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Themenkomplex A
Heimat in der Sprache - Begriffe, Definitionen, Literatur
 


Zusammenfassung
Volkmar Gimpel
09.12.2000

Auf dieser Seite wird die Zusammenfassung zum Themenkomplex A veröffentlicht. Sie ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit. Die Gliederung folgt nachstehend.

Die vorliegenden Beiträge zum Themenkomplex A finden Sie hier:

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    Im Rahmen dieses Themenkomplexes als Bestandteil des Projektes "Heimat und Fremde" werden das Auftreten, die Herkunft und die Bedeutung des Begriffs "Heimat" in der deutschen Sprache und Literatur, Synonyme und verwandte Worte sowie Entsprechungen in anderen europäischen Sprachen untersucht. Die Ergebnisse unserer gemeinsamen Arbeit sind im Folgenden zusammengefasst.

    Die Links Axx verweisen auf bisherige, den Themenkomplex tangierende Beiträge im Rahmen des Forums. Sie können unter diesen Adressen abgerufen werden.

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    Der Ursprung des deutschen Wortes Heimat

    Das Grimmsche Wörterbuch definiert

    Heimat; ahd. heimoti; mhd. heimôte, heimote neben heimôt, heimuôt

    Im Staatslexikon (Herder-Verlag; Sp. 1235) wird auf sprachgeschichtliche Zusammenhänge hingewiesen:

    Gehört sprachgeschichtlich zu heim (mit indogermanischer Verwandtschaft; s.a. engl. home); Wortstamm: heimüete, heimot   A01

    Der Schweizer Arthur Häny hat in einem "Sprachgeschichtlichen Exkurs", aus dem nachstehend einige Passagen zitiert werden, weitergehende Untersuchungen angestellt.

    Woher stammen überhaupt die Wörter "Heim", "Heimat" oder das Adverb "heim" (ich gehe heim, ich bin daheim)?
    Die Wurzel "heim-" ist gemeingermanisch und hat die Grundbedeutung "Haus", "Wohnstätte" oder "Dorf", meint also den Ort, wo einer zu Hause ist. Im Gotischen, der ältesten überlieferten germanischen Sprache (um 370 n.Chr.), begegnet uns das Substantiv "haims" in der Bedeutung von "Dorf". Daneben kommt gotisch auch der Ausdruck "haimopli" vor, in der Bedeutung von "Grundbesitz, heimisches Land" (Markus 10, 29/30).
    Die gemeingermanische Wurzel "heim-" ist ihrerseits abzuleiten von der indogermanischen Wurzel "kei-", die "liegen" oder "ruhen" bedeutet. "keimai " ("keimai") heißt altgriechisch "ich liege".
    Im Gotischen treten bereits adjektivische Bildungen auf. "Anahaims" heißt dort so viel wie "anheimig", zu Haus befindlich; "afhaims" dagegen "abheimig", fern von zu Hause.
    Im Althochdeutschen heißt die Heimat "heimingi", "heimoti" oder "heimwist"; neben diesen Substantiven erscheint auch das Adjektiv "heimisg" (vgl. unser "heimisch") in der Bedeutung von "heimatlich".
    Neben diesen nominalen Ausdrücken werden nun aber die adverbiellen wichtig: "heim" heißt bereits "nach Hause", "heimi" heißt "zu Hause, daheim" und "heimina" heißt "von Hause" (weg).
    Im Altnordischen, also der altisländischen Sprache um 1200 n.Chr., wurde "heimr" ebenfalls für "Heimat" verwendet; es konnte daneben sowohl das eigene Heim wie auch die ganze bewohnte Erde bedeuten .
    Das "heimili" ist im Altnordischen die Heimstätte des einzelnen Menschen ...
    Mit erstaunlicher Folgerichtigkeit halten die germanischen Sprachen also an der Grundbedeutung dieser Wurzel "heim" fest. Nur en passant sei hier an das englische "home" erinnert, das einem altenglischen "häm" entspricht (vgl. Birmingham, Nottingham) ...
    Und übrigens zeigen auch die deutschschweizerischen Mundarten reiche Varianten derselben Wurzel: häi, hei, ham, hää, deheime, deham usw. Das appenzellische "Häämerli" (bäuerliches Anwesen, wo man zu Hause ist) erinnert geradezu an das gotische "haimopli" zurück.

