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Themenkomplex C
Fremde kann zur Heimat werden
 


Beiträge zum Themenkomplex

Die auf dieser Seite gesammelten Beiträge beziehen sich auf den Themenkomplex C. Sie können jedoch auch Gedanken und Feststellungen zu anderen Themenkomplexen enthalten. Ebenso ist es möglich, dass sich in Beiträgen, die anderen Themenkomplexen zugeordnet wurden, Informationen mit Relevanz für diesen Komplex finden.
In Ausnahmefällen wird auf wichtige Beiträge in anderen Themenkomplexen am Ende der nachfolgenden Liste verwiesen.

  • C01   Wolfgang Schleicher, 31.08.2000, Heimat und Fremde
  • C02   Wolfgang Schleicher, 31.08.2000, Buchtipp
  • C03   Dieter Böckmann, 12.09.2000, Fremde kann zur Heimat werden?!
  • C04   Peter Joksch, 16.09.2000, Fremde kann zur Heimat werden
  • C05   Angenita Stock-de Jong, 17.09.2000, Fremde kann zur Heimat werden
  • C06   Volkmar Gimpel, 17.09.2000, Muttersprache
  • C07   Jutta Gotthardt, 18.09.2000, Zwei Heimaten
  • C08   Peter Joksch, 21.09.2000, Fremde kann zur Heimat werden
  • C09   Maria Bürger-de Castillo, 21.09.2000, Heimat ist da, wo ich keine Angst habe.
  • C10   Angenita Stock-de Jong, 27.09.2000, Fremde kann zur Heimat werden
  • C11   Volkmar Gimpel, 29.09.2000, Fremde in Deutschland - Deutsche in der Fremde
  • C12   "Lemmy", 04.10.2000, Identität und Fremde
  • C13   Angenita Stock-de Jong, 08.10.2000, Heimat und Identität
  • C14   Dieter Böckmann, 08.10.2000, Antwort auf Forum-Beiträge
  • C15   Janni Shimomura, 27.10.2000, Heimat und Fremde
  • C16   Angenita Stock-de Jong, 27.02.2001, Kann Fremde zur Heimat werden?
  • C17   Angenita Stock-de Jong, 28.02.2001, Kann Fremde zur Heimat werden?
  • C18   Peter Joksch, 01.03.2001, Kann Fremde zur Heimat werden?
  • C19   Angenita Stock-de Jong, 05.05.2001, Heimat und doch nicht Heimat
  • C20   Hildegard Ehlert, 23.02.2001, Alte Heimat - neue Heimat
  • C21   Maria Burkard, 17.07.2001, Eine Elsässerin, Jahrgang 1921, erzählt ihrer
              Nichte aus ihrem Leben
  • C22   Ausstellung in Köln, 27.10. - 23.11.2001,
              40 Jahre Fremde Heimat, Einwanderung aus der Türkei in Köln
  • C23   Maria Burkard, 22.12.2001, Zwei Heimaten
  • C24   Elsbeth Policard, 13.05.2001, Gruß aus der Heimatgruppe 3
  • C25   Angenita Stock-de Jong, 19.05.2001, Erinnerung/Sprache
  • C26   Angenita Stock-de Jong, 22.07.2001, Reaktion auf Beitrag C21

      Interessante Beiträge aus anderen Themenkomplexen:

  • A07   Angenita Stock-de Jong, 26.09.2000, Heimatbegriff und Literatur
  • A08   Peter Joksch, 07.10.2000, Fragebogen an eine Slowenin
  • A10   Dieter Böckmann, 30.10.2000, Was bedeutet "heimisch"?
  • A12   Maria Burkard, 08.11.2000, Heimat als Utopie
  • A15   Angenita Stock-de Jong, 28.11.2000, Heimat und Literatur - Hermann Hesse
  • B02   Christian Carls, 09.09.2000, Beitrag Köhle-Hezinger
  • B15   Angenita Stock-de Jong, 07.10.2000, Die Kinder der Migranten
  • B21   Maria Bürger-de Castillo, 15.12.2000, Auszug aus einer Diskussion über das
              Thema "Heimat"
  • B24   Boris Nieswand und Ulrich Vogel, 30.03.2001, Exkurs: Der Begriff der Heimat




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C04   Peter Joksch schrieb am 16.09.2000:

Fremde kann zur Heimat werden

Ein Mensch kann zwei Heimaten haben:
In die erste wird man hineingeboren, die zweite schafft man sich.
Dies ist der Satz 1 der Gruppe: Fremde kann zur Heimat werden.
An diesem Satz stoße ich mich ein bisschen. Kann ein Mensch das wirklich? Muss er sich nicht irgendwann entscheiden, was er als Heimat betrachtet? Kann er gleichzeitig seinen Aufenthaltsort oder –land als Heimat betrachten und einem anderen Ort oder Land nachtrauern?
Nun noch eine Zusatzfrage. Gibt es Menschen, die sich "heimatlos" fühlen, weil ihr Lebenslauf sie schon seit ihrer Kindheit dazu verdammte nirgendwo lange genug zu bleiben, um heimisch zu werden. Und die später irgendwo leben, wo sie zwar ihr Auskommen haben, sich aber dennoch nicht völlig wohlfühlen?
Zur Frage der Kriterien: Wichtig kann meines Erachtens auch die Religion sein, und wie mit ihr umgegangen wird. Bei der Einschulung unserer Kinder gab es immer 2 – 3 Klassen mit katholischen Kindern und eine Klasse mit evangelischen und auswärtigen Kindern. Im Nachbarort war auf dem Schulhof ein Strich, der katholische von evangelischen Kindern trennte.
Und eine Integration in der Fremde wird schwierig, wenn die Akzeptanz an der Haustüre aufhört.

Herzliche Grüße Peter

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C05   Angenita Stock-de Jong schrieb am 17.09.2000:

Fremde kann zur Heimat werden

Ein Mensch oder eine Familie kann zwei Heimaten haben:
Ich kann den Satz nur bestätigen. Peter stößt sich aber ein bißchen daran.
Ich bin in den Niederlanden geboren, habe dort meine Kindheit und Jugend verbracht, bis ich mit fast 22 Jahren, wegen meiner Heirat mit einem deutschen Mann, nach Deutschland gezogen bin. Ich besitze noch immer meine niederländische Nationalität. Warum hätte ich diese aufgeben sollen? In den Niederlanden bin ich wahlberechtigt (verstehe das nicht, weil ich doch hier wohne), allerdings nicht kommunal, dieses Recht habe ich als Ausländer allerdings jetzt in Deutschland.
Meine ganze Verwandschaft wohnt in den Niederlanden und wir sind sehr oft dort zu Besuch. Wenn ich in meine Heimatstadt (Geburtsort) zu meiner Mutter fahre, so heißt es immer noch: Ich fahre nach Hause!
Das Bedürfnis niederländisch zu sprechen nimmt auf der Fahrt dorthin immer mehr zu. Meine Tochter (18 Jahre) teilt mit mir, obwohl sie in Deutschland geboren wurde, das gleiche Empfinden, meine beiden Söhne und mein Ehemann weniger.
Ich fahre aber immer wieder gern nach Solingen, meine andere Heimat, zurück. Hier fühle ich mich vor allem wegen meiner Familie, Freunde und Landschaft wohl. Die Sprache zu lernen war eine Notwendigkeit, um mich hier heimisch zu fühlen. Durch die regelmäßigen Aufenthalte in den Niederlanden ist das Gefühl, in zwei Heimaten zu leben, m.E.für mich stärker als für jemanden, der dies nicht mit macht.
Auf die Frage, ob meine Mentalität und auch Identität sich verändert hat, kann ich keine Antwort geben. Diese Frage stelle ich mir selbst schon lange. Ich möchte deshalb in unserer Gruppe "Europa, meine Heimat?" diese Frage bearbeiten. Durch meine heutigen zwei Heimaten werde ich wahrscheinlich keine große Schwierigkeiten haben, auch Europa in Zukunft als meine Heimat zu sehen. Ich antworte schon seit langem auf die Frage, was bist du eigentlich: Europäerin.

Zu der Aussage von Peter, dass eine Integration in der Fremde schwierig wird, wenn die Akzeptanz an der Haustüre aufhört, möchte ich die Frage stellen: Wie weit geht man selbst in seiner Toleranz und Akzeptanz, wenn es sich z.B. um Umgangsformen, Stellung der Frau und Blutrache handelt?

Grüße
Angenita

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C06   Volkmar Gimpel schrieb am 17.09.2000:

Muttersprache

Liebe Angenita,
ich habe gerade deinen Beitrag gelesen und mir fiel ein, was Heinrich Heine zur Muttersprache gedichtet hat. Nachstehend die ersten 3 Strophen von "Deutschland - Ein Wintermärchen":
    Im traurigen Monat November war's,
    Die Tage wurden trüber,
    Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
    Da reist ich nach Deutschland hinüber.

    Und als ich an die Grenze kam,
    Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
    In meiner Brust, ich glaube sogar
    Die Augen begunnen zu tropfen.

    Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
    Da ward mir seltsam zumute;
    Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
    Recht angenehm verblute.
Zweifellos sind diese Verse vom Trauma des Exils geprägt. Aber drücken sie nicht die emotionale Bindung an die Muttersprache aus?

Volkmar

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C07   Jutta Gotthardt schrieb am 18.09.2000:

Zwei Heimaten

Hallo, liebe "Heimat und Fremde"-Freunde!
Als ich jünger war, habe ich diejenigen Menschen beneidet,die – im landläufigen Verständnis – einen Ort hatten, den sie "Heimat" nennen konnten: wo sie geboren und aufgewachsen waren und wo sie auch ihr weiteres Leben verbrachten und natürlich den dazugehörigen Dialekt sprachen. Ich stimme Dir zu, Dieter, man muß die Vorstellung von "klassischer Heimat", die sich mit dem Geburtsort verbindet, nicht aufgeben. Trotzdem kann (darf?) ich auch 2 oder mehr Bereiche (Menschen, Räume, Zeiten u.a.) in meinem Leben haben, die für mich Heimat sind.

