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Beiträge zum Themenkomplex
Die auf dieser Seite gesammelten Beiträge beziehen sich auf den Themenkomplex B. Sie können jedoch auch Gedanken und Feststellungen zu anderen Themenkomplexen enthalten. Ebenso ist es möglich, dass sich in Beiträgen, die anderen Themenkomplexen zugeordnet wurden, Informationen mit Relevanz für diesen Komplex finden.
B01 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 08.09.2000: Kulturelle Identität Mein 1. Seminar in Bad Urach (05.-10.09.99) hatte das Thema: "Ältere Menschen in Europa. Einstellungen und Lebensbedingungen älterer Menschen in Europa und zu Europa." Dort hielt die Professorin Dr. Christel Köhle-Hezinger, Universität Jena, einen Vortrag mit dem Titel: "Europa - eine Chance für ein neues Verständnis von Heimat?" Dieser Vortrag war für viele der Höhepunkt der Woche. Mir sind vor allem die Passagen wichtig gewesen, in denen sie, eine empirisch arbeitende Kulturwissenschaftlerin, im Zusammenhang mit dem Begriff Heimat von Wurzeln sprach, die tiefer liegen als die Heimat meiner Kinderzeit, an die ich mich erinnere. Sie sei gerade mit Studenten der Universität Jena dabei, zu erarbeiten, was eigentlich zu einer "thüringischen Idendität" gehöre, solche identitätsbildenden Wurzeln in der Region seien in der DDR zerstört worden. Oder ein beeindruckendes Beispiel aus einem Seminar über eine Siedlung bei Karlsruhe, in dessen Verlauf sich ergab, daß die teilnehmenden Studenten aus dieser Siedlung stammten - ich glaube sie war für Vertriebene aus den Sudeten erbaut - und jetzt anschauten, wie Großeltern- und Eltern-Generation und jetzt sie selbst in unterschiedlicher Weise mit dem Herkunftsraum umgingen: die Enkel suchten wieder nach dem, was die Identität in der Ursprungsheimat ausgemacht hatte, sie suchten nach den Wurzeln. Und die Referentin schilderte in warmen Farben, welche Rolle für sie persönlich die Mundart, die Geschichten ihrer Großmütter, also ihre Verwurzelung in einem bestimmten Raum spielten. In diesem Sinne ist das Thema unserer Gruppe rückwärtsgewandt, nicht, um die Gruppe der Ewig-Gestrigen zu verstärken, sondern um zu schauen, was wir brauchen, damit wir in Zeiten großer Mobilität nicht entwurzelt herumtreiben, sondern die Wurzeln in uns tragen und so den Stürmen standhalten. Ich selbst lebe in binationaler Ehe, mein Mann ist Spanier, ich stamme aus dem Sauerland, wir leben in Ostwestfalen. Heimat - das ist also schon für jeden in unserer Familie was anderes. Nun, ran ans Werk: Was macht für uns die kulturelle Identität aus? Wann wird es uns warm ums Herz? Auch andere Fragen dürfen gestellt werden. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B02 Christian Carls schrieb am 09.09.2000: Beitrag Köhle-Hezinger Hallo! Der von Maria erwähnte Beitrag findet sich in voller Länge für die, die sich dafür interessieren, im "LiLL", hier: Europa - eine Chance für ein neues Verständnis von Heimat Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B03 Angenita Stock-de Jong schrieb am 17.09.2000: Kulturelle Identität Auf die Frage: wann wird es uns warm ums Herz? Gerade jetzt, zur Zeit der Olympiade, möchte ich antworten: bei der Nationalhymne der Niederlande. Daran stelle ich wiederum fest, daß ich in 2 Heimaten lebe! Zum Unterpunkt bei der kulturellen Identität gehört m.E. auch die Musik. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B04 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 27.09.2000: Esskultur (privat, regional) "Wir essen dasselbe, wir können doch gar nicht so unterschiedlich sein." Das hörte ich kürzlich im Radio anlässlich eines Märchenseminars, das für türkische und griechische Jugendliche aus Zypern organisiert worden war. Zwischen meinem Mann und mir, die wir 33 Jahre verheiratet sind, gibt es viele Gemeinsamkeiten in Temperament, Charakter, Einstellungen, aber über die zu kaufende Brotsorte können wir uns nur schwer einigen, d.h. es gibt mehrere. Oder die Zeit des Abendessens. Oder die Art des Sonntagsfrühstücks. etc... Wie wichtig ist das Festhalten an alten Essgewohnheiten zum Wohlfühlen? Welche Rolle spielt es beim Wechsel der Heimat? In binationalen Ehen? Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B05 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 27.09.2000: Herkunft/Milieu Welche Bindungen sind uns in diesem Feld wichtig? Welche Erfahrungen haben Vertriebene, Flüchtlinge oder Immigranten gemacht? Wie wichtig ist uns das "Familiengedächtnis"? Gibt es unterschiedliche Interessenschwerpunkte in den verschiedenen Generationen? Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B06 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 27.09.2000: Kontakte Spätestens bei Klassentreffen merken wir vielleicht, wer alles zu unserm Alltag in der "Heimat" gehörte. Berühren uns diese Kontakte heute noch? Ich habe bei der Beerdigung meiner alten Klassenlehrerin im letzten Jahr Kontakte aufgefrischt, die mich zu einer interessanten Beschäftigung mit meiner Heimat Brilon im Sauerland geführt haben. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B07 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 27.09.2000: Kunst, Musik, Literatur Dieser Bereich ist vielleicht besonders für die interessant, die ihren heimatlichen Kulturraum verlassen haben. Was bedeutet in neuer Umgebung die kulturelle Tradition? Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B08 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 27.09.2000: Region "Ist ja alles recht schön hier. Aber Sauerland bleibt Sauerland!" soll Heinrich Lübke, der in meiner Heimatstadt Brilon zur selben Schule gegangen war wie ich, beim Besuch der chinesischen Mauer gerufen haben.:-)) Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B09 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 27.09.2000: Religion Ich habe als Kind in meinem katholischen Sauerland noch für die Bekehrung der Protestanten gebetet. Jahrzehnte später habe ich in meinem Wohnort Bünde das 1. interreligiöse Friedensgebet von Christen verschiedener Konfessionen mit Moslems, Hindus, Buddhisten mitinitiiert. Es war ein großes Erlebnis. Wer kann etwas sagen zu der religiösen Seite unserer Prägungen? Mich beunruhigt, daß die Religionen als Instrument zum Frieden so häufig versagen und sogar noch Öl ins Feuer schütten. Welche Ursachen haben die fundamentalistischen Prägungen in den Religionen aller Couleur? Wie können sie überwunden werden? Werden sie durch Unverständnis im sozialen Umfeld verstärkt? Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B10 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 27.09.2000: Sprache Welche Beziehung besteht zwischen Heimat und Sprache? Hier haben sich oben schon anregende Beiträge ergeben. Wer hat schon in mehreren Sprachräumen gelebt und kann darum aus eigener Erfahrung berichten? Wer hat sich mit dem Thema befaßt oder möchte es tun und kann Anregungen geben? Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B11 Angenita Stock-de Jong schrieb am 28.09.2000: Kulturelle Identität/Religion Am 23.9.00 lud die Fokolar-Bewegung/Neue Gesellschaft, im Rahmen der Solinger Weltwochen, zu einer Tagung zum Thema "Anders sein - miteinander leben" ein. Es fanden Referate, Gespräche, Arbeitsgruppen rund um die Begegnung mit Fremden und den damit verbundenen Gefühlen statt. Für mich, als Nichtreligiöse, war es die erste Begegnung mit dieser Bewegung, die als "private gesamtkirchliche Vereinigung päpstlichen Rechts" von der katholischen Kirche anerkannt ist. Sie wurde gegründet von der Italienerin Chiara Lubich und steht allen Menschen offen, unabhängig von Alter, Lebensstand, Konfession, Religion oder Weltanschauung. "focolare" heißt: Die offene Feuerstelle in alten Bauernhäusern, die Wärme und Licht ausstrahlt. In einer Arbeitsgruppe (kulturelle Identität) am Nachmittag habe ich unser jetziges Projektprogramm über Heimat/Fremde vorgestellt. Dieser Tag hat mich nachhaltig sehr beeindrückt. Wer hat auch schon Erfahrungen mit dieser Bewegung gemacht? Im Internet zu finden unter: www.fokolar-bewegung.de Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B12 Renate Bowen schrieb am 05.10.2000: Zum Thema Heimat Liebe Heimat-Freunde, ich habe ganz intensiv an Euch gedacht. Es gab hier im Regional-Fernsehen einen Beitrag eines städtischen Gemeindezentrums, in dem einer sagte: Heimat ist dort, wo man geliebt wird. Das ist doch auch eine schöne Definition. Es wurde dann aber festgestellt, es würde so viele Vorstellungen zu diesem Wort geben, wie Hamburg Einwohner hat. (Na, vielleicht etwas übertrieben.) Man sprach über die Fremde, die zur Heimat würde, und man hatte deshalb eine besondere Aktion gestartet. In einem U-Bahn Wagen konnten Ausländer ein Foto ihrer Heimat an das Fenster kleben, damit der Zug für sie heimatlicher würde. Mir hat die Idee gefallen, aber wie lange die Fotos wohl unbeschädigt hängen bleiben? Liebe Grüße, Renate Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B13 Peter Joksch schrieb am 07.10.2000: Kulturelle Tradition Hier drängt sich mir die Frage auf: Wie ist der Zwiespalt zwischen kultureller Tradition und dem Bemühen um Integration zu überwinden? Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B14 Peter Joksch schrieb am 07.10.2000: Vertriebene/Flüchtlinge Sind die Bindungen an die Heimat bei Flüchtlingen nicht umso stärker, je mehr sie mit dem Verlust von Besitz zusammenfallen? Andererseits ist das Festhalten an Traditionen, um ein Heimatgefühl zu erhalten einer Integration hinderlich. Und die Integration der nächsten Generationen ist nur dann problemlos möglich, wenn die Familie den Kindern Freiheit in ihrer Entwicklung zugesteht. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B15 Angenita Stock-de Jong schrieb am 07.10.2000: Die Kinder der Migranten Ich glaube nicht an eine problemlose Integration von Migrantenkindern, wenn die Familie den Kindern Freiheit in ihrer Entwicklung zugesteht. Vor allem Kinder von Migranten leben in der Zwischenkultur. Einerseits haben sie ihren Status als Kinder in der Kultur ihrer Eltern. Auf der anderen Seite erleben sie auf der Schule, bei ihren hiesigen Freunden und Freundinnen eine Art "Verhandlungswirtschaft" mit größerer persönlicher Freiheit, mehr Möglichkeiten für eigene Initiativen, höheren Anforderungen an das Selbstbewustsein. Für Mädchen ist das begreiflicherweise eine größere Herausforderung als für Jungen. Etwas Wichtiges kommt hinzu: Die Aussichten dieser Kinder, eine gute Stelle zu bekommen, sind nicht sehr groß. In ihrer Gruppe sehen sie Arbeitslosigkeit, die viel bitterer ist als bei Inländern. Diskriminierung und Rassismus bedrohen diese jungen Menschen. Auch die Einstellungen werden von zu Hause sehr stark beeinflußt. Die Kinder haben durch ihre Erziehung die Werte und Normen ihrer Kultur mitbekommen. Sie haben gelernt, auf eine kulturell geprägte Art und Weise Menschen, Dingen und Situationen Bedeutungen zu verleihen und sich danach zu verhalten. Durch ihre Kontakte mit der neuen Gesellschaft entdecken sie andere Werte und Normen, andere Bedeutungen, die man Menschen, Dingen und Situationen zuschreiben kann. Das fordert von ihnen ein anderes Verhalten. Rassismus und Diskriminierung spielen auch eine große Rolle. Die Kinder haben oft das Gefühl, daß die Sichtweisen und Werte und Normen, die sie von zu Hause mitbekommen haben, durch die (be)herrschende Gesellschaft nicht immer geachtet, sondern manchmal sogar lächerlich gemacht werden. Dieses Gefühl untergräbt ihre Versuche, eine eigene Identität aufzubauen. Diese Widersprüche führen dazu, daß für den Einzelnen kein zusammenhangendes Ganzes von Bedeutungen, also Werte und Normen, entstehen kann. Die Zwischenkultur wird daher häufig als verwirrend erlebt. Rassismus und Diskriminierung können Kinder noch weniger als ihre Eltern ignorieren. Für die Eltern ist das eine eher äußerliche Bedrohung, denn ihre innere Haltung ist kulturell gefestigt. Kinder und Jugendliche müssen sich innere Stabilität erst noch aneignen. Rassismus und Diskriminierung beeinflussen ihren Entwicklungsprozeß und sie können bei der Suche nach ihrer Identität dadurch sehr verletzt werden. