urteil über dieses Buches.

Titelnachweis.
Daniel L. Schacter
Aussetzer. Wie wir vergessen und uns erinnern
Bergisch Gladbach, 2005
ISBN 3785722060

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