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Themenkomplex B
Wo ist Heimat im Kontext mit Kultur, Religion, Geschichte?
 


Zusammenfassung
Volkmar Gimpel
10.03.2001

Auf dieser Seite wird die Zusammenfassung zum Themenkomplex B veröffentlicht. Sie ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit. Die Gliederung folgt nachstehend.
Die Links Bxx verweisen auf bisherige, den Themenkomplex tangierende Beiträge im Rahmen des Forums. Sie können unter diesen Adressen abgerufen werden. Notationen [x] verweisen auf Fußnoten.

Die vorliegenden Beiträge zum Themenkomplex B finden Sie hier:

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    Einleitung
    Nachdem im Themenkomplex A versucht wurde, den Begriff Heimat zu definieren, vergleichende Betrachtungen zum Heimatbegriff in verschiedenen Sprachen anzustellen und sein Vorkommen in der Literatur zu untersuchen, sollte im Komplex B dargestellt werden, wo Menschen ihre Heimat suchen und welche Faktoren diese Suche beeinflussen. Dabei darf die Frage nach dem "Wo" nicht in engerem Sinne auf einen Ort oder Raum begrenzt bleiben, sondern soll auch in übertragenem Sinn verstanden werden, also auch eine Gruppe von Menschen (wo ich geliebt werde usw.), bestimmte Auffassungen (geistige Heimat, politische Heimat usw.), bestimmte religiöse Überzeugungen (das Paradies im Jenseits - B20) bedeuten können.

    Bernhard Schlink schließt seinen Essay "Heimat als Utopie" mit diesen Worten:
      In der Zukunft, in der die Dimensionen des Lebens immer globaler werden, wird jeder Ort des Lebens verrückt werden können und sich kein Ort des Lebens von selbst verstehen. Bis auf den Ort der Geburt und den Ort der Kindheit. Sie werden die Orte bleiben, denen sich Heimatgefühl, Heimaterinnerung und Heimatsehnsucht vor allem verbinden.[1]
    Heimat ist also ortsgebunden - aber man sollte nicht Schlinks Einschränkung übersehen. Er sagt "...vor allem...". (Siehe auch B23, A12)
    Wir müssen uns also fragen, ob es eine allgemeingültige Erklärung dafür geben kann, wo Heimat ist und werden zu dem Schluss kommen, dass es eine solche Erklärung nicht gibt, dass vielmehr jeder seine eigene Antwort finden muss. Das zeigen schon die Beispiele der Fragebogen sowohl der Mitglieder unserer Arbeitsgruppe als auch externer Besucher. Und jede der dortigen Aussagen muss man als persönlichen Standpunkt akzeptieren. Das gilt aber auch für mehr oder weniger wissenschaftlich geführte Untersuchungen. So werden auf den Seiten des Geographischen Instituts der Universität Bern in einer theoretischen Untersuchung zum Thema "Schweiz als Heimat" eine Reihe von Definitionen unterschiedlicher Autoren zitiert (http://www.giub.unibe.ch/~schlegel/heimat.html), die die ganze Vielfalt deutlich machen.[2] Auch in der im Beitrag B21 auszugsweise wiedergegebenen Diskussion erläutert jeder der prominenten Teilnehmer seine eigene ganz persönliche Sicht.
    Die individuelle Bestimmung von Heimat ist von einer Reihe von Faktoren abhängig, die die Einzelnen unterschiedlich wichten und wo es signifikante Häufungen gibt. Man sollte den Kreis dieser Faktoren nicht zu weit ziehen. Es muss auch bedacht werden, dass sich die meisten Faktoren nicht scharf voneinander trennen lassen.

