Was der Wahrheitsfindung dient |
von Anne Pöttgen Vor dem Portal eines Oberlandesgerichts stehen, die endlosen Treppenfluchten hochsteigen – wie beklommen muss es einem Täter ums Herz sein, der seinem Richter gegenübertreten soll. Das war vor tausend Jahren nicht anders. Geschichtlicher Überblick Die Geschichte des deutschen Rechts wird in verschiedene Epochen mit jeweils charakteristischen Rechtsstrukturen eingeteilt: Germanische Epoche von 100 v. Chr. bis 500 n. Chr. Merowingerzeit 500 bis 750 Karolingerzeit 750 bis 900 Hochmittelalter 900 bis 1200 Spätmittelalter 1200 bis 1500 Neuzeit (entnommen aus lexexakt.de, Link im letzten Abschnitt) Über die Rituale und den Ablauf der Verhandlungen während der Epoche bis 500 n. Chr. ist wenig Präzises bekannt. Es gab zunächst nur mündliche Überlieferungen, die erst in der nächsten Epoche in lateinischer Sprache aufgezeichnet wurden. Aus dem Recht der Volksstämme wurde im Mittelalter das Deutsche Recht, das Landrecht, das für bestimmte Territorien, die Gaue, galt. Ein Beispiel für eine Gerichtsverhandlung nach dem Landrecht wird im nächsten Abschnitt geschildert. Das Gaumal zu Marienfels Das Gaumal, die Gerichtsversammlung, soll in der Nähe eines heiligen Hains stattgefunden haben, „damit das Gefühl der gegenwärtigen Gottheit jeden Anwesenden durchschaure und zur Gewissenhaftigkeit treibe“. Drei- oder viermal im Jahr fanden an Tagen, die nach dem Mondstande bestimmt wurden, die Versammlungen der Gaueingesessenen statt. “Das Gericht wurde unter freiem Himmel gehegt, d.h., der Gerichtshof wurde mit roten Seilen eingefriedet. Auf Steinbänken um einen Steintisch saßen der Graf und die Schöffen. Der Graf war angetan mit einem Mantel und einem Stab in der Hand, beides Zeichen seiner Gewalt. Die Rechtshandlung war einfach: Klage, Verteidigung, Urteilsspruch nach Beratung der Schöffen, den die freien Männer durch Zuruf oder Schildanschlagen bestätigten." Da jedermann den Tag des Dings wusste und ebenso, dass er sich dabei einzufinden hatte, so wurden diese Versammlungen die „Ungebotenen Dinge“ (Unbot dinc), auch „echte Dinge“ genannt“ (siehe Link im letzten Abschnitt). Akkusationsverfahren Im germanischen Recht galt bis etwa zum Jahr 1200 das Akkusationsverfahren. Der Kläger brachte seine Klage vor. Das, was wir heute die Beweisaufnahme nennen, erfolgte über Eide, den Reinigungseid des Angeklagten oder die der Eideshelfer. Diese standen für den Leumund des Angeklagten gerade. Man war zu dieser Zeit der Ansicht, dass höhere Mächte im Falle eines Meineidsversuches sofort eingreifen und den Eid misslingen lassen würden. Schon ein Versprechen oder Verhaspeln beim Sprechen der Eidesformel galt als Schuldbekenntnis. Für reiche und mächtige Angeklagte war es leicht, genügend Eideshelfer aufzubieten, die ihre Unschuld bezeugten. Lediglich für denjenigen, der in flagranti, „bei handhafter Tat“ betroffen wurde, gab es kein Entkommen. In dem Fall sprach der Kläger den Anklageeid, der den Angeklagten schuldig sprach. Aber auch dieser Eid musste fehlerfrei gelingen. Das Akkusationsverfahren funktionierte nach dem Grundsatz: “Wo kein Kläger, da kein Richter“. Die Gottesurteile Konnte ein Angeklagter seine Unschuld weder durch den Reinigungseid noch durch Eideshelfer beweisen, so konnte er versuchen, durch ein Gottesurteil, das Ordal, zu seinem Recht zu kommen. Die Eisenprobe: Der Angeklagte musste ein glühendes Eisen auf bloßen Händen tragen, zeigten sich Brandblasen an den Händen, war er schuldig. Die Bahrprobe: Bei dieser Probe wurde der Angeklagte vor den Leichnam des Opfers geführt, zeigte dieser keine Reaktionen, war der Beschuldigte unschuldig. Gerichtlicher Zweikampf: Beim Zweikampf gewann der den Prozess, der den Kampf gewann. Die Gottesurteile wurden im Jahre 1215 unter Papst Innozenz III. verboten. Die Rechtsordnung wandelte sich. Der Sachsenspiegel Der Beruf des Richters war im Mittelalter unbekannt, ebenso gab es keine Gesetze. Recht gesprochen wurde in erster Linie durch den Grafen eines Gebietes, es gab Landes- und Ortsrecht. Auch der Sachsenspiegel war kein Gesetzbuch. Sein Verfasser ist Eike von Repgow, der selbst wahrscheinlich das Schöffenamt ausübte. Er hat das Gewohnheitsrecht des Sachsenlandes schriftlich fixiert. Dieses Rechtsbuch