Die Stadt im Mittelalter |
von Horst Glameyer „Stadtluft macht frei nach Jahr und Tag" war ein mittelalterlicher Rechtsgrundsatz vom 11. bis ins frühe 13. Jahrhundert. Er verhalf Leibeigenen zum Bleiberecht in der Stadt. Auch in unserem Zeitalter hoffen Menschen in vielen Städten auf ein Bleiberecht. Mittelalterliche Stadtluft Zwar versprach sie den Bewohnern keinen „holden Duft" wie die „Berliner Luft" in Paul Linckes Operette „Fau Luna"; denn oft stank sie abscheulich. Es gab noch keine Kanalisation, und viel Übelriechendes landete auf der Straße oder im Hinterhof. Doch dafür bot diese Luft demjenigen, der sie einatmen durfte, mehr Freiheit und Sicherheit als dem Leibeigenen auf dem Lande. Mangelnde Hygiene und Unkenntnis der Ursachen von Pest, Cholera und anderen Seuchen förderte deren Ausbreitung. Häufig flohen Ärzte und Priester dann aus der Stadt und überließen die Hilflosen ihrem Schicksal. In Hamburg raffte die Cholera noch 1892 binnen sechs Wochen 8000 Menschen dahin. Stadtgründungen Das Mittelalter umfasst etwa die Zeit vom 4. bis zum 15. Jahrhundert und wird in Frühes, Hohes und Spätmittelalter unterteilt. Die Übergänge von der Antike zum Mittelalter und vom Mittelalter zur Neuzeit sowie innerhalb des Mittelalters sind fließend. Schon in der Antike gab es Städte im Mittelmeerraum; während nördlich der Alpen im Laufe des Mittelalters zuerst befestigte Siedlungen und Burgen entstanden. Neben anderen weltlichen und geistlichen Fürsten gründete der Welfenherzog Heinrich der Löwe mehrere Städte, darunter München (1156) und Lübeck (1158). Letztere Gründung ist etwas umstritten. Die Bauern und Grundherren mit ihren Leibeigenen belieferten auf den Wochenmärkten die Stadtbewohner mit Lebensmitteln, während die städtischen Handwerker und Kaufleute die Landbevölkerung mit Dienstleistungen und Waren aller Art versorgten. Gilden und Zünfte Konnte ein geflüchteter Leibeigener lange genug in der Stadt unentdeckt bleiben, wurde er zwar nicht mehr seinem Grundherrn ausgeliefert, doch sah er sich nun städtischer Ordnung und den Zunftregeln unterworfen. Nach der Ständeordnung stand der Adel an der Spitze, ihm folgten die Geistlichkeit und anschließend der 3. Stand der Kaufleute und Handwerker. Weiter hinten rangierten Gehilfen und Gesellen bis hin zu Knechten, Dienstmägden und Tagelöhnern. Die Kaufleute und einige Handwerker schlossen sich zu Gilden zusammen. Die meisten Handwerker gehörten nach Berufen getrennt einer Zunft an, die zur Wahrung eines möglichst gleichen Besitzstandes feste Regeln hatte und streng auf deren Einhaltung achtete. Noch heute erinnern Straßennamen daran, wie Bäcker- und Hökerstraße, welche Berufsgruppe hier Tür an Tür ihre Werkstätten und Läden hatte. Tag und Nacht Reiche Städte weckten Begierden und schützten sich vor Feinden durch die Stadtmauer mit ihren Toren, die über Nacht verschlossen wurden. Monatelange Belagerungen und anschließende Plünderungen waren nicht selten. Deshalb hielt ein Türmer auf dem Kirchturm Ausschau und warnte auch vor Feuersbrünsten. Die „Torschlusspanik" packte Händler und Wanderer, die sich verspätet hatten und fürchteten, vor den Toren übernachten zu müssen. Unterdessen patrouillierte der Nachtwächter mit Hellebarde und Laterne durch unbeleuchtete Gassen und verkündete den Schlaflosen mit lauter Stimme, welche Stunde geschlagen hatte. Nun war es auch an der Zeit, die Badehäuser oder -stuben zu verlassen und sich „heimleuchten" zu lassen. Kranke und Hilfsbedürftige Mönche und Nonnen kümmerten sich um die meist mittellosen Alten im städtischen Hospiz. Wer sich keinen Arzt leisten konnte, musste mit dem Bader vorlieb nehmen, der auch chirurgische Eingriffe vornahm und Zähne zog, allerdings nicht ganz schmerzfrei; denn örtliche Betäubung und Vollnarkose waren noch unbekannt. Gern und häufig ließ man den Kranken zur Ader. Behandlung und Arzneien bezahlte der Patient als „Erduldender" selbst; denn eine Krankenversicherung gab es noch nicht. Gerichtsbarkeit Wer seine Schulden nicht bezahlen konnte, der verbrachte viel Zeit im Schuldturm oder -gefängnis. Für kleinere Vergehen stellte man die Übeltäter/innen mit der Bekanntmachung ihrer Missetat auf einem Platz an den Pranger, wo sie von den Vorübergehenden angespuckt, mit Dreck beworfen oder sogar geprügelt werden konnten. Noch heute ist das „Anprangern" in den Medien gebräuchlich. Ein Folterverbot kannte man nicht, sondern setzte sie gern zur Wahrheitsfindung ein. Die vom Gericht verhängten Todesurteile wurden öffentlich unter dem Beifall der Bevölkerung und nicht selten auf die brutalste Weise vollstreckt. Angeblich geschah das aus religiösen Gründen, um dem Sünder die himmlischen Strafen zu ersparen. Die Hexenverfolgung setzte auf katholischem und protestantischem Gebiet erst nach der Reformation zu Beginn der Neuzeit ein. Scholastik Während sich Stadt- und Landbewohner in ihrer Mundart unterhielten, kommunizierten Priester und Gelehrte untereinander europaweit in lateinischer Sprache. Über die Jahrhunderte hinweg bis in die Neuzeit bewegte die Philosophen unter ihnen der Universalien- und Nominalismusstreit über die Begriffsbildung. Grob gesagt, sind Begriffe allgemein, gewissermaßen den Dingen innewohnend, oder wurden sie vom Menschen den Dingen zugeordnet? Links: Stadt im Mittelalter: „Städtegründungen im 12. und 13. Jahrhundert am Beispiel Freiburg im Breisgau" von Alexander Müller. Herunterladen des Textes 0,99 EUR „Recht und Unrecht der Sassen" von Karl Kroeschell . Linke Seite: Voransicht
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