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    Region, Ort, Land im geografischen Sinn
    Häufigstes Kriterium ist ein Ort und hier vor allem der Geburtsort (B08). Diese geografische Definition kann auch im weiteren Sinne die Region oder das Land (den Staat) umfassen (B12). Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, sagte Erich Kästner: "Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen." So ähnlich können sicher viele ihr Heimatverständnis definieren.
    Aber der Geburtsort oder der Ort der Kindheit (s.o. Schlink) können zufällig sein oder gar nicht bewusst erlebt werden. Er kann auch mit traumatischen Erlebnissen derart belastet sein, dass jede Bindung zu ihm gelöscht werden soll. Viele deutsche Juden, die den Holocaust überlebt haben oder ihm durch Emigration entgangen sind, können und wollen ihre Geburtsorte in Deutschland nicht als Heimat verstehen.
    Auch der Wohnort kann für manchen nicht Heimatort sein, weil er aus Gründen wie auch immer häufig gewechselt wurde. Der Anteil wird sich mit wachsender Mobilität weiter erhöhen. Der Ort des Elternhauses? Wenn überhaupt, dann bestimmt nur so lange die Eltern dort leben. Dass die Kinder dabei mit Interesse die Entwicklung des Ortes verfolgen, in dem die Eltern leben und sie vielleicht selbst jahrelang gelebt haben, ist angenehmer Nebeneffekt.
    Fazit: Die räumliche Definition ist heute sicher noch für viele das Entscheidende für ihr Verständnis von Heimat, aber sie ist nicht allgemein verbindlich. Es gibt auch Formulierungen wie "Heimat ist dort, wo ich mich wohl fühle", "Heimat ist dort, wo ich geliebt werde", "Heimat ist dort, wo ich keine Angst habe". Und auch Schlink sagt an anderer Stelle in seinem Essay:
      So sehr Heimat auf Orte bezogen ist, Geburts- und Kindheitsorte, Orte des Glücks, Orte an denen man lebt, wohnt, arbeitet, Familie und Freunde hat - letztlich hat sie weder einen Ort, noch ist sie einer. Heimat ist Nichtort, ... Heimat ist Utopie.[3]
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    Erinnerung
    Die Erinnerung ist ein zweifellos wichtiger, aber nicht notwendiger Faktor. Wir verstehen darunter nur die eigene, also bis in die frühe Kindheit reichende Erinnerung, die in der Regel mit Bildern verbunden ist. Erinnerung kann nicht jenseits des eigenen Erlebens gesucht werden. Es muss aber auch akzeptiert werden, dass für manche die Erinnerung bei der Frage nach Heimat keine Rolle spielt, sondern nur das gegenwärtige Erleben.
    Zu diesem Begriff und seiner Bedeutung gab es in der Projektgruppe unterschiedliche Auffassungen. Die Mehrheit der Teilnehmer vertritt den Standpunkt, dass Erinnerung nicht nur rückwärts gerichtet reflektiert werden darf, sondern immer im Bezug zur Gegenwart und zur künftigen Entwicklung stehen muss.
    Dem steht die Meinung gegenüber, dass es bei Erinnerung um ein individuelles oder ein kollektives Gedächtnis geht. "In diesem Sinne ist das Thema unserer Gruppe rückwärtsgewandt, nicht, um die Gruppe der Ewig-Gestrigen zu verstärken, sondern um zu schauen, was wir brauchen, damit wir in Zeiten großer Mobilität nicht entwurzelt herumtreiben, sondern die Kraft der Wurzeln spüren."
    B01, B22
    Die Mehrheit stimmt im Wesentlichen der folgenden Erläuterung aus der Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden zu. Unter dem Stichwort Heimat heißt es dort u.a.:
      Zeitgenöss. Heimatforscher weisen darauf hin, dass Heimat nicht als passive Hinnahme von Gefühlslagen aufgefasst werden kann, sondern als Medium und Ziel einer prakt. (aktiven) Auseinandersetzung um die Gestaltung menschenwürdiger Verhältnisse verstanden werden soll. Heimat wäre demnach nicht lokal begrenzt und rückwärts gewandt (schon gar nicht etwas "typisch Deutsches"), sondern enthielte auch die Dimension einer "mobilen Heimat" (J. Améry) und einer offenen, auf Austausch mit "dem Fremden" bezogenen und seine Integration ermöglichenden Struktur. Nach H. Bausinger existiert heute in unseren Städten und Dörfern ein "recht sicheres Kriterium dafür, ob Heimat immer noch als Arsenal schöner Überlieferung verstanden wird, aus dem man sich bedienen kann, oder als Idee, menschenwürdige Verhältnisse zu schaffen. Dieses Kriterium ist der Umgang mit ausländ. Mitbürgern. Ein Heimatbegriff, der ihnen keinen Platz einräumt, greift zu kurz, auch wenn er sich noch so sehr mit histor. Requisiten drapiert."[4]
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    Gefühle
    Heimat ist in hohem Maße emotional bestimmt, was vielfach in der Literatur, aber auch in ganz persönlichen Beiträgen zum Ausdruck kommt. Auf den Seiten des Geographischen Instituts der Uni Bern werden dazu eine Reihe von Autoren zitiert:[5]
      Grosse Einigkeit herrscht in der Bestimmung der spezifischen "Heimatgefühle". Sie sind durchwegs stark positiv different. Von Fall zu Fall bedingen sie einander oder sind gegeneinander austauschbar.