    Ähnliche Wendungen lassen sich unschwer auch in den verschiedenen anderen deutschen Dialekten finden.
    Häny beschließt seinen Exkurs mit folgendem bemerkenswerten Satz:

    Es ist schön zu sehen, mit welcher Treue die Sprache , mitten in einer höchst wandelbaren Welt, an unwandelbaren Werten festhält.   A16

    Unverkennbar ist also der Zusammenhang zwischen Heim und Haus und damit die Bedeutung des (eigenen) Hauses als Basis von Heimat. Das wird z.B. auch daran deutlich, dass am Anfang einer in der Zeit vom 18.09.2000 bis 07.01.2001 im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig gezeigten Sonderausstellung "Fremde in Deutschland - Deutsche in der Fremde" das Bild eines typischen Bauernhauses gezeigt wird. Der zugehörige Text erläutert, dass Sesshaftigkeit, also Haus und Hof, die Abgrenzung von den "Vagabunden" und Heimatlosen schafft.   C11 

    Wendungen mit Haus und Heim werden häufig sinngleich verwendet (heimgehen = nach Hause gehen). Es ist sicher auch kein Zufall, dass die größte Wohnungsgesellschaft im Nachkriegsdeutschland "Neue Heimat" hieß.

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    Der Begriff Heimat in anderen Sprachen

    Heimat ist ein deutsches Wort, das sich in keine - oder besser kaum eine - andere Sprache wirklich übersetzen lässt (H. Bieneck; Heimat; 1985; S.7). Die nachstehend genannten Beispiele erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie umfassen zudem vorrangig westeuropäische Sprachen. Es wäre sicher reizvoll, eine vergleichende Untersuchung mit einem wesentlich größeren Spektrum auch außereuropäischer Sprachen durchzuführen.

    Italienisch - Heimat(land) = "natio", "patria", "paese", "terra natia", "casa"
    Diese Wörter haben auch eine andere Bedeutung und sind mit dem deutschen Wort Heimat nicht gleichzusetzen  
    A01

    Französisch - "Le pays natal" = das Land, in dem man geboren ist; ebenso geografisch geprägt wie "le village natal", "la ville natale" oder "le lieu d'origine" (...wo man herkommt). "Le patrie" = Vaterland, ein Begriff der eher in den nationalen, juristischen Bereich gehört. Dieser Bedeutung entspricht auch die Übersetzung von "heimatlos" mit "sans patrie", der Heimatvertriebene wird zur "personne déplacèe". Demgegen über hat "poète régional" für Heimatdichter wieder geografischen Bezug.   A11 A13

    Spanisch - Heimat = "patria", das aber wohl eher Vaterland bedeutet. Auch "mi pueblo" = mon pays im Sinne von "mein Dorf, aus dem ich stamme".

    Englisch - Heimat = "home", "native place", "(native) country". Aber diese Übersetzungen sind nicht eindeutig. So bedeutet "home" z.B. auch Haus, Wohnung, Elternhaus.   A03

    Niederländisch - Heimat = "geboortestreek", "geboortegrond", "vaderland", fig. "bakermat" (= Wiege), "tehuis", "waar men zich thuis voelt". Also auch hier keine eindeutige Entsprechung.   A03

    Schwedisch - "hem" = Heim, "hemland" oder "hembygd" = Heimat(land). Siehe Häny, Sprachgeschichtlicher Exkurs.  A16

    Polnisch - Tadeusz Nowakowski sagt zur Übersetzung von Heimat in seine Muttersprache: "Freilich hängen wir Polen an unserer Heimat, genau so wie die Deutschen ... Dennoch wird es manchen Westeuropäer überraschen, wie schwer es ist, das Wort Heimat ins Polnische zu übertragen. Man versucht es manchmal zu umschreiben. Manche Übersetzer lassen einfach Heimat im deutschen Original stehen, wie jene Worte für die es ebenfalls nichts Adäquates im Polnischen gibt".   A04

    Russisch - Heimat = "rodina", das den gleichen Stamm hat wie "rodnoi" (verwandt). "Rodina" wird aber vor allem auch mit Vaterland übersetzt.