Als Kleinkind habe ich den Ort meiner Geburt (in Chile) verlassen mit wenig nachhaltigen Erinnerungen. Doch irgendwie trieb es mich später,diesem ganzen Gefühlsensemble nachzuspüren. Als junge Erwachsene lebte ich längere Zeit in diesem Land, lernte die Menschen und die Schönheit und Eigenart des Landes kennen und stellte fest, dass die Mentalität von Land und Leuten der meinigen verwandt ist.
Mein eigentliches Leben spielte sich danach wieder in Deutschland ab, aber es war wichtig für mich ,diese Erfahrung zu machen. Im weiteren Verlauf meines Lebens gab bzw. gibt es mindestens zwei Orte mit Menschen, die mir ein starkes Heimatgefühl vermittelten.
Was muß man tun, um heimisch zu werden?, fragst du, Dieter.Ich kann nur für mich antworten.
Ich weiß nicht,ob es Strategien gibt,die man einsetzen kann. Ich denke mal, wichtig sind Kriterien wie Offenheit,Interesse für die Anderen, das Andere, zeigen, auch ein Stückchen Risikobereitschaft und ein Quäntchen Mut mitbringen. Ein bisschen Glück, die richtige Zeit, der richtige Ort usw., das spielt wohl auch eine Rolle.

Jutta.

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C08   Peter Joksch schrieb am 21.09.2000:

Fremde kann zur Heimat werden

Angenita schrieb am 17.09.2000 zu "Fremde kann zur Heimat werden":
Ein Mensch kann zwei Heimaten haben. Ich kann den Satz nur bestätigen. Meine ganze Verwandtschaft wohnt in den Niederlanden. Es besteht also ein ständiger Kontakt. Was wäre, wenn dieser Kontakt nicht mehr vorhanden wäre? (Keine Ansprechpartner, keine Verwandtschaft, kein Besitz). Kann man sagen, das Heimatgefühl ist von diesen Kontakten abhängig?
Kann man das unterschiedliche Empfinden von Töchtern und Söhnen (Frauen und Männern) verallgemeinern?
Die Sprache zu lernen war eine Notwendigkeit. Sprachverständnis bzw. –beherrschung ist also eine Vorraussetzung für Heimatgefühl?
Verändern sich Identität und Mentalität nicht immer im Laufe des Lebens? (tempora mutantur ...) Und dies umso eher, wenn wir über unseren "Tellerrand" hinaussehen? Ein Außenstehender kann dies wahrscheinlich viel eher feststellen als man selbst. Ich habe mir mal einen kleinen Fragebogen ausgearbeitet, mit dem ich hier wohnende "Ausländer" befragen möchte. Eine 28- jährige Türkin, die seit 23 Jahren hier wohnt, sagte mir: Ich fahre alle 2 – 3 Jahre in die Türkei. Dort falle ich auf, obwohl ich fließend türkisch spreche. Meine Sprache ist nicht auf dem neuesten Stand. Auch bin ich auffällig durch die Art meiner Bewegungen.
Wenn ich sage, ich bin Europäer, füge ich wahrscheinlich hinzu, wo ich mich am wohlsten fühle. Genauso wenn ich sage: ich bin Deutscher; am wohlsten fühle ich mich in Solingen, Stuttgart etc.
"Bei der Akzeptanz bis zur Haustüre" meinte ich, dass sich Einheimische gegen Fremde abschotten, indem sie einen persönlichen Kontakt nur außerhalb ihres Heims zulassen. Bei der von Angenita aufgeworfenen Frage Toleranz und Akzeptanz geht es meiner Meinung nach um Formen, Meinungen, Überzeugungen, Kulturkreise. Gibt es aber das nicht schon im eigenen Land? Wie ist es mit der Gretchenfrage oder mit der Frage zur Akzeptanz von Ausländern und Asylanten.
Ich glaube, dass es schwierig ist, das in E–Mails zu diskutieren. Ich hoffe nur, dass ich nicht missverstanden werde.
Herzliche Grüße Peter

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C10   Angenita Stock-de Jong schrieb am 27.09.2000:

Fremde kann zur Heimat werden

Auf die Fragen von Peter kann ich nur subjektiv antworten. Ich kann die Frage,ob das Heimatgefühl von den Kontakten dort abhängt, zum größten Teil bejahen, aber nicht ganz, denn auch, wenn ich z.B. eine grenzüberschreitende Fahrradtour mache oder einfach dort irgendwo Urlaub mache, bekomme ich diese Gefühle. Dieses Heimatgefühl ist für mich nicht nur von den Kontakten (z.B. mit Verwandten) abhängig. Die Heimatsprache spielt m.E. bei mir eine große Rolle. Wenn ich, wo auch immer auf der Welt, meine Muttersprache sprechen kann, fühle ich mich "heimisch". Um aber auch in der neuen Heimat ein Gefühl des Dazugehörens (nicht fremd zu sein) zu bekommen,ist eine Voraussetzung, die Sprache zu lernen.

Ich möchte kurz ein Beispiel bringen:
Die Mutter eines Jugendfreundes meines Mannes hat die englische Sprache in Kanada, wohin die Familie nach dem Krieg ausgewandert war, nie lernen wollen. Sie hat ihre Muttersprache, Deutsch, weiter innerhalb ihrer Familie und in dem Deutsch-Club gesprochen, sich dort "heimisch" gefühlt, in dem Land ist sie eine Fremde geblieben. Sie ist, laut Aussagen des Sohnes,dadurch sehr einsam gewesen. Kanada ist nie ihre Heimat geworden, obwohl sie dort mehr als 30 Jahre gelebt hat. Die Frage: Ob des Heimatgefühl geschlechtspezifisch ist, kann ich nicht beantworten. Vielleicht finden wir die entsprechende Literatur.
Mit der Frage: Ob sich die Identität und Mentalität im Laufe eines Lebens verändern und welche Rolle die Muttersprache dabei spielt, ist die Frage womit ich mich z.Zt. beschäftige. Als ich in den Computer der Uni-Bibliothek als Stichwort "Identität" eingab, bekam ich über 500 Literaturangaben. Von den 8 Büchern, die ich mitgenommen habe, kann ich evt. 4 brauchen. Es gibt in diesen Büchern wiederum soviele Literaturhinweise, dass es schwerfallen wird, ein Exzerpt zu machen.

Ich möchte dich, Peter, bitten, deinen Fragebogen ins Forum zu stellen, damit wir alle damit arbeiten können. Unsere Gruppe hatte in Urach schon überlegt, einen solchen Fragebogen zu erstellen. Eventuell könnten wir deinen Bogen mit Fragen aus den anderen Gruppen ergänzen.

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C11   Volkmar Gimpel schrieb am 29.09.2000:

Fremde in Deutschland - Deutsche in der Fremde


In der Zeit vom 18.09.00 bis 07.01.01 findet im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig unter diesem Titel eine Sonderausstellung statt, die meiner Meinung nach zu unserem Thema passt, viele Fragen beantwortet und manche aufwirft. Der nachstehende Text aus dem Begleitprogramm zur Ausstellung skizziert deren Anliegen.

Deutschland war und ist Ein- und Auswanderungsland. Die kulturgeschichtliche Wanderaustellung "Fremde in Deutschland - Deutsche in der Fremde" geht dieser Aussage auf den Grund. Rund 700 Objekte behandeln den Alltag und die Kultur von Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen Grenzen überquerten. Die Ausstellung spannt einen epocheübergreifenden Bogen vom 17. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart.
Erzählt wird die Geschichte der Sinti und Roma, die sich als fahrendes Volk seit der Frühen Neuzeit Verfolgungen ausgesetzt sahen. Dagegen waren verschiedene Gruppen von Glaubensflüchtlingen als "Entwicklungshelfer" willkommene Einwanderer.
Die massenhafte Auswanderung von Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert wird anhand der beiden wichtigsten Zielgebiete Russland und Amerika vorgestellt.
Der Einfluss der jüdischen Kultur auf das deutsche Geistesleben wird ebenso thematisiert wie Nationalismus und Rassenwahn, der Juden und Sinti als "Fremde" brandmarkte und schließlich zu ihrer Vernichtung führte. Das Ende des Zweiten Weltkrieges beendete dieses schändliche Kapitel deutscher Geschichte und führte zu neuen Tragödien: der Flucht und Vertreibung von Deutschen aus dem Osten. Eine eigene Abteilung behandelt Messen und Märkte als Kristallisationspunkte kultureller Begegnungen in Deutschland. Ergänzt wurde die Exposition um die Themenbereiche Zwangsarbeiter in Leipzig, Kontraktarbeiter in der DDR und Ausländer in Leipzig heute.
Die Eröffnung der Ausstellung am 17. September 2000 erfolgte genau 300 Jahre nach der Gründung der Evangelisch-reformierten Gemeinde durch hugenottische Flüchtlinge aus Frankreich.


