Stadt in der Stadt
                              von Anne Pöttgen
Vielerorts gibt es abgeschlossene Siedlungen innerhalb von Städten. Und vielfach umgibt sie der Ruch des Ärmlichen. Ist das richtig, war das immer so und wird es so bleiben?

Frühe Formen

Beginnen wir mit der ältesten Siedlung der Welt, der Fuggerei in Augsburg. Jakob Fugger, der Reiche, gründete sie 1521 für bedürftige, schuldlos in Not geratene katholische Augsburger Bürger. 67 Häuser mit 140 Wohnungen sind erhalten. Diese Stadt in der Stadt hat eine Mauer mit drei Toren und eine Kirche und ist heute eine beliebte Sehenswürdigkeit.
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Weniger altruistisch war der Grund für die Errichtung des Holländischen und des Weberviertels in Potsdam. Das prachtvolle Holländische Viertel sollte holländische Handwerker nach Preußen locken, eine Rechnung, die nicht ganz aufging aber der Stadt Potsdam ein wunderschönes Quartier bescherte. Zwischen 1733 und 1740 entstanden die 134 Häuser aus rotem Backstein.
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Das Weberviertel wurde ab 1751 für böhmische Protestanten errichtet. Jedem Weber wurden das Häuschen oder vielmehr die Hälfte eines Häuschens und ein Stück Land geschenkt. Auch dieses Viertel hatte eine eigene Kirche, in der Gottesdienste in Böhmisch und Deutsch gehalten wurden.


Herrnhuter Colonien
Siedlungen ganz anderer Art sind die Herrnhuter Colonien oder Herrnhuter Siedlungen. Die Bewohner sind nicht durch gemeinsame Berufe verbunden sondern durch einen gemeinsamen Glauben. Die Ursprünge liegen in der Oberlausitz, wo Graf von Zinzendorf im Anfang des 18. Jahrhundert  böhmischen Glaubensflüchtlingen Grund und Boden zur Ansiedlung zur Verfügung stellte. Im Laufe der Zeit entstand dort ein Städtchen: Herrnhut. Die Siedlung stand unter der "Obhut des Herrn" und die neue Gemeinschaft nannte sich Herrnhuter Brüdergemeine.
Typisch für eine Herrnhuter Kolonie ist die inzwischen denkmalgeschützte Herrnhuter Siedlung in Ebersdorf in Thüringen. Um einen zentralen Platz, den Zinzendorf-Platz, gruppieren sich Kirchgebäude, Brüderhaus, Schwesternhaus, Witwenhaus, Comtessenhaus und Wohngebäude. Die Grundlage des Glaubensgebäudes der Herrnhuter sind die reformatorischen Gedanken von Jan Hus, der Pietismus und der Calvinismus.
 

Arbeitersiedlungen im Ruhrgebiet
Im Ruhrgebiet, in dem die Industrialisierung schon früh im Neunzehnten Jahrhundert begann, machten sich die Fabrikbesitzer Gedanken darüber, wie sie die qualifizierten Arbeiter an ihre Werke binden konnten. So entstand zum Beispiel in Oberhausen die erste Arbeitersiedlung "Eisenheim" bereits im Jahre 1846.
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Wilhelm Lueg, der Chef der "Hüttengewerkschaft und Handlung Jacobi, Haniel und Huyssen", der späteren Gutehoffnungshütte, ließ Fabrikhäuser für seine Arbeiter bauen. So wohnten zunächst die Arbeiter aus den Walzwerken in Eisenheim, später kamen auch Bergleute der Zeche Osterfeld dazu. Bis 1901 wuchs die Siedlung Eisenheim auf etwa 50 Häuser an. Die Backsteinhäuser sind höchstens zwei Stockwerke hoch. Viele sind in Kreuzform konstruiert, vier Wohnungen unter einem Dach, jede mit einem eigenen Eingang. Da die Bewohner zumeist aus dem ländlichen Raum nach Oberhausen gekommen waren, gab es hinter den Häusern einen Garten mit Stall.

Formen der Arbeitersiedlungen
Weitere Arbeitersiedlungen entstanden im Laufe der Jahre, allen war gemeinsam, dass ihr Aussehen ziemlich uniform wirkte.
"Die ersten ein- bis eineinhalbgeschossigen Arbeiterhäuser aus Ziegelsteinen dienten zwei bis vier Familien als Unterkunft. Aus Ruhrsandstein geschlagene Sohlbänke, Stürze und Gesimse sowie Ornamente im Ziegelsteinbau bieten Gestaltungsmöglichkeiten für die Fassaden. Das Dachgeschoss wird meist ausgebaut und dient den Schichtarbeitern während des Tages als Schlafraum oder zur Unterbringung von Schlaf- und Kostgängern. Der Raummangel führt sogar dazu, dass teilweise ein Kostgängerbett an mehrere Schlafgänger vermietet wird, die aufgrund der Schichtarbeit nacheinander dort schlafen können." (Quelle: Link im letzten Abschnitt)
Es ging aber auch noch einfacher: lang gestreckte Häuser von 100 bis 200 Metern Länge, die so genannten D-Züge. Vorbilder waren die "Victorian Rows" in England. 10 bis 12 Parteien teilten sich eine Wasserstelle und Außentoiletten.