    Slowenisch - Heimat = "domovina" (dom = Haus, Heim). Eine Slowenin, die viele Jahre in Deutschland gelebt, hier die Schule besucht hat und beide Sprachen fließend beherrscht sagt, dass es wie im Deutschen benutzt wird und keine andere Bedeutung hat.  A08

    Sorbisch - Heimat = "domowina". Unter diesem Namen wurde 1912 eine Organisation der sorbischen Minderheit zur Pflege der sorbischen Sprache und Kultur gegründet. Sie war in der Nazizeit verboten und ist 1945 neu entstanden

    Arabisch - Heimat = "el-Watan". Ein seit mehr als 30 Jahren in Deutschland lebender Mann aus dem arabischsprechenden Raum berichtet, dass bei ihm dieses Wort ein stärkeres "Heimatgefühl" hervorruft als das deutsche Wort "Heimat". In vielen arabischen Liedern kommt dieses "el-Watan" vor. Es wird aber auch mit "die Nation" übersetzt.  A14

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    Synonyme und Wortverbindungen

    Das Wort Heimat ist auch im Deutschen schwer zu erklären. Es gibt verschiedene Worte mit ähnlicher aber nicht gleicher Bedeutung wie Vaterland oder Nation. Und es gibt eine Vielzahl von Wortverbindungen mit Heimat. Wahllos genannt seien hier Heimatland, Heimatort, Heimatliebe, Heimathafen, Heimatverein, Heimatvertriebene, Heimatkunde, Heimatdichter, Heimatfilm, Heimatverteidigung (auch Heimat"front"), Heimatmuseum usw. Es gibt auch Worte wie Patriotismus, Heimweh, Einheimischer oder Muttersprache, bei denen man sofort an Heimat denkt. Auch adjektivische und adverbielle Formen gibt es in großer Zahl: heimatlich, heimatverbunden, heimatlos usw. Aber heimisch ist nicht gleichbedeutend mit heimatlich, und wer sich heimisch fühlt. muss nicht einheimisch sein.    A10 

    Ist der Begriff "Heimat" rational zu definieren? Und warum kommen andere Völker in ihren Sprachen ohne einen solchen Begriff aus, obwohl daraus nicht geschlossen werden kann, dass sie nicht gleicher Gefühle wie die Deutschen fähig sind? Die Antworten ergeben sich aus den Fragen von selbst. Sie verbieten es aber auch, den Begriff und die damit verbundenen Emotionen zu ideologisieren.

    Zur Erklärung bietet sich an, was Bernhard Schlink in seinem Essay "Heimat als Utopie" sagt:

    Heimat ist Utopie. Am intensivsten wird sie erlebt, wenn man weg ist und sie einem fehlt; das eigentliche Heimatgefühl ist das Heimweh. Aber auch wenn man nicht weg ist, nährt sich das Heimatgefühl aus Fehlendem , aus dem, was nicht mehr oder auch noch nicht ist. Denn die Erinnerungen und Sehnsüchte machen die Orte zur Heimat.   A09 A12

    Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der schon zitierte Arthur Häny. Er schreibt im Vorwort zu seinem Buch "Die Dichter und ihre Heimat - Studien zum Heimatverhalten deutschsprachiger Autoren im 18., 19. und 20. Jahrhundert":

    Heimat ist also nicht einfach "vorhanden", sie ist auch niemals "fertig", sondern in einem gewissen Maße immer wieder neu zu erschaffen, neu aufzubauen, auf jenen Fundamenten, die wir nicht zerstören können, ohne uns selber zu zerstören.  A16

