Auf zur Kulturhauptstadt 2010
                                    von Sibylle Sättler
Das Ruhrgebiet, einst Standort riesiger Fabrikanlagen, Zechen und Hochöfen, rauchender Schlote, der Kohle- und Stahlgewinnung, auf dem Weg zur Kulturhauptstadt „Metropole Ruhr" im Jahre 2010. Phantom oder Vision?

"Metropole Ruhr"
Wo, bitte, liegt denn die Metropole Ruhr? Es gibt sie ja noch gar nicht. Die Stadtregion Ruhr ist eine Metropole im Werden: die größte Stadt Deutschlands und der drittgrößte Ballungsraum Europas mit insgesamt 5,3 Millionen Einwohnern aus über 170 Nationen in 53 Städten mit einer Ausdehnung von fast 4500 Quadratkilometern. Die wichtigsten Städte im Revier Duisburg, Essen, Bochum, Gelsenkirchen und Dortmund werden zu dezentralen Besucherzentren eines polyzentrischen Stadtraums umgewandelt. Das gesamte Ruhrgebiet als „Metropole Ruhr" ist auf dem Wege zur Kulturhauptstadt Europas 2010. Einprägsame Namen wie „RUHR.2010", „StadtRuhr" oder „Glückaufstadt", um in der Sprache des Reviers zu bleiben, gibt es genug.

Rückblick: Der Aufschwung im Revier

Illustration
Zeche Zollverein; Wikipedia Commons

Die Dampfmaschine war die Zukunftstechnologie des frühen 19. Jahrhunderts. Lokomotiven, Dampfschiffe, mechanische Antriebe für Fabriken basieren auf der Kohle. Eisen- und Stahlproduktion wiederum erhöhen den Kohlebedarf. Für den Kohleabbau werden Arbeitskräfte benötigt. Der Transport der Massengüter Kohle, Erze und Stahl benötigt Energie und Maschinen. Kohle- und Stahlproduktion waren über 150 Jahre lang Motor der deutschen Wirtschaft und Inbegriff des deutschen Wirtschaftswunders. Dessen „Helden" sind Bergmann und Stahlkocher. Gab es ein Grubenunglück im Revier, nahm die gesamte Bevölkerung Anteil. Die Entwicklung der Stahlbranche lässt sich an den Standorten der Hochöfen entlang der alten Handelsstraße Hellweg ablesen: Bochumer Verein, Schalker Verein, Krupp in Essen, Thyssen in Duisburg. Die Schlote rauchten, und das Revier boomte.

Der Abschwung im Revier
Absatzschwierigkeiten bei der Kohle und erste Zechen-Schließungen gab es seit den 1960er Jahren. Importkohle war billiger, Erdöl und -gas wurden eingesetzt. Die Zahl der Zechen ging bis 1976 von 148 auf 35 zurück, und von den ehemals 400.000 Bergleuten waren nur noch 150.000 beschäftigt. Die Weltwirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre bewirkte einen Einbruch in der Stahlbranche. Hohe Arbeitskosten wurden durch radikale Rationalisierung gesenkt. Die Krisen bei Kohle und Stahl setzten sich fort. Anfang der 1990er Jahre fielen in der Stahlbranche innerhalb von zwei Jahren 60.000 Arbeitsplätze fort. Thyssen-Krupp hat ganz aktuell, massive Stahleinbußen zu verkraften in einem bisher nicht gekannten Ausmaß. Ein radikaler Konzernumbau ist Ekkehard Schulz vordringlichstes Ziel. Das Controlling soll zentrales Steuerungsinstrument werden.

Strukturwandel
Strukturpolitik im Ruhrgebiet verlangt existentielle Neuerungen; Wandel als Daueraufgabe. Das Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, sucht konkrete Lösungen für eine Beschäftigungsentwicklung durch Innovation. Als neue Zukunftsbranchen werden Informations- und Kommunikationsindustrie sowie Umwelt-, Bio- und Gentechnik gehandelt. Sie suchen qualifizierte Arbeitskräfte, ein innovatives Umfeld mit Bildungseinrichtungen, Lebensqualität für ihre Mitarbeiter, Kunst und Kultur. Die alten Montan-Unternehmen sind heute attraktiv für junge Unternehmer, die Gründer- und Technologiezentren als Sprungbrett nutzen. Moderne Technologien in alten Hütten und Zechen, das hat durchaus fast Kultcharakter.
„Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt(e), ist es besser, viel besser, als man glaubt", 1985 nach Herbert Grönemeyer.