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B16 Angenita Stock-de Jong schrieb am 07.10.2000: Religion Die Religion hat von ihrer Rolle als wichtiger gesellschaftlicher Faktor in unserer Kultur viel eingebüßt. In den islamischen Kulturen z.B. hat Religion oft eine große Bedeutung als Orientierungsrahmen für die Gruppe. Der Islam wehrt sich gegen die Einflüsse aus dem Westen. Der aufkommende Fundamentalismus (das strikte Festhalten am Koran und an der Tradition) und seine große politische Bedeutung sind ein Zeichen dafür. Wenn Mädchen ein Kopftuch tragen, so wird das oft viel zu schnell als Unterdrückung der Frau abgetan. Dabei wird oft nicht bedacht, dass islamische Kulturen das Gefühl haben, ihre Identität gegen westliche Ausbeutung und Zudringlichkeit verteidigen zu müssen. Und das Tragen des Kopftuchs ist ein äußeres Zeichen dieser Identität. Zudem ist der Islam eine sehr soziale Religion: Er verbindet die Menschen. Eine Moschee ist stärker als eine Kirche sozialer Mittelpunkt von Menschen. In den Niederlanden befinden sich z.Zt. 40 Moscheen. Die Trennung von Kirche und Staat ist für Marokkaner beispielsweise etwas Fremdes. Türken, die eine westliche Verfassung kennen, haben oft große Mühe damit, diesen Aspekt in ihrer eigenen Verfassung zu akzeptieren. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B17 Angenita Stock-de Jong schrieb am 07.10.2000: Sprache als Fremdsprache In unserer "Muttersprache" lernen wir schon als Kind unsere Gefühle und Gedanken auszudrücken, und in dieser Sprache verleihen wir allem um uns herum eine Bedeutung. Weil die Sprache auch immer zur konkreten Gesellschaft gehört, ist sie kulturgebunden. Wir wählen unsere Wörter in einem bestimmten Kontext. In unserer Muttersprache sind wir zu Hause! Ein Verbot, die Muttersprache zu sprechen, bedeutet Heimatlosigkeit. Man verliert einen wesentlichen Teil der Heimat. Die Kurden z.B. bilden ein Volk mit einer eigenen Kultur und einer eigenen Sprache. Fast nirgendwo im Mittleren Osten dürfen sie ihre Sprache sprechen, vor allem dürfen sie sie nicht als Ausdruck ihrer Kultur benutzen. Migranten müssen sich auf dem Gebiet der Sprache anpassen. Diese Anpassung hat eine tiefere Bedeutung als nur die Fähigkeit, sich in der fremden Sprache ausdrücken zu können.Vor allem, wenn es um das Ausdrücken emotional beladener Themen geht, kann die angelernte Sprache für den Migranten ein Handicap sein. Emotionen liegen tief im Menschen verankert, auf einer Ebene, in der sich auch die Muttersprache entwickelt hat. Der Migrant muß seine Emotionen in einer Sprache ausdrücken, in der er nicht sozialisiert wurde. Das hat eine Verfremdende Wirkung. Außerdem ist es auch nicht sicher, dass es in der angelernten Sprache ein adäquates Wort für seine Emotion gibt. In den Niederlanden bestehen viele Migrantenorganisationen darauf, dass die Kinder auch in ihrer Muttersprache unterrichtet werden (die niederländische Politik hat diese Forderung übernommen), aber nur die Beherrschung der Fremdsprache ermöglicht einen Zugang zu Gesellschaft. Als Kulturphänomen hat Sprache mit allem zu tun, mit Stellung und Platz in der Gesellschaft, mit Auffassungen, Werten und Normen. Und zugleich hat Sprache auch mit persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen zu tun. Mit anderen Worten: Sprache und Lebenswelt gehören untrennbar zusammen. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B18 Angenita Stock-de Jong schrieb am 08.10.2000: Beziehung Sprache/Heimat "Sprache" ist ein schwieriges Thema. Ich habe hier das Buch "Muttersprache, Identität, Nation", Sprachliche Bildung im Spannungsfeld zwischen einheimisch und fremd, von Herbert Ivo, Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1994, vorliegen. Um dieses Buch zu verstehen, muss man sich m.E. schon mit Sprachwissenschaftlern, wie W.v.Humboldt beschäftigt haben. Ich habe trotzdem einen für mich verständlichen Abschnitt gefunden, den ich hier wiedergeben möchte: Aus: Leo Weisgerber (1930/1964), Die Zusammenhänge zwischen Muttersprache, Denken und Handeln. In: Zeitschrift für Deutsche Bildung, 1930: Der sprachfähige Mensch bildet sich nicht selbst eine Sprache, sondern erlernt eine schon vorhandene, die seines Volkes, seine Muttersprache. Die spezifische Daseinsform der Muttersprache charakterisiert Weisgerber in Analogie zu anderen Kulturgütern, etwa Recht, Sitte, Brauch. Sie wird von einer Menschengruppe, dem Volk, getragen, das in dieser Rolle erst zur Volksgemeinschaft wird; dem Einzelnen kommt nur die Rolle eine Mitträgers zu. Sie existiert unabhängig vom Einzelnen, der als solcher ziemlich belanglos für die Existenz der Muttersprache ist. Sie enthält eine Norm, die dem Einzelnen keine freie Wahl läßt; sie zwingt ihn in ihre Formen und hält ihn während seines ganzen Lebens darin fest. Sprache als Muttersprache bewahrt wie jedes Kulturgut die Früchte der intellektuellen Arbeit auf, so dass sie nicht mit dem einzelnen Menschen untergehen. Die spezifische Leistung der Sprache als Form intellektueller Erkenntnis besteht im Bewahren und Vermitteln der Wege, auf denen die Sprecher einer Sprache, ein Volk, die Welt und ihrer Erscheinungen gemeistert, sie begriffen haben. Muttersprache enthält und bewahrt in ihren Begriffen und Denkformen ein bestimmtes Weltbild und vermittelt dies allen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft. Indem sie bei allen, die die Mutterspache lernen, ein bestimmtes Weltbild erzeugt, ermöglicht sie ein gleichartiges Verhalten zur Sinnes- und Geisteswelt. Durch sie wird jeder neue Angehörige einer Volksgemeinschaft in den Gesamtgeist dieser Gemeinschaft eingegliedert. Etwas weiter heisst es:
Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B19 Angenita Stock-de Jong schrieb am 28.11.2000: Was ist Heimat? Ich fand folgenden Beitrag von Martin Blumentritt (7.4.98)im Internet: Was ist Heimat? Ist der Patriot also vielleicht einer, der seine Heimat liebt und deshalb sich zu jenem Staat "bekennt" (was immer das wieder heißen mag), der sie gleichsam organisch verkörpert. Auf den ersten Blick scheint das die natürlichste und ihrerseits unproblematischste, weil harmloseste Lösung zu sein. Denn Heimat ist doch etwas, was für die meisten Menschen immer schon positiv da ist, als frühkindliche Verortung, oder "Verwurzelung", wie sie sagen was nicht erst als Indoktrinationsprodukt über ein Spiel von Negationen, durch Ausschlüsse des Anderen ergibt; kontingent(zufälligen Umständen entspringend MB) wie das Dasein selber, wäre sie mit diesem gesetzt. Der Begriff meint nur am Rande Soziales und Kulturelles (obwohl noch der letzte Analphabet, der seine Heimat liebt, auf die Leistungen "seiner" Dichter stolz ist), er ist wesentlich territorial definiert, und insofern er auch Geschichte meint, ist die zutiefst individuell, lebensgeschichtlich vermittelt, er bezieht sich nicht auf die abstrakte Geschichte eines Kollektivs. Daß sein Designatum (das Bezeichnete, MB) im Kern präpolitisch (vor der Politik, MB), ja genau besehen privatistisch ist, machte ihn freilich erst recht politisch mobilisierbar. Und daß er immer über sich hinausweist, er eigentlich ein vages Versprechen ist von Geborgenheit und Frieden, erklärt die Sehnsuchtsaura, die ihn umgibt - und damit auch die Liebe als unerfüllte Liebe des Patrioten, der als wahrer Patriot nie genug Patriot sein kann. Aber weder ist dies eine Lösung noch wäre sie erfreulich. Als patriotische Parole ist der Begriff "Heimat" nämlich im Innersten vergiftet. Denn Heimat ist nicht, wie Ernst Bloch im "Prinzip Hoffnung" schreibt, um den Begriff utopisch zu mobilisieren, das "was jedem in die Kindheit scheint und wo niemand war", sondern genau umgekehrt: Heimat ist das trügerische Licht der je eigenen Kindheit, das jedem in sein Leben scheint, wo also jeder schon einmal gewesen ist und wohin er nie zurückkehren kann - es sei denn um den Preis der Regression. Ein Mann kann nicht wieder zum Kind werden, sagt Marx, außer er wird kindisch. Trügerisch aber ist das Licht auch deshalb, weil die Regression in die Kindheit die imaginäre Beschwörung eines Zustands ist, den jeder Mensch damals, als er sich real in ihm befand, ja gerade verlassen wollte, weil er ihm unerträglich war: Kein normales Kind will Kind bleiben, es will groß, erwachsen, selber stark und mächtig werden und frei, so wie ihm die Erwachsenen ihm erscheinen. Das kindliche Bewußtsein ist, hegelianisch gesprochen, das "unglückliche Bewußtsein" par excellence, denn es hat seine "Wahrheit außer sich" - in dem erwachsenen Bewußtsein, das es sein wird. Insofern gibt es keine glückliche Kindheit, zumindestens nicht in actu, allenfalls in der verklärenden Erinnerung. Erst später, als Alternder, liebt man sich selbst als Kind, das man gewesen ist - nicht so, wie man die Heimat liebt, sondern das ist die Heimat, die man liebt. Kindheit als erinnerte aber wird zusammen mit ihren Requisiten (das Haus, der Ort, die Straße, wo man wohnte, die Menschen, mit denen man täglich zu tun hatte: es ist immer das Allernächste, Individuellste, was in der Erinnerung zur "Heimat" wird, bereits der Umzug innerhalb der gleichen Stadt oder von Dorf zu Dorf ist ein Verlust an Heimat und schon der Nachbar hat eine andere) in genau dem Maße virulent, als ihre Hoffnungen enttäuscht worden sind: Als Imago eines Zustands, in dem noch alles offen schien und es noch eine Zukunft gab. Deshalb ist "Heimat" nicht nur, aber vor allem, eine Regressionsparole armer und alter Leute, immer aber von Leuten, die vom Leben enttäuscht worden sind - und das werden wir tendenziell alle; wenn auch in unterschiedlichem Maße. Glück, sagt Freud, ist die Erfüllung eines Kindheitswunsches; aber sowas kommt selten vor, auch in besseren Kreisen. "Die Geschichte eines beliebigen Lebens ist die Geschichte eines Scheiterns" (J.