|
|
Zusammenfassung Auf dieser Seite wird die Zusammenfassung zum Themenkomplex A veröffentlicht. Sie ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit. Die Gliederung folgt nachstehend. Wenn Sie Ihre Meinung äußern wollen oder Fragen haben, können Sie das im Diskussionsforum tun: Gliederung
Die Links Axx verweisen auf bisherige, den Themenkomplex tangierende Beiträge im Rahmen des Forums. Sie können unter diesen Adressen abgerufen werden. Der Ursprung des deutschen Wortes Heimat Das Grimmsche Wörterbuch definiert Heimat; ahd. heimoti; mhd. heimôte, heimote neben heimôt, heimuôt Im Staatslexikon (Herder-Verlag; Sp. 1235) wird auf sprachgeschichtliche Zusammenhänge hingewiesen: Gehört sprachgeschichtlich zu heim (mit indogermanischer Verwandtschaft; s.a. engl. home); Wortstamm: heimüete, heimot A01 Der Schweizer Arthur Häny hat in einem "Sprachgeschichtlichen Exkurs", aus dem nachstehend einige Passagen zitiert werden, weitergehende Untersuchungen angestellt. Woher stammen überhaupt die Wörter "Heim", "Heimat" oder das Adverb "heim" (ich gehe heim, ich bin daheim)? Ähnliche Wendungen lassen sich unschwer auch in den verschiedenen anderen deutschen Dialekten finden. Es ist schön zu sehen, mit welcher Treue die Sprache , mitten in einer höchst wandelbaren Welt, an unwandelbaren Werten festhält. A16 Unverkennbar ist also der Zusammenhang zwischen Heim und Haus und damit die Bedeutung des (eigenen) Hauses als Basis von Heimat. Das wird z.B. auch daran deutlich, dass am Anfang einer in der Zeit vom 18.09.2000 bis 07.01.2001 im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig gezeigten Sonderausstellung "Fremde in Deutschland - Deutsche in der Fremde" das Bild eines typischen Bauernhauses gezeigt wird. Der zugehörige Text erläutert, dass Sesshaftigkeit, also Haus und Hof, die Abgrenzung von den "Vagabunden" und Heimatlosen schafft. C11 Der Begriff Heimat in anderen Sprachen Heimat ist ein deutsches Wort, das sich in keine - oder besser kaum eine - andere Sprache wirklich übersetzen lässt (H. Bieneck; Heimat; 1985; S.7). Die nachstehend genannten Beispiele erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie umfassen zudem vorrangig westeuropäische Sprachen. Es wäre sicher reizvoll, eine vergleichende Untersuchung mit einem wesentlich größeren Spektrum auch außereuropäischer Sprachen durchzuführen. Italienisch - Heimat(land) = "natio", "patria", "paese", "terra natia", "casa" Französisch - "Le pays natal" = das Land, in dem man geboren ist; ebenso geografisch geprägt wie "le village natal", "la ville natale" oder "le lieu d'origine" (...wo man herkommt). "Le patrie" = Vaterland, ein Begriff der eher in den nationalen, juristischen Bereich gehört. Dieser Bedeutung entspricht auch die Übersetzung von "heimatlos" mit "sans patrie", der Heimatvertriebene wird zur "personne déplacèe". Demgegen über hat "poète régional" für Heimatdichter wieder geografischen Bezug. A11 A13 Spanisch - Englisch - Heimat = "home", "native place", "(native) country". Aber diese Übersetzungen sind nicht eindeutig. So bedeutet "home" z.B. auch Haus, Wohnung, Elternhaus. A03Niederländisch - Heimat = "geboortestreek", "geboortegrond", "vaderland", fig. "bakermat" (= Wiege), "tehuis", "waar men zich thuis voelt". Also auch hier keine eindeutige Entsprechung. A03 Schwedisch - "hem" = Heim, "hemland" oder "hembygd" = Heimat(land). Siehe Häny, Sprachgeschichtlicher Exkurs. A16 Polnisch - Tadeusz Nowakowski sagt zur Übersetzung von Heimat in seine Muttersprache: "Freilich hängen wir Polen an unserer Heimat, genau so wie die Deutschen ... Dennoch wird es manchen Westeuropäer überraschen, wie schwer es ist, das Wort Heimat ins Polnische zu übertragen. Man versucht es manchmal zu umschreiben. Manche Übersetzer lassen einfach Heimat im deutschen Original stehen, wie jene Worte für die es ebenfalls