Investitionen und Kultur
Investitionen in die Mobilität des Ruhrgebiets schaffen dauerhaft Arbeitsplätze. Auch kulturelle Anstöße gibt es etliche: Das Folkwang-Museum erhält einen Neubau von der Krupp-Stiftung für EUR 55 Millionen. Das historische Gebäude der Dortmunder Unionsbrauerei soll zum Museum umgebaut werden. Die Henrichshütte in Hattingen, der älteste noch erhaltene Hochofen im Revier, 1987 ausgeblasen, ist zu besichtigen per gläsernem Aufzug bis zu einer Höhe von 55 Metern. Auch die Zeche Zollverein in Essen ist zum Baudenkmal geworden. Industriehalden werden zu Landschaftsgärten. Mit dem Schauspielhaus Bochum (herausragend Peymann in den 70er Jahren), dem Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen, dem Aalto-Theater in Essen und dem Haus der Ruhrfestspiele in Recklinghausen entstanden überzeugende Theaterbauten mit großer Ausstrahlung.

Hochschulen und Forschungsstätten
In Folge der Krisen in der Montan-Industrie und dem 1964 ausgerufenen „Bildungsnotstand" unterstützte die Landespolitik den Anschluss an moderne technologische Entwicklungen mit dem Bau neuer Bildungsseinrichtungen: 1965 wurde die Ruhr-Universität Bochum eröffnet, 1968 die Universität Dortmund, 1972 die in Duisburg und Essen, 1975 die Fernuniversität Hagen und 1983 die Private Universität Witten/Herdecke. Dazu kamen fünf Fachhochschulen und weitere Zweigstellen in den 1970er Jahren. Seit 2004 sind die Universitäten Essen, Bochum und Dortmund mit einem Büro in New York vertreten und seit 2007 in der „Universitätsallianz Metropole Ruhr" vereinigt. Heute stellt das Ruhrgebiet mit seinen fünf Universitäten und neun Fachhochschulen die dichteste Hochschulregion Europas dar; daneben existiert eine große Anzahl verschiedener Forschungsinstitute.

Initiative Stadt Ruhr
Voraussetzung für die neue Metropole sind ihre Menschen, die im 19. und 20. Jahrhundert verstärkt in das Land an Ruhr, Emscher und Lippe zogen, um hier zu arbeiten, viele auch als Gastarbeiter. Eine Bürgerschaftliche Initiative des „Vereins pro Ruhrgebiet", beging am 05.11.2008 im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier (MiR) die symbolische Gründung der Stadt Ruhr. Bundestagspräsident Lammert skizzierte seine Vision von der Stadt der Städte, und viele einflussreiche Vertreter des öffentlichen Lebens warben für die Initiative. Mehr als 500 Bewohner erklärten sich sofort zu Bürgern der neuen Stadt. „Die Stadt Ruhr muss nun strukturiert und mit Leben gefüllt werden. Alle Bürger sind aufgerufen, sich an dem Prozess zu beteiligen", so das Forum der Ideen mit seinem neuen Internetauftritt der Initiative (Link am Ende des Textes).

RUHR.2010 GmbH
Um Fritz Pleitgen, den ehemaligen Intendanten des Westdeutschen Rundfunks, geboren in Duisburg, aufgewachsen in Essen, wurde heftig geworben als Chef der „RUHR.2010 GmbH". Am 23. April 2009 konnte er sich aus der Luft ein Bild der Europäischen Kulturhauptstadt machen. „Es war wieder einmal eine Überraschung, für mich zu entdecken, wie grün das Revier ist", sagte er nach dem Rundflug, der ihn über die Halde Hoheward, den Tetraeder, die VELTINS-Arena, Zeche Zollverein, Villa Hügel, den Landschaftspark Duisburg-Nord und den Gasometer Oberhausen führte. Ein Bildband „Im Flug über das Ruhrgebiet" mit Textteil unter Mitwirkung von F. Pleitgen wird im September 2009 erscheinen. Mit Jürgen Flimm hat er die Vision einer langen Tafel auf der A40 von Dortmund bis Duisburg. Der Tisch, zu dem alle geladen sind, als Integrationssymbol.

Links

Symbolische Gründung der Stadt Ruhr

Initiative der Stadt Ruhr

Fritz Pleitgen und RUHR.2010 GmbH

Hochschulen und Forschungsstätten



 
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