Bürger-Engagement im Wandel der Zeit
                             von Lore Wagener
Unser deutsches Wort „Bürger“ stammt aus dem Altenglischen und bedeutet soviel wie „Burgverteidiger“. Es hat also von vornherein einen gemeinsinnigen Touch.

Bürgersinn in der Antike
Bürgerschaftliches Engagement war schon früh in allen demokratisch organisierten Gemeinschaften des Abendlandes üblich, erstmals in den Stadtgesellschaften des antiken Griechenlands.

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Rede des Perikles

Der Staatsmann Perikles, der lange das Amt des Strategen in der Polis Athen ausübte, meinte:„Wer an den Dingen der Stadt keinen Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger.“ Aber nicht nur in stadtpolitischen Dingen war Engagement gefragt, auch Großherzigkeit und Freigebigkeit waren nach Aristoteles erwünschte Tugenden von Bürgern. Allerdings beschränkte sich die Bürgerschaft nur auf die männlichen Einwohner der Polis. Metöken (fremde Mitbewohner), Sklaven und Frauen waren vom öffentlichen Leben ausgeschlossen.
Später gab es ähnliche Verhältnisse im antiken Rom und danach in den italienischen Stadtrepubliken. Der Magistrat von Rom bestand zum Beispiel nur aus Ehrenamtlichen.

Das Gebot der Nächstenliebe

Das Christentum war die andere Wurzel unserer abendländischen Kultur, von der bürgerschaftliches Engagement ausging. Es gilt als Christenpflicht, seinen Mitmenschen – auch unter Zurückstellung eigener Bedürfnisse – zu helfen. Vorbilder für ein soziales Engagement waren die christlichen Klöster und Orden, Mönche und Nonnen. Der Johanniterorden errichtete im Jahre 1099 n. Chr. in Jerusalem ein Spital für Arme, Alte und Kranke. Seine Idee der Armenhospitäler zur Unterstützung bedürftiger Menschen - aber auch zur Missionierung - verbreitete sich schnell in ganz Europa.
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Martin von Tours

Eine herausragende Einzelpersönlichkeit, die durch besondere Mildtätigkeit zu Ruhm und Ehren kam, war Martin von Tours. Er wurde sogar von der katholischen Kirche heilig gesprochen.

Engagement im Mittelalter
„Stadtluft macht frei“ hieß es im Mittelalter. So trat der freie Stadtbürger neben den monarchistisch regierten Untertanen. Und wiederum war die städtische Selbstverwaltung eine Sache, zu der weder Frauen noch Einwohner mit „unehrlichem Gewerbe“ zugelassen waren.
Das Amt des Bürgermeisters, der den Rat der Stadt leitete und dem meist ein besoldeter Stadtschreiber zur Seite stand, war ein Ehrenamt. Auf sozialem Gebiet gab es schon früh bürgerschaftliche Initiativen in Form von Stiftungen. Die bis heute bestehende Bürgerspitalstiftung in Wemding bei Donauwörth führt sich auf das 10. Jahrhundert n. Chr. zurück. Berühmt ist die im 16. Jahrhundert von der Patrizierfamilie Fugger zu Augsburg gegründete erste Sozialsiedlung für Bedürftige, die Fuggerei. Deren Mietwohnungen werden noch heute zu den Bedingungen ihres Stifters vergeben.

Öffentliche Ehrenämter im 19. Jahrhundert
1808 regelte Preußen erstmals die städtische Selbstverwaltung mit einer Verordnung, die auch das öffentliche Ehrenamt betraf. Diese Städteordnung legte unter anderem fest, dass Bürger zur Übernahme öffentlicher Stadtämter ohne Bezahlung verpflichtet werden konnten. Ein Lexikon von 1838 vermerkt, dass Referendare und Assessoren in den Landeskollegien damals ohne Bezahlung - also ehrenamtlich - eingesetzt werden konnten. Ehrenamtliche Schöffen gab es ohnehin.
Im Laufe des 19.Jahrhunderts wurden auch neue Formen des bürgerschaftlichen Engagements im sozialen Bereich notwendig, denn es gab eklatante gesellschaftliche Umbrüche. Verursacht wurden diese einerseits durch die Forderung der französischen Revolution nach Gleichheit aller, andererseits durch die Industrialisierung, den Durchbruch des Kapitalismus und den Aufstieg des Bürgertums, aber auch durch einen massenhaften Abstieg in das Elend des Proletariats.

