von Erna Subklew
Wenn Menschen bedeutende Abschnitte ihres Lebens beenden und einen neuen Abschnitt beginnen, bilden sich an den Übergangsstellen Rituale. V.Gennep nennt sie „rites de passage". Heiraten ist eine dieser Übergangsstellen.
Eheschließung
Die Eheschließung ist der vor Zeugen öffentlich bekundete Beginn einer Ehe. Je nachdem, aus welchem Kulturkreis die Hochzeiter kommen, besteht die Hochzeit aus einer kurzen Zeremonie, mit wenigen Ritualen oder dauert mehrere Tage und beinhaltet dementsprechend eine Reihe von Ritualen. Viele dieser Rituale reichen bis weit in die Vergangenheit zurück.
Hochzeiten unterscheiden sich nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch innerhalb des gleichen Kulturkreises, je nachdem, welcher sozialen Schicht die Hochzeiter angehören und ob sie auf dem Dorf oder in der Stadt leben.
Brautsuche
Viele Rituale, die in anderen Kulturen noch lebendig sind, hat es früher bei uns auch gegeben. Sie sind im Laufe der Zeit verschwunden. Zwar findet im Augenblick eine Renaissance der Rituale statt, eines jedoch wird sich sicherlich kaum mehr ändern, dass die Ehepartner wieder von den Eltern ausgesucht werden. Wenn wir aber ungefähr 100 - 150 Jahre zurückgehen, werden wir sehen, dass auch in den deutschen Ländern Ehen aus ökonomischen oder „machtpolitischen“ Gründen geschlossen wurden. Manche Bauerntochter und mancher Bauernsohn wurden so verheiratet. Und man kann nicht sagen, dass diese Ehen immer unglücklich waren. Vielleicht gab es auch deswegen weniger Scheidungen, weil Liebe vergeht, aber Achtung bestehen bleibt.
Arrangierte Ehen
Arrangierte türkische Ehen sind nicht unbedingt unglücklich. Auch heute ist es oft noch so, dass der Vater des Mannes sich nach einer Frau für seinen Sohn umsieht. Manchmal werden Kinder einander schon in der Wiege versprochen. Gern sucht man sich Familien aus, in denen es heiratsfähige Geschwisterpaare gibt. Auch Cousin und Cousine werden oft miteinander verheiratet. So bleibt alles in der Familie. Auf dem Dorf ist es wichtig, die Frau so auszuwählen, dass man neben einer guten Arbeitskraft auch die Unterstützung ihrer Angehörigen erhält, sei es in politischen oder persönlichen Angelegenheiten. Familien mit Töchtern gehen in der Regel nicht auf Bräutigamssuche. Das ist nur der Fall, wenn die Braut einen „Makel“ hat und die Verheiratung durch ein besonders gutes Angebot schmackhaft gemacht werden muss, zum Beispiel die Einreise nach Deutschland.
Ziel jedes Moslems und jeder Muslima ist es, noch immer, zu heiraten. Singles gelten nicht viel. Das Mädchen braucht in der Regel aber nicht jeden Freier zu akzeptieren.
Die Verlobung
Bei uns ist die Verlobung fast völlig aus der Mode gekommen. Die zukünftigen Ehepartner kennen sich für gewöhnlich schon sehr gut, ehe sie heiraten. In vielen Fällen wohnen sie bereits zusammen. Für junge Menschen in der Türkei ist die Verlobungszeit aber durchaus sinnvoll. Sie bedeutet, dass man sich besser kennen lernen kann. Jetzt dürfen die jungen Leute sich und ihre Familien besuchen, auch schon einmal gemeinsam ausgehen.
Die Zeit wird aber auch genutzt, um Erkundigungen über die andere Familie einzuziehen, um die ökonomischen Dinge zu klären. Das kann sein, welche Mitgift die Tochter bekommt und welches „başlık“ Brautgeld die Familie des Bräutigams zu zahlen hat und anderes. Das Brautgeld ist nicht dazu da, um die Braut zu „kaufen“, sondern um ihr eine finanzielle Sicherheit im Falle der Scheidung zu geben. Sind diese Dinge geklärt, wird das erste gemeinsame Fest gefeiert.