Einige Eindrücke, die mir besonders beachtenswert erschienen:
  • Am Anfang der Ausstellung das Bild eines typischen Bauernhauses. Der zugehörige Text erläutert, dass Sesshaftigkeit, also Haus und Hof, die Abgrenzung von den "Vagabunden" schafft. Hier drängt sich die Überlegung auf, dass Haus = Heim = Grundlage von Heimat ist.
  • Die Nachfahren der mehreren Hunderttausend Hugenotten, die Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts nach Deutschland gekommen sind, sind längst Deutsche geworden und fühlen sich als solche. Sie haben, auch wenn man sie noch an ihren Namen erkennt - viele der ursprünglich französischen Namen wurden jedoch eingedeutscht - keine Bindung mehr an die Heimat ihrer Vorfahren. Ähnlich ist es mit den in der Periode der Industrialisierung eingewanderten Polen vor allem aber nicht nur im Ruhrgebiet. Und Vergleichbares ist auch bei den nach Amerika ausgewanderten Deutschen zu beobachten. Der emotionale Wechsel von der alten zur neuen Heimat vollzieht sich auch heute in der 2. oder 3. Generation. Aus Heimweh wird interessante Unterhaltung, so wie sich eben mancher mit Genealogie beschäftigt. Das gilt um so mehr für Wanderungen zwischen gleich-sprachigen Gebieten.
  • Erstaunt war ich darüber, dass zwischen 1952 und heute 30 Millionen Menschen nach Deutschland zugewandert und 20 Millionen abgewandert sind. Eine wahre Völkerwanderung! Wenn man dazu noch die letztes Wochenende in Verbindung mit dem Referendum in der Schweiz bekannt gewordene Zahl von fast 20 % Ausländeranteil oder die augenfällige Präsenz Zugewanderter in ehemaligen Kolonialstaaten wie Frankreich, England oder den Niederlanden nimmt, wird klar, dass der Begriff der Heimat einem Wertewandel unterliegt, der sich in Verbindung mit der Globalisierung noch beschleunigen wird.
Abschließend die Frage: Was werden die Generationen unserer Enkel und Urenkel unter Heimat verstehen, wenn sie während ihrer Ausbildung und ihres Berufslebens in den verschiedensten Ländern und Erdteilen sein werden, dort Freunde finden und binationale Lebenspartnerschaften nicht mehr Ausnahme sondern Regel sind?

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C12   "Lemmy" schrieb am 04.10.2000:

Identität und Fremde

Martin (Angenitas Sohn) hat mir die Internetseite hier genannt. Bis jetzt konnte ich nur ein, zwei vorsichtige Blicke hineinwerfen. Interessant fand ich, dass ich das Thema "Fremdheit" im Examen hatte, allerdings aus einer ganz anderen Perspektive - die Wahrnehmung der Fremdheit in erster Linie als etwas Bedrohlichem. Ganz spannend fand ich dazu einen Artikel von Freud: Freud, S.: "Das Unheimliche". Er beginnt mit der Gegenüberstellung der Begriffe "heimlich" und "heimelig", die ja auch ambivalente Bedeutungen haben können, und entwickelt daraus eine Begründung, warum uns Dinge/Menschen/Situationen als fremd = unheimlich erscheinen. Es geht letztendlich viel um Wiedererkennen, wie Altbekanntes zu Fremdem wird usw.
Es gibt auch ein Buch "Das Fremde in der Psychoanalyse". Ganz spannend, von verschiedenen Autoren. Ablehnung oder Vereinnahmung von und vom Fremden ist auch häufig Thema bei Birgit Rommelspacher (diverse Artikel) und Wilfried Breyvogel. Aber die letzteren beiden verlassen vielleicht schon eher wieder den Themenrahmen.

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C13   Angenita Stock-de Jong schrieb am 08.10.2000:

Heimat und Identität

Bei meiner Suche nach Literatur bin ich auf ein Buch gestossen von Peter Röllin und Marianne Preibisch "Vertrautes wird fremd - Fremdes vertraut", Ortsveränderung und räumliche Identität. Basel: Helbing & Lichtenhahn, 1993 (kulturelle Vielfalt und nationale Identität)
Man findet hier zusätzlich ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Es würde zu weit führen den ganzen Inhalt darzustellen, aber einiges möchte ich zitieren.
    So ist Hermann Bausinger der Frage nachgegangen, ob die Begriffe "Heimat" und "Identität" eine harmonische Verbindung, ein Spannungsverhältnis oder gar einen Widerspruch darstellen. Bausinger weist auf die grundverschiedenen Ansätze dieser Begriffe hin: "Heimat" ziele auf eine räumliche Relation, nicht strikt begrenzbar, aber lokalisierbar im Raum. "Identität" dagegen sei eine Frage der inneren Struktur. Dass die beiden Begriffe enger zusammengerückt sind, sei das Ergebnis einer jungen Entwicklung, einer gewandelten Alltagswelt (Bausinger, 1980:S.13-14).
    Im Gegensatz zum Heim im engeren Sinne, das durch Wände und Türen von der Umwelt stark abgegrenzt ist, hat "Heimat" nach Otto Friedrich Bollnow keine klar erkennbaren Grenzen. Man empfinde überhaupt keine solche Begrenzung, solange man sich im vertrauten Umkreis der Heimat bewege: "Erst wenn man deren vertrauten Umkreis verlässt, wenn die Landschaft unbekannt wird und man erst nach dem Weg fragen muss, wenn die Menschen eine andere Sprache sprechen, mögen es auch nur kleine Abweichungen vom heimatlichen Dialekt oder Tonfall sein, vor allem aber, wenn die Menschen einen als einen Fremden betrachten, mit Neugier und Abwehr oder auch mit hilfsbereiter Zuwendung, dann merkt man erst, dass man in der Fremde ist. Man wird unsicher" ( Bollnow, 1984; S.28).
    Erfahrungen mit Störungen von Vertrautheit und Identität beispielsweise bei Umsiedlern, die der besonderen Spannung zwischen gewohnter kultureller Orientierung an der alten Heimat und der vom neuen Ort geforderten Neuorientierung ausgesetzt sind, lassen Bausinger vermuten, dass in einer Phase geringer Mobilität, d.h. in einer "ungestörten" Umwelt, ein hohes Mass an Übereinstimmung zwischen sozialen und kulturellen Tatbeständen gegeben sind (Bausinger, 1978; S.214).

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C14   Dieter Böckmann schrieb am 08.10.2000:

Antwort auf Forum-Beiträge

Ich bin in Berlin geboren. Und hier sogleich auch die Erklärung, warum ich das Thema "Heimat und Fremde" gewählt habe: nach Beendigung meines Studiums mit 24 Jahren musste ich Berlin verlassen und nach (wie man damals sagte) Westdeutschland gehen, um einen Anfangs-Job zu finden. Der Beruf führte mich später ins Schwabenland. Seit nunmehr 30 Jahren lebe ich mit meiner Familie in einem Dorf bei Stuttgart. Schwäbisch sprechen habe ich nie gelernt, allerdings verstehe ich (fast) immer meine Nachbarn und Freunde hier. Aber ich und meine Familie (meine Frau ist aus Westfalen), wir haben hier unsere zweite Heimat gefunden, zumal unsere Kinder hier zur Schule gegangen sind. Ich bin Kirchengemeinderat und in Vereinen und Gemeinde aktiv. Und dies erst recht, seitdem ich (nun schon mehrere Jahre) im Ruhestand bin. Freilich habe ich (wie Hildegard Knef einst sang) "noch einen Koffer in Berlin":
meine Schulklasse (1999 haben wir das 50-Jahre-Jubiläum des Abiturs in unserer "alten" Schule gefeiert), Stiftungsfeste meiner Studentenverbindung rufen mich, und ich habe auch noch Verwandte dort. Es ist für mich durchaus nicht widersprüchlich, Berlin meine Heimatstadt zu nennen, und gleichzeitig hier in meinem Schwabendörfle heimisch zu sein.
Den Begriff "heimisch, heimisch werden" habt Ihr schon in meinem ersten Forums-Beitrag vom 12. September gelesen. Da ist der mir ohne weiteres Nachdenken aus der Feder geflossen. Aber vielleicht wendet jetzt jemand ein, "haha, heimisch . . .", das ist ja nur ein schwacher Ersatz, ist nicht dasselbe wie "seine Heimat hier haben". Und nachdem ich nun viele Zitate zum Begriff "Heimat" aus der einschlägigen Literatur, wissenschaftlich präzise mit Quellenangabe, lesen konnte, nun meine Frage: hat jemand irgendwo eine Definition des Begriffs "heimisch, heimisch werden" als Ausdruck der "zweiten Heimat" gefunden?
Bei der Gelegenheit muss ich auch eingestehen, dass ich die Literatur zu unserem Thema (über 500 Literaturangaben hat ja Angenita Stock-de Jong, wie sie in ihrem Forums-Beitrag vom 27.10. mitteilt, zum Stichwort "Identität"im Computer der Universität gefunden!) noch nicht durchforstet habe. Aus früheren Studien zum Stichwort "Identität" (ich habe in den 90er Jahren Vorträge über die "Kulturelle Identität Europas" gehalten) kann ich hier zwar einiges beisteuern, aber das öffnet ein neues weites Feld.
Und damit komme ich zu einer weiteren Frage in unserem Forum: da gibt es die ganz persönlichen, subjektiven, individuellen Erfahrungen (Angenita aus Holland, Peter, der seine Verwandten dort hat, Jutta(?) aus Chile, ich selbst aus Berlin). Und gleichzeitig gibt es eine schier unendliche Literatur zum Thema. Und z.B. die von Volkmar am 29. September dargestellte Ausstellung in Leipzig. Welchem Aspekt sollen, wollen wir, wenn überhaupt, nun den Vorzug geben? Oder wird es uns gelingen, eine Symbiose aus Persönlichem und (objektiv, systematisch) Wissenschaftlichem zu finden ? Denn schließlich sind wir ja in Urach unter dem Motto LiLL (Learning in Later Life) und "Forschendes Lernen mit (und im) Internet" angetreten.
Hierzu ein Vorschlag : Zu den in meinem ersten Forums-Beitrag aufgelisteten Stichworten Landschaft, Sprache, Mentalitaet, Arbeit, Vereine, Freunde habe ich nun schon so viele weitere gefunden (Identität, Ethnologie, Anthropologie, Tradition, Sozialisation, Umwelt, Akzeptanz, Toleranz, Integration, Kontakte, Wertewandel, multikulturell, Globalisierung - die Aufzählung ist noch lange nicht vollstaendig), dass mir fast schwindlig wird. Würde uns vielleicht ein systematisches Glossar weiterhelfen? Zur Erklärung : in einem Glossar ist zu jedem Begriff mindestens eine Definition hinzugefügt (es können auch mehrere Definitionen sein, unter verschiedenen Aspekten). Die Einrichtung einer Datenbank wäre hier nützlich.
Soviel für heute. Wie eingangs gesagt, demnächst mehr,
Dieter

