Ausgabe Nr. 36                         Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung älterer Erwachsener
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Feldpostkarten
Sich erinnern, nicht vergessen!
                                                                    von Clemens Thelen

Historische Quelle

Feldpost 1916, an Füsilier R. Götz in Rastatt

Während des Zweiten Weltkrieges wurden allein auf deutscher Seite 30 bis 40 Milliarden Feldpost-Sendungen zwischen Heimat und Front versandt. Dennoch ist der Quellenbestand in bundesdeutschen Archiven und Sammlungen als marginal zu bezeichnen. Im Museum für Kommunikation in Berlin werden seit 2000 die Lebensdokumente gesammelt und aufbereitet, um sie Forschung, Publizistik und der Öffentlichkeit unter Wahrung des Datenschutzes zugänglich zu machen.


Ein Hobby

Feldpost 1916:
Das treue deutsche Herz
„Ein deutsches Herz, das musst Du wissen,
Ist treuer noch als Gold,
Wie könnt’s auch Dir die Treue brechen,
Wenn es gleichwohl gewollt!“

Eines meiner Hobbys ist das Sammeln von alten Feldpostkarten. Jahrelang habe ich danach gesucht, keine einzige gekauft, alle gesammelt. Bei Verwandten, Freunden und Bekannten war ich vornehmlich in den 60iger und 70iger Jahren vorstellig, um behutsam und vorsichtig nach gelaufenen Feldpostkarten zu fragen. Meine Sammlung ist nicht sehr umfangreich und weder katalogisiert noch digitalisiert. Wenn ich an kalten Winterabenden meinen Schuhkarton herausziehe, dann geht der Betrachter in die Schützengräben des ersten Weltkrieges, sieht „liebholde“ Botschaften der Besten von zu Hause, macht sich so seine Gedanken über Glorifizierungen und martialische Sprüche im 3. Reich. Manchmal sieht er sich etwas beschaulicher einfach neuere Feldpostkarten der Bundeswehr aus dem Kosovo oder Usbekistan an.


Schicksale

Feldpost 1916, Die Sonne sank im Westen

Alle Feldpostkarten sind echt gelaufen. Sie dokumentieren persönliche Schicksale, innigste Botschaften zwischen Mutter und Sohn, Braut und Bräutigam, Schwester und Bruder oder Freundin und Freund. Alle diese zentralen Botschaften, die z.T. quer durch Europa gelaufen sind, haben eines gemeinsam: es geht um die Erinnerung an den anderen, an gemeinsame Zeiten, an vornehmlich schöne Zeiten und die Hoffnung, dass alles wieder gut werden wird. Erinnerung und Hoffnung sind die zentralen Botschaften von Feldpostkarten. Freude und Leid teilen sich die Schreibenden gemeinsam, um es gemeinsam besser zu (er-) tragen.


Handschriften

Feldpost 1916, Wilhelm II. mit Widmung v.26.8.1914

Wenn ich auch etwas Mühe habe, alte deutsche Handschriften zu entziffern, es gelingt so einigermaßen und ich schreibe die Texte auf. Auf wenigen Karten kann ich den Fortgang eines persönlichen Schicksals teilweise verfolgen, andere sind nur kleine Lichtblitze einer Momentaufnahme im Schicksal zweier Menschen. Manchmal denke ich auch, wie es wohl dir ergangen wäre, wärst du dort im Schützengraben, weit weg von Familie und Freunden, ungewiss wann und ob überhaupt eine Rückkehr möglich ist? Täglich ein Kampf ums Überleben. Zu schweigen von den vielen Mühsalen, Qualen, Schmerzen und Leid, die jeder einzelne ertragen musste. Wenngleich es auch im Feld wohl schönere Tage gab?


Fragen

Feldpost 1915:
 Dem Liebsten ins Feld
„Will auch mein Herz verzagen,
Um Dich in Kampf und Schlacht,
Ein Wort aus deiner Feder
Mich wieder glücklich macht.“

Die Fragen nach dem WARUM? WESHALB? WOFÜR? WIESO? stehen im Raum. Ich kann sie nicht beantworten. Die Erinnerung an meine Eltern, beide verstorben, ist beim Betrachten der Feldpostkarten manchmal allgegenwärtig. Wie ist es ihnen im 2. Weltkrieg eigentlich ergangen? Wie war das 20. Jahrhundert? Aus der Sicht einer Feldpostkarte überwiegend schmerzlich, meine ich. Not und Leid im Felde und zu Hause überwog eindeutig so genannten lichteren oder auch „lieblicheren Momenten“. Die von der Obrigkeit gedruckten Botschaften auf Feldpostkarten drücken sehr häufig einen Durchhaltewillen aus. Häufig werden religiöse Schwüre zur utopischen Wunschvorstellung einiger Absender gemacht. Dachten die Menschen damals wirklich so überschwänglich, oder verbirgt sich in ihren Texten nicht doch etwas anderes?