Vor der Trauung
Wenn der Hochzeitstermin naht, gibt es viel zu tun. Auf dem Land beteiligt sich oft das ganze Dorf daran, das Fest auszurichten. Man spendet Holz oder Nahrungsmittel, hilft bei den Arbeiten. Bevorzugte Heiratszeit ist der Herbst, denn dann hat man Geld und die Frau ist, falls sie schwanger wird, bei der nächsten Ernte wieder einsatzfähig.
Voller Aktivitäten sind die Tage vor der Trauung. Die Männer feiern so etwas Ähnliches wie den Junggesellenabschied. Die Frauen der Hochzeiterfamilien gehen gemeinsam ins Hamam, das türkische Dampfbad. Eine gute Gelegenheit für die Mütter, sich zukünftige Schwiegertöchter anzuschauen. Nach dem gemeinsamen Bad wird die Hennanacht gefeiert. Die Braut wird in die Hochzeitskleider gehüllt, die Handinnenflächen werden mit Henna gefärbt, und die Freundinnen tanzen um die Braut herum und singen. Am Ende werden traurige Lieder gesungen, um die Braut zum Weinen zu bringen. Sie verlässt ja schließlich ihre Familie und wird Angehörige der Familie ihres Mannes.
Die Trauung
In der Stadt wird die bevorstehende Hochzeit, ähnlich wie in Deutschland, schriftlich und mündlich, selten durch eine Anzeige in der Zeitung angekündigt. Auf den türkischen Dörfern gehen die Hochzeitslader oder Hochzeitsladerinnen herum. Oftmals verteilen sie dabei an die Geladenen kleine Geschenke oder Kerzen. Dabei wird auch eine Kerze dem Imam gegeben, der sie in der Moschee aufstellt. Die Bräuche sind regional verschieden.
Ob die standesamtliche Trauung oder die religiöse zuerst vollzogen wird, spielt keine Rolle. Die Zeremonie an sich ist sehr kurz. Hier wie dort wird nach dem Einverständnis der sich Ehelichenden gefragt und nach der Zahlung des Brautgeldes, diese Zahlung muss vom Vater oder den Zeugen bestätigt werden. Den Unterschied bei der religiösen Trauung und der standesamtlichen bildet allein die Sure, die bei dieser Gelegenheit vom Geistlichen oder jemandem, der dazu fähig ist, gesprochen wird.
Die Feier
Auf dem Dorf dauert, je nach Gegend, das Fest drei oder fünf Tage. Im Dorf wird es auf dem Dorfplatz oder einem Saal gefeiert, wobei die Feier natürlich durch die täglich anfallenden Arbeiten unterbrochen wird. In der Stadt ist die Feier kürzer, da man in einem angemieteten Saal feiert. Ob Dorf oder Stadt, die Zahl der Geladenen ist in der Regel sehr hoch. Braut und Bräutigam bekommen von den Gästen Geldscheine angeheftet, die Braut bekommt zusätzlich auch noch Schmuck. Nach dem guten Essen werden die alten Tänze getanzt. Es sind Volkstänze, die alle einen bestimmten Namen haben. Männer und Frauen tanzen meist getrennt, manchmal auch zusammen, aber nicht als Paar. In der Regel spielen die Musikanten auch auf typisch türkischen Instrumenten: Zurna, Saz und Trommel.
Nach der Feier
Nach der Feier ist zwar das Fest zu Ende, nicht aber die Hochzeit. Ob heute den Gästen noch als Vollzug der Ehe das blutige Laken gezeigt wird, weiß ich nicht. Dass die Jungfräulichkeit der Braut aber immer noch einen sehr hohen Stellenwert hat, ist sicher. Nicht ohne Grund gingen sonst manche Bräute vor der Hochzeit zum Arzt. Für das junge Paar steht jetzt der Umzug der Braut zu den Schwiegereltern oder in die eigene Wohnung an. Die Familie des Bräutigams hat nun ein Mitglied mehr - und hoffentlich nach neun Monaten ein zweites.
Links:
http://www.univie.ac.at/ksa/cometh/glossar/heirat/eb.htm
http://www.podcast.de/episode/595044/
Muslimische_Hochzeitsrituale_erkl%C3%A4rt_-_01.02.2008,_11:07
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