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C15   Janni Shimomura schrieb am 27.10.2000:

Heimat und Fremde

Frau Shimomura, eine Bekannte von Renate Bowen, lebt seit vielen Jahren in den USA. Sie schrieb Angenita Stock-de Jong nachstehende Mail:
Liebe Frau Stock!
Ich erhielt Ihre e-mail einen Tag bevor wir zu einem 10-taegigen trip nach Maine aufbrachen. Haben Sie recht vielen Dank fuer Ihren langen Brief! Wenn Sie mich nach meiner Definition der Heimat fragen, so kann ich wohl nur sagen, dass die Heimat dort ist, wo man sich wohlfuehlt. Ich fuehle mich hier in den USA zu Hause in jeder Hinsicht, was Sprache, Menschen, Beruf, Land und Kultur betrifft. Es gibt natuerlich Vieles hier, was nicht ideal ist - welches ist das ideale Land? - Auf der anderen Seite weiss ich, dass ich mich genau so gut wieder in Deutschland einleben koennte. Aber das liegt wohl auch daran, dass wir besondere Beziehungen in Deutschland haben.
Ich kam als 29-jaehrige 1965 mit der Ventnor Foundation als Medizinalassistentin nach New Jersey. Das sollte nur fuer ein Jahr sein, aber ich lernte meinen Mann kennen und wir heirateten 1966. Dann erschienen die Kinder : Audrey, jetzt 33, Karen waere 31 und Andrew ist 28. Ich bin 26 Jahre medizinisch hier taetig gewesen, hauptsaechlich in Emergency Departments. Meine gesamte Familie, bis 1966 noch meine Mutter - sowie drei Schwestern sind alle in Deutschland. Im Laufe der Zeit wurden unsere Toechter abenteuerlustig, nahmen Deutsch-Kurse im Goethe Institut (Berlin und Goettingen) und blieben dann in Deutschland "haengen". Audrey absolvierte ihr Architekturstudium in Berlin und arbeitet jetzt in Muenchen.
Karen arbeitete bei der Firma Sartonus in Goettingen als sie eine ploetzliche, massive Gehirnblutung bekam und in Goettingen im Alter von 26 Jahren verstarb. Da alle ihre Organe in Deutschland und Schweden verpflanzt wurden ist diese Tatsache natuerlich fuer uns von besonderer Bedeutung und wir wissen, dass sie irgendwo in Deutschland immer noch lebt.
Wir kommen regelmaessig nach Deutschland - ein- bis zweimal im Jahr um die Familie zu besuchen. Durch diese regelmaessigen Besuche bleiben auch die anderen Kontakte lebendig, wie z.B. Schulkameradinnen. Das sind also Beziehungen, die schon seit ueber 50 Jahren bestehen!
Ich freue mich immer wieder, die huebschen deutschen Staedte zu besuchen, sehe aber mit Bedauern, wie die kleinen Geschaefte in der Stadtmitte zu Grunde gehen zu Gunsten riesiger Shopping-Zentren ausserhalb der Staedte. Das ist genau, was auch hier in den letzten Jahrzehnten vor sich gegangen ist. Aber dennoch ist es z.B immer wieder erfreulich, in einem deutschen Cafe zu sitzen: "starbucks" hier mit Plastikbechern kommt da nicht mit. Wie gesagt, ich haette eine lange Liste von Dingen, die mir hier besser gefallen und was mir dort besser zusagt. Deshalb finde ich, dass ich "the best of both worlds" habe, indem ich mich hier in USA sowohl als auch in Germany zu Hause fuehle.
Uebrigens besteht mein gesamter Freundeskreis aus Amerikanern; z.Z. kenne ich nur eine Deutsche hier - seit Renate fortgezogen ist. Ich muss gestehen, dass ich keine besonderen Anstrengungen mache, nur deutsche Bekannte zu suchen. Wenn jemand auftaucht - so wie Renate - umso besser!
Was meinen Mann betrifft, der japanischer Abstammung ist, aber in Californien geboren und hier aufgewachsen und seine Ausbildung erhalten hat, so hat er keine heimatlichen Gefuehle fuer Japan. Er ist Amerikaner, der gerne japanisch isst. Er war nur zweimal kurz in Japan. Seine Eltern sind nie mehr zurueck nach Japan gegangen. (Waere auch etwas schwierig mit 8 Kindern gewesen.)
Das war ein kurze introduction und wenn Sie mehr Fragen parat haben, will ich sie gerne beantworten - wenn ich kann.
Mit vielen freundlichen Gruessen
Janni Shimomura
LINCSHIM@aol.com

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C16   Angenita Stock-de Jong schrieb am 27.02.2001:

Kann Fremde zur Heimat werden?

Ich möchte auf das Buch "Heimat los!" - Aus dem Leben eines jüdischen Emigranten - hinweisen, das basiert ist auf Gesprächen mit Gad Granach, die Hilde Recher, Henryk M. Broder und Michel Bergmann geführt haben (Ölbaum Verlag, Augsburg; 1997).

Der "Tagesspiegel" schreibt darüber: "Einer der wachsten und witzigsten Zeugen für das Berlin der Dreißiger Jahre, das Israel der Kibbuzim-Jahre und für das heutige Jerusalem".
Die Süddeutsche Zeitung sagt: "Ein höchst kurzweiliges, aber auch nachdenkliches Buch..."

Granach fängt mit den Worten an: "Ich weiß gar nicht, warum Menschen immer ihre Identität suchen müssen. Mir haben sie gesagt, wie ich heiße, das hat mir vollkommen gereicht." (S. 5)
Granach ist ein Berliner, der Deutschland 1936 mit 21 Jahren verließ und im Hafen von Haifa an Land ging.
Er hat keinen Moment in seinem Leben den Wunsch verspürt, wieder nach Deutschland zurückzugehen.
Wenn er zu Besuch nach Deutschland kommt, wird er oft gefragt: "Wo ist eigentlich deine Heimat?" Er kann mit der Frage nichts anfangen, denn wer lebt denn heute noch dort, wo er mal geboren wurde? Heimat ist für ihn ein vergoldeter Begriff, es ist etwas, wonach man sich zurücksehnt. Mit Heimat meinen die Leute oft die verlorene Jugend. Für ihn ist Heimat da, wo er sich über die Beamten ärgere und wo sein Bett steht, da, wo er seinen Kopf niederlegen kann. Er könnte überall leben, aber er würde immer nach Israel zurückkommen.
Über seine Mutter, die insgesamt 33 Jahre in Palästina bzw. Israel lebte und trotzdem nur ein hebräisches Wort kannte sagt er:
"Sie hat ihren Lebensabend genossen. Sie las viel und ging mit Freundinnen ins deutsche Theater. Hebräisch konnte sie nicht mehr lernen, dafür war sie schon zu alt; Hebräisch war die Sprache der Jugend. Sie kam aber auch ohne diese Sprache hervorragend klar, indem sie ganz einfach Deutsch sprach, und zwar sehr laut, dann würde man es schon verstehen".
Diese Aussage widerspricht sich mit meiner Auffassung, dass man die Sprache des Landes beherrschen muß, um sich nicht "heimatlos" zu fühlen.
Als ich die Worte von Granach las: "Wer lebt denn heute noch dort, wo er mal geboren wurde", fiel mir das Gedicht "In der Fremde" von Joseph Eichendorff (1788-1857) ein, das gut hierzu passt:
    Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
    Da kommen die Wolken her,
    Aber Vater und Mutter sind lange tot,
    Es kennt mich dort keiner mehr.
    Wie bald, wie bald kommt die stille Zeit,
    Da ruhe ich auch, und über mir
    Rauschet die schöne Waldeinsamkeit
    Und keiner mehr kennt mich auch hier.

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C18   Peter Joksch schrieb am 01.03.2001:

Kann Fremde zur Heimat werden?

Fremde kann zur Heimat werden. Ein Thema das jeder nur für sich und nur aus dem Gefühl heraus beantworten kann.
Dazu möchte ich aus dem Buch "Heimat" von Christian Graf von Krockow zitieren. Er beschreibt im Vorwort des 1989 im dtv - Verlag erschienenen Buches wie er einmal gefragt wurde:
Könnten Sie uns ein Buch über Göttingen schreiben, so wie Sie es über Pommern getan haben?
Diese Anfrage ließ sich sofort und eindeutig beantworten: Nein, das könnte ich nicht.
Aber warum denn nicht?
Das allerdings erwies sich als eine unerwartet schwierige Frage, der ohne Bedacht nicht mehr beizukommen war. In Göttingen habe ich 1947 mit dem Studium angefangen und es 1954 abgeschlossen, meine akademische Laufbahn begonnen und 1961 meine erste Professur übernommen, 1964 ein Haus gebaut, Bäume gepflanzt, einen Garten angelegt. Hier lebe ich mit Familie, Enkelkindern und Katze, hier bin ich zu Hause: zweiundvierzig Jahre insgesamt - gegen nur siebzehn in Pommern!
Doch es ist seltsam: Noch immer haftet am Hiersein etwas Oberflächliches und Vorläufiges. ....
Woran liegt das, was macht den Unterschied aus? Offenbar dies: dass ich dort ein Kind war - ....
In der Kindheit also und nirgendwo sonst ist das angelegt, was wir Heimat nennen. .....
Wichtig ist allerdings, dass die Umstände der Kindheit halbwegs stabil bleiben. ....

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C19   Angenita Stock-de Jong schrieb am 05.05.2001:

Heimat und doch nicht Heimat

In der Zeitschrift 3/2000 für die Praxis der politischen Bildung "Politik & Unterricht" der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg fand ich folgendes Gedicht:
    Heimatlos

    Von Hasret Tuc

    Ein Ausländer bin ich in Deutschland
    Ein Fremder in der Heimat
    Die soweit weg ist.