Vorläufer der modernen Sozialarbeit

Wegen der verbreiteten Armut gründete man in vielen Kommunen Armensysteme, die auf ehrenamtlichem Engagement fußten. Das erste System gab es 1788 in Hamburg, das wirkungsvollste war aber das „Elberfelder System“ von 1852. Seine „Armenordnung“ gilt als Ursprung der modernen Sozialarbeit. Sie ist von vielen Kommunen übernommen worden. Sie sah die Aufteilung des Stadtgebiets in Quartiere vor, die jeweils von einem ehrenamtlichen Armenpfleger betreut wurden..
Ein kirchliches Sozialkonzept entwickelte der evangelische Theologe Johan Hinrich Wichern. Er entwarf 1848 ein Programm „gegen geistliche und materielle Armut sowie soziale Not“ und wurde zum Begründer der Diakonie.
Der Priester Lorenz Werthmann gründete 1897 den Deutschen Caritasverband als „Sozialbewegung der katholischen Kirche mit gesellschaftlicher Sprengkraft“.

Vereinsgründungen im 19. Jahrhundert
Nach 1800 gab es - von England ausgehend - eine Welle von Vereinsgründungen, die fast alle Lebensbereiche umfassten. Sie waren eine Art Selbsthilfe und erforderten bürgerliches Engagement im eher privaten Bereich. Man gründete gelehrte Gesellschaften, Lese-, Bildungs-, Musik- und Theatervereine, polytechnische Gesellschaften, Schützen- und Feuerwehrvereine, Turnclubs und viele andere mehr.
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Paulskirche 1848

Öffentliche und politisch übergreifende Vereinsziele spielten erst um das Revolutionsjahr 1848 herum eine Rolle. Sie wurden anfangs vielfach von Polizeigesetzen behindert. Während der Revolutionszeit entstanden zum Beispiel die ersten Gewerkschaften, und aus den Gruppierungen des Paulskirchen-Parlaments gingen die ersten Parteien hervor. Auch die Frauenbewegung begann in dieser Zeit. Der Allgemeine Deutsche Frauenverein gründete sich aber erst 1865. Seit 1848 gab es den Deutschen Turnerbund und seit 1863 auf internationaler Ebene das Rote Kreuz.

Traditionelles Engagement im 20. Jahrhundert
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Sanitäter; Foto Frank Dunsche CC

Nach den Wirren der beiden Weltkriege und den Verwerfungen durch den Nationalsozialismus ging es ab etwa 1950 in der Bundesrepublik Deutschland wieder aufwärts. Demokratie und Gleichheit aller Bürger wurden selbstverständlich und auch die Frauen waren integriert. Sie bekamen 1919 im Deutschen Reich das Wahlrecht. Und ebenso selbstverständlich wurde das bürgerschaftliche Engagement in einem breiten Spektrum von Organisationen, die sowohl lokal als auch national oder international agieren. Obwohl viele Organisationen wegen der gestiegenen Anforderungen inzwischen auch hauptamtliche Kräfte haben, braucht man zusätzlich viele Ehrenamtliche. Heute arbeitet etwa ein Drittel der deutschen Erwachsenen in der Freizeit ehrenamtlich. Doch auch das finanzielle Engagement der Wohlhabenden, die sich in alle möglichen Stiftungen einbringen, ist beachtlich. Bundesweit gibt es mittlerweile mehr als 17.400 Stiftungen mit einem milliardenschweren Gesamtvermögen,

Neue Formen des Engagements
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Bürgerinitiative; Foto Manuel Heinemann CC

Viele Menschen fühlen sich im Zuge der Globalisierung immer mehr als Weltbürger verantwortlich und beteiligen sich international an Umwelt-, Entwicklungs- oder Katastrophenhilfe.
Darüber hinaus sind aus den Umwelt-, Frauen- oder Gesundheitsbewegungen der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts neue Formen des Engagements erwachsen. Bürgerinnen und Bürger organisieren sich in eigener Regie in Initiativen, die selbst gewählte Ziele verfolgen. Sie haben ein hohes Interesse an der Lösung spezieller Probleme. Ihre Projekte sind meist befristet, inhaltlich abgegrenzt und überschaubar. Als Beispiele sind Bürgerinitiativen, Tauschbörsen, Selbsthilfe- oder Betroffenengruppen zu nennen.
Dieses bürgerschaftliche Engagement, das trotz der oftmals beklagten Politikverdrossenheit funktioniert, hält unsere Gesellschaft intakt. Es ist aber keine Selbstverständlichkeit. Ein Kirchenmann schrieb: „Ein Ehrenamt ist das Geschenk eines Einzelnen an die Gemeinschaft.“

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