Gartenstadtbewegung in Deutschland
Als Vater der "Gartenstadt" gilt der Engländer Ebenezer Howard. Die schlechten Wohnverhältnisse der arbeitenden Bevölkerung waren für ihn Anlass, über ideale Wohnungen nachzudenken. Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts wurde seine Idee von der "autonomen Stadt im Grünen" in die Tat umgesetzt. Zu seinem Missvergnügen war die erste Gartenstadt zu "grün".
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1. In der Hellerau

Die erste deutsche Gartenstadt war Dresden-Hellerau. Karl Schmidt, ein Möbelfabrikant, gründete 1909 seine "Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst", in denen die Reformgedanken der damaligen Zeit verwirklicht wurden. Für seine Arbeiter, denen er das Wohnen in den städtischen Arbeiterwohnungen ersparen wollte, entstand die "Hellerau". "Am grünen Zipfel" war die erste Siedlungsstraße. Bekannte Architekten sorgten dafür, dass die gesamte Hellerau zu einem Vorbild für andere Städte in Deutschland wurde.
Die Gartenstadtbewegung gilt als Fortführung der Idee der Villenkolonien und der Werkswohnungen.

Künstlerkolonien
Die bekannteste, vielleicht auch schönste Künstlerkolonie ist die "Mathildenhöhe" in Darmstadt. "Eine Akropolis des Jugendstiles" wird sie auf der Website "Kulturportal Hessens" genannt. Gegründet wurde sie vom Großherzog Ernst Ludwig an der Wende vom Neunzehnten zum Zwanzigsten Jahrhundert.
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2.Ernst-Ludwig-Haus

Die Künstler, die aufgefordert wurden, beim Ausbau dieser Kolonie mitzuwirken, erhielten zu günstigen Konditionen Grundstücke, auf denen sie ein Haus für sich errichten konnten - falls ihr Vermögen dazu ausreichte. Die Häuser sollten dann in Ausstellungen zeigen, wie Architektur, Kunsthandwerk und Malerei hier zusammenwirkten.
Eine Künstlerkolonie ganz anderer Art wurde in den Zwanziger Jahren in Berlin für Bühnenkünstler und Schriftsteller errichtet. Von den immer witzigen Berlinern wurde sie "Hungerburg" genannt. Die Künstler sympathisierten zum großen Teil mit der SPD und der KPD, was ihnen ab 1933 Besuche von Polizei und SA eintrug.

Zwanziger Jahre in Berlin
Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden in ganz Deutschland neue Siedlungen. Vor allem in Berlin, das für seine "Mietskasernen" unrühmlich bekannt war. In Berlin, das mit der Industrialisierung explosionsartig anwuchs, waren auf großen Grundstücken die ersten Mietskasernen entstanden. Oft wurde ein Haus hinter dem anderen erbaut, Licht und Luft waren Mangelware. Die Wohnungen waren klein und schlecht gebaut, die sanitären Einrichtungen erbärmlich.
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3. Durchgänge

Die neuen Siedlungen hingegen waren so vorbildlich, dass sechs von ihnen heute auf der Welterbeliste der UNESCO stehen, ein Link dazu im letzten Abschnitt. Es ist eine neue Art von Siedlungen: mehrgeschossige Bauten mit modernen Wohnungen, mit Küche, Bad und Balkon, keine Hinterhöfe oder Seitenflügel. Bekannte Architekten wie Bruno Taut, Hans Scharoun und Walter Gropius waren an der Planung beteiligt.
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4. Siedlung Schillerpark

Der Architekt Bruno Taut orientierte sich bei der Siedlung Schillerpark an den Backsteinbauten in Holland. Link im letzten Abschnitt.

Links
Das Holländische Viertel in Potsdam
Herrnhuter Colonie in Ebersdorf
Werkssiedlungen im Ruhrgebiet
Fotogalerie Mathildenhöhe Darmstadt
Hinterhöfe und Mietskasernen
Berliner Siedlungen in den Zwanzigern
Bildquellen-Nachweis
1. Kolossos, by-sa, CC
2. Störfix, by-sa, CC
3. Stern, by-sa, CC
4. Marbot, Bysa, CC
Lizenz Creative Commons 3,0 (CC)
Sonstige Bilder gemeinfrei.



 
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