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Eide als Versprechen für die Zukunft
                                     von Lore Wagener

In jungen Jahren habe auch ich geschworen, stand mit erhobener Hand im Raum meines Amtsvorstehers und rezitierte die Worte des Diensteids der Bundesbeamten. Darüber gab es ein Protokoll, von mir und meinem Chef unterschrieben. Ich denke, es liegt noch heute in meinen Personalakten.

Der Diensteid der Bundesbeamten

Was da geschehen war, erfüllte alle Merkmale eines klassischen Eid-Rituals. Es gab die gesprochene vorgegebene Eidesformel, die rituell vorgeschriebene Körperhaltung mit der erhobenen Schwurhand, die Bestätigung durch einen Zeugen und schließlich die religiöse Beteuerungsformel, mit der eine überirdische Macht als Eideshelfer angerufen wurde.
Ein solcher Diensteid ist für alle deutschen Beamten, auch für die Beamten der Länder und anderer Körperschaften sowie für die Richter Pflicht. Sie werden im Wesentlichen auf die geltenden Gesetze und die gewissenhafte Pflichterfüllung eingeschworen. Die religiöse Beteuerungsformel ist nicht zwingend vorgeschrieben. Sollte ein Beamter den Eid verweigern, muss er wieder entlassen werden. Verletzt er später seine dienstlichen Pflichten, so hat das disziplinarrechtliche Folgen.
 
Die Bedeutung des Eides
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Heiligenkreuz Schwurhand, Wikimedia, Helmuth Furch


Mit einem Eid fordert der Dienstherr von seinen Beamten ein Treueversprechen für die Zukunft, bei dem ihm eine einfache Aussage nicht genügt. Er will mit dem Mittel des Rituals die Verbindlichkeit erhöhen. Mit einem Eid verpflichtet sich der Beamte zur Wahrheit. Und aus Wahrheit sollen Treue, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Berechenbarkeit folgen, wesentliche Merkmale für das Funktionieren einer Staatsverwaltung.
Nach Prof. Dr. Walter Burkert (Link unten) ist der Eid ein schon lange existierendes Phänomen, in dem das Ritual neben der Wortsprache auch heute noch wirkt. Der Eid verdankt sein Dasein der Unzulänglichkeit der Sprache, denn deren Schwäche ist die Möglichkeit der Lüge. Diese soll durch den Einsatz von Zeugen - auch überirdischen - und / oder durch rituelle Veranstaltungen, die oft als „unauslöschliches Siegel“ den Vorgang begleiten, verhindert werden.
 
Der militärische Eid
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Bundeswehr Gelöbnis, Quelle Bundeswehr, Michael Mandt


Besonders stark war der Wunsch, sich der Treue der Gefolgsleute zu versichern, bei den Kriegsherren aller Völker und Zeiten. Der Treueid gehörte bereits zur  germanischen Rechtskultur. Dort verlangte das Ritual die Berührung eines Gegenstandes, bei dem geschworen wurde. Erst dadurch sollte der Zauber des Eides erzeugt und die Verbindung mit den überirdischen Eidmächten hergestellt werden. Dieser Brauch zeigt sich heute noch in vielen Armeen mit dem Schwur auf Waffe oder Fahne.
Auch die deutschen Soldaten werden vereidigt. Die Bundeswehr ist bemüht, die Vereidigungen und „feierlichen Gelöbnisse“ feierlich zu gestalten. Die Zeit- und Berufssoldaten schwören ihren Eid nach dem Soldatengesetz, während die Wehrpflichtigen „geloben“, „das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Bei Pflichtverletzungen greift die Wehrdisziplinarordnung. Eigene Wehrgerichte hat die Bundeswehr nicht.

Der Vasalleneid
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Lehnseid, Quelle: Das Lehnswesen im MA, Prof. Stefan Grathoff
 

Eine besondere Art des Treueides war der mittelalterliche Vasalleneid, auf dem damals die politisch-ökonomischen Strukturen beruhten. Er war kein Akt der Unterordnung, sondern eher eine Art gegenseitigen Vertrags zwischen Lehnsherrn und Vasallen. Dem obersten Lehnsherrn, dem König oder  Kaiser, gehörte das Land, und er vergab Teile davon als Lehen an seine Kronvasallen. Diese konnten wiederum Lehen an Untervasallen und weitere Vasallen vergeben.
Zur Begründung eines Lehens gehörte der so genannte Handgang: Der Lehnsmann legte seine gefalteten Hände in die Hände des Lehnsherrn, die dieser umschloss. Damit begab der Vasall sich in den Schutz seines Lehnsherrn, ohne jedoch unfrei zu werden. Dieser Akt wurde durch einen Treueid des Vasallen ergänzt, der dem Lehnsherrn Treue und Dienstleistungen zusicherte sowie die Folgen bei Treuebruch bedachte.

 
Amtseid des Staatsoberhauptes
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Vereidigung Dr. Köhler 2004, Quelle: Der Bundespräsident


Die Amtseide der heutigen Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder sind ebenfalls eine Art „Vertrag“, diesmal zwischen den Amtsinhabern und dem Volk. Vorbild war eine entsprechende Praxis im antiken Griechenland. Der Amtseid ist heutzutage in den meisten Staaten in der Verfassung vorgeschrieben, zum Beispiel für die Präsidenten der USA und Russlands. Zu seiner Amtseinführung leistet aber auch der König von Spanien einen Amtseid, der insbesondere die Achtung der Bürgerrechte und der dortigen Autonomen Gemeinschaften beinhaltet.
In Deutschland leistet der Bundespräsident seinen Amtseid in einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat. Er schwört unter anderem, dass er seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, dessen Nutzen mehren und Schaden von ihm wenden wolle. Verweigerte er den Amtseid, wäre dies eine Verfassungsverletzung.