nichts Adäquates im Polnischen gibt". A04 Russisch - Heimat = "rodina", das den gleichen Stamm hat wie "rodnoi" (verwandt). "Rodina" wird aber vor allem auch mit Vaterland übersetzt. Slowenisch - Heimat = "domovina" (dom = Haus, Heim). Eine Slowenin, die viele Jahre in Deutschland gelebt, hier die Schule besucht hat und beide Sprachen fließend beherrscht sagt, dass es wie im Deutschen benutzt wird und keine andere Bedeutung hat. A08 Sorbisch - Heimat = "domowina". Unter diesem Namen wurde 1912 eine Organisation der sorbischen Minderheit zur Pflege der sorbischen Sprache und Kultur gegründet. Sie war in der Nazizeit verboten und ist 1945 neu entstanden Arabisch - Heimat = "el-Watan". Ein seit mehr als 30 Jahren in Deutschland lebender Mann aus dem arabischsprechenden Raum berichtet, dass bei ihm dieses Wort ein stärkeres "Heimatgefühl" hervorruft als das deutsche Wort "Heimat". In vielen arabischen Liedern kommt dieses "el-Watan" vor. Es wird aber auch mit "die Nation" übersetzt. A14 SeitenanfangSynonyme und Wortverbindungen Das Wort Heimat ist auch im Deutschen schwer zu erklären. Es gibt verschiedene Worte mit ähnlicher aber nicht gleicher Bedeutung wie Vaterland oder Nation. Und es gibt eine Vielzahl von Wortverbindungen mit Heimat. Wahllos genannt seien hier Heimatland, Heimatort, Heimatliebe, Heimathafen, Heimatverein, Heimatvertriebene, Heimatkunde, Heimatdichter, Heimatfilm, Heimatverteidigung (auch Heimat"front"), Heimatmuseum usw. Es gibt auch Worte wie Patriotismus, Heimweh, Einheimischer oder Muttersprache, bei denen man sofort an Heimat denkt. Auch adjektivische und adverbielle Formen gibt es in großer Zahl: heimatlich, heimatverbunden, heimatlos usw. Aber heimisch ist nicht gleichbedeutend mit heimatlich, und wer sich heimisch fühlt. muss nicht einheimisch sein. A10 Ist der Begriff "Heimat" rational zu definieren? Und warum kommen andere Völker in ihren Sprachen ohne einen solchen Begriff aus, obwohl daraus nicht geschlossen werden kann, dass sie nicht gleicher Gefühle wie die Deutschen fähig sind? Die Antworten ergeben sich aus den Fragen von selbst. Sie verbieten es aber auch, den Begriff und die damit verbundenen Emotionen zu ideologisieren. Zur Erklärung bietet sich an, was Bernhard Schlink in seinem Essay "Heimat als Utopie" sagt: Heimat ist Utopie. Am intensivsten wird sie erlebt, wenn man weg ist und sie einem fehlt; das eigentliche Heimatgefühl ist das Heimweh. Aber auch wenn man nicht weg ist, nährt sich das Heimatgefühl aus Fehlendem , aus dem, was nicht mehr oder auch noch nicht ist. Denn die Erinnerungen und Sehnsüchte machen die Orte zur Heimat. A09 A12 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der schon zitierte Arthur Häny. Er schreibt im Vorwort zu seinem Buch "Die Dichter und ihre Heimat - Studien zum Heimatverhalten deutschsprachiger Autoren im 18., 19. und 20. Jahrhundert": Heimat ist also nicht einfach "vorhanden", sie ist auch niemals "fertig", sondern in einem gewissen Maße immer wieder neu zu erschaffen, neu aufzubauen, auf jenen Fundamenten, die wir nicht zerstören können, ohne uns selber zu zerstören. A16 Heimat und Literatur In der deutschen Literatur entwickelt sich im 19. Jahrhundert eine in Volkstum und heimatlicher Landschaft wurzelnde Dichtung, die leicht der Idyllisierung des Dorf- und Landlebens verfällt. Der Dekadenzdichtung, Symbolismus und Naturalismus der Großstadt sollen ideale Werte entgegengestellt werden. (vgl. BROCKHAUS in 3 Bänden, Mannheim 1991, Stichwort Heimatkunst). Diese Entwicklung hängt zweifellos mit dem tiefgreifenden Strukturwandel der Gesellschaft in Verbindung mit der Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert zusammen. A02 In der antiken Literatur gibt es einen dem deutschen "Heimat" entsprechenden Begriff nicht. Das lateinische "patria" bedeutet "Vaterland" - wenn es