    Geboren bin ich in Deutschland.

    Sehnsucht habe ich nach meiner Heimat
    Ich liege wie ein Tourist am Strand
    In der Stadt, aus der meine Eltern stammen
    Bin doch ein Fremder in der Heimat.

    Die Wellen singen meine Sehnsucht
    Sonnen und Meer ziehen mich an wie ein Magnet
    Meine Heimat, ich kenne sie nur aus den Ferien
    Doch keine kann sich mit ihr messen.

    In Deutschland nennt man mich Ausländer
    In der Türkei, in Italien oder sonstwo
    Nennt man mich Deutschländer
    So bin ich weder ICH noch ein Deutscher.

    So bin ich ein Niemand, heimatloser Fremder.
32. Schülerwettbewerb des Landtags, 1989

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C20   Hildegard Ehlert schrieb am 23.02.2001:

Alte Heimat - neue Heimat


Hildegard Ehlert verfasste diesen Beitrag für den Senioren-Internettreff in der Abt. Gummersbach der Fachhochschule Köln. Wir danken für ihre Zustimmung zur Veröffentlichung auf unserer Website.

Meine Heimat - im Sinne von Vaterland - ist Deutschland; und wenn es auch zeitweise ein "schwieriges Vaterland" war, habe ich doch nicht gewünscht, ein anderes Vaterland zu haben. Meine Heimat im engeren Sinn ist Thüringen, und dort kristallisieren sich meine Gefühle auf zwei Punkte:
1. ein kleines Dorf im Thüringer Wald und
2.  Erfurt, die größte und wesentlichste Stadt Thüringens.
Zwei gegensätzliche Punkte, die sich aber hervorragend ergänzen.

Die ersten 10 Lebensjahre verbrachte ich also in einem Dorf von etwa 600 Einwohnern im südlichem Thüringer Wald. Hier lag mein Kinderparadies, und wenn ich das Lied höre oder lese:
"Im schönsten Wiesengrunde
steht meiner Heimat Haus ...“
steht mir unser Tal vor Augen. Wir wohnten in einem geräumigen alten Haus, hinter dem sich ein großer Garten den Berghang hinauf zog. Durch das Tal floss ein Flüsschen, in dem wir im Sommer baden konnten. Das war ganz ungefährlich: das Wasser war sauber und so flach, dass nichts passieren konnte. Allerdings trieb das Flüsschen sogar eine Mühle, und im Frühjahr bei der Schneeschmelze im Thüringer Wald konnte es den ganzen Talgrund überschwemmen. Im Dorf kannte jeder jeden, und wir Kinder waren im ganzen Dorf zu Hause. Wunderschön war es, wenn wir mit zur Heuernte durften und dann hoch oben auf dem duftenden Heu ins Dorf zurückfuhren. Aber kein Paradies währt ewig!

In Erfurt dann bin ich zur Schule gegangen, habe an der Königin Luise-Schule Abitur gemacht, derselben Schule, die schon meine Mutter besucht hatte, und ich war auch nach dem Studium die ersten Berufsjahre wieder in Erfurt. Ich wurde bald in Erfurt heimisch, kannte mich aus und habe gelegentlich für Freunde und Verwandte den Fremdenführer gespielt. Erfurt war und ist auch heute noch eine der schönsten und geschichtsträchtigsten Städte Deutschlands. Ein "Bilderbuch der deutschen Geschichte" nannte es Arnold Zweig, "Erfordia turrita" - das "Türmereiche Erfurt" hieß es im Mittelalter und die "Blumen -, Luther- und Domstadt" zu meiner Zeit. - Während die Einfahrt in viele andere Städte dieser Größenordnung durch wenig schöne Industriegebiete führt, fährt man nach Erfurt durch weite bunte Blumenfelder, ein Anblick, den ich schon als Kind liebte. - Aber es würde zu weit führen, all die Schönheiten und Besonderheiten der Stadt hier zu beschreiben. Doch auch die Erfurter Zeit ging zu Ende: Ich musste Hals über Kopf aus der DDR fliehen, und erst als ich hier im Westen zur Besinnung kam, wurde mir bewusst, dass ich damit meine alte Heimat verloren hatte.

Meine neue Heimat wurde nun nach einer Zwischenzeit an der unteren Sieg das Oberbergische in NRW. Ich habe mir diese neue Heimat nicht selbst ausgesucht. Wir DDR-Flüchtlinge wurden damals nicht in Watte gepackt, sondern wurden in ein Land eingewiesen, das seine Aufnahmequote noch nicht erfüllt hatte, in meinem Fall NRW. Amtlicherseits, ich war Lehrerin am Gymnasium, wurde ich hier recht unfreundlich aufgenommen, während ich privat viel Freundlichkeit erfuhr. Nun also eine neue Heimat, in der ich Fuß fassen musste. Landschaftlich ist das Oberbergische wirklich schön, mit seinen weiten Wäldern, den Talsperren und den Fachwerk- Dörfern und "bunten Kerken". Man kann hier gut wandern und die Gegend erkunden. Aber eine historisch bedeutende Stadt wie Erfurt findet man hier nicht, da muss man schon bis Köln fahren.  Mit der Zeit begann ich mich auch hier heimisch zu fühlen, besonders als ich hier neue Freunde kennen lernte. Schließlich war ich den SED-Kadern sogar dankbar, dass sie mich zur Flucht gezwungen hatten, denn hier lebte ich freier als in der DDR und konnte reisen, wohin ich wollte. Aber wie stark das Gefühl für die alte Heimat immer noch ist, merkte ich, als ich in den 8Oer Jahren mit dem Auto wieder nach Thüringen fuhr: Als nach endloser Grenzabfertigung schließlich die Wartburg vor mir aufragte, liefen mir die Tränen übers Gesicht. Die Wartburg war mir immer ein Symbol für Deutschland: Der Sängerkrieg, die Heilige Elisabeth, Luther, das Burschenschaftsfest und meine privaten Wartburg-Erlebnisse! Ich war wieder zu Hause! Andererseits: nach der Wende habe ich nicht etwa gleich Koffer gepackt, um nach Erfurt zurück zu ziehen, obwohl wir sogar das großelterliche Haus zurückbekamen. Inzwischen lebe ich länger hier als insgesamt in Thüringen, und die menschlichen Bindungen sprechen für die neue Heimat.

So habe ich also zwei Heimaten: eine neue, in der ich seit nun schon über 40 Jahre lebe, und eine alte, der ich mich immer noch verbunden fühle. Ich besuche Thüringen immer wieder gern und freue mich über jede positive Nachricht von dort. Und so kann ich den Zustand, zwei Heimaten zu haben, vielleicht nicht in erster Linie als Verlust der einen oder Zerrissenheit zwischen beiden ansehen, sondern auch als Bereicherung.


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C21   Maria Burkard schrieb am 17.07.2001:

Eine Elsässerin, Jahrgang 1921, erzählt ihrer Nichte aus ihrem Leben               


Maria schickte uns den nachfolgenden Brief, um den sie ihre Tante gebeten hatte. Wie wir wissen, ist das Elsaß ein Gebiet, um das sich Deutschland und Frankreich jahrhundertelang stritten.

Meine Heimat ist da, wo ich mich wohl fühle
Liebe Maria,
du hast mich gefragt, wie das ist, wenn man zwei Nationalitäten hat. Nun, mit 80 Jahren ist mein Empfinden wie in dem Lied:
"Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden, der ewigen Heimat zu."
Die Tatsache, dass ich von Geburt Französin bin, liegt schon so lange zurück und es hat sich nach dem 2. Weltkrieg im Elsaß so viel geändert, dass ich heute nicht mehr dort wohnen möchte. Deine französische Korrespondentin schreibt. "Welches Glück, wenn man Senior ist und in Wirklichkeit oder in Gedanken eine Gegend hat, wo man bekannt ist, wo man geduzt wird, wo man mit dem Vornamen angesprochen wird. In der Kindheit entsteht die Liebesgeschichte mit dem Land. Das Vaterland ist eine geliebte Landschaft, das Klima, die Geräusche, die Gerüche, die Ernährung. Es sind jedoch hauptsächlich die Menschen, ihre Art zu sprechen, ihr Akzent, ihre Gewohnheiten. Es ist da, wo man sich wohl fühlt, wie ein Fisch im Wasser, wo man sich geliebt und akzeptiert weiß."
Dies alles ist für mich das Elsaß, hauptsächlich mein Geburtsort Herrlisheim. Hier habe ich bis zum 13. Lebensjahr meine Kindheit verbracht. Da lebten meine Eltern, meine Großeltern, fast meine ganze Verwandtschaft, Geschwister, Tanten Onkel Cousins und Cousinen, da liegen sie auf dem Friedhof. Hier kenne ich jede Straße, jedes Haus. Hier werde ich angesprochen, auf der Straße, in den Geschäften:
"Ah! Du bist wieder da! Wie geht es dir?"
Anders ist es in Ettlingen, hier wohne ich nun schon 35 Jahre, aber wenn ich einkaufen gehe, werde ich zurückhaltend von wenigen Leuten begrüßt, per "Sie" angesprochen. Nur wenige kennen meine Geschichte, meine Familie.