entstand in den Jahren 1220 bis 1235 zunächst in lateinischer und später in deutscher Sprache. Es gliederte sich in Vorreden, Landrecht und Lehnsrecht. Der Sachsenspiegel erlangte Vorbildfunktion für zahlreiche weitere Rechtsbücher in Deutschland. Preußen ersetzte ihn erst 1794 durch das Allgemeine Landrecht und in Anhalt und Thüringen wurde er erst 1900 durch das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich abgelöst. Klage- und Rügegericht Volkmannrode Ein Beispiel für eine Gerichtsverhandlung auf dem Lande schildert das Harzer Saalbuch. Der Ort Volkmannrode war im vierzehnten Jahrhundert wüst gefallen. Trotzdem hielten die Besitzer der Äcker und Wälder weiterhin Gericht nahe den Resten der alten Dorfkirche. Das Harzer Saalbuch von 1608 beschreibt die Durchführung der Gerichtstage, die seit Jahrhunderten gleich geblieben war. “Begleitet von 4 Harzgeröder Bürgern der Schützengilde mit ihrem besten Gewehr erschienen der Richter, ein Schöffe, ein Gerichtsschreiber und ein Gerichtsdiener des Justizamtes Harzgerode. Durch Salutschüsse gegen zehn Uhr wurden die Verhandlungen begonnen. Behandelt wurden Grenzstreitigkeiten, Jagd- und Forstfrevel. Verhandelt wurde nach den jeweiligen Landesgesetzen.“ Es war sozusagen das Amtsgericht von heute. Schwere Vergehen und Verbrechen wurden an den Grafen überwiesen. Je zwei Familien wurden von der Teilnahme befreit, sie hatten das hohe Gericht mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Das Inquisitionsverfahren Das Verfahren des Klage- und Rügegerichts wurde nach dem Inquisitionsverfahren abgewickelt. Im Gegensatz zum bisher ausgeübten Akkusationsverfahren (wo kein Kläger, da kein Richter) ist das Inquisitionsverfahren ein Offizialverfahren: Staat oder Kirche werden von sich aus gegen Verdächtige tätig, sozusagen von Amtswegen. Dieses Verfahren wurde im dreizehnten Jahrhundert von Kaiser Friedrich II. im weltlichen Bereich, von Papst Innozenz III. im kirchlichen Bereich eingeführt. Vorbild war das antike römische Recht. Die päpstliche Inquisition Berüchtigt ist das kirchliche Inquisitionsverfahren gegen die Ketzer. Nach der Ankunft der Inquisitoren an Orten, aus denen Ketzerei gemeldet worden war, erfolgte zunächst eine „Ketzerpredigt“, daran schlossen sich eine Voruntersuchung und dann der eigentliche Prozess an. In der Ketzerpredigt wurden die Strafen verkündet, die die Ketzer zu erwarten hatten. Es wurden Fristen genannt, während denen sich die Ketzer selbst anzeigen konnten, die sogenannte Zeit der Gnade. Das war die Zeit der Voruntersuchung, in der auch Denunzianten gehört wurden. Im eigentlichen Ketzerprozess, der Inquisitio Specialis, mussten alle Beteiligten schwören, die Wahrheit zu sagen. Das Hauptziel des Verfahrens war das Geständnis der Beschuldigten. Kerkerhaft und Essensentzug sollten es beschleunigen. Bereits ab 1254 war offiziell die Folter zugelassen, um das Geständnis zu erreichen. Die Öffentlichkeit war in diesem neuen Verfahren nicht zugelassen, sie hatte erst zur Urteilsverkündigung Zugang. So sieht es heute aus Auch die heutige Justiz weiß sehr gut, wie sie eine Stimmung erzeugen kann, in der der Angeklagte bereit ist zu Geständnissen und der Zeuge zu wahrheitsgemäßer Aussage. Die Kulissen waren in der Vergangenheit vielleicht beeindruckender: heilige Haine, umhegte Plätze, der steinerne Hochsitz des Gaugrafen, seine ehrfurchtgebietende Kleidung. Aber der Richter oder die Richterin sitzen noch immer auf einem erhöhten Sitz und haben Schöffen oder Beisitzer an ihrer Seite. Der Angeklagte ist von schwarzen Roben umgeben. Für Meineide werden strenge Strafen angedroht. Eine bescheidenere Form von Ritualen, aber trotzdem wirksam. Links Das Rechtslexikon: http://www.lexexakt.de/kategorien.php Auf der Website: Einrichgau/Gaumal: http://www.marienfels.de/chronik-a/index.html Im Sachsenspiegel-Online werden anhand von Oberbegriffen Verfahren und Rituale bildlich gezeigt: http://www.sachsenspiegel-online.de/cms/meteor/topics/index.jsp Ausführlicher und bebilderter Text zum Klage- und Rügegericht: http://www.harz-saale.de/Impressionen/Verlorene_Orte/ Wuestungen/Volkmannrode/volkmannrode.html Anschauliche Website: http://www.inquisition2000.de/ |
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