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    Heimat und Literatur

    In der deutschen Literatur entwickelt sich im 19. Jahrhundert eine in Volkstum und heimatlicher Landschaft wurzelnde Dichtung, die leicht der Idyllisierung des Dorf- und Landlebens verfällt. Der Dekadenzdichtung, Symbolismus und Naturalismus der Großstadt sollen ideale Werte entgegengestellt werden. (vgl. BROCKHAUS in 3 Bänden, Mannheim 1991, Stichwort Heimatkunst). Diese Entwicklung hängt zweifellos mit dem tiefgreifenden Strukturwandel der Gesellschaft in Verbindung mit der Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert zusammen.   A02

    In der antiken Literatur gibt es einen dem deutschen "Heimat" entsprechenden Begriff nicht. Das lateinische "patria" bedeutet "Vaterland" - wenn es auch manchmal mit "Heimat" übersetzt wird. Auch andere lateinische Begriffe wie "municipium" werden in deutschen Übersetzungen mit Heimat in Verbindung gebracht.   A02 
    Als Beispiele dafür 2 Textstellen aus der Res gestae Augusti in Lateinisch und Deutsch.
    Die erste stammt aus dem Kapitel 3, in dem Augustus über seine Kriegführung und die Versorgung der Veteranen berichtet (500 000 haben den Fahneneid auf ihn geleistet).

    Ex quibus deduxi in colonias aut remisi in municipia sua stipendis emeritis millia aliquanto plura quam trecenta, ...

    Von diesen habe ich ein gut Teil mehr als 300000 in Neugründungen angesiedelt oder nach Ableistung ihrer Militärdienstzeit in ihre Heimatorte entlassen.

    Das zweite Zitat ist aus dem Kapitel 16, in dem er die Aufwendungen für die Reintegration der Veteranen nennt.

    Et postea Ti. Nerone et Cn. Pisone consulibus, itemque C. Antistio et D. Laelio consulibus et C. Calvisio et L. Pasieno consulibus et L. Lentulo et M. Messala consulibus, et L. Caninio et Q. Fabricio cos. militibus, quos emeriteis stipendis in sua municipia deduxi, praemia numerato persolvi, quam in rem sestertium quater milliens circiter impendi.

    Und später, unter dem Konsulat des Tiberius Nero und des Gnaeus Piso, ebenso unter den Konsuln Gaius Antistius und Decimus Laelius, Gaius Calvisius und Lucius Pasienus, Lucius Lentulus und Marcus Messala, Lucius Caninius und Quintus Fabricius habe ich die Soldaten, die ich nach Ableistung ihrer Militärzeit wieder in ihre Heimatstädte habe zurückführen lassen, mit Geldsummen belohnt, wofür ich etwa 400 Millionen Sesterzen aufgewandt habe.

    Die eigentliche Bedeutung von "municipium" ist Land-/Provinzialstadt, auch von Rom annektierte Stadt, deren Bewohner, ohne andere politische Rechte als lokale Rechte zu haben, die zivilen Rechte der römischen Staatsbürgerschaft genossen .
    Es ist zu vermuten, dass die Übersetzung mit Heimatort bzw. Heimatstadt der Verdeutlichung der Wiedereingliederung der Militärveteranen in die zivile Gesellschaft, die in Rom eine große politische Bedeutung hatte, für den deutschen Leser dienen soll.

    Zur alt- und mittelhochdeutschen Literatur nennt Häny in seinem sprachgeschichtlichen Exkurs das Beispiel eines althochdeutschen Gedichtes, in dem die Samariterin zu Christus sagt:

    Disiu buzza ist sô tiuf, ze dero ih heimina liuf.
    Dieser Brunnen ist so tief, zu dem ich von Hause herkam.