      "Überwiegen bei einem Menschen die positiven Gemütsbande an die Umgebung, dann stellen sich gewöhnlich Gefühle der Vertrautheit, der Zugehörigkeit, des Wohlbefindens, der Geborgenheit, der Sicherheit, des Selbstwertes ein, jenseits allen sachlichen Befundes." (Pollex in: Neumeyer 1992, 109, Hervorhebung T&T)

      "Ob ein Ort Heimat ist, erweist sich erst daran, ob sich auch Zukunftshoffnungen des Einzelnen daran knüpfen"; d.h. eine Perspektive der Sicherheit, die sich insbesondere auch über Besitz definiert, muss vorgegeben sein. (Neff in: Neumeyer 1992, 94, Hervorhebung T&T)

      "Heimatgefühle" scheinen mit der Zeit zu wachsen oder überhaupt gewöhnungsbedürftig zu sein:
      "Bei langer Eingelebtheit verändern [...] alle Verhältnisse zur Umwelt und zur Mitwelt insofern ihren Charakter, als sie zutiefst emotional fixiert werden. Mit anderen Worten, die Dauer der Eingelebtheit entscheidet über die emotionale Fixierung des Menschen in der Gemeinde, die damit von einem Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgebilde zur Heimat wird." (König in: Neumeyer 1992, 94)
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    Sprache
    Vor allem die Muttersprache ist entscheidend für die Beantwortung der Frage wo Heimat ist. Es ist nicht vorstellbar, dass ein Mensch eine Lebensumwelt als Heimat bezeichnet, wo er nichts versteht und nicht verstanden wird (B10).
    Bei der sprachlichen Bindung ist es ein Unterschied, ob diese in der Muttersprache oder in einer Fremdsprache besteht. Die Muttersprache - oft in Form eines mehr oder weniger ausgeprägten Dialekts - lernt man als Kind im täglichen Umgang ohne Kenntnis der ihr zu Grunde liegenden Regeln. Viele wissen auch als Erwachsene nicht, dass es solche Regeln gibt und wenden sie trotzdem richtig an. Man verlernt sie auch nicht. Die emotionale Bindung ist deshalb besonders stark. Demgegenüber ist das Erlernen einer Fremdsprache ohne Beschäftigung mit deren Regeln nicht möglich, sie müssen mehr oder weniger mühsam verstanden und eingeübt werden. Während das Finden von Heimat in einer muttersprachlichen Umgebung nahezu selbstverständlich erfolgen kann, setzt die Entwicklung von heimatlichen Gefühlen in fremdsprachlicher Umgebung die Beherrschung deren Sprache voraus (siehe hierzu Angenitas Lebenslauf und ihre Beiträge zur Muttersprache - B17,  B18).
    Wie ist es bei Kindern, die mehrsprachig aufwachsen? Ich glaube, dass bei diesen eine Sprache dominieren wird. Das kann sowohl die Sprache sein, die vorwiegend im Elternhaus gesprochen wird als auch die der Lebensumwelt in der Öffentlichkeit.