-P. Satre) - das gilt individuell, aber das gilt auch für das Leben von Klassen. Der Begriff "Heimat", der ja zunächst, in vormodernen Zeiten, ganz nüchtern Haus und Hof, den bäuerlichen Besitz bezeichnet ("Das neue Heimat kostet ihm wohl 10.000 Gulden", lesen wir in den "Erlebnissen eines Schuldenbauern" von Jeremias Gotthelf), erfährt seine Verinnerlichung und Transformation zum ideologischen Konzept, das auch metaphorisch das Alte, Bewährte, Vererbte und Eingesessene beschwört, erst mit der beginnenden Industrialisierung. Jene innere Bewegtheit, mit der er heute ausgesprochen wird, war ihm vorher fremd - er meinte ganz brutal ein Stück Besitz. Als ideologisch aufgeladener, wie der Begriff Nation auch, sehr jungen Datums. Er bezeichnet eine - im Doppelsinn "romantische" Entdeckung, die in dem historischen Augenblick gemacht wird, da das Entdeckte aufhört, etwas fraglos Gegebenes zu sein. (Im übrigen eine spezifische Entdeckung der deutschen Romantik. Weshalb er mit all seinen sentimentalen Valenzen in andere Sprachen kaum übersetzbar ist.) Die tränenreiche "Heimat" ist eine Reaktion auf das, was Georg Lukács die "transzendentale Obdachlosigkeit" des Menschen in der industriekapitalistischen Ära genannt hat, nichts Vormodernes, sondern ein Schatten der Moderne selber. Als modern-antimoderner wird der Begriff auch seine nostalgisch ruralen Konnotationen nicht los - "Heimatstadt" ist ein Oxymoron, zumindestens wenn es sich um eine Großstadt handelt. Robert Musil hat deshalb unrecht, wenn er sagt, der Begriff "Heimat" stamme "aus einer Zeit, da die Menschen noch aus einem Trog fraßen". Er stammt vielmehr aus einer Zeit, da man den Menschen den alten Trog wegnahm und sie zwang, jeder für sich, aus einem neuen Trog zu fressen - als Sehnsucht nach dem alten Trog. Analoges gilt von der "kulturellen Identität", dem nur scheinbar ethnologisch auf- und abgeklärten Nachfolgebegriff der Heimat. "Heimat" ist also ein ins Positive umgelogener Trennungsbegriff, "Heimat" ist immer die Heimat derer, die eine verloren zu haben glauben, "Heimat" "ist eine leicht weinerliche Verlustanzeige". (Rudolf Burger, Patriotismus und Nation, Leviathan Heft 2/1994 162ff) Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B20 Maria Burkard schrieb am 15.12.2000: Heimat in Bibel und Religion In der Bibel nur wenig Im AT: 1.Mose 19: Untergang von Sodom und Gomora, Lots Weib sieht sich um und wird zur Salzsäule. Ist es nur Neugier oder ein letzter Blick auf die Heimat? Jesaja: "An den Wassern Babylons saßen wir und weinten ... " Im NT ist die Grundeinstellung: Heimat liegt im Jenseits. "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" "Wir haben hier keine bleibende Statt, aber die Zukünftige suchen wir", Paulus Diese Einstellung findet sich im Kirchenlied bis in die Neuzeit: "Ich wollt, dass ich daheime wäre ...", H.v.Laufenberg ~1450 "Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh, ... Die Heimat der Seele ist droben im Licht.", Jürgens ~1820 "Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.", G. Thurmair 1935 Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B21 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 02.01.2001: Auszug aus einer Diskussion über das Thema "Heimat" zwischen Böll, Blüm, Grass, Mitscherlich, Lemberg Mitscherlich: Meine Damen und Herren! Wir haben uns zu einem Versuch zusammengefunden. Es ist unsere Absicht, ein Wort, das sich von selbst zu verstehen scheint, aber gewiß nicht so selbstverständlich ist, näher zu betrachten. Es geht um Heimat und um Fragen wie diese: Ist Heimat geografisch fixiert, liegt sie ein für allemal fest wie ein Territorium, als Ort, in dem man seine Jugend verbrachte? Bleibt sie dieses Territorium auf Lebenszeit, oder kann man Heimat wechseln, in einen neuen Ort hineinwachsen, (. . .) Was fällt Ihnen ein, welche Erinnerung oder Gefühle haben Sie, welches Bild kommt Ihnen als erstes, wenn ich Ihnen das Wort Heimat zuspiele? Böll: Ich denke an Köln, an die Stadt, in der ich geboren bin und immer noch lebe. Aber wenn Sie mich nach Heimat fragen, denke ich an das Köln vor 33, das Köln meiner Kindheit und meiner Jugend. Ein zweites Köln war schon das Köln zwischen 1933 und 1939, also ein von Nazi-Gauleitern und SA-Truppen bestimmtes. Das dritte Köln war das zerstörte Köln, ein viertes ist das wiederaufgebaute Aber Heimat, wenn Sie mich nach dem Gefühlswert Heimat fragen, ist das Köln vor 33, das die Heimat meiner Erinnerungen ist. Blüm: Bei mir stellt sich zunächst mal ganz diffus das Bild einer Landschaft ein. Ich fürchte, daß das so ungenau ist, hängt damit zusammen, daß für mich der Begriff nicht sehr gefühlsbeladen ist. Weil wir uns in einem Prozeß der globalen Verstädterung befinden, ist das, was wir mit Heimat und Landschaft verbinden, offenbar auf dem Rückzug, jedenfalls für mich. Lemberg: Ich kann als Beamtensohn vielleicht wenig dazu sagen, weil der Sohn eines Beamten, der immer wieder versetzt wird -von einer Stadt in die andere -, nicht eine ganz enge, mit den Augen sichtbare Umgebung als Heimat empfindet, sondern einen geografischen oder politischen Raum größeren Ausmaßes; und viel mehr noch als diesen landschaftlich darstellbaren Raum das Menschengefüge. Ich tendiere also mehr zum soziologischen Heimatbegriff, den man heute in der mobilen Industriegesellschaft ja immer stärker empfindet, als zum landschaftlichen, geografischen, weil nur wenige Menschen eigentlich noch von Jugend auf in ein und demselben Ort leben. Grass: Bei mir ist es Danzig. Und eigentlich zuallererst die Sprache, der Dialekt und all das, was damit zusammenhängt: Die Art und Weise zu sprechen, Dinge zu benennen, ruft bei mir Heimat und Heimaterinnerung wach. Und gleichzeitig natürlich auch mit dem Verlust dieser Sprache und dieses Dialektes den Verlust von Heimat. Wie einem ja Heimat nur dann bewußt wird, wenn man sie verliert. Vorher ist sie etwas Selbstverständliches, das da ist, auf das man zurückgreifen kann, aber nicht unbedingt zurückgreift. Hier ist Heimat nun etwas Festgefrorenes, in einem bestimmten Stadium Stehengebliebenes, nur noch in der Erinnerung Vorhandenes. Ich habe das sehr deutlich bemerkt, als ich 1958 zum erstenmal nach Danzig zurückkam und "Gdansk" vorfand: von den Gebäuden her, von Straßenecken her sehr viele Erinnerungen. Aber eine Bevölkerung, die aus Wilna und Lemberg kam und die wahrscheinlich, wie sich aus späteren Gesprächen ergab, ganz andere Heimatvorstellungen hatte als ich in Danzig, nämlich Erinnerungen an Wilna und an Lemberg. Mitscherlich: Wenn ich den Bogen der verschiedenen Heimatauffassungen, der verschiedenen Heimatassoziationen noch um eine vermehren darf -jetzt in diesem Moment -, dann fallen mir die dunklen Kiefernwälder des Fichtelgebirges ein und ein riesengroßer Steinpilz, der sozusagen eine Art Symbol für mich war, weil ich so einen über ein Kilo wiegenden, eßbaren, herrlichen, sauberen Steinpilz nie wieder gesehen habe. Mitscherlich, Alexander; Kalow, Gert (Hrsg.): Hauptworte Hauptsachen. Zwei Gespräche: Heimat. Nation. München: Piper 1971 (= Serie Piper 16). Zitiert nach: Heimat, deutsch betrifft uns , 2/86-9 ,S.13 Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B22 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 02.01.2001: Einleitung aus der Schweizer Heimatseite Erinnerung nennen wir die Wiederbelebung einmal gemachter Wahrnehmungen im Geist. Diese Vorstellungen der Erinnerung sollen den ursprünglichen Eindrücken so genau als möglich entsprechen. Was wie erinnert oder nicht erinnert wird, ist eine Aktivität, die weder rein rational (über den Willen), noch rein emotional bedingt ist. David Rapaport (1994, 146 ff.), welcher die theoretischen Beiträge der Allgemeinen Psychologie zur Theorie des Gedächtnisses sammelt, braucht dafür den Ausdruck "selegierender Faktor". Die Selektion wird von "selegierenden Kräften", z.B. den Gefühlen, gelenkt. David Hume (1989, 19) nennt Erinnerungen jene Vorstellungen, die an Form und Reihenfolge der gemachten Eindrücke gebunden sind. Hier steht Erinnerung als Zeitweiser: Was wir heute Heimat nennen, finden wir nicht in der Zukunft, obwohl die Hoffnung auf eine Heimat handlungswirksam sein kann (Heimatschwindel). Wir finden unsere Heimatvorstellung auch nicht in der Gegenwart, obwohl wir da die nötigen Erfahrungen sammeln (Daheim). Heimat kommt aus unserer Vergangenheit (Heimat & Zeit). Damit verbinden wir weder Nostalgie noch Sehnsucht nach dem Ewiggestrigen. Um sie gleich wegzulegen, sind diese Stimmen unter Vergangenheit gesammelt. https://www.uni-ulm.de/LiLL/gemeinsamlernen/materialien/heimat/theoriegruppe_bern Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B23 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 02.01.2001: Interview Bernhard Schlink Bernhard Schlinks vor fünf Jahren erschienener Roman "Der Vorleser" wurde ein Welterfolg. Anthony Minghella wird ihn demnächst verfilmen. Gerade kamen bei Diogenes seine neuen Erzählungen "Liebesfluchten" heraus. Petra Kammann traf den Autor zum Gespräch in Berlin Ihr Roman »Der Vorleser« ist inzwischen in 25 Sprachen übersetzt. Und in Amerika stehen Sie seit längerem an oberster Stelle auf der Bestsellerliste. Gehen Sie bald nach Amerika, um dort weiter zu schreiben? Ich habe ein sogenanntes »Fellowship« bekommen, das mir erlaubt, für ein dreiviertel Jahr in der New York Public Library zu schreiben, die ein Center für writers and scholar gegründet hat. Ich freue mich darauf, dasein und schreiben zu können. Es ist nämlich ein wunderbarer klassizistischer Jahrhundertwende-Bau, in dem ich ein kleines Büro haben werde. Was fasziniert Sie an New York? An New York mag ich, dass die Stadt wie keine andere die ganze Welt ist: alle Rassen, alle Ethnien, alle Religionen, alle Berufe, Kultur und Börse, arm und reich. Es ist Stadt in all ihren Erscheinungsformen, von den netten bürgerlichen Einfamilienhaussiedlungen der Gründerzeit mit Grün dazwischen in Queens, über die Slums bis zu den glitzernden Büro-Palästen. Ich mag auch, dass es eine Stadt ist, die sehr mit Wasser verbunden ist - Hudson, East River und auch die Nähe des Meeres. Lieben Sie das Wasser, weil Sie selbst in Bielefeld -also im Binnenland - aufgewachsen sind? Nein, in Bielefeld wurde ich nur geboren, und das hat der Krieg so gefügt. Meine Mutter stammt aus der Schweiz, mein Vater aus Hessen. Das ist eine süddeutsche Prägung. Ich bin in Heidelberg aufgewachsen - auch eine Stadt, die mit dem Wasser lebt. In Ihren Geschichten scheint die Auseinandersetzung mit der Generation der Väter durch. Hat Sie Ihr Vater im Schreiben beeinflusst? Nein. Mein Vater war Theologe, und mir ist jedenfalls nicht bewusst, dass er mich im Schreiben in besonderer Weise beeinflusst hat - natürlich gilt allgemein, dass wir die Kinder unserer Eltern und von diesen beeinflusst sind. Hat er Sie nicht zum Schreiben, zum Nachdenken über Schuld, angeregt? Die Beschäftigung mit moralischen Fragen, vor allem Schuldfragen, habe ich wohl von neiner Mutter. Meine Mutter ist reformiert, mein Vater Lutheraner. Die Reformierten tun sich mit der Schuld schwerer als die Lutheraner; diese sind eher die Katholiken unter den Protestanten, während die Reformierten, zumal die Calvinisten, eher die Juden unter den Protestanten sind. Gab es familiär eine Auseinandersetzen mit der NS-Zeit, die in Ihren neuen Erzählungen nicht mehr durchgängig die Hauptrolle spielt? Sind das Ihre persönlichen Erfahrungen mit Geschichte? Oder rührt das aus Diskussionen Ihrer Studentenzeit? Es rührt schon aus der Schulzeit. Nicht so sehr aus familiären Auseinandersetzungen: mein Vater, der ein Pfarrer der "Bekennenden Kirche" war, hatte seinen Lehrstuhl verloren und w urde erst wieder nach dem Krieg Professor. Aber wir hatten Gäste zu Hause mit KZ-Tätowierung, sodass darüber geredet wurde, und in der Schule gab es einen Lehrer mit der SS-Tätowierung. Dann habe ich als Student viel in der Fabrik gearbeitet, und dort war der Krieg das Thema. In welcher Art von Fabrik? In einer Isolierstoff- und in einer Metallfabrik. In einer arbeitete ich in der so genannten Fliegerschicht - 12 Stunden am Stück - immer einen ganzen Tag und nach 24 Stunden die ganze Nacht. Dabei arbeitete man zu viert am Band und redete viel - die Gespräche dort sind mir unvergessen. Haben Sie sich in dieser Zeit inspirieren lassen für Ihre Selb-Krimis, die in der Arbeitswelt spielen und die von der Verstrickung der Industrie handeln? Ich weiß nicht genau, woher meine Geschichten jeweils kommen. Schule, Fabrik, auch das Studium hat sicher eine Rolle gespielt. Einer meiner verehrten Professoren war im Dritten Reich - jedenfalls am Anfang - nationalsozialistisch engagiert gewesen. Das Thema war in unserer gesamten Lebenswelt eben vielfach vertreten. Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, dass Sie schreiben mussten? Ich habe schon als Schüler geschrieben. Als ich später anfing, wissenschaftlich zu schreiben, dachte ich zunächst, dass sich die Freude am Schreiben in der Freude am wissenschaftlichen Schreiben erfüllen werde. Ich schreibe auch mit Vergnügen wissenschaftliche Texte, bis heute. Was doch sicher auch ein sehr theoretisches Schreiben war? Der Prozess des Schreibens ist hier wie dort ähnlich. Das Ergebnis muss stimmen. Ich kann nicht genau sagen, wie es geschieht, wenn die Gedanken - die Bruchstücke von Gedanken, die Bruchstücke eines Essays, die Bruchstücke einer Geschichte - Gestalt gewinnen. Das Lange-mit-ihnen-leben finde ich wunderbar; wenn ich weiß, ich soll in einem halben Jahr einen Vortrag halten, dann begleitet mich das Thema ein halbes Jahr lang. Genauso begleitet mich die Idee zu einer Geschichte. Da setzt sich etwas im Kopf fest, begleitet mich eine Zeit lang und gewinnt immer mehr Gestalt. Haben Sie nicht den Eindruck, dass Sie, weil Sie Jurist sind, es manchmal besser wissen als die handelnde Person? Ich empfinde Juristen nicht als Besserwisser. Juristen müssen wissen. Ob besser oder schlechter, das ist nicht anders als in jeder anderen Wissenschaft. Ich empfand es als Problem, als ich 1990 an die Humboldt-Uni kam. Der Unterricht, den wir erste Gastprofessoren damals gemacht haben, war ja Unterricht nicht nur für die Studenten, sondern auch für die Kollegen. Die ostdeutschen Kollegen mussten und wollten auch lernen. Von mir, dem gleich alten Kollegen - da fand ich mich in der Tat auf schwierige Weise in einer gewissermaßen besserwisserischen Situation. Haben Sie sich in dieser Zeit juristisch auch mit der Stasi-Aufarbeitung befasst und wurden in den "Liebesfluchten" zu der Geschichte "Der Seitensprung" angeregt? Da geht es ja um eine getäuschte Beziehung zwischen Ost und West. Ja, natürlich. Das hat mich beschäftigt. Es gab eine Menge Juristen meiner Generation, die den Eindruck hatten, was damals nach 1945 falsch gemacht wurde, das machen wir richtig. Deswegen verfolgen wir nach 1989 jetzt strafrechtlich konsequent und gucken auch bei den Beamten, bei den Angestellten, genau hin. Das ist mir oft begegnet - oft mit einem unangenehmen Ton moralischer Überlegenheit. Ich halte es letztlich auch für falsch, weil ich denke, man kann so mit Geschichte nicht umgehen: Was unsere Eltern damals falsch gemacht haben, das machen wir jetzt im anderen Kontext richtig. Haben Sie selber auch Ihre eigene Akte in der Gauck-Behörde eingesehen? Ich habe vermutlich eine eigene Akte, weil ich in den 60er Jahren hier studiert habe und eine Freundin in Ostberlin hatte, die dann in den Westen kam. Aber ich hatte keine Lust, mir die Akten anzugucken. Hatten Sie Angst vor Liebesverrat? Nein, ich dachte, es wird wohl so sein wie das, was man darüber liest. Bei meinem ersten Krimi "Selbs Justiz" hatten Walter Popp und ich über die rheinischen Chemiewerke, die ein bisschen der BASF nachempfunden sind, eine Geschichte geschrieben. Eines Tages kam ein Student zu mir und sagte, sein Onkel sei bei der BASF gewesen und ihn interessiere, woher wir das alles wüssten. Die Weit ist eben oft so, wie wir sie uns ohnehin vorstellen. An welcher Stelle wollen Sie etwas genau wissen und beginnen zu recherchieren? Für die Geschichte "Die Beschneidung" habe ich z.B. einiges gelesen: über jüdisches Brauchtum und jüdische Geschichte, über Juden in Osteuropa, woher die Familie der Tochter, die die Protagonistin der Geschichte ist, kommt. Ich habe zwar jüdische Freunde in New York und gehe dort auch gelegentlich in die Synagoge. Aber für einen meiner Generation ist die Begegnung mit der jüdischen Lebenswelt nie zu Ende. In dieser Geschichte beschäftigen Sie sich mit der jüdischen Kultur in Amerika, mit ihren Ursprüngen. 1993 habe ich zum ersten Mal ein Semester an der Yeshiva University unterricht und dort habe ich dann auch an einem Kurs über jüdisches Recht teilgenommen. In Deutschland war ich damit nie in Berührung gekommen. Auch in Berlin bin ich jetzt erst damit in Berührung gekommen. Als ich in den 60er Jahren hier studiert habe, habe ich nichts davon gemerkt. Jüdisches Leben in Deutschland ist ein heikles Thema. In »Die Beschneidung« liebt ein Deutscher eine amerikanische Jüdin und lässt sich ihretwegen beschneiden. Es geht vor allem um Auseinandersetzungen und Gespräche, die einem Deutschen in New York begegnen können. Dabei kann jede Seite nur so und nur so reden, gefangen in kollektiven Vorstellungen und Wahrnehmungen. Haben Sie das so auch in New York erlebt, wo die emigrierten Juden an dem versuchen festzuhalten, was ihre Traditionen sind? Ja, ich kenne es auch bei meinen akademischen Bekannten, dass sie um die fünfzig plötzlich wieder ihre jüdische Identität entdecken. Davor waren sie ganz säkular. Aber da ist eine Identität, die liegt bereit wie eine Heimat, in die man zurückkehren kann. Diese Identität ergreifen sie und haben nochmal eine ganz neue Welt, fast ein neues Leben mit neuen Erfahrungen, neuem Glück, Verpflichtungen und Riten. Und wie verhält es sich in der Geschíchte »Das Mädchen mit der Eidechse«, wo ein Bild von René Dalman der Auslöser ist? Dieses Bild von einem Basler Künstler der Jahrhundertwende, früher in den Ausstellungsräumen und heute im Fundus des Basler Kunstmuseums, muss einst sehr beliebt gewesen sein. Eine Reproduktion davon hing bei meinen Großeltern über dem Bett, in dem ich als kleiner Junge immer geschlafen habe. Steht die Geschichte für Ihr Schreiben? Ist ein Bild der Auslöser für eine Geschichte? Sind Sie ein visueller Mensch, ganz abgesehen davon, dass Ihr erster Krimi ja auch von Nico Hofmann gleich verfilmt wurde? Ich weiß nicht. Ich habe eine Freundin in New York, die malt. Sie hat eine Serie von Haustüren gemalt und will nun Autoren bitten, dazu Geschichten zu schreiben: New Yorker Tür-Geschichten. Zwei dieser Bilder haben mich ganz lange begleitet, und ich habe lange mit ihnen gespielt, bis daraus Geschichten entstanden sind. Ein Bild allein genügt nicht. Es ist wohl eher das Motiv. Befruchten sich Ihre beiden Schreibtätigkeiten in Ihrem »Doppel-Leben« als Schreiber und als Jurist? Auch der Wissenschaftler und Jurist muss kreativ sein. In den Semestermonaten komme ich nicht zum Schreiben und trotzdem lebe ich in einer Welt der Kreativität, und da denkt es weiter. Woran denkt es im Moment? Zunächst einmal möchte ich noch den dritten "Selb"-Roman der Trilogie fertig schreiben. Aber meine Gedanken sind auch schon bei dem Roman, den ich danach schreiben will. Worum geht es dabei? Jemand sucht das Ende einer Geschichte. Diese Suche wird zu einer Suche nach dem Autor der Geschichte. In die Geschichte des Autors ist die Geschichte des letzten Jahrhunderts verwoben. Sie scheuen sich nicht, unterhaltsam zu schreiben. Was sagen die Professoren-Kollegen dazu? Die Kategorien von E und U lösen sich doch auf. Und Juristen sind diskret. Man nimmt wenig zur Kenntnis, was die anderen machen. Sie haben zunächst Krimis und dann einen richtigen Roman »Der Vorleser«, und jetzt mit den »Liebesfluchten« kleine Erzählungen geschrieben. Gibt es da für Sie Unterschiede beim Schreiben? Eine Freundin sagte mir, ich schriebe alles mit dem selben Engagement, ob für die Vogue einen kleinen Artikel über das Einkaufen von Mode mit Frauen oder einen wissenschaftlichen Aufsatz oder mit Freunden ein Polizeirechtslehrbuch oder einen Roman oder eine Geschichte. Wie lange haben Sie am »Vorleser« gesessen? Zwei bis drei Jahre, weil ich nur in den Ferien schreiben kann. Sonst schlagen die Wellen des Semesters und Betriebs so über mir zusammen, dass es nicht geht. Braucht man nicht die absolute Einsamkeit, um so einen Roman zu schreiben? Nein. Zum Teil ziehe ich mich zwar ganz zurück. Zum Teil gehe ich aber auch mit anderen in Urlaub und nehme mich immer wieder einmal acht Stunden heraus. Wenn man so wenig Zeit hat wie ich, dann kann man sich den Luxus des Wählerisch-Seins beim Schreiben nicht leisten. Ich habe mich trainiert. Ich kann im Flugzeug, im Zug, auf der Parkbank, eigentlich überall schreiben. Ich schreibe mit der Hand. Gab es beim Schreiben noch andere Unterschiede? Natürlich. Manchmal packt es mich mehr und manchmal weniger. Aber es ist nicht der große qualitative Unterschied - das waren Krimis und jetzt, beim "Vorleser", ist es ein richtiger Roman. Oft sind es Unterschiede von Kapitel zu Kapitel. Und was hat Sie beim Schreiben der "Liebesfluchten" selbst besonders bewegt? Die Geschichte, die ich jeweils gerade geschrieben habe, und zum Ausklang "Die Frau an der Tankstelle". In gewisser Weise ist letztere so eine "On the road"-Geschichte. Spielen Ihre Reisen nach Amerika eine Rolle? Das war eine Fantasie, von der ich nicht mehr weiß, wann ich sie das erste Mal fantasiert oder geträumt habe. Man kann eigentlich nur über das schreiben, was man kennt, was man auf die eine oder andere Weise gesehen und erlebt hat. Amerika kennen gelernt zu haben, hat mir auch einen Raum erschlossen, über den ich schreiben kann. Hat diese Geschichte nicht auch eine gewisse Ähnlichkeit mit der Geschichte mit dem beziehungsreichen Titel "Zuckererbsen"? Der Held dieser Geschichte löst sich immer wieder aus den vorherigen Bindungen. Wollen wir das nicht alle? Nicht im Sinne des Abbrechens, sondern im Sinne des Öffnens, Weitens, Auf- und Hineinnehmens, so, dass das Leben rund wird, dass alles drin ist. Im wirklichen Leben hat das freilich auch immer wieder etwas Belastendes. Sie haben in einem Vogue-Artikel beschrieben, dass Sie gerne mit Frauen Mode einkaufen gehen. Warum? Können Sie sie dabei besonders gut beobachten? Im Jahr darauf habe ich etwas über Haare geschrieben, und ich will etwas über Eitelkeit schreiben. Es sind Themen, die mich interessieren, und schon als kleiner Junge bin ich gerne mit meiner Mutter, mit den Schwestern, mit der Tante einkaufen gegangen. Hanna, die Protagonistin im »Vorleser«, wirkt nicht wegen ihrer modischen Attraktivität, sondern