    Als weiteres Beispiel aus der mittelalterlichen Literatur zitiert er aus dem Altnordischen den Anfang von Snorri Sturlusons Königsbuch (Heimskringla):

    Kringla heimsins, sú er mannfólkit byggvir, er mjök vágskorin.
    Der Erdkreis, den die Menschen bewohnen, ist sehr von Buchten durchschnitten.
      A16 

    Aber ansonsten dürfte das Auftreten der Vorläufer des Heimatbegriffs eher selten sein. Wir haben ca. 25 Gedichte aus einem Zeitraum von fast 1000 Jahren (730 bis 1650) untersucht ohne ihnen zu begegnen.  A02 Trotzdem haben natürlich auch die Dichter dieser Periode ihr Land gelobt wie Walter von der Vogelweide in seinem Preislied.   A19

    In der Literatur der Aufklärung und der Klassik wurde der Begriff "Heimat" - wenn überhaupt - nur sparsam verwendet. Viele ihrer Repräsentanten fühlten sich als "Weltbürger". Das gilt auch für Goethe und Schiller. Wenn sie "Heimat" in ihren Werken verwendet haben, dann meist im übertragenen Sinn, so Schiller in "Kabale und Liebe":

    Wo meine Liebe ist, ist meine Heimat.

    Auch bei Heine kommt das Wort "Heimat" nur in Einzelfällen vor, obwohl er in vielen Gedichten (besonders in "Deutschland - ein Wintermärchen" und "Nachtgedanken") die heimatlichen Landschaften, die Menschen der Heimat und die deutsche Sprache behandelt. Ein Beispiel findet sich im Buch der Lieder "Die Nordsee - Zweiter Zyklus - 1. Meergruß". In der 1. Strophe heißt es:

    Thalatta! Thalatta!
    Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!
    Sei mir gegrüßt zehntausendmal,
    Aus jauchzendem Herzen,
    Wie einst dich begrüßten
    Zehntausend Griechenherzen,
    Unglückbekämpfende, heimatverlangende,
    Weltberühmte Griechenherzen.

    Und in der 3. Strophe der Bezug zur eigenen Heimat:

    Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!
    Wie Sprache der Heimat rauscht mir dein Wasser,
    Wie Träume der Kindheit seh' ich es flimmern
    Auf deinem wogenden Wellengebiet,
    Und alte Erinnrung erzählt mir aufs neue
    Von all dem lieben, herrlichen Spielzeug,
    Von all den blinkenden Weihnachtsgaben,
    Von all den roten Korallenbäumen
    Goldfischchen, Perlen und bunten Muscheln,
    Die du geheimnisvoll bewahrst,
    Dort unten im klaren Kristallhaus.

    A02 A05 A06

    Bei vielen Autoren des 19. Jahrhunderts, besonders dessen zweiter Hälfte und des 20. Jahrhunderts wird der Begriff "Heimat" mehr oder weniger häufig gebraucht und es entwickelt sich die Heimatliteratur - siehe die oben zitierte Textstelle aus dem Brockhaus. Aber nicht nur die Vertreter dieser Stilrichtung wenden sich dem Thema "Heimat" zu. Genannt seien hier Hölderlin, Brentano, Eichendorf, Möricke, Storm, Keller, Fontane, Scheffel, C.F.Meyer, v.d.Vring, Becher, Brecht, Huchel, Hermlin. Bei einigen dieser Autoren hat wie auch bei Heine zweifellos das Schicksal des Exils zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Heimat beigetragen.   A20

    Häny untersucht in seiner Studie auch Frisch, Dürrenmatt und Kafka.   A16
    Auch Novalis, wiederholt von Hesse zitiert, kann hier genannt werden.

    Hesse ist sicher nicht den Heimatdichtern zuzurechnen, aber auch er setzt sich in seinen Werken damit auseinander. Beispielhaft sei hier ein Vers aus seinem Gedicht "Klage" aus dem Alterswerk "Glasperlenspiel" (1943) zitiert:

    Uns ist kein Sein vergönnt. Wir sind nur Strom,
    wir fließen willig allen Formen ein...
    und keine wird zur Heimat uns, zum Glück, zur Not...
    Wir gehn hindurch, uns treibt der Durst nach Sein...
    stets sind wir unterwegs, stets sind wir Gast,
    uns ruft nicht Feld noch Pflug, uns wächst kein Brot.
    Wir wissen nicht, wie Gott es mit uns meint,
    er spielt mit uns, dem Ton in seiner Hand,...
    der wohl geknetet wird, doch nie gebrannt.
      A15