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    Menschen
    Heimat ist nicht vorstellbar ohne menschliche Bindungen. Darauf beruhen auch solche Aussagen wie "Heimat ist dort, wo ich geliebt werde". Zu den Menschen, die vor allem mit der Heimat verbunden werden, gehört die Familie. Es können aber auch Freunde, Mitschüler, Kollegen sein, die heimatliche Gefühle vermitteln (B06). Dabei spielen gemeinsame Interessen oder die Zusammenarbeit bei der Lösung von Problemen eine Rolle. Nicht vergessen sollten wir das, was gemeinhin als Mentalität bezeichnet wird. Sie kann sowohl integrieren als auch ausgrenzen. Die "Einheimischen" sind ein mehr oder weniger geschlossener Kreis, denen sich die "Zugereisten" (oder die Fremden) gegenüber sehen. Es gibt Gegenden, besonders im ländlichen Raum, in denen aus Zugereisten erst in der 2. oder 3. Generation Einheimische werden. Wir kennen Vertriebene, die nach Kriegsende in eine neue Heimat kamen und dort noch nach Jahrzehnten "die Flüchtlinge" waren (B05).

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    Kultur
    Auch die Kultur im weitesten Sinne als Ausdruck der Lebensart der Menschen spielt bei der Beantwortung der Frage nach der Heimat eine wichtige Rolle. Dazu gehören die Musik (B03), die Literatur, die Art sich zu kleiden, die Architektur, die heimischen Speisen (B04) und Getränke.
    Die Bedeutung ist relativ gering bei einem Wechsel des Lebensraumes innerhalb eines Landes, obgleich es z.B. auch in Deutschland signifikante Unterschiede zwischen Nord und Süd und Ost und West gibt, die aber, wie auch die Lebenswege innerhalb unserer Gruppe zeigen, ohne ernsthafte Konflikte überwunden werden können. Viel größer dagegen sind die Anpassungsprobleme beim Wechsel in ein anderes Land oder in einen anderen Erdteil. Der Begriff "Kulturschock" bringt das plastisch zum Ausdruck (B07, B13, B14, B15).

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    Geschichte
    Der Stolz auf die Leistungen früherer Generationen, aber auch die Scham für deren geschichtliches Versagen können das Heimatgefühl prägen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich das auf eine 2. Heimat überträgt. Oder kann man sich vorstellen, dass ein Deutscher, der seine Heimat in Frankreich findet, den gleichen Stolz auf die Französische Revolution empfinden kann wie ein gebürtiger Franzose?

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    Religion
    Die Religion verliert im mittel- und westeuropäischen Raum zunehmend an Bedeutung für die Bestimmung der Heimat, wenngleich es sicher regionale Unterschiede gibt. Das hängt zweifellos mit den lockerer werdenden religiösen Bindungen überhaupt zusammen (B09, B11, B20).
    Sehr viel stärker ist die Verbindung von Heimat und Religion in Gebieten nichtchristlicher Religionen. Wir spüren das besonders bei einigen der hier lebenden oder nach hier kommenden Muslimen (B16).

     

    Zusammenfassend kommen wir also zu dem Schluss, dass die subjektiven Antworten auf die Frage "Wo ist Heimat" so verschieden sein können wie die Menschen selbst. Dabei ist die Bedeutung, die einzelnen Faktoren zugemessen wird, sehr differenziert.

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    Fußnoten
    [
    1]   B. Schlink, Heimat als Utopie, Frankfurt/M. 2000, S. 49
    [2]   https://www.uni-ulm.de/LiLL/gemeinsamlernen/materialien/heimat/theoriegruppe_bern
    [3]   B. Schlink, a.a.O., S. 32
    [4]   zitiert nach xipolis.net, Brockhaus Entyklopädie in 24 Bänden, http://www.xipolis.net/
    [5]   zitiert nach
            https://www.uni-ulm.de/LiLL/gemeinsamlernen/materialien/heimat/theoriegruppe_bern

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