eher durch menschliche Wärme. Wie haben die Leser das wahrgenommen? Was mich besonders berührt hat, war die Post von jüdischen Lesern und vor allem Leserinnen der älteren Generation, die die Geschichte verstanden, nicht als Versuch des Weißwaschens gesehen, sondern sie als Auseinandersetzung meiner Generation mit der Verstrickung meiner Generation in die Schuld der letzten Generation genommen haben. Haben Sie diese Reaktionen vor allem seit der Tolkshow mit der populären amerikanischen Talkmasterin Oprah Winfrey bekommen? Ich habe sie schon davor bekommen. Auch Oprah Winfrey hat die Zuschriften bekommen, die sie darauf gebracht haben, das Buch zu lesen. Gibt es für Ihr Schreiben einen autobiografischen Zusammenhang? Diese verschiedenartigen Geschichten, wie soll ich sie alle gelebt haben? Aber, ich bin sicher, dass in jede Geschichte immer etwas Autobiografisches mit einfließt, bei mir und bei jedem Autor. Am Anfang all Ihrer Geschichten beginnt es immer mit einer symbiotischen Beziehung, die dann durch die Verhältnisse aufgebrochen wird. Ist das für Sie eine Grunderfahrung? Die Symbiose? Darüber werde ich nachdenken. Ist dann das Schreiben für Sie eine Art Reifeprozess? Ich merke, dass ich beim Schreiben meine Stimme finde. Das ist ein Prozess, ein Arbeits- und in gewisser Weise auch ein Reifeprozess. Aber Sie versuchen, einen bestimmten Moment in der Entwicklung deutlich zu machen? Meine Themen sind immer wieder die Verstrickung, die Flucht, der Verrat. Ein Thema auch, das mich oft beschäftigt, ist Heimat. Worauf führen Sie das zurück? Heimat ist ja fast ein unmoderner Begriff geworden. Ich erlebe Heimat stark. Ich fühle mich auch nicht als unbehauster Großstadtmensch. Ich bin in Heidelberg aufgewachsen; und die Dimensionen von Stadt, in denen ich aufgewachsen bin, reichen mir. Heidelberg selbst ist inzwischen freilich disneylandisiert worden. Was fasziniert Sie daran? Es ist die Landschaft, die mich als Heimat fasziniert: die Berge, die Ebene, der Fluss. Wenn der Zug auf die Berge zufährt und ich die roten Sandsteinbrüche sehe, dann berührt es mich. Dabei wohnen Sie in der aufregendsten Stadt der Republik, in Berlin! Ich bin kein Berliner. Ich bin ein Süddeutscher, der in Berlin lebt, der zu schätzen weiß, was an Berlin zu schätzen ist, der aber auch die Defizite der Stadt sieht. Es ist eine Stadt ohne Mitte - geistig wie baulich. Es ist eine Stadt, die über Jahrzehnte ausgehalten wurde, im Osten wie im Westen, die nicht aus eigener Kraft existieren musste. Das tut nicht gut. Heidelberg ist für Sie mehr - auch der Philosophenweg? Ja, auch der Blick vom Philosophenweg und auch der von Ziegelhausen, wo meine Mutter wohnt. Vom Berg dort liegen, wie es Hölderlin gesehen haben muss, der Fluss, die alte Brücke, und die Stadt, die sich in die Ebene weitet, vor einem. Wenn dann noch die Sonne im Dunst untergeht, ist das jenseits alles Touristischen ein wunderschöner Anblick. Wenn man Ihre Ost-West-Erzählung "Der Seitensprung" liest, dann hat man den Eindruck, dass nicht zusammenwachsen kann, was zusammengehört. Die Verletzungen sind zu tief. Immerhin hat die Geschichte einen versöhnlichen Schluss. Ich bin auch sicher, dass Berlin sich zusammenfinden wird. Beide Seiten wurden ausgehalten und haben die entsprechende prekäre Mentalität. Die Ost- und die Westberliner haben dieselbe Art des Sich-Beklagens, des Erwartens, dass sie zu kriegen haben, des Empfindens, dass die anderen ihnen was schulden. Sie haben auch dieselbe Art der Unfreundlichkeit, die sie für witzig halten und die früher vielleicht auch einmal witzig und selbstironisch war. Der deutsche Protagonist in der Geschichte führt seine amerikanisch-jüdische Geliebte an seine deutschen Heimatorte, weit er will, dass sie auch seine Identität kennenlernt. Wie konnten Sie da Klischees vermeiden, obwohl es sich um touristische Orte handelt? Vielleicht, weil ich in einem touristischen Ort aufgewachsen bin. Sie haben keine Angst vor Kitsch, so etwas zu beschreiben, keine Angst, sich mit dem auseinander zu setzen, was schon einmal vorbewertet worden ist? Es sind alles alte Geschichten. Doch sind sie immer neu. Welche Dichter würden Sie mit auf die berühmte Insel nehmen? Die Literatur, die ich liebe, ist stark die des 19. Jahrhunderts. Wenn ich nur zwei Bücher mitnehmen könnte, wären es die Ilias und Odyssee und die Bibel. Aber wenn ich eine Bibliothek mitnehmen könnte, wäre es die Bibliothek des 19. Jahrhunderts. Sie mögen den distanzierenden Blick auf die Dinge? Es sind gebrochene Entwicklungsromane, bei Keller wie bei Fontane, in denen übrigens die Frauen die stärksten Gestalten sind. Es sind Romane mit viel Blick auf die Wirklichkeit. Mit Ironie, Romantik, und manchmal sogar einem Hauch von Sentimentalität. Aber es gibt Krimi-Autoren, die ich auch verehre: Chandler, Cain oder Hammett - Moralisten, Ironiker und Romantiker auch sie. Quelle: BuchJournal 1/2000,S.16-22 Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B24 Boris Nieswand und Ulrich Vogel schrieben am 30.03.2001: Exkurs: Der Begriff der Heimat Der nachfolgende Exkurs ist Teil einer (unveröffentlichten) Diplomarbeit mit dem Titel "Dimensionen der Fremdheit" an der Uni Bielefeld im Jahre 2000. Wir danken Boris und Ulrich, dass sie uns die Veröffentlichung dieser interessanten Arbeit mit großer Relevanz für unser Projekt gestatteten. Es sei darauf hingewiesen, dass sich die darin enthaltenen Gedanken nicht nur auf den Komplex B beschränken, sondern auch die Komplexe A und C betreffen. Hier beginnt der Exkurs: Analog dem Begriff der Fremdheit weist auch der Heimatbegriff einen hohen Grad an Unbestimmtheit auf. Auf einer räumlichen Ebene kann sowohl die Wohnung, das heimatliche Haus, die Gemeinde, eine Region, ein Staat oder sogar ein überstaatliches Gebilde, z.B. Europa, gemeint sein, bis hin zum Astronauten, der die gesamte Erde aus der Ferne des Weltraums als Heimat betrachten kann. Auf einer soziokulturellen Ebene reicht die Bedeutung von der Herkunftsfamilie bis hin zu der Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis. Weiterhin ist eine zeitliche Dimension zu beachten, da Heimat den nicht mehr behausten - daher der Vergangenheit zugehörigen - Geburtsort anzeigen kann, einen gegenwärtigen Aufenthalts- oder Lebensort bezeichnen oder gar einen zukünftig bewohnten Ort meinen kann.[ 1 ] Den drei Ebenen gemeinsam ist der Bezug zu einem Standort, den das Individuum identifizierend einnehmen muß, was durch die Verbindung von Wer und Wo bei der Frage nach der Herkunft angelehnt ist (vgl. Waldenfels 1985:195). Heimat als gelebter Raum ist dabei zentristisch auf das Subjekt bezogen, dessen leibliches Hier einen Nullpunkt bildet, ein Hier, von dem aus Welt in der Mannigfaltigkeit von Dorts erfahren wird (vgl. ebd. und Schütz 1972a:71). Dabei prägt der Ort des Agierens das Subjekt selbst, d.h. der Raum, verstanden sowohl als räumliche als auch als soziale Kategorie, gibt Möglichkeiten des Sich-verhaltens vor. Wir haben dementsprechend mit einer engen "Verknüpfung zwischen den rituellen Eigenschaften der Personen und den Eigenheiten des Territoriums" (Goffman 1971:7) zu rechnen, so daß Personen in Szenerien verwickelt sind, durch die sie Identität gewinnen (vgl. Waldenfels 1985:196ff.). Heimat erlangt seine Funktion als ausgezeichneter Raum der Identitätsstiftung hierbei v.a. über die Schützschen Idealitäten des "und so weiter" und "ich kann immer wieder", wodurch eine Routinisierung und Habitualisierung des Verhaltens erzeugt wird. In der erworbenen sozialen Heimatwelt sind zudem Verhaltensweisen der anderen Mitglieder dieser Heimat unmittelbar zurechenbar:
Die Grenzen müssen allerdings als veränderbar angesehen werden, da, wie oben angesprochen, der Bedeutung des Heimatbegriffes eine hohe Variabilität innewohnt:
Diese traditionelle Heimatvorstellung bricht sich in gegenwärtigen Industriegesellschaften, in denen der Selbstverständlichkeit des Verschmelzens von Wohn- und Arbeitsort mit dem Ort der eigenen Herkunft und dem Ort der Vor- und Nachfahren keine Gültigkeit mehr zukommt. In modernen Gesellschaften kann die Frage nach der Herkunft auf mindestens drei Arten beantwortet werden, nämlich durch Rekurs auf den gegenwärtigen Aufenthaltsort, auf den Geburtsort und auf den Lebensort, wobei sich letzterer als Ort des Zuhausefühlens dadurch auszeichnet, verlierbar zu sein, ohne daß ihm eine Beliebigkeit zukommt (vgl. Waldenfels 1985:199). Heimat als erworbener Lebensort entspricht dabei mehr dem englischen Begriff "home", der v.a. ein gegenwärtiges Zuhause bezeichnet, als dem alltagssprachlichen deutschen Begriff der "Heimat", dessen begriffsgeschichtliche Bedeutung in einer Verschmelzung von Boden und Grundbesitz mit der Zugehörigkeit zu einem Stamm oder einer Sippe wurzelt, demnach Gegenwart und (Familien-)Vergangenheit miteinander verbindet (vgl. Bastian 1995:20ff.).[ 5 ] Heimat als Lebensort in der Bedeutung von "home" bleibt dagegen auf einen gegenwärtigen Wohnort bezogen und nähert sich dabei dem gegenüber der "Heimat" umfassenderen Husserlschen Begriff der "Heimwelt" an als einer "Sphäre, in der wir uns auskennen - und dies in dem doppelten Sinne des Kennens und Könnens" (Waldenfels, 1985:200). Die Aneignung eines solchen Lebensortes, in dem man sich einrichtet, kann daher mehr als ein Prozeß der Eingewöhnung verstanden werden, der dem unmittelbaren Eingeborensein im Herkunftsort entgegensteht. Heimat als Heimwelt verliert so ihre Einzigartigkeit, sie ist zwar nicht beliebig austauschbar, aber "wandelbar in den Grenzen, in denen ich es bin" (ebd.:199). Folge dieser Wandelbarkeit, durch die die alte Ordnung in Frage gestellt ist, ist ein zunehmender Heimatschwund.[6] Fortgehen wird zum Grundmuster des Lebens, wodurch es zu einer Annäherung von Heimat und Aufenthaltsort kommt, durch die die Grenzen verschwimmen und Vertrautes und Fremdes immer mehr nivelliert wird. Der Begriff der Heimat bekommt dadurch eine andere Bedeutung, da sie "nicht nur dort [ist; d.A.], wo man herkommt und wohin man immer wieder zurückkehrt, sondern auch dort, wo man sich bewegt und umtut" (Waldenfels 1985:207). D.h. dem traditionellen Bild konzentrischer Kreise mit ihrer eindeutigen Scheidung zwischen einer einzigen Heimwelt und vielen Fremdwelten wird eine Polyzentrik entgegengestellt, die mit mehreren habituellen Zentren wie Wohnort, Wochenendort, Arbeitsort, Ferienort, Freundesort etc. rechnet. Diese verschiedenen Zentren sind nicht einfach austauschbar, sondern fügen sich ein in ein verflochtenes Ortsnetz, in dem es zwar keine natürlichen Heimatorte mehr gibt, aber signifikante Orte (vgl. ebd.:208f.).