Rückentwicklung deutscher Kleinstädte |
von Marlies Föhr
Kriege und Not haben die Städte am Rhein überstanden, gegen den Trend der Neuzeit sind sie machtlos
Eine Kleinstadt am Rhein nach 1945
Der wirtschaftliche Aufschwung der Städte wurde nach dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen stark beeinträchtigt. Viele Geschäfte waren zerstört, ihre Inhaber häufig umgekommen. Trotzdem war der Mut zum Aufbau und Neuanfang ungebrochen. Auch zerstörte Industrieunternehmen aus den nahen Großstädten fanden in der Kleinstadt wieder Möglichkeiten eines Neubeginns. Von der einst von Weinbau und Landwirtschaft geprägten Stadt entwickelte sie sich zu einer Gemeinde, die durch leistungsfähige Geschäfte, gute Hotels und Gastwirtschaften und ein aufstrebendes Handwerk von sich reden machte.
Nachfolge und Kundenbindung
Nur wenigen Betrieben gelang es, später die Nachfolge aus der eigenen Familie sicher zu stellen. Zwei Familien konnten selten von einem Geschäft existieren. Handwerker schickten ihre Kinder vielfach auf weiterführende Schulen, um ihnen auch andere Berufsmöglichkeiten zu eröffnen. Langjährige Kunden scheuten plötzlich bei ihren Aufträgen die vermeintlich hohen Löhne der Handwerker trotz erheblich gestiegener Ansprüche von Leistung und Ausführung. Die Menschen gaben ihr Geld lieber für einen kostspieligen Urlaub aus und hielten sich bei anderen Ausgaben zurück.
Servicebetriebe
Anfang 2009 gab es noch einen Bäcker und zwei Metzger mit eigenem Geschäft in der Innenstadt. Obst und Gemüse boten türkische Händler und die Stände freitags auf dem Wochenmarkt an. Kleine Geschäfte hatten längst aufgegeben, weil sie neben den Supermärkten nicht mehr bestehen konnten. Obwohl es eine Fußgängerzone gibt, wird sie wenig genutzt, vielleicht weil die Parkplätze nicht mehr vor den Türen der Geschäfte sind. Viele Handwerksbetriebe sind nur noch Servicebetriebe. Größere Aufträge erhalten meist Billigfirmen, die auf Mindestlohnbasis arbeiten.
Bauen und Wohnen
Anfang des 20. Jahrhunderts errichteten viele reiche Unternehmer aus Köln und Umgebung ihre Villen in den besten Lagen der Stadt. Heute wohnen dort wieder erfolgreiche Geschäftsleute, Schauspieler und Künstler und genießen den Blick auf den Rhein. Diese Häuser konnte man erst nach dem Wegzug der Regierung von Bonn nach Berlin erwerben, da sie vorher Standorte ausländischer Botschaften waren. Viele unterschiedliche Meinungen der Bevölkerung machen der städtischen Verwaltung das Leben oft schwer. Denn sie müssen häufig schwierige Entscheidungen treffen, die der Zukunft der Stadt und ihrer Bewohner gelten, und können es nicht jedem Recht machen.
Tourismus und Landwirtschaft
Hotels und Restaurants mit bekannten Namen konnten vor wenigen Jahren noch zur Einkehr einladen. Heute gibt es in der Stadt kein Hotel mehr und die Restaurants sind bis auf wenige Ausnahmen fest in ausländischer Hand. Die wenigen Landwirte wurden aus dem Stadtbereich in zugewiesene Gebiete außerhalb der Stadt umgesiedelt und betreiben nur noch Monokulturen: Milchwirtschaft, Zuckerrübenanbau, Schweinezucht und Pferde-Reitställe.
Bevölkerung
Die Einwohnerzahl der deutschen Bevölkerung sinkt. Gleichzeitig nimmt der Anteil der Rentner an der Gesamtbevölkerung zu. Es gibt weniger Geburten, mehr Scheidungsraten und viele Einpersonenhaushalte. Dem gegenüber nimmt der Zuzug von ausländischen Mitbürgern und deutschstämmigen Familien aus Russland zu. In der Fußgängerzone finden zum Ärger der Anwohner häufig abends Trinkgelage von Jugendlichen statt, die meistens aus den Nachbargemeinden stammen.
Die Versorgung der Bevölkerung
Durch den Konkurs einer Holz verarbeitenden Fabrik am Stadtrand entstand nach dem Abriss der Gebäude eine größere Freifläche. Nach vielem Parteiengezänk, Gesprächen mit Befürwortern und Gegnern entstand dort ein neues Geschäftscenter mit einem umfassenden Angebot. Mit dem Auto ist es kein Problem auf einem der großzügigen Parkplätze seinen Wagen abzustellen und seinen Einkauf zu tätigen. Aber was geschieht mit den Senioren ohne Auto, Müttern mit kleinen Kindern, Behinderten? Die Folgen dieses neuen Centers sind, dass zu den bereits vorher schon leeren Geschäftslokalen in der Innenstadt neue hinzu kommen und es für die Stadtbevölkerung immer schwieriger wird sich zu versorgen. Außerdem ist das Ende noch nicht abzusehen, denn selbst kleinere Discounter, die in der Fußgängerzone schon seit Jahren ihre Geschäfte betreiben, drohen nach der veränderten Situation mit Schließung.
Fazit
Die rückläufige innerstädtische Entwicklung und die jährlichen Einzelhandelseinbußen werden sich fortsetzen. In der Stadt gibt es kaum noch Verkaufsflächenzuwächse, die Ladenleerstände werden größer und die Abwanderung von Dienstleistern an den Stadtrand wird sich nicht vermeiden lassen. Auch die Beschäftigung sinkt, weil Beratung und personalintensive Geschäfte in den Kleinstädten nicht mehr gefragt werden. Wird dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten, sind die liebenswerten Zentren der Kleinstädte in Gefahr, irreparablen Schaden zu erleiden. Die in diesem Artikel geschilderte Situation ist kein Einzelfall. Es gibt viele kleine Städte am Rhein und anderswo, die sich mit ähnlichen negativen Entscheidungen auseinandersetzen müssen. Da helfen auch keine Kunst- und Jahrmärkte, die an Wochenenden kurzfristig Menschen in die Innenstadt locken. Wenn sie ihre Zelte wieder abgebrochen haben, geht es weiter wie zuvor.
Links
Pro Provincia- Informationen
|