Der Eid des Hippokrates
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Äsculapstab, Wikipedia gemeinfrei


Es gibt auch Berufsstände, die in den öffentlichen Raum wirken und daher für die Bürger besonders wichtig sind. Als Beispiel sei hier der oft zitierte Eid des Hippokrates genannt. Diesen Eid ersetzte der Weltärztebund nach den Nürnberger Ärzteprozessen 1948 durch seine Genfer Deklaration, auch „Genfer Gelöbnis“ genannt. Dessen modifizierter Text ist heute Bestandteil der „Berufsordnung für die deutschen Ärzte“ und damit auch ohne Ritual verbindlich. Über seine Einhaltung wachen die Ärztekammern; bei Zuwiderhandlungen sind die ärztlichen Berufsgerichte zuständig. Das Genfer Gelöbnis übernimmt wichtige Elemente aus dem alten Eid, die auch heute noch Bestandteil ärztlicher Ethik sind (Kranken nicht zu schaden, Schweigepflicht). Andere Elemente sind überholt und wurden überarbeitet. Man findet den Text des alten Eides im Netz, ein Link steht in der Linkliste.
 
Die religiöse Beteuerungsformel
Der Eid des Hippokrates beginnt mit: „Ich schwöre und rufe Apollon, den Arzt, und Asklepios und … zu Zeugen an“, die Germanen schworen auf „Thor“ und die Beamtin beteuerte „so wahr mir Gott helfe“ Dieser Gottesbezug wurde im 17. Jahrhundert von John Locke, dem britischen Philosophen der Aufklärung, ausdrücklich bestätigt: "Diejenigen, die die Existenz der Gottheit leugnen, haben nicht den geringsten Anspruch auf Toleranz. Versprechen, Abmachungen und Eide, die der Zusammenhalt der menschlichen Gesellschaft sind, können keinen Zugriff auf einen Atheisten haben." (Zitat Burkert) In den modernen Staaten ist es aber heute im Zeichen der religiösen Toleranz grundsätzlich erlaubt, den Gottesbezug wegzulassen und so ohne überirdischen Eideshelfer zu geloben, wobei hier der juristische Begriff „Eid“ bestehen bleibt.

Die Selbstverfluchung
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Das jüngste Gericht, Ausschnitt, Quelle Wikipedia, Rogier van der Weyden
 

Mit dem Gottesbezug war in früheren Zeiten aber nicht nur die Erwartung von Beistand verbunden, sondern auch die Drohung, dass sich die höhere Macht bei Eidbruch oder Meineid rächen werde. Deshalb arteten manche Eidesformeln in Selbstverfluchung aus. Auch der hippokratische Eid enthält eine derartige Formel: „Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.“ Prof. Dr. Burkert zählt in seinem Vortrag weitaus drastischere Drohungen auf, die dem Vereidigten besonders bei Gerichtsverfahren vor Augen geführt wurden. Die Eide bei Gericht, die so genannten Nach-Eide, die in die Vergangenheit zielen und der Wahrheitsfindung dienen, werden in unserem Journal in dem Beitrag „Rituale bei Gericht“ behandelt, während hier einige der promissorischen Eide (Vor-Eide) betrachtet wurden.

Eide braucht man überall
Man kann noch viele weitere Anlässe aufzählen, bei denen Eide geschworen wurden und heute noch werden. Prof. Dr. Burkert schreibt: „Und Eide brauchte man beständig und auf allen Ebenen, in der Wirtschaft und im Rechtsverfahren, im privaten und im öffentlichen Leben und im internationalen Verkehr“.
Eine interessante Ausstellung über mittelalterliche Rituale im öffentlichen Raum wird es übrigens von September 2008 bis Januar 2009 in Magdeburg geben (siehe Linkliste). Sie trägt den Titel „Spektakel der Macht“.
Eide sind aber keineswegs nur Relikte aus grauer Vorzeit. Sie sind auch heute noch aktuell. Das zeigt die lebhafte Diskussion um die Änderungen im Staatsangehörigkeitsgesetz der Großen Koalition. Mit dem Gesetzentwurf ist sogar eine neue Eidesformel kreiert worden, mit der Immigranten vor dem feierlichen Überreichen der Einbürgerungsurkunde künftig auf unser Grundgesetz vereidigt werden sollen. Ein Link zum Gesetzentwurf des Bundesrates steht in der Linkliste.

Linkliste
http://www.uni-heidelberg.de/presse/news/2211burkert.html
Prof. Dr. Walter Burkert „Ritual zwischen Ethologie und Postmoderne“

http://www.friedenskooperative.de/ff/ff05/6-65.htm
Prof. Manfred Messerschmidt: Gelöbnis und Demokratie

http://brydesworld.fateback.com/magate/ma_texte/lehnswesen.html
Prof. Dr. Stefan Grathoff „Das Lehnswesen im Mittelalter“

http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak5/igm/g47/bauerhip.htm

Prof. Dr. Axel Bauer „Der hippokratische Eid“

http://www.spektakeldermacht.de/

„Spektakel der Macht in Europa“ Ausstellung in Magdeburg vom 21.09.2008 bis 04.01.2009

http://www.umwelt-online.de/cgi-bin/parser/Drucksachen/drucknews.cgi?texte=0067_2D05B
Gesetzentwurf des Bundesrates über Eidesleistung bei Einbürgerung

Anmerkung
Näheres zur Magdeburger Ausstellung „Spektakel der Macht" berichtet Renate Breiter in dieser LernCafe-Ausgabe.

 

 
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