Meine Familie
Als ich 1921 zur Welt kam, war das Elsaß französisch. Vorher, bis 1918 war es deutsch gewesen. Meine Eltern und alle alten Leute im Dorf sprachen vorher und nachher deutsch, das heißt elsässisch. Die wenigsten verstanden französisch. Gehen wir noch weiter zurück. Vor 1870 war das Land französisch und mein Großvater gab sich Mühe, seinem Sohn die französische Sprache beizubringen. Ich weiß das deswegen, weil ich auf dem Speicher Hefte in Französisch fand. Er war nur Bauer und Schuster, aber es war ihm ein Anliegen, seinem Sohn diese Sprache beizubringen. Diese Generation hat natürlich ihre Kinder in der Liebe zu Frankreich erzogen. Es ist verwunderlich, dass die fast 50 Jahre unter deutscher Hoheit, die Elsässer nicht zu guten Deutschen machten. Man sagt, die Deutschen hatten keine gute Hand in der Behandlung der Elsässer. Sie schickten Preußen statt Süddeutsche in der Verwaltung usw.
Die Elsässer sind keine Franzosen wie die im " Inneren", da wurde immer ein Unterschied gemacht, damals. Es ist auch nicht so, dass die "Franzosen" vom Innern verklärt wurden, man hatte schon viel an ihnen auszusetzen, jedenfalls waren die Elsässer ganz sicher "français" und ganz sicher keine Deutschen, verstehe wer es will. Na ja, ich wuchs selbstverständlich als elsässisch-französisches Kind auf, im Kindergarten lernten wir französisch zu sprechen, in der Schule auch 2 mal die Woche deutsch. In der Kirche predigte der Pfarrer meistens deutsch, sonst hätte ihn da keiner verstanden - die Lieder deutsch, im Kindergottesdienst neue französische Lieder, die Zeitung meist deutsch, im Laufe der Jahre mit französischen Artikeln - Behörden waren zweisprachig.

Meine Jugend am Rhein
Mit 13 kam ich in ein Internat und blieb dort bis zum Ausbruch des Krieges. Wir wohnten ja nahe am Rhein. Vor 1918 war auch Verkehr auf beiden Seiten, nach dem Krieg war es Grenzland, wir standen als Kinder oft am Rhein mit den Fahrrädern und rätselten, wer dort drüben wohl wohnt. Es war kein großes Thema, so wie auch nicht Hitlerdeutschland, worüber Witze kursierten. Wir fühlten uns nicht bedroht, wir hatten ja auch die Maginotlinie. Jedenfalls war diese Zeit zwischen den 2 Kriegen im Elsaß friedlich, fast idyllisch, ein einfaches Leben, naturnah, konservativ - religiös. Das änderte sich 1939. Ich war Zuhause in den großen Ferien, man munkelte von Krieg. Französische Soldaten wurden im Dorf einquartiert. Es war ein herrlicher Sommer und Herbst. Ich war 18 und mir gefiel die Aufregung und dass im Ort etwas los war.
Am 1. September "schellte" der Gemeindediener in den Straßen den Befehl, das Dorf muß innerhalb von 12 Stunden evakuiert werden. Pferde wurden durch die Armee requiriert. Im Morgengrauen begann der Auszug. Die meisten Leute zogen mit Kuhgespannen und wenig Habseligkeiten auf den Wagen Richtung Willgottheim, südlich von Strasbourg. Es war das Chaos. Tiere wurden losgebunden und liefen weg, Kühe sollten geschlachtet oder wenigstens registriert werden. Es war ein hin und her. Einige sollten aber auch zurückbleiben, zur Überwachung. Bis zum 11. September waren 1165 Flüchtlinge in Marlenheim angekommen. Sie waren zum Teil bei Privatleuten untergebracht. Die Quartiergeber hatten den Auftrag Tiere und Wagen zu sich zu nehmen. Da hieß es plötzlich, die Leute sollten sich am Bahnhof einfinden zum Abtransport ins Innerer von Frankreich. Sie erfuhren, dass ihr Zufluchtsort Chateauneuf in der Haute Vienne war. Dort wurden sie meist in Massenquartieren untergebracht. Die Einwohner waren sehr mißtrauisch, sie sagten, die "Boches" kommen. Es entwickelten sich aber im Laufe der Jahre Freundschaften, denn die Leute in der Gegend waren noch ärmer als die Flüchtlinge und die Elsässer waren ja fleißig und ehrlich. Mein Vater wurde als Bahnbeamter an einen anderen Bahnhof abkommandiert, bei Mertzwiller, so dass meine Familie nicht mit dem Treck nach Frankreich kam. Ich kam wieder für ein Jahr ins Internat.

Aus einer Elsässerin wird eine deutsche Lehrerin
Der Krieg nahm seinen Lauf und ab 1940 war das Elsaß wieder deutsch. Im Internat waren wir ja streng gehalten und erfuhren nicht viel von der Politik, aber eines Tages hieß es, deutsche Truppen marschieren in die Stadt. Ich schaute mit ein paar Freundinnen hinter geschlossenen Läden auf den Marktplatz, da hörten und sahen wir junge, singende Soldaten marschieren. Mein Glauben an die Erwachsenen bekam einen Riß - das waren ja gar keine Barbaren - was auch immer ich mir darunter vorgestellt hatte. Wir wurden angewiesen, höflich und zuvorkommend zu sein, falls wir etwas gefragt wurden. Aha - vorher patriotische Aufsätze - jetzt höflich! Wo war die Logik? Es war Sommer und es kamen die Ferien. In Herrlisheim waren die Leute von der Evakuierung zurück, sie hatten viel zu erzählen und waren damit beschäftigt, ihre Heimat wieder auf Vordermann zu bringen. Diesmal waren deutsche Soldaten einquartiert. Wir beobachteten sie wie Exoten, aber sie waren korrekt. Wir wurden von den Behörden gut versorgt mit Lebensmitteln, Möbeln, Kleidern usw. Es war klar, das Leben sollte weitergehen und "was drinnen vor sich ging, geht niemand etwas an". Es legte sich so etwas aufs Land, als ob in eine Familie eine neue Stiefmutter einzieht, Mißtrauen, Zurückhaltung, abwarten - manchmal die "Faust im Sack". Im Elsaß waren in vielen Schulen Schulschwestern als Lehrerinnen tätig. Diese bekamen von den Deutschen Berufsverbot und auch unser Internat wurde geschlossen. Ich stand somit auf der Straße und wußte nicht wohin. Mein Vater meinte, ich solle wie er eine Ausbildung bei der Bahn machen. Das wollte ich nicht. Durch Zufall erfuhr ich, dass in Srasbourg eine Schule eingerichtet wurde, hauptsächlich für Schüler, die Lehrer werden wollten, aber auch um so eine Art Abitur (Brevet supérieur) zu erlangen. Das war die Rettung. Ich meldete mich an und ging klopfenden Herzens in die erste Unterrichtsstunde. Zum Glück traf ich eine Schülerin aus dem Internat, Marie Louise Renner aus Hagenau. Jetzt war alles neu: Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Literatur, usw. Dadurch, das Deutsch schon immer als 2. Fremdsprache galt, war allerdings die Sprache selbst kein großes Problem. Natürlich hatten wir Lehrer aus Deutschland. Sie waren vorsichtig mit uns, wir bekamen sogar eine finanzielle Unterstützung, was sehr willkommen war. Ich war noch nie eng religiös oder eng patriotisch gewesen, aber natürlich mußte ich manchmal schlucken oder wurde stutzig - aber besser die Schule als daheim. Es war ja noch nicht so, dass es selbstverständlich war, dass die Mädchen einen Beruf lernten. Viele halfen zu Hause in der Landwirtschaft oder lernten Nähen und Hauswirtschaft, alles in der Erwartung zu heiraten.
Als das Jahr in Strasbourg zu Ende war, kam nur die Pädagogische Hochschule in Karlsruhe in frage. Das war ein dicker Brocken, wer A sagt, muß auch B sagen. Ich kannte in der Zwischenzeit ein paar Mädchen, die diesen Schritt auch machten und natürlich auch Marie Louise, die meine Freundin wurde, und so wagten wir den Schritt ins "Reich". An der Hochschule in Karlsruhe waren kaum Reichsdeutsche - einige Männer, die verwundet waren und seltsam wenig Frauen. Also besetzten wir Elsässer die Schule - leider nur ein Jahr, das sehr schnell vorbei ging. Selbstverständlich wurden wir dann nicht an elsässischen Schulen eingesetzt sondern in Baden.
Meine Eltern sahen das alles nicht sehr gern. An meiner Arbeitsstelle im Odenwald lernte ich nun die deutsche Bevölkerung näher kennen. Es war überall eine gedrückte Stimmung, viele Väter und Söhne waren an der Front, die Frauen waren überlastet und aus den bombardierten Städten kamen immer mehr Frauen und Kinder aufs Land.
Ich war eine deutsche Lehrerin an einer deutschen Schule, aber wir trafen uns oft mit Kolleginnen und wir wußten, das wir Elsässerinnen waren. Auf der anderen Seite freundete ich mich auch sehr mit deutschen Mädchen und Familien an.
Wie es so kommt, wenn man jung ist und keine jungen Männer auf den Straßen zu sehen waren, fing ich einen Briefverkehr mit einem deutschen Soldaten an, der in Frankreich (Laune des Schicksals) stationiert war. Die Feldpostbriefe, die sehr zahlreich hin und her gingen, waren eine willkommene Abwechslung im dörflichen, oft einsamen Alltag. Wir trafen uns zwei mal in seinem Urlaub und verliebten uns heftig. Ja, war das Verrat an der Heimat? Meine Eltern sahen es so und versuchten mit allen Mitteln, mir das auszureden.