[ 7 ] Diese signifikanten Orte fungieren dabei nicht nur in einem Nebeneinander, sondern auch in einem Nacheinander, das Subjekt bewegt sich in wechselnden Kontexten, in denen es nie ganz ist. Die daraus resultierende Uneindeutigkeit des eigenen Standortes kann durch einen Heimatmythos allerdings wieder in eine Eindeutigkeit überführt werden. Durch Rekurs auf einen Mythos kann die Diskrepanz zwischen einem wahrgenommenen Ist-Zustand und einem idealisierten Soll-Zustand überwunden werden, indem das Sollen zum selbstverständlichen Fakt wird. Dieses geschieht, indem die historische Erscheinungsform der Heimat in eine Natürlichkeit überführt wird (vgl. Barthes 1996:113ff.). Die Heimat kehrt dann wieder als "Sphäre der Geborgenheit" (Waldenfels 1985:205), die im Verein mit der Natürlichkeit dem heimatlichen Boden eine religiöse Aura verleiht. Dabei wollen wir nicht nur von der Mythisierung eines signifikanten Ortes ausgehen, die diesen zum ausgezeichneten Heimatort befördert, sondern behaupten, daß jeder der signifikanten Orte mythisch aufgeladen werden kann. Denn durch die als natürlich angesehene Verbundenheit und Vertrautheit mit dem Arbeitsort (die Siemens-Familie), dem nur infrastrukturell genutzten Wohnort und dem immer wieder angefahrenen fremden Ferienort ("nur dort kann ich richtig entspannen und zu mir selbst kommen") werden die verschiedenen homes als Heimatorte identifiziert. Im Unterschied zum auf den Geburtsort beschränkten Heimatmythos erhalten die mythisierten homes jedoch nicht den Ausschließlichkeitscharakter, der jenem anhaftet. Man fühlt sich unter Freunden geborgen, aber nicht vollständig und nicht nur dort, ebenso wie man an verschiedenen Orten Vertrautheit erlangt etc. Entscheidend dabei ist, daß Heimatorte einer Setzung bedürfen, wodurch sie den Charakter einer natürlichen Verbundenheit mit dem Subjekt erhalten. Man identifiziert sich mit diesen Orten, so daß Heimatkonzepte mit der Praxis der Selbstverortung einhergehen. Die Vorstellung von der Heimat als etwas natürlich Gegebenes, die sich durch fraglose Vertrautheit und Mitgliedschaft auszeichnet und unveränderlich ist, lebt so in verschiedenen Abstufungen und Abschwächungen in der Moderne fort und leitet die Erfahrung der Welt als Unterscheidung zwischen Heimat und Fremde an. Das Altbewährte der Heimatorte, dem ein Gefühl der ständigen Wiederholbarkeit anhaftet, erzeugt Orte der Geborgenheit und Vertrautheit, mit dem insbesondere der Heimkehrer rechnet. Seine Sehnsucht nach diesen Heimatorten läßt bei seiner Ankunft den "Mythos Heimat" besonders lebendig werden. Das Hören und Sprechen der Muttersprache, das Wiedererkennen von früher bedeutsamen Straßenzügen und Gebäuden und anderen mundanen Dingen, wie eine typische Botanik, wird symbolisch überhöht und schafft dadurch zunächst ein inniges Gefühl der Vertrautheit und Teilhabe an einer Gemeinschaft. Allerdings kann es zu einem Umschlagen in ein Gefühl der Entfremdung kommen, wenn die Vertrautheit der Heimat sich als Irrtum erweist und der Heimkehrer nicht nur erlebt, daß ein Können-wie-üblich unmöglich geworden ist, sondern daß auch seine selbstverständliche Teilnahme an Wir-Beziehungen und damit seine Selbstidentifizierung fraglich geworden ist. Fußnoten [1] Beachtenswert ist dabei eine historische Dimension der Verschiebung der Bedeutung des Heimatbegriffes. Bezeichnete er früher wesentlich nur Besitz an Grund und Boden, wurde Heimat spätestens seit der Romantik durch eine affektive Bindung zu einem Gefühlswert (vgl. Waldenfels 1985:194). [2] Diese Dichotomisierung stellt dabei eine radikale Vereinfachung dar. Heimwelt und Fremdwelt bezeichnen alleine die Endpunkte eines Kontinuums. [3] Klassischerweise beschrieben mit den Lebenskreisen Oikos, Polis und Kosmos, die sich zu einer ganzheitlichen Raumordnung fügen (vgl. Waldenfels 1985:202). Interessant dazu auch Schiffauer, der das Weltbild der türkischen Bauern in drei konzentrischen Kreisen (Dorf, Region, Fremde) wiedergibt (Schiffauer 1991:338f.), und Schütz' wissenssoziologische Wendung, bei der das Wissen von der Welt entlang von Linien der Relevanz in drei Bereiche (Vertrautheitswissen, Bekanntheitswissen und Nichtwissen) angeordnet ist (vgl. Schütz 1972:55f.). [4] Dazu gehören auch Nichtseßhafte, die zwar die Ordnung der Raumbezogenheit der Heimat potentiell in Frage stellen können, aber als "Nachzügler eines Nomadentums, das der Vorgeschichte der Heimat angehört" (Waldenfels 1985:203) angesehen werden. [5] Daß der (geographische) Raum der Heimat als Lebensort auch in den Industrieländern sehr wohl eine relevante Kategorie ist, zeigen die zahlreichen Markierungen eines eigenen Territoriums durch Zäune, Hecken etc. einerseits und durch Staatsgrenzen andererseits. Sogar Strandabschnitte an den Ferienorten werden als "heimische" Territorien abgesteckt. [6] Das zunehmende Angebot an "Heimat" durch Heimatmuseen, Heimatvereine, Heimatmusik, Heimatfilmen, Heimatfesten etc. kann u.E. als Indiz für einen tatsächlichen Heimatschwund gesehen werden, da erst der Verlust von Heimat diese hat relevant werden lassen. [7] Streng genommen ist Heimat selbst in der archaischen Form nie ganz bei sich, da ihr immer schon Fremdes, das sie ausschließt, zugehört.
Literaturverzeichnis Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B25 Mechtilde Stricker schrieb am 23.02.2001: Heimat Niederrhein Mechtilde Stricker verfasste diesen Beitrag für den Senioren-Internettreff in der Abt. Gummersbach der Fachhochschule Köln. Wir danken für ihre Zustimmung zur Veröffentlichung auf unserer Website. Ist die Heimat ein Ort, eine Zeit, ein Mensch? Ich liege im Bett, das Zimmer ist abgedunkelt. Masern? Aber ich habe etwas Herrliches zum Spielen: Randstreifen von Tapeten, die vor dem Kleben abgeschnitten werden, und daraus drehe ich Teller. Wenn ich den Finger in die Mitte drücke, gibt es spitze kleine Tüten. Unten sind die Mutter und die Großtante in dem niederrheinischen Haus vom Anfang des Jahrhunderts. Haustür ebenerdig, Mittelgang zum Hof, zwei Zimmer rechts, zwei links. Im Hof die Pumpe, die grüne Bank und Phlox größer als ich, wie ich ihn später nur noch im Kreuzgarten des Xantener Doms gesehen habe. Ein Waschhaus als Anbau, ein Stall ohne Tier, ein Seiteneingang durch einen Heckenweg, ein tiefer langer Garten mit schwarzen, weißen, roten und grünen Beeren, ein Buchsbaumbeet. Die letzte Reihe wächst in die Hecke hinein, feucht ist der Boden, Schnecken sind da, keine nackten, alle haben ihr Häuschen dabei. Adam und Eva flohen vor Gott und versteckten sich im Gebüsch. Das war also ein Gebüsch, besser nicht hineingehen! Die Tante sitzt mit dem Rosenkranz am Herd, manchmal mit einer Kaffeetasse, an der sie die Hand wärmt. Der Vater baut in Duisburg ein Haus, wohnt deswegen bei seiner Mutter, und ich bin drei Jahre alt und erschließe mir die Welt – eine Straße mit vielen Pumpen vor dem Haus, alte Reihenhäuser in der Kleinstadt Rheinberg, eine Schmiede am Ende, Pferde bekommen Hufeisen, es riecht, ein Laden um die Ecke, wo es für zwei Pfennig Bonbons gab, "die, von denen es so viele gibt!" Die weiße Waffelbettdecke wurde 1946 ein dunkelblaues Kleid, auf das ich stolz war. Später die Stadt. Fronleichnamsprozession, "Engelchen", Blumenteppiche, bunt und verschwenderisch, aber schließlich wurde ja Gott durch die Straßen getragen, und noch später lernte ich, dass es da um ein Symbol ging, aber was ist ein Symbol? Dieses verträgt kein "nur". Die Kirche ist groß, gotisch und alt. Um elf Uhr am Sonntag sitzt bei der Predigt eine lange Reihe rot-weißer Engel im Chor, Messdiener. Aber einmal lässt einer ein Yo-Yo auf- und abgehen, und die plötzliche Erkenntnis: Das sind ja nur echte Jungen! Sonntag! Der Bauernhof der Großeltern lag eine halbe Stunde vor der Stadt. Sie kamen mit der Chaise, die Pferde blieben im Stall bei der Wirtschaft am Wall, wo nach der Messe der Frühschoppen und der Gedankenaustausch stattfanden und die Kinder spielten. Die Frauen gingen zu Fuß nach Hause, an der Bahnlinie entlang, durch die tiefer liegenden Wiesen. "Wo habt Ihr Euch zum ersten Mal geküsst, Vater?" "Auf dem Bahndamm in Rheinberg." Nur nicht zuviel Romantik in den kleinen Mädchenkopf, denn offener, langweiliger konnte kein Ort sein. "Stimmt nicht", sagte die Mutter. "Paßmann" war ihr Mädchenname, und Paass heißt Wiese, Jahrhunderte haben sie in diesen Wiesen gewohnt, nie auf einem Hügel, nicht einmal auf der Böninghardt. Was ist wichtig an dem kleinen Universum? Alles, sogar der Mist und das Stokhuis, die Tiere und die Gärten natürlich. Aber da ist die Großmutter! "Sie ist eine Heilige", sagte der Prälat mit Rheinberger Kindheit, "sie konnte schenken ohne zu kränken". Aber sie konnte noch mehr: um fünf Uhr Feuer machen, um sechs Uhr Pfannkuchen backen für die erste Mahlzeit am Tag (mit Speck und Rübenkraut), Weißbrot (Weck) backen im Backhuis, das gar nicht einladend war mit seinem großen Backtrog und dem Ofen wie bei "Hänsel und Gretel". Auch "Goldmarie" hat so einen bedient. Und sie konnte meine Haare kämmen, viel besser als meine Mutter, zarter. In die Papp am Abend schlug sie mir ein Ei, und beim wöchentlichen Baden in der Zinkwanne kam ich als erste dran. Wie sah das Wasser für die anderen aus? Der Großvater. Von ihm habe ich meinen Kopf. In einer Gruppe in England wollte man meine Herkunft erraten. Schweden? Nein - "Sie hat einen holländischen Kopf", sagte einer. Er war nah bei der Wahrheit! Mein gleichaltriger Vetter Arnold: Er balancierte über den Brückenbogen am "Kentel", spielte Fußball mit einer Schweinsblase, während das Tier schon zerschnitten auf der Leiter hing, zog ein Rind am Schwanz, dass es vor Schmerz losraste und wollte mir vielleicht auch imponieren – als wir unsere im Stokhuis aufgebahrte Großmutter mehrmals am Tag mit Weihwasser bespritzten, nicht ohne ein Stoßgebet. "Kauf‘ kein Kalbfleisch!" sagte er mir in den siebziger Jahren, was ich heute ganz neu verstehe. Zu diesem Stück Heimat gehören auch die Kopfweiden und Silberpappeln, der Nebel und das Hundegebell, die Holzschuhe. Und nicht zuletzt die Sprache. Dazu gibt es jetzt ein Buch: "Das Rheinberger Wörterbuch" von Theodor Horster (Jahrgang 1936). Wie gut auch, dass es Heimat- und Geschichtsvereine gibt! Am besten allerdings ist das eigene Erleben. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B26 Carmen de Castillo-Elejabeytia schrieb am 11.01.2001: Heimat und Identität Grau oder grün, im Wald oder im Sand, Wurzel des Mandelbaumes, Nadel der Tanne, Duft nach Moos oder nach Rosmarin. Wie ist "mein" Himmel,wie sind meine Wolken, mein Sonnenaufgang ? Welche Farbe hat meine Schale? Ich fühle mich hier,wenn ich alle paar Monate von Spanien zurückkomme, fremd. Dann nach Wochen heimisch, dort ebenfalls fremd, wenn ich das Land wechsele, dann wunderbar heimisch. Ich habe hier Äste und dort Wurzel. Oft frage ich mich, sehe ich wirklich blau, wenn es blau ist und grau, wenn es blau ist? Wie ist mein Aufwachen? Ich höre dort Vögel, hier keine. Dort sehe ich das Meer und die Sonne und die Palmen, und meine Farben sind blau in allen Nuancen, weiß, rot, und ein tiefes glänzendes Grün. Hier dominieren Grau, Braun und Grün. Dort ist die Luft meistens klar und transparent, hier neblig und dickflüssig. In Ganzen geht es mir wie einem Baum, der ständig herausgerissen und wieder eingepflanzt wird, und so leidet meine Seele; denn ein Baum gehört eigentlich dorthin, wo er seine Wurzel hat. Carmen de Castillo-Elejabeytia lebt seit vierzig Jahren in Deutschland, verheiratet mit einem Deutschen, Mutter von vier Kindern. Studium der Kunstgeschichte und Romanistik. Dozentin für Spanisch an der V H S. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B27 Nuray Gercek schrieb am 03.01.2001: Heimat und Identität Sie dürfen meine Beiträge natürlich bei dieser Thema benutzen. Ich würde gerne bei ihren Diskussionen teilnehmen, wenn ich Zeit dazu habe. Ich habe inzwischen von den Bayerischen Behörden die Zusicherung für die Deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, jetzt warte ich darauf, dass die Türkische Regierung mich von der Türkischen Angehörigkeit entlässt. Das dauert ungefähr ein Jahr. Und dann muss ich noch mal beweisen, dass bei mir beruflich und gesundheitlich usw. alles in Ordnung ist, dann darf ich die Deutsche Pass erhalten. Ich habe natürlich noch ein Problem. Ich habe eine Tochter, die acht Jahre alt ist. Sie dürfte von diesen neuen Gesetz keine Gebrauch machen, obwohl sie hier in München geboren war, weil in diesem Zeitpunkt, wo sie geboren war weder ich noch mein Mann hatte drei Jahrelang unbefristete Aufenthalterlaubnis gehabt. Mein Mann befindet sich seit 1973 in München, er hatte seine Aufenthalterlaubnisse immer für 5 Jahre verlängert, weil dieser immer bisschen billig waren. An dem Zeitpunkt, wo mein Kind geboren war, hatte er die unberistete Aufenthalterlaubnis, das gerade anderthalb Jahr alt war. Deswegen verliert meine Tochter die Doppelte Staatsangehörigkeitsrecht. Jetzt haben die bayerischen Behörden für mich und für meine Tocher die zusicherung erteilt. Für mein Mann aber nicht, weil er Schulden an Finanzamt hat usw. Für mich gibt es kein Problem, für meine Tochter schon. Türkische Behörden entlassen sie nicht aus der Türkischen Angehörigkeit, solange der Vater Türke ist. Deutsche Behörden wollen sie nicht, solange sie noch Türkische Pass besitzt. Ich bin so ärgert und verzweifelt! Dieser neue Gesetzt hat eigentlich uns keine Vorteile gebracht. Wieso ist es unmöglich hier Doppelte Staatsangehörigkeit zu bekommen? Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B28 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 03.01.2001: Wo ist Heimat? Im Rahmen dieses Themenkomplexes als Bestandteil des Projektes "Heimat und Fremde" soll der Frage nachgegangen werden, welche Erfahrungen Menschen aus verschiedenen Kulturen mit dem Begriff "Heimat" verbinden. Bisher in der Öffentlichkeit nicht genügend wahrgenommene Erfahrungen in diesem Bereich könnten möglicherweise den aktuellen politischen Diskurs um bisher vernachlässigte Aspekte ergänzen und bereichern. Theoretische AnnäherungIn einer Diskussion über das Thema "Heimat" zwischen Böll, Blüm, Grass, Mitscherlich, Lemberg zeigt sich die Bandbreite der verschiedenen Heimatvorstellungen als lokaler, geographischer, soziologischer, kultureller, naturbezogener Heimatbegriff. Die in unserem Seminar in Bad Urach erstellte Gliederung kommt diesem Spektrum sehr nahe. B21 Es geht um Heimat und um Fragen wie diese: Ist Heimat geografisch fixiert, liegt sie ein für allemal fest wie ein Territorium, als Ort, in dem man seine Jugend verbrachte? Bleibt sie dieses Territorium auf Lebenszeit, oder kann man Heimat wechseln, in einen neuen Ort hineinwachsen,(..)? Erinnerung Es geht um Erinnerung, um ein individuelles oder ein kollektives Gedächtnis.In diesem Sinne ist das Thema unserer Gruppe rückwärtsgewandt, nicht, um die Gruppe der Ewig-Gestrigen zu verstärken, sondern um zu schauen, was wir brauchen, damit wir in Zeiten großer Mobilität nicht entwurzelt herumtreiben, sondern die Kraft der Wurzeln spüren. B01 B02 Heimat als Erinnerung an die Kindheit Sowohl in Mitscherlichs Fragestellung als auch auf der Schweizer Heimat-Seite wird den Emotionen eine große Bedeutung zugeschrieben. Die Kernstelle für diesen Zusammenhang finden wir hier: Für David Hume (1989) sind Gefühle mit jeglicher Vorstellung verbunden. Und da Vorstellungen das Material des Denkens sind, sind die Gefühle auch bei jenen Lebensäusserungen von Bedeutung, die wir so gerne der Vernunft zuschreiben. Im zweiten Buch des Traktat, stellt Hume fest, dass nicht die Vernunft die Gefühle beherrsche sondern umgekehrt, erst die Gefühle den Verstandeseinsichten Gewicht verleihen und deshalb als die eigentlichen Motive unserer Handlungen zu bezeichnen sind. Aber nicht nur als Auslöser von Handlungen sind die Gefühle zu berücksichtigen. Beurteilungskriterien für "gut" und "böse" finden sich nicht in der Empirie. Gefühle sind die moralische Instanz, wenn es um die Beurteilung der Sittlichkeit und damit um Wertmassstäbe für unser Leben und Handeln geht. B22 Als Teilnehmerin eines Spiegel-Online-Forums zum Thema "Doppelte Staatsbürgerschaft - Gefährdung der Sicherheit?" war ich irritiert über die Unwissenheit oder Geringschätzung, mit der in der öffentlichen Diskussion den emotionalen Bindungen von Migranten an die Ursprungsfamilien begegnet wird. Die emotionalen Schwierigkeiten, die es bedeutet, wenn man zwei Heimatländer hat, eines aus dem man stammt und eines, in dem man lebt, sollen hier auch zur Sprache kommen können. Den Auftakt zu diesem Thema bietet der Beitrag "Die Kinder der Migranten" von Angenita Stock-de Jong, 07.10.00 (B15). Nur ein Beispiel möge dazu dienen, die Bildhaftigkeit von Erinnerungen an Heimat bewußt zu machen: die Beschreibung von seiner Heimatstadt Heidelberg durch Bernhard Schlink: Meine Themen sind immer wieder die Verstrickung, die Flucht, der Verrat. Ein Thema auch, das mich oft beschäftigt, ist Heimat... Ich erlebe Heimat stark. Ich fühle mich auch nicht als unbehauster Großstadtmensch. Ich bin in Heidelberg aufgewachsen; und die Dimensionen von Stadt, in denen ich aufgewachsen bin, reichen mir. Heidelberg selbst ist inzwischen freilich disneylandisiert worden... Es ist die Landschaft, die mich als Heimat fasziniert: die Berge, die Ebene, der Fluss. Wenn der Zug auf die Berge zufährt und ich die roten Sandsteinbrüche sehe, dann berührt es mich. ... Ja, auch der Blick vom Philosophenweg und auch der von Ziegelhausen, wo meine Mutter wohnt. Vom Berg dort liegen, wie es Hölderlin gesehen haben muss, der Fluss, die alte Brücke, und die Stadt, die sich in die Ebene weitet, vor einem. Wenn dann noch die Sonne im Dunst untergeht, ist das jenseits alles Touristischen ein wunderschöner Anblick. B23 In diesem Abschnitt sollen persönliche Erfahrungen vermittelt werden. Dazu kann vorwiegend das Diskussionsforum genutzt werden. "Ist ja alles recht schön hier. Aber Sauerland bleibt Sauerland!" Das soll Heinrich Lübke, der in meiner Heimatstadt Brilon zur selben Schule gegangen war wie ich, beim Besuch der chinesischen Mauer gerufen haben. B08
Welche Bindungen sind uns in diesem Feld wichtig? Welche Beziehung besteht zwischen Heimat und Sprache? Diese Bereich ist vielleicht besonders für die interessant, die ihren heimatlichen Kulturraum verlassen haben. B07 Ich habe als Kind in meinem katholischen Sauerland noch für die Bekehrung der Protestanten gebetet. Jahrzehnte später habe ich in meinem Wohnort Bünde das 1. interreligiöse Friedensgebet von Christen verschiedener Konfessionen mit Moslems, Hindus, Buddhisten mitinitiiert. Es war ein großes Erlebnis. B09 "Wir essen dasselbe, wir können doch gar nicht so unterschiedlich sein." Das hörte ich kürzlich im Radio anläßlich eines Märchenseminars, das für türkische und griechische Jugendliche aus Zypern organisiert worden war. Spätestens bei Klassentreffen merken wir vielleicht, wer alles zu unserm Alltag in der "Heimat" gehörte. Berühren uns diese Kontakte heute noch? Hier werden Links veröffentlicht, die zu weiterer Diskussion anregen sollen. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B29 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 10.01.2001: Eine These zur Diskussion gestellt Mein persönliches Anliegen bei diesem Thema ist es, den Heimatbegriff aus der verstaubten Ecke zu holen und die Gesetzmäßigkeiten, die in unserer Kultur etwas verschüttet sind, die aber wirksam sind, in die öffentliche Diskussion zu tragen. Anläßlich der Debatte über die Doppelte Staatsbürgerschaft war ich überrascht über die Unkenntnis oder die Geringschätzung, mit der man in der Öffentlichkeit den emotionalen Bindungen von Millionen in Deutschland lebender Ausländer an ihre Herkunftsfamilien oder Heimatländer begegnete. Das neue Staatsbürgerrecht hat sich in meinen Augen über wirksame Gesetzmäßigkeiten hinweggesetzt, und die Folge ist: Der erwartete Run auf die deutsche Staatsbürgerschaft blieb aus - als Erklärung habe ich die Äußerung von Adressaten dieses Gesetzes gehört: Man wolle den Eltern nicht zumuten, daß ihre Kinder eine andere Nationalität hätten, weil sie das als Verrat empfinden würden und es die Gefahr einer Spaltung der Familie mit sich brächte, darum wolle man lieber auf die Vorteile, die die deutsche Nationalität für Ausbildung und Beruf mit sich brächte, verzichten. Andere sind verzweifelt, daß es nicht mal die Möglichkeit einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft für die Klein-Familie (Vater, Mutter, Kind) gibt. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B30 Horst Häser schrieb am 11.01.2001: Meine Definition von "Heimat" Durch Flucht, Vertreibung, normalen Wohnsitzwechsel etc. bin ich an vielen "Orten" - wie man so schön oder schlecht sagt - gewesen.Eine feste Bindung habe ich nie erfahren. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B31 Volkmar Gimpel schrieb am 21.01.2001: Gedanken zur Frage "Wo ist Heimat?" Bernhard Schlink schließt seinen Essay "Heimat als Utopie" mit diesen Worten: Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B32 Angenita Stock-de Jong schrieb am 21.01.2001: Gedanken zur Frage "Wo ist Heimat?" Ich möchte kurz auch eingehen auf das von Bernhard Schlink am Schluß seines Essays Geschriebene "In......verbinden". Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B33 Angenita Stock-de Jong schrieb am 21.01.2001: Haß-Liebe zur Heimat Ich möchte eine Frage zur Diskussion stellen: "Kann eine Haß-Liebe zur Heimat bestehen und wie äußert sich das?" Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B34 Angenita Stock-de Jong schrieb am 22.01.2001: Herkunft Die territoriale Westverschiebung Polens infolge des II. Weltkrieges war mit massenhaften Völkervertreibungen verbunden. Die deutschen Heimatvertriebenen, die das erlebt und auch überlebt haben, wurden in Deutschland als gleichberechtigte Bürger aufgenommen. Trotz der Verluste ihrer materiellen Werte, konnten sie bei dem Wiederaufbau ihres Vaterlandes mitwirken. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B35 Maria Bürger-de Castillo schrieb am 25.01.2001: "Heimat" nur Regression? Trendwende in der Bewertung von Heimat: Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B36 Peter Joksch schrieb am 19.02.2001: Wo ist Heimat ....... Aus dem Urlaub zurück finde ich jetzt langsam Zeit, mich einmal in der Heimathomepage umzusehen. Nun habe ich auf dem Flohmarkt ein Taschenbuch erstanden:
Wer deckt sie mit schützenden Fittichen zu? Ach bietet die Welt keine Freistatt uns an, wo die Sünde nicht herrschen, nicht anfechten kann? Nein, nein, hier ist sie nicht; Die Seele der Heimat ist oben im Licht. Verlasset die Erde, die Heimat zu sehn, die Heimat der Seele, so herrlich, so schön! Jerusalem droben, von Golde erbaut, ist dies die Heimat der Seele, der Braut? Ja, ja, dies allein Kann Ruhplatz und Heimat der Seele nur sein.