Damals war

Feldpost 1916:
 Frei und unerschütterlich wachsen unsre Eichen
„Gott der Herr schenk uns den Sieg unterm Kreuzeszeichen;
Laß uns in der Liebe auch wanken nicht noch weichen.“        

Mit diesem Beitrag will ich helfen zu erinnern, denjenigen, die sich an Verwandte, Freunde, Partner in dieser Zeit erinnern wollen, und denjenigen, die nicht vergessen wollen. Die Jüngeren unter uns erinnern, wie es „damals war“, sofern man das aus diesen Blitzlichtern überhaupt nur ansatzweise zu erahnen vermag.  Denn aus keiner dieser Feldpostkarten geht hervor, wie oft unter welchen nervenaufreibenden Umständen z.B. eine (meine) Mutter, Mutter von damals 4 Kindern, mit Urkundenmappe unter dem Arm, 1 Kind auf dem Arm, 1 Kind am Arm und 2 Kinder dahinter,  jeweils 6 Stockwerke bis zu 5x in der Nacht bei Sirenengeheul die Treppen runter musste, um den Luftschutzbunker aufzusuchen, ihre Liebsten vor Gefahren zu schützen; meist in Todesangst! Dies war tagelang, ja wochenlang Alltag in Hamburg. Oder wie erging es der Familie eines (meines) Vaters, der auf einen Streich seine beiden Eltern und 7 seiner 10 Geschwister in einer Nacht durch Bombenhagel verloren hat, während er mit 2 Brüdern in Russland  war? Was haben diese und Millionen von anderen Menschen eigentlich durchgemacht? Können wir, die Nachkriegsgeneration, dies überhaupt vergessen? Wissen wir und unsere Kinder es überhaupt? Müssen wir es wissen? Oder wollen wir es einfach vergessen?


Eindrücke

Feldpost 1915, Rekruten vor Ausgang

Die kleine Auswahl von Feldpostkarten, die ich in diesem Beitrag verwende, sind nur beispielhaft für eine gewisse Zeit, Epoche oder auch Krieg. Das Sammelgebiet ist sehr viel umfangreicher, ich habe selbst noch keinen richtigen Überblick. Aber einen Eindruck habe ich schon. Den möchte ich dem Leser gerne vermitteln, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an diese Zeit oder die Erzählungen der älteren Generation. Auf Feldpostkarten sind Momentaufnahmen festgehalten. Die Geschichte dazu und seine Gedanken muss sich jeder selbst machen.


Anmerkung

Bundeswehr bei Mostar, 1996

Die kleinen Karton- und Papierdokumente wirken am besten im Original. Der Leser des LernCafe könnte sie am besten betrachten, wenn sie in Originalgröße hier in hoher Auflösung abgebildet würden. Das ist aus technischen Gründen leider nicht möglich. Daher wird man mit einem Kompromiss leben müssen. Die Platzierung der „Bilder“ und „Texte“ im Beitrag ist beispielhaft; sie dient lediglich dazu, den Text etwas zu erläutern helfen.

Feldpost 26.5.1940, Karta Pocztowa,
Deutsche Dienstpost Osten, Generalgouvernement

Die Qualität dieser Feldpostkarten ist überwiegend gut, sowohl die Ansichtsseite als auch die Textseite. An einigen Exemplaren hat jedoch der Zahn der Zeit genagt. Damit muss man leben, wo sind sie auch überall gewesen? Die kleinen Exponate sind Zeitzeugen einer z.T. schlimmen Geschichte nicht nur unseres Landes. Sie zu betrachten ist es wert und zu sammeln - wie ich meine - erst recht!

Die Original-Feldpostkarten sind Eigentum des Autors. Die Veröffentlichung einzelner Exemplare (in Bild und Text) im Rahmen der 36. Ausgabe des LernCafe wird hiermit genehmigt.


Links
Zum Thema Feldpostkarten gibt es eine Vielzahl von Links. Hier eine kleine Auswahl zum Stöbern auf offiziellen und privaten Websites:

http://www.feldpostsammlung.de/feldpost-d.html (Feldpost - Der Brief als historische Quelle -
Dialog zwischen Front und Heimat, Museum für Kommunikation Berlin)
http://de.wikipedia.org/wiki/Feldpost  (Wikipedia)
http://www.namibiana.de/index.cfm?action=ViewDetails&itemid=1295
(Buch: FPK Deutsch-Südwestafrika)
http://www2.ac-lille.fr/patrimoine-caac/Weltkrieg1418/DATA/01.htm
(„Mein liebes Muttchen!“ Datenbank mit Feldpostbriefen und Lebensläufen von Darmstädter Soldaten im Ersten Weltkrieg. Aus der Weltkriegssammlung des Stadtarchivs Darmstadt.)
http://www.deutsche-feldpost.com/ (Arbeitsgemeinschaft Deutsche Feldpost 1939-1945 e.V.)
http://feldpost.mzv.net/Fp-Briefe/fp-briefe.html (Feldpost aus Stalingrad)
http://home.pages.at/oswald/  (private Feldpostsammlung 1. WK)
http://www.bw-feldpost.de/
(Feldpost der Bundeswehr vom „Flinken Igel“ bis Afghanistan von Alfred Bulenz, priv. Website)

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