Schwieriges Kriegsende für die Menschen in der Grenzregion
Es kam das Jahr 1944, die Invasion in der Normandie. Hier kam mein Verlobter in Gefangenschaft und dann nach Louisiana.
Nun überschlugen sich die Ereignisse:
Eines Tages klopfte es an meine Schulzimmertür, es gab nur ein Klassenzimmer und ich war die einzige Lehrerin. Vor der Tür stand ein junger Mann, mein Gott, welch rares Exemplar und dazu entpuppte er sich auch noch als Elsässer. Warum er nicht eingezogen wurde, weiß ich bis heute noch nicht. Er sagte, er sei der neue Lehrer an dieser Schule. Ich war von den Socken, ich wußte nichts von einer Versetzung, am anderen Tag kam die Bestätigung. Jedenfalls freute ich mich über den Landsmann! Er war ein Linker, würde man heute sagen - ein Patriot. Er wußte eine Menge zu erzählen. Ich mußte meine Koffer packen und das Zimmer räumen, aber wir telefonierten oft und trafen uns auch. Er erfuhr, dass im Elsaß die Alliierten bei Strasbourg einen Brückenkopf gebildet hatten und dass die Bevölkerung evakuiert wurde. Das Gerücht bestätigte sich, es waren wieder die Dörfer am Rhein, darunter auch Herrlisheim. Zwischendurch hatte ich erfahren, dass mein siebzehnjähriger Bruder eingezogen worden war und dass meine Schwester in Köln dienstverpflichtet war. Die Weihnachtsferien waren angebrochen, und René, eben der Elsässer , bot sich an, mich auf der Suche nach meinen Eltern zu begleiten. Der Krieg hatte in dieser Gegend ganze Arbeit geleistet. Das Dorf hatte einige Male den Besitzer gewechselt, es gab Tote und Verletzte, die Ortschaft war zu 90% zerstört. Während der Kämpfe hatten sich die Einwohner noch in den Kellern aufgehalten. Am 12.12. zog sich die Wehrmacht zurück und die Amerikaner besetzten die Gegend. Man dachte, der Krieg sei aus. In der Neujahrsnacht verließen die Amerikaner den Ort. Völlig unerwartet tauchte am 14 Januar die SS auf, jagte die Leute aus den Kellern. Sie wurden bei grimmiger Kälte und hohem Schnee unter Geschosshagel an den Rhein geführt, hier in kleinen Booten übergesetzt und in Deutschland in alle Winde zerstreut, vom Neckar bis zum Bodensee. Nach manchen Irrfahrten, zu Fuß und per Autostopp, fanden wir die Eltern in Sulzfeld. Sie bewohnten in einem großen Bauernhof bei geizigen Bauern ein kleines Zimmer. Die Schulen wurden geschlossen und ich wurde in eine unterirdische Munitionsfabrik bei Neckarzimmern eingewiesen. Zum Glück konnte ich am Wochenende mit dem Fahrrad zu meinen Eltern fahren, hier fand ich dann auch meine Schwester.
Anfang April zogen französische Legionäre in Sulzfeld ein, damit war dort der Krieg zu Ende. Es gab Plünderungen und Vergewaltigungen. Aber die Elsässer witterten Morgenluft und tatsächlich wurde bald bekannt, dass wir mit Camions nach Hause durften.
Mir wurde es etwas mulmig. Erst noch deutsche Lehrerin mit einem deutschen Verlobten und jetzt sollte ich "rapatriée" werden. Aber es gab keine Schwierigkeiten, wir kamen in ein Sammellager und dann - nach Hause, in das zerstörte Dorf.
Meine Mutter strahlte - wieder daheim, das war das Höchste. Und ich? Ich stand wieder vor einem neuen Anfang. Mein Bruder kam abgemagert und ernst, aber wohlbehalten nach Hause. Am 14 juillet, dem Nationalfeiertag, wurde überall übermütig die Befreiung gefeiert. Ich konnte das alles nicht so recht teilen. Ich machte mich zu Fuß auf nach Hagenau und dort traf ich tatsächlich meine Freundin Marie Louise. Wir meldeten uns in Paris zu einem Dolmetscherkurs an, bekamen aber nicht rechtzeitig die nötigen Papiere zusammen. Also probierten wir es als Übersetzerinnen bei der Armee in der besetzten französischen Zone. Na ja, es war nicht das Gelbe vom Ei. Da wir keine Kenntnisse in Schreibmaschine und Büroarbeiten hatten, wurden wir da und dorthin versetzt. Schließlich hatten unsere Bewerbungen als "assistante de français" an deutschen Gymnasien Erfolg, sie kam nach Wittlich, ich nach Bernkastel. Das war eher nach unserem Herzen und war in diesen Nachkriegswirren eine schöne Zeit.

Trotz aller Hindernisse eine deutsch - französische Heirat und eine glückliche Ehe.
Aber meine Sehnsucht nach dem Verlobten ließ mir keine Ruhe. Als wir von Baden Baden nach Karlsruhe kamen, fuhr ich auf einen Abstecher nach Sulzbach, seinem Geburtsort, um zu erfahren, was aus ihm geworden war. Und siehe da, er war wieder aufgetaucht. Die Französin in Uniform hat ihn fast umgeschmissen.
1946 gingen viele Briefe von Bernkastel nach Baden. Trotz des Fraternalitätsverbotes trafen wir uns an meinem 25. Geburtstag in aller Heimlichkeit zu einem schönen Wochenende. Wir setzten uns über alle Schwierigkeiten und Bedenken hinweg und beschlossen, im Februar 1947 zu heiraten.
Nun war ich also wieder eine Deutsche im armen deutschen Reich. Meine Eltern waren sehr unglücklich. Sie hatten meinen Mann noch nie gesehen und wollten es auch nicht. Erst nach der Geburt unseres dritten Kindes bekam er eine Reiseerlaubnis ins Elsaß.
Ich hatte einen guten Mann gewählt, den besten von allen meinen deutschen und französischen Bekanntschaften. Wir bekamen sechs Kinder und ich kann nicht sagen, das es französische Kinder sind. Ich hätte es gern gesehen, wenn der eine oder andere sich nach Frankreich orientiert hätte, aber nein.
Ich selber fahre oft ins Elsaß und Herrlisheim ist nach wie vor mein Heimatdorf, aber auch hier gibt es Veränderungen. Die elsässische Sprache verschwindet, die Enkel verstehen sie nicht mehr und wollen sie auch nicht sprechen. Ich glaube, die Seele des Elsaß verschwindet mit ihr.
Wo bin ich zu Hause?
In meinem Haus und bei den Menschen, die mich lieben. Französisch oder deutsch ist nicht mehr so wichtig, die Welt wird kleiner, die Menschen fahren in alle Länder - Hauptsache Frieden.


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C22   Ausstellung in Köln 27.10. bis 23.11.2001

40 Jahre Fremde Heimat
Einwanderung aus der Türkei in Köln


Am 26. Oktober 1961 kamen die ersten "Gastarbeiter", die über die Deutsche Verbindungsstelle in Istanbul angeworben worden waren, aus der Türkei nach Köln, um in den Ford-Werken zu arbeiten. Aus diesem Anlass fand die von DOMIT, dem Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei e.V. veranstaltete zweisprachige Ausstellung im Oktober/November 2001 im Historischen Rathaus Köln statt.

Nachstehend eine Kurzinformation zur Ausstellung, die neben anderen interessanten Informationen auf der Website von DOMIT steht.

"Anlässlich des 40. Jahrestages des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens vom Oktober 1961 zeigt DOMiT ab Oktober 2001 im Historischen Rathaus der Stadt Köln eine Ausstellung zur Geschichte der Migration aus der Türkei in Köln und Umgebung. In Köln kamen am 26. Oktober 1961 die ersten Arbeitsmigranten aus der Türkei an. Ihr neuer Arbeitsort waren die Ford-Werke. Die Stadt wurde in den folgenden Jahren zum Zentrum der Arbeitsmigration aus der Türkei. Die Weidengasse in der Innenstadt und die Keupstraße in Köln-Mülheim wurden mit ihren türkischen Läden, Teestuben, Reise- büros, Import-Export Geschäften und Restaurants in der Folge zu Synonymen der Migration aus der Türkei.
In Köln entstand der erste türkische Arbeiterverein und in Troisdorf bei Köln bildete sich der erste Ausländerbeirat in Deutschland. Schnell wurde die Rheinmetropole neben Frankfurt und München zum Zentrum der türkischsprachigen Schallplatten-, später der Musikkassettenindustrie.
Die Kölner Stadtteile Ehrenfeld, Nippes, Mülheim und Kalk haben heute einen ähnlich hohen türkischsprachigen Bevölkerungsanteil wie der Berliner Stadtteil Kreuzberg. Auch heute noch gibt es Auswirkungen der zentralen Bedeutung Kölns zu Beginn der Arbeitsmigration aus der Türkei.
Nicht in München, in Frankfurt am Main, im Ruhrgebiet oder in Berlin, wo sich ebenfalls viele Arbeitsmigranten und -migrantinnen aus der Türkei niedergelassen haben, sondern in Köln hat die Mehrzahl der Dachverbände, die sich innerhalb dieser Migrationsgruppe gebildet haben, ihren zentralen Sitz. Das gilt sowohl für die sozialen Selbsthilfeorganisationen z.B. die 'Arbeitervereine' wie auch für die kulturellen, politischen und religiösen Organisationen. Die Ausstellung richtet den Blick auf die Anfänge der Migration, die Anwerbung von Arbeiter und Arbeiterinnen aus der Türkei, das Leben in den Wohnheimen, die Arbeit in der Fabrik, Freizeit und Kultur, das Zusammenleben mit den deutschen Nachbarn.
Die Ausstellung umfasst den Zeitraum von den Anfängen der Migration aus der Türkei 1961 bis 1990. Sie dokumentiert und den Prozess der Niederlassung der ersten Generation aus türkischer und deutscher Perspektive. Deshalb ist die Ausstellung zweisprachig. Sie umfasst persönliche Erinnerungsstücke, Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Objekte, Dokumente und Fotografien, Briefe, Zeitungsberichte.
Der Ausstellungsteil, der sich besonders mit der Region Köln befasst, soll nicht als fertig betrachtet werden, sondern im Laufe der Ausstellungszeit durch das Mitbringen von Migrationsobjekten und -dokumenten durch Besucherinnen und Besucher wachsen."

http://www.domit.de

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C23   Maria Burkard schrieb am 22.12.2001:

Zwei Heimaten                


Dieses Gedicht wurde mir von einer Bekannten aus Karlsruhe geschickt. Sie hat es im "Konradsblatt", dem Bistumsblatt der Erzdiözese Freiburg gefunden und dabei gleich an unsere Arbeit gedacht.
Wir veröffentlichen es, weil es zeigt, wie wichtig, die von uns behandelte Thematik auch für andere ist.