O Freunde, will ich euch dichten! Wir wollen auf der Erde schon Das Himmelreich errichten .... Der Unterschied ist offenbar, dass ich dort ein Kind war - ..... ..... In der Kindheit also und nirgendwo sonst, ist das angelegt, was wir Heimat nennen. ..... (S. 7; 8; 9) Er fügt hinzu: Wichtig ist allerdings, dass die Umstände der Kindheit halbwegs stabil bleiben ..... Der Autor beschreibt das entstehende Heimatgefühl nochmals (S. 139): Heimat ist ein Erfahrungsraum der Vertrautheit, der in der Kindheit entsteht. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B37 Dieter Böckmann schrieb am 27.08.2001: Sigmund Freud und Heimat
Ein Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 04.08.01 handelt davon, dass die Troja-Ausgräber womöglich "konstruiert" haben, dass der trojanische Krieg dort
stattgefunden habe, dass es sich aber nicht um Fakten handele, usw. Es war die Psychoanalyse von Sigmund Freud, die einen ähnlichen Prozess auch im Leben jedes Einzelnen aufgedeckt hat. Auch hier gibt es eine Zeit des Vergessens, "dunkle" Jahre (Freud nennt sie "Latenzzeit"), die auf eine frühe Katastrophe folgten, auf den Untergang der präödipalen Phase der Kindheit. Die Erwachsenen werden später diese frühen Jahre zum verlorenen Paradies verklären und daraus ihren eigenen "Familienroman" spinnen. Freud kann uns erklären, warum wir so fasziniert sind von jenen Zeiten des Ursprungs, in denen alles einmal angefangen hat. Er selbst verglich ja die psychoanalytische Deutungsarbeit immer wieder mit der Tätigkeit von Archäologen. Gleichzeitig hat er stets vor der Illusion gewarnt, man könne der historischen Wahrheit zweifelsfrei habhaft werden. Wer das behaupte, der lüge, heißt es in einem Brief Freuds an den Schriftsteller Arnold Zweig; auch die psychoanalytische Erinnerungsarbeit komme über Konstruktionen nicht hinaus.Wenn wir mal die "Katastrophe und den Untergang der präödipalen Phase" beiseite lassen, dann, so meine ich, wäre es wohl des Nachdenkens wert, inwieweit sich "Heimat" für manchen von uns (nur?) zum "verlorenen Paradies der Kindheit verklärt". Und die so oft berufene gefühlsmaessige Bindung hat ja wohl auch etwas damit zu tun. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B38 Dieter Böckmann schrieb am 30.08.2001: Der Verfasser zu "Freud und Heimat"
Ich hatte wegen des Zeitungsaufsatzes zu "Sigmund Freud" die Redaktion der Zeitung angemailt, und heute hat mich der Verfasser des Aufsatzes angerufen. Hier seine Aussage zusammengefasst: Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B39 Dieter Böckmann schrieb am 30.08.2001: Heimat-Verein und Mundart
Heute habe ich auch die Satzung des Steinenbronner Heimat-Vereins übermittelt bekommen. Hier die wesentlichen Absätze daraus (Vereins-Juristerei wie "gemeinnützig" und "ehrenamtlich" lasse ich gleich weg): "Zweck des Vereins ist die Erhaltung alter Sitten und Gebräuche sowie Landschafts- und Denkmalschutz. Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch: Maibaumaufstellung, Sonnwendfeier, Errichtung und Erhaltung von Ruhebänken in Wald und Flur, Instandsetzung und Unterhalt der Heimatscheuer, Ausbau des Heimatmuseums, Sammlung alter Gegenstände, Erforschung und Dokumentation der Heimatgeschichte." Dazu hier noch ein Nachtrag. Man hatte mich auch auf die Pflege der schwäbischen Mundart hingewiesen, und dazu die URL http://www.mund-art.org genannt. Darin kann man unter anderem lesen: "SCHWÄBISCH ist ein Stück Heimat. Wer einmal längere Zeit in anderen Ländern oder auf anderen Kontinenten war, der lacht nicht mehr über das Wort Heimat. Wer fern der Heimat war, der hat erfahren, wie sehr der Klang der Heimatsprache ans Herz geht. Heimat ist nicht nur Wald und Feld, Berg und Tal, Stadt und Dorf. Heimat bedeutet vielmehr auch Menschen mit ihrer eigenen Sprache, unserer Sprache. Wer eine solche Heimat hat, kann sich glücklich schätzen." Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B40 Judith Engbruch schrieb am 23.12.2001: Braucht ein Mensch Wurzeln?
Eigentlich beantwortet sich diese Frage von alleine - wie der Baum von seinen Wurzeln abhängig ist, sie ihm das Überleben sichern, genauso glaube ich, dass der Mensch (oder zumindest ich) eine Grundlage braucht. Wenn man davon ausgeht, dass sich ein Mensch auch über seine Entwicklung definiert, dann entwickelt er sich von etwas zu etwas - nicht von nichts zu nichts. Es müssen also gewisse Grundvorrausetzungen vorhanden sein.
Wie diese Grundvoraussetzungen aussehen, kann sehr unterschiedlich sein. Mir fallen spontan Begriffe wie "Familie", "Wertvorstellung" oder auch "Kultur" ein - der Begriff "Heimat" spielt hier sicherlich auch eine große Rolle. Wurzeln bedeutet für mich ein geschützter Raum, wo ich sein kann, wie ich bin, wo meine Mitmenschen so sind, wie sie sind, ich mich selbst reflektieren kann und auch ehrlich reflektiert werde. Für mich ist das meine Familie, für andere vielleicht eher der Freundeskreis oder ein Verein oder ähnliches. Angenommen, man geht davon aus, dass ein Mensch keine Wurzeln hat/braucht, so ist dieser "wurzellos", das heißt, er ist vollkommen ungebunden, ohne Verpflichtungen, aber auch ohne Halt. Man kann sich gut einen Luftballon vorstellen, der umhertreibt. Also, Wurzeln sind notwendig, wenn man nicht irgendwie, irgendwann und irgendwo existieren möchte, um irgendwas zu tun. Wenn Sie mich jetzt allerdings auffordern würden, meine Wurzeln konkret zu benennen, wäre das schwierig, ich weiß aber trotzdem, dass ich welche habe - und jeder andere Mensch auch. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B41 Angenita Stock-de Jong schrieb am 04.01.2002: Erinnerungen
Ein Bericht aus dem Solinger Tageblatt vom 31.12.01 Bilder aus der Heimat wecken Erinnerungen Bei ausgewanderten Solingern in aller Welt ist der alljährlich von der Stadt zugeschickte Kalender sehr begehrt. Von Wolfgang P. Getta Seit 1974 ist es schöne Tradition: Alljährlich im November erhalten im Ausland lebende Solinger, deren Anschriften der Stadt bekannt sind, von ihnen bereits sehnlich erwartete Post: Es ist der Solinger Heimatkalender, begleitet von einem Brief, in dem der Oberbürgermeister auflistet, was im abgelaufenen Jahr in der Klingenstadt so passiert ist. 266 Sendungen für alle fünf Kontinente 266 Sendungen wurden Ende November auf den Weg gebracht, wie Erwin Kohnke (45) berichtet. Er ist im Oberbürgermeister-Büro zuständig für Angelegenheiten des Stadtrates. Bei diesem Büro liegt die Betreuung der Auslands-Solinger. Dort gehen folgerichtig auch die Rückantworten auf die Heimatpost ein. "Im Gegensatz zu früheren Jahren hat die Zahl der E-Mails deutlich zugenommen", hat Kohnke beobachtet. Schon fast die Hälfte der Dankesschreiben kommt per Internet ins Rathaus. Darunter war etwa die elektronische Post von Heinz Richard Deutschendorf. Er mailte aus Porto Alegre in Brasilien an Oberbürgermeister Haug: "Mit Freude erhielt ich gestern den viel erwarteten und sehr schönen Heimatkalender der Stadt Solingen. Er wird uns im Jahr 2002 immer wieder an die schöne Heimat erinnern." Aus Cottesloe bei Perth in West-Australien bedankte sich Architekt George G. Gaschk für den Heimatkalender und den Haug-Brief. In seinem Antwortschreiben schilderte er ein Stück Familiengeschichte: "Jetzt hängen diese heimatlich vertrauten Bilder neben einem Foto der Fleußmühle, die unserer Familie Zuhause in den 50er und 60er Jahren gewesen ist. Wir Gaschks, als ehemalige Ostpreußen, sind alle nach Australien ausgewandert. Das waren meine Eltern, sieben Brüder und eine Schwester. Mit Kind und Kegel sind wir hier nun fast 100 Personen." Aus Victoria in der kanadichen Provinz British Columbia schrieb Lieselotte Geldmacher: "Habe mich wie jedes Jahr sehr gefreut über Ihr Geschenk, den Solinger Kalender. Einmalig schöne Fotos, Erinnerungen." Heimweh durch die Bilder Ein elektronisches Dankeschön für den Kalender sandte auch Birgit Atkinson aus Oro Station in Ontario (Kanada): "Beim Ansehen der Bilder bekomme ich jedes Mal Heimweh. Wie das von Schloß Burg, da haben mein Mann und ich geheiratet. Der Kalender erinnert das ganze Jahr über an die alte Heimat." Handschriftlich meldete sich Birgit Withers aus London: "Das schönste am ganzen Tag war die Ankunft des Kalenders, der wie alle Jahre wieder Bilder der Heimat bringt. Mit einer unwiderstehlichen Gewalt überfallen mich Erinnerungen der Kindheit, wenn ich die Bilder ansehe. Ja, ich möchte sagen, dass ich jeden Winkel kenne." Für Birgit Reichert in East Peoria in Illinois (USA) hat der "wunderschöne Kalender mit den Bilder von so vielen vertrauten Plätzen" besondere Bedeutung: Die Ex-Solingerin, die schon 34 Jahre in den Staaten lebt, ist nach einem Autounfall an den Rollstuhl gefesselt. Heimat-Besuche sind ihr nicht mehr möglich. Da müssen Bilder - wie auch das von ihr bestellte Video - die Erinnerungen wach halten. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B42 Dieter Böckmann schrieb am 04.01.2002: Zu Heimatkalender von Angenita
Der "Heimat-Kalender" ist eine wirklich gute Idee. Man kann vor allem aus den Antworten aus aller Welt erkennen, welche Bedeutung Heimat in der Fremde hat. Auch wenn Fremde zur Heimat geworden ist, hat man immer noch seine "alte Heimat". Aber In Solingen selbst wird der Heimatkalender sicherlich auch begeistertaufgenommen. Er erinnert mich an das "Heimatbuch" und den "Heimatverein" von Steinenbronn (dem Dorf bei Stuttgart wo ich wohne) - ich habe darueber berichtet. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum B43 Erna Subklew schrieb am 17.02.2002: Was haben Gräber mit Heimat zu tun?
Im menschlichen Leben werden Ereignisse wie die Geburt, der Eintritt in ein bestimmtes Lebensalter, in den Beruf oder auch die Heirat und der Tod mit bestimmten Ritualen versehen. Aus dem zunächst biologischen Ablauf wird durch die von der Gemeinschaft begangenen sozialkonstruierten und kulturbedingten Riten gesellschaftlich bestimmte Handlungen. Sie binden das Individuum in eine Gruppe ein, die bedrückend sein kann, die aber auch viel Halt, Wärme und Zuneigung gibt, die eben Heimat ist. Auch aus dem biologischen Prozess des Sterbens wird durch die Teilhabe der Gemeinschaft ein gesellschaftliches Ereignis. Die heutige Gesellschaft, die weit weniger in bestimmten Gemeinschaften als vielmehr als eine Ansammlung von Individuen lebt, versucht sich diesen Ritualen teilweise zu entziehen und sie zu tabuisieren. Vor allem Alleinlebende bestimmen daher schon zu Lebzeiten, dass sie anonym begraben werden wollen. Wenn aber, oft auch nur ein Rest einer Gemeinschaft oder Familie vorhanden ist, wird diesem Wunsch nicht entsprochen oder sogar wieder auf die Kennzeichnung der bereits erfolgten anonymen Begräbnisstätte hingearbeitet. Über Jahrhunderte hinweg dominierten die verschiedenen Religionen die Rituale des Todes. Die Trauernden, die mit dem Verlust des lieben Menschen konfrontiert wurden, unterlagen zwar durch kollektive Verhaftensweisen einem bestimmten Druck, gleichzeitig aber erhielten sie auch ein großes Maß an