von Christa Grawert-Wagner
Das Anliegen von Joseph Weizenbaum, einer der
herausragenden Computerspezialisten: „Ich bin kein Computerkritiker...Nein, ich
bin Gesellschaftskritiker." Es ging ihm um die Rolle des Computers in unserer
Gesellschaft. Er reflektierte sie kritisch.
Militär als
Promoter
Wie Weizenbaum (1923 - 2008) stets betonte, ist der Computer ein Kind des
Militärs. Jeder Erfolg in der Computertechnik, beispielsweise, wenn Computer das
Sehen lernen, würde dies sofort vom Militär aufgegriffen „und in Waffen
eingebaut", wie in jüngster Zeit die mörderischen Anschläge unbemannter Drohnen
im Irakkrieg dokumentieren. Und vor allem stelle das Militär die immensen
Fördergelder bereit und bestimme, wo es lang gehe. Daher könne man den Computer
nicht wertfrei sehen, mit ihm zu arbeiten sei „keine wertfreie Entscheidung".
Weizenbaum war in den 1950er Jahren selbst an der Entwicklung eines Computers
beteiligt, mit dem die US Navy ein Raketen-Waffensystem testen wollte. Er war
ein Allround- Computergenie. In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts
entwickelte er das erste Computer-Banksystem bevor er seine wissenschaftliche
Laufbahn am Massachusetts Institute of
Technology (MIT) begann.
Mit ELIZA auf Du
Berühmt wurde Weizenbaum durch sein Programm ELIZA. Er hatte sprachliche Informationsverarbeitung
anhand einer simulierten Therapiesituation demonstrieren wollen. Was der
Wissenschaftler als Versuch ansah, das geriet, wie er erzählt, außer
Kontrolle. Es sei ein sehr kleines
Programm gewesen. Was ihn aber bestürzt habe, das sei die emotionale Bindung
gewesen, die die Benutzer des Programms zum Computer aufgebaut hätten. Selbst
seine Sekretärin, die die Entwicklung des Programms Schritt für Schritt erlebt
habe, habe mit dem „Partner" ELIZA Dialoge geführt. Als er einmal in das Zimmer
gekommen sei als sie das Programm auf dem Bildschirm hatte, habe die Sekretärin
ihn gebeten, das Zimmer zu verlassen. Sie habe mit dem Computer auf Du und Du
gesprochen. Die amerikanischen Psychiater hätten überlegt, ob sie das Programm
für ihre Patienten nutzen können.
Reale Welt verzerrt
Sein immer wiederholtes Credo: „ Er (der Computer) ist nicht bloß ein Werkzeug,
er ist nicht wertfrei, und daran zu arbeiten, ist keine wertfreie
Entscheidung." Und an die „Konsumenten": Weizenbaum beklagt den Verlust der
eigenen kritischen Distanz. Es bestehe heute eine Armut hinsichtlich der
eigenen Erfahrungsmöglichkeiten. Der Mensch mit seinem Computer (Kamera/Video) beispielsweise speichere auf Reisen Bilder,
mache Filme. Dabei könne doch unmöglich das bereiste Land selbst „erfahren"
werden, so seine Einlassung. Entsprechend schärfer geht Weizenbaum mit den
Medien um. Er benutze das Wort "mediation" im Sinne von „dazwischen kommen".
Seiner Meinung nach ist die Welt, die die Medien uns zeigen, „viel weniger
echt, viel weniger real, als manche Gemälde".
Kritische Reflexion
Man solle nicht nur wahrnehmen, was gesagt werde, sondern man solle auch
wirklich zuhören. Das sei die erste Stufe zur kritischen Reflexion. Die
zweite bestehe darin, „kritisch lesen zu
können". Im Grunde nutzten nicht nur die Medien, auch die Politiker das
Trägheitspotential der Menschen. „Sie
(die Menschen) lassen sich gern belügen, ohne zum Beispiel die Aussagen der jeweiligen
Regierung zu überprüfen". Besonders kritisch sah Weizenbaum den Einsatz von
Computern in der Schule. Die eigentliche Problematik in der Schule werde
verdrängt. Leider werde der Computer von Anfang an als Lösung gesehen. Das sei
ein Prozess unserer Gesellschaft: „Die Problematik wird erst einmal technisiert."
Edutainment über alles
Wie konnte es sein, dass das Land der Dichter und Denker „ein kultureller
Trümmerhaufen" geworden ist? Für den Wissenschaftler ist klar: „Lernen und
Lehren haben in der deutschen Gesellschaft ihren Wert verloren." Ersetzt worden
seien diese Werte durch Edutainment, Konsum, Spaß und endlose Gier. Ohne
größere Proteste hätten Fernsehen und Computer die soziale und kulturelle
Erziehung der Kinder übernommen. Diese Verantwortung zur Erziehung hätten die
Eltern längst abgegeben. Die Abgabe der Entscheidungskompetenz sieht der
Wissenschaftler begründet in der Faulheit des Denkens, die seiner Meinung nach
eine moralische Faulheit ist. Das zeige sich exemplarisch in den schockierenden
Ergebnissen der Pisa-Studie. Weizenbaums Standpunkt: „Bildschirme (Fernsehen und Computer)
verstärken einander im Prozess, Apfelmus aus den Gehirnen unserer Kinder zu
machen."
Zivilcourage gefragt
Mit Zahlen und Maschinen hatte der Weizenbaum sein Leben lang zu tun. Gerade
deshalb wohl wurde er nicht müde, mehr Zivilcourage einzufordern. Er hatte
stets auf die Abhängigkeit der Menschen von Maschinen hingewiesen und auf die
seiner Meinung nach bedenklichen Entwicklungen hingewiesen.
Weizenbaum wurde 1923 als Deutscher jüdischen Glaubens in Berlin geboren. Seine
Familie emigrierte im Jahre 1936 in die USA. Er starb nach einer
Krebserkrankung/ Schlaganfall 2008 im Alter von 85 Jahren in Berlin.
Links
Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom? Auswege aus der
programmierten Gesellschaft, Verlag Herder Freiburg im Breisgau, 2006;
hier Lizenzausgabe (Inseln der Vernunft im Cyberstrom) für die Bundeszentrale
für politische Bildung 2006
www.heise.de/newsticker/meldung/print/104672
www.freitag.de/2006/39/06390301.php
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