Estoy volviendo y no vuelva

Ich kehre zurück und bleibe doch da und weiß nicht, warum


Schon vor vielen Jahren
habe ich meine Heimat verlassen:
Murcia, der Garten Europas,
wird sie genannt
Damals wollte ich für ein Jahr weggehen,
daraus wurde viel mehr.
Nun sind es schon 39 Jahre,
die Hälfte meines Lebens.

Ich kam damals nach Waldkirch, Deutschland,
eine andere Kultur, andere Menschen,
ständig neue Eindrücke.

Mit dem Geldverdienen kamen die Wünsche:
ein eigenes Auto,
eine eigene Wohnung,
aber der Gedanke an die Rückkehr war immer da.

Mit der Zeit kam die Liebe,
wie immer unvorhergesehen:
ich heiratete eine Deutsche, niemals hätte ich das gedacht.
Ich war glücklich
und obwohl sie fremd war
hat sie sich in mein Spanien verliebt.
Wir bekamen zwei Kinder,
die studieren mussten:
Weder ein Grund, nicht zurückzukehren.

Ich kehre zurück und bleibe doch da
und weiß nicht, warum.


Manchmal frage ich mich:
Kann man zwei Heimatorte haben?
Wenn ich in mein Spanien zurückkehre,
freue ich mich über alles,
das Meer, die Blumen, die Sonne,
dieser warme Wind,
der Mond in seinem Glanz,
das Lachen der Leute.
Hierher zurückzukehren ist mein Traum,
zu den blühenden Orangenbäumen,
die mich schon in meiner Kindheit gekannt haben.

Wenn dann der Urlaub vorbei ist
kehre ich wieder nach Deutschland zurück,
anfangs ein bisschen traurig
über alles, was ich zurücklasse.
Wenn ich jedoch ankomme,
bin ich glücklich,
meine Kinder sind da,
hier lebe ich jetzt.
Wälder, Flüsse, Berge, Schnee, Fabriken,
alles ist mir vertraut,
überall habe ich hier Freunde.

Kann man zwei Heimatorte lieben?
Hier meine höfliche Antwort auf die Frage:
Was mich betrifft werde ich immer Spanier sein.
Oft frage ich mich nach dem Grund
warum ich zurückkehre
und doch dableibe -
aber ich weiß genau:
eines Tages werde ich zurückkehren.

UBERSETZUNG EINES GEDICHTES VON MANUEL LÉRIDA

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C24   Elsbeth Policard schrieb am 13.05.2001:

Gruß aus der Heimatgruppe 3

Elsbeth Policard, eine Teilnehmerin der Heimatgruppe 3 zur Frühjahrsakademie 2001 in Ulm schickte uns ihre Gedanken, die wir nachstehend veröffentlichen.

Zunächst fällt mir ein Sprichwort ein: "Wohin du auch gehst, dort bist du" (du nimmst dein Ich überallhin mit, in jede Situation, und erschaffst aus den Bildern deiner Vergangenheit die Bedeutung von allem, was du siehst). Ich wirke an dem Ort, an dem ich mich befinde – und auf ihn -, und er wirkt auf mich. Als Heimat empfinde ich ihn, wenn ich das Gefühl habe: hier habe ich meine Wurzeln oder: hier kann ich mich bewegen wie der Fisch im Wasser. Das Bild von Pflanze und Fisch ist natürlich ein Vergleich, der hinkt. Der Mensch ist im Gegensatz zur Pflanze mobil – aber wie die Pflanze braucht er einen Lebensraum, der Gewähr für sein Überleben oder gar für optimales Gedeihen bietet. Fische sterben, wenn das Wasser, in dem sie sich bewegen, nicht die für sie bekömmliche Zusammensetzung hat. Der Mensch hat als bewusstes und höherentwickeltes Wesen die Möglichkeit, seinen Lebensraum zu gestalten, sich als Spezies "die Erde untertan zu machen", wenigstens bis zu einem gewissen Grad.
Wenn wir also im Lauf unseres Lebens aus eigenem Entschluss oder aus Notwendigkeit den Ort wechseln, sollte es möglich sein, auch dort - nach der bereits erörterten Heimat der Kindheit – eine neue Heimat zu finden. Das erfordert aber sicher einen längeren Prozess des "Einwachsens". Der Anpassungsprozess wird umso einfacher, je mehr Sprache, Kultur, Klima ... dem verwandt sind, mit dem wir vertraut sind. Können Sie sich vorstellen, unter Eskimos eine zweite Heimat zu finden (sich unter den dortigen Lebensbedingungen zu behaupten, ohne dass Sie von Kind auf die Überlebenstechniken gelernt haben; die mitteleuropäische Kultur und Mentalität weit weg sein zu lassen und zu sagen "bei diesen Menschen und in diesem Land ist meine Heimat")? Wie ginge das als Wüstennomade? In Afghanistan? Haben Sie schon einmal versucht, sich einen Tag beispielsweise in Japan fernab der grossen Städte, ohne Kenntnis von Sprache und Schriftzeichen allein zu bewegen?

Wenn ich als Einzelner neue Heimat in der Fremde finden will, müssen schon verschiedene Bedingungen erfüllt sein:
- Die neue Umgebung sollte mir nicht assimilationsfeindlich gegenüberstehen.
- Sie sollte mir keine allzu großen Anpassungsleistungen abfordern (Umweltbedingungen,
   Sprache, Kultur, Religion, ...).
- Ich muss den Willen mitbringen, dort heimisch zu werden; muss die neue Umgebung
   hautnah mit allen Sinnen in mich aufnehmen; offen für neue menschliche Beziehungen sein.
   Ohne ein Minimum von guten menschlichen Beziehungen geht es nicht.
- ...

Und es braucht Zeit.
Bis es soweit ist, leiden wir wohl alle immer einmal wieder unter Heimweh.
Einfacher ist es, sich als Gruppe Heimat in der Fremde zu schaffen, wie die Siedler und Eroberer früherer Zeiten, die heutigen "Gastarbeiter", Auswandererfamilien oder Einzelankömmlinge, die Anschluss an Landsleute oder Gleichgesinnte am neuen Ort finden. Dann pflanzen sich ganze Gemeinschaften mit ihrer Kultur, ihren Beziehungs-Konventionen, ... am neuen Ort ein und schaffen dort entweder eine Heimatkolonie in der neuen Heimat oder (bei kleinerer Gruppe) unterstützen sich die Neuankömmlinge mit gleichem mitgebrachtem "Mutterboden" beim Heimischwerden am neuen Ort.
In jedem Fall gilt aber: Ich wirke, so wie ich bin, in meine Umgebung hinein, und meine Umgebung wirkt, so wie sie ist, in mich hinein – und dabei verändern sich beide - vielleicht der eine mehr, der andere weniger.

Nicht vergessen sollte man die Äusserungen von Astronauten und Kosmonauten, denen von ihrer Raumkapsel aus die Erde als HEIMATplanet bewusst wurde. Wenn man "draußen" ist, erkennt man anscheinend besser, was Heimat bedeutet. Eine Raumstation wird vermutlich nie Heimat für Menschen werden. Und von den Astronauten hören wir auch, dass wir Verantwortung für unsere Heimat übernehmen müssen, wenn wir die Welt erobern, "uns die Erde untertan machen" wollen.

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C25   Angenita Stock-de Jong schrieb am 19.05.2001:

Erinnerung/Sprache

Aus dem Solinger Tageblatt vom 19.05.2001

Die Erinnerung des Menschen ist einsprachig
(wsa). Erinnerung ist mit der Sprache verknüpft. Wer im Laufe seines Lebens seine Sprache wechselt, der wird auch dann, wenn er die neue Sprache beherrscht, Erinnerungen in der alten Sprache bewahren. Das ist das Ergebnis von Studien mit Zweisprachigen (Bilingualen), die Robert W. Schrauf von der Northwestern University in einem Aufsatz der Zeitschrift "Culture & Psychology" zusammengefasst hat.
"Es gibt eine geradezu bestechende Datenlage, die darauf hindeutet, dass zweisprachig und 'bikulturell' zu werden heißt, dass sich bei den Betroffenen das Gefühl entwickelt, in zwei Welten zu leben. Es bedeutet vielleicht sogar, zwei Personen in zwei verschiedenen Welten zu sein", erklärt Schrauf. Die Erinnerungen, die sich auf die Erlebnisse in Kindheit und Jugend im alten Heimatland beziehen, sind mit der ersten Sprache verbunden, auch wenn sie unter veränderten Bedingungen in einer neuen Sprachwelt, einem neuen Land abgerufen werden. Dies könnte wichtig werden, so Schrauf, bei der Behandlung von Alzheimer-Kranken, die, wie in der einheimischen Bevölkerung, auch in der zugewanderten mit höherem Alter zunehmen. Würde man jemandes Erinnerungen in seiner Muttersprache wachrufen, könnte ein Fenster zu einer Vergangenheit aufgestoßen werden, die sonst dunkel bliebe.

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C26   Angenita Stock-de Jong schrieb am 22.07.2001:

Reaktion auf Beitrag C21

Ich habe mit viel Interesse den Beitrag von Marias Tante gelesen und einiges wiedererkannt.
Auch ich habe, genau wie sie, allerdings in den 50er Jahren, an der Grenze auf der niederländischen Seite (in der Nähe von Gronau) mit meiner Kusine und unseren Fahrrädern gestanden. Wir haben uns damals gefragt, wer dort drüben in Deutschland wohl wohnen würde/möchte, es sah alles so grau und dunkel aus, einfach trostlos! Ich denke oft noch darüber nach, wenn ich dort hinfahre! Was hat sich doch alles geändert seit dieser Zeit!
Meine Eltern haben damals auch nicht denken können, heute einen deutschen Schwiegersohn und deutsche Enkelkinder in Deutschland zu haben.
Die Geschichte der Tante mit ihrem deutschen Mann ist für mich in vielem erkennbar.

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