auch manchmal mit "Heimat" übersetzt wird. Auch andere lateinische Begriffe wie "municipium" werden in deutschen Übersetzungen mit Heimat in Verbindung gebracht. A02 Ex quibus deduxi in colonias aut remisi in municipia sua stipendis emeritis millia aliquanto plura quam trecenta, ... Von diesen habe ich ein gut Teil mehr als 300000 in Neugründungen angesiedelt oder nach Ableistung ihrer Militärdienstzeit in ihre Heimatorte entlassen. Das zweite Zitat ist aus dem Kapitel 16, in dem er die Aufwendungen für die Reintegration der Veteranen nennt. Et postea Ti. Nerone et Cn. Pisone consulibus, itemque C. Antistio et D. Laelio consulibus et C. Calvisio et L. Pasieno consulibus et L. Lentulo et M. Messala consulibus, et L. Caninio et Q. Fabricio cos. militibus, quos emeriteis stipendis in sua municipia deduxi, praemia numerato persolvi, quam in rem sestertium quater milliens circiter impendi. Und später, unter dem Konsulat des Tiberius Nero und des Gnaeus Piso, ebenso unter den Konsuln Gaius Antistius und Decimus Laelius, Gaius Calvisius und Lucius Pasienus, Lucius Lentulus und Marcus Messala, Lucius Caninius und Quintus Fabricius habe ich die Soldaten, die ich nach Ableistung ihrer Militärzeit wieder in ihre Heimatstädte habe zurückführen lassen, mit Geldsummen belohnt, wofür ich etwa 400 Millionen Sesterzen aufgewandt habe. Die eigentliche Bedeutung von "municipium" ist Land-/Provinzialstadt, auch von Rom annektierte Stadt, deren Bewohner, ohne andere politische Rechte als lokale Rechte zu haben, die zivilen Rechte der römischen Staatsbürgerschaft genossen . Zur alt- und mittelhochdeutschen Literatur nennt Häny in seinem sprachgeschichtlichen Exkurs das Beispiel eines althochdeutschen Gedichtes, in dem die Samariterin zu Christus sagt: Disiu buzza ist sô tiuf, ze dero ih heimina liuf. Als weiteres Beispiel aus der mittelalterlichen Literatur zitiert er aus dem Altnordischen den Anfang von Snorri Sturlusons Königsbuch (Heimskringla): Kringla heimsins, sú er mannfólkit byggvir, er mjök vágskorin. Aber ansonsten dürfte das Auftreten der Vorläufer des Heimatbegriffs eher selten sein. Wir haben ca. 25 Gedichte aus einem Zeitraum von fast 1000 Jahren (730 bis 1650) untersucht ohne ihnen zu begegnen. A02 Trotzdem haben natürlich auch die Dichter dieser Periode ihr Land gelobt wie Walter von der Vogelweide in seinem Preislied. A19 In der Literatur der Aufklärung und der Klassik wurde der Begriff "Heimat" - wenn überhaupt - nur sparsam verwendet. Viele ihrer Repräsentanten fühlten sich als "Weltbürger". Das gilt auch für Goethe und Schiller. Wenn sie "Heimat" in ihren Werken verwendet haben, dann meist im übertragenen Sinn, so Schiller in "Kabale und Liebe": Wo meine Liebe ist, ist meine Heimat. Auch bei Heine kommt das Wort "Heimat" nur in Einzelfällen vor, obwohl er in vielen Gedichten (besonders in "Deutschland - ein Wintermärchen" und "Nachtgedanken") die heimatlichen Landschaften, die Menschen der Heimat und die deutsche Sprache behandelt. Ein Beispiel findet sich im Buch der Lieder "Die Nordsee - Zweiter Zyklus - 1. Meergruß". In der 1. Strophe heißt es: Thalatta! Thalatta! Und in der 3. Strophe der Bezug zur eigenen Heimat: Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer! Bei vielen Autoren des 19. Jahrhunderts, besonders dessen zweiter Hälfte und des 20. Jahrhunderts wird der Begriff "Heimat" mehr oder weniger häufig gebraucht und es entwickelt sich die Heimatliteratur - siehe die oben zitierte Textstelle aus dem Brockhaus. Aber nicht nur die Vertreter dieser Stilrichtung wenden sich dem Thema "Heimat" zu. Genannt seien hier Hölderlin, Brentano, Eichendorf, Möricke, Storm, Keller, Fontane, Scheffel, C.F.Meyer, v.d.Vring, Becher, Brecht, Huchel, Hermlin. Bei einigen dieser Autoren hat wie auch bei Heine zweifellos das Schicksal des Exils zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Heimat beigetragen. A20 Häny untersucht in seiner Studie auch Frisch, Dürrenmatt und Kafka. A16 Hesse ist sicher nicht den Heimatdichtern zuzurechnen, aber auch er setzt sich in seinen Werken damit auseinander. Beispielhaft sei hier ein Vers aus seinem Gedicht "Klage" aus dem Alterswerk "Glasperlenspiel" (1943) zitiert: Uns ist kein Sein vergönnt. Wir sind nur Strom, Zu den Heimatdichtern gehört der saarländische Priester Kirchweng (1900-1951), dessen Werk Frank Steinmeyer in seinem Buch "Weil über allem Elend dieser Zeit die Heimat steht: Literatur und Politik im Werk von Johannes Kirchweng" untersucht. Kirchweng fühlte sich als Sprecher seiner saarländisch-lothringischen Heimat und nahm bewusst an den politischen und weltanschaulichen Auseinandersetzungen seiner Zeit teil. Er hatte 1933 zunächst ein ambivalentes Verhältnis zum NS-Regime, bemühte sich aber 1946, den von der NS-Propaganda missbrauchten Begriff "Heimat" unbeschadet in die Nachkriegszeit hinüber zu retten: Weil über allem Elend dieser Zeit, über allem Elend unseres und jedes Lebens die Heimat steht, als eine heilige Zuflucht, die von keinen Narren und von keinen Verbrechern zerstört werden kann. A18 Erwähnt seien hier noch zwei Autoren, die deutschen Minderheiten in anderen Staaten angehören: Der deutschsprachige dänische Heimatdichter Hans Schmidt-Gorsblock (1889-1982); von ihm stammt u.a. das Gedicht "Schleswigsche Heimat". Zur rumäniendeutschen Literaturszene gehört Wolf von Aichelburg (1912-1994), der sich aber niemals zu Siebenbürgen und zum Siebenbürgischen als geistige Heimat bekannt hat. Seine Landschafts- und Gedankenlyrik ist räumlich und zeitlich ungebunden. A17 Interessant im Zusammenhang mit Heimatdichtung ist auch, dass Hoffmann von Fallersleben in der 3. Strophe des Deutschlandliedes, dem Text der Nationalhymne der Bundesrepublik, nicht "Heimat" sondern das Wort "Vaterland" ebenso gebraucht hat wie später Johannes R. Becher in der Nationalhymne der DDR. Es ist zu vermuten, dass hier das Wort funktionalisiert wurde und Vaterland stärker wirkt als Heimat. A02 A05 In der Gegenwartsliteratur haben sich viele Autoren mit dem Nationalsozialismus, dem Widerstand, der Kriegs- und Nachkriegszeit, der deutschen Teilung und in diesem Zusammenhang mit den Begriffen Heimat, Vaterland und Nationalstaat auseinandergesetzt. Eine ausgesprochene Heimatliteratur wie im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist das aber nicht. Ein Teil der Autoren vertritt offensiv politische - auch parteipolitische - Positionen. Dazu gehört Günter Grass, dessen Ansichten oft zum Widerspruch reizen (z.B. "Deutscher Lastenausgleich - Wider das dumpfe Einheitsgebot", Aufbau-Verlag 1990). Auch Heinrich Böll hat sich sowohl in seinem literarischen Werk als auch in Essays und Reden mit politischen Fragen auseinander gesetzt. Erwähnt sei hier die Rede auf dem Internationalen PEN-Kongreß Jerusalem 1974 "Ich bin ein Deutscher". Er geht darin ausführlich auf Begriffe ein wie: "in der Fremde", "fremd", "ein Fremder sein", aber auch auf die Sprache und ob das Wort "bodenlos" ein deutsches nicht übersetzbares Wort ist. Er spricht von Menschen, die auf der Flucht sind, eine neue Heimat suchen. Über die Sprache sagt er: Sprache ist das leichteste Gepäck, und eine schwere Last, wenn man in die Fremde kommt, und mitnehmen kann man fast immer nur, was man im Kopf und im Herzen hat: die Mythen und Märchen, die Erinnerungen, eigene und die Erinnerungen anderer, mit denen man die Sprache gemeinsam hat. Es ist ja kein Zufall, dass jede Unterdrückung mit der Unterdrückung der Sprache anfängt, und damit auch der Unterdrückung der Literatur, wenn man unter Literatur nicht ausschließlich das Geschriebene versteht. Aus Heinrich Böll, Essayistische Schriften und Reden III, 1973-1978, Werke 9, S. 175-181.
A07 |