    Zu den Heimatdichtern gehört der saarländische Priester Kirchweng (1900-1951), dessen Werk Frank Steinmeyer in seinem Buch "Weil über allem Elend dieser Zeit die Heimat steht: Literatur und Politik im Werk von Johannes Kirchweng" untersucht. Kirchweng fühlte sich als Sprecher seiner saarländisch-lothringischen Heimat und nahm bewusst an den politischen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen seiner Zeit teil. Er hatte 1933 zunächst ein ambivalentes Verhältnis zum NS-Regime, bemühte sich aber 1946, den von der NS-Propaganda missbrauchten Begriff "Heimat" unbeschadet in die Nachkriegszeit hinüber zu retten:

    Weil über allem Elend dieser Zeit, über allem Elend unseres und jedes Lebens die Heimat steht, als eine heilige Zuflucht, die von keinen Narren und von keinen Verbrechern zerstört werden kann.  A18 

    Erwähnt seien hier noch zwei Autoren, die deutschen Minderheiten in anderen Staaten angehören: Der deutschsprachige dänische Heimatdichter Hans Schmidt-Gorsblock (1889-1982); von ihm stammt u.a. das Gedicht "Schleswigsche Heimat". Zur rumäniendeutschen Literaturszene gehört Wolf von Aichelburg (1912-1994), der sich aber niemals zu Siebenbürgen und zum Siebenbürgischen als geistige Heimat bekannt hat. Seine Landschafts- und Gedankenlyrik ist räumlich und zeitlich ungebunden.   A17

    Interessant im Zusammenhang mit Heimatdichtung ist auch, dass Hoffmann von Fallersleben in der 3. Strophe des Deutschlandliedes, dem Text der Nationalhymne der Bundesrepublik, nicht "Heimat" sondern das Wort "Vaterland" ebenso gebraucht hat wie später Johannes R. Becher in der Nationalhymne der DDR. Es ist zu vermuten, dass hier das Wort funktionalisiert wurde und Vaterland stärker wirkt als Heimat.  A02 A05

    In der Gegenwartsliteratur haben sich viele Autoren mit dem Nationalsozialismus, dem Widerstand, der Kriegs- und Nachkriegszeit, der deutschen Teilung und in diesem Zusammenhang mit den Begriffen Heimat, Vaterland und Nationalstaat auseinandergesetzt. Eine ausgesprochene Heimatliteratur wie im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist das aber nicht.

    Ein Teil der Autoren vertritt offensiv politische - auch parteipolitische - Positionen. Dazu gehört Günter Grass, dessen Ansichten oft zum Widerspruch reizen (z.B. "Deutscher Lastenausgleich - Wider das dumpfe Einheitsgebot", Aufbau-Verlag 1990).

    Auch Heinrich Böll hat sich sowohl in seinem literarischen Werk als auch in Essays und Reden mit politischen Fragen auseinander gesetzt. Erwähnt sei hier die Rede auf dem Internationalen PEN-Kongreß Jerusalem 1974 "Ich bin ein Deutscher". Er geht darin ausführlich auf Begriffe ein wie: "in der Fremde", "fremd", "ein Fremder sein", aber auch auf die Sprache und ob das Wort "bodenlos" ein deutsches nicht übersetzbares Wort ist. Er spricht von Menschen, die auf der Flucht sind, eine neue Heimat suchen. Über die Sprache sagt er:

    Sprache ist das leichteste Gepäck, und eine schwere Last, wenn man in die Fremde kommt, und mitnehmen kann man fast immer nur, was man im Kopf und im Herzen hat: die Mythen und Märchen, die Erinnerungen, eigene und die Erinnerungen anderer, mit denen man die Sprache gemeinsam hat. Es ist ja kein Zufall, dass jede Unterdrückung mit der Unterdrückung der Sprache anfängt, und damit auch der Unterdrückung der Literatur, wenn man unter Literatur nicht ausschließlich das Geschriebene versteht.

    Aus Heinrich Böll, Essayistische Schriften und Reden III, 1973-1978, Werke 9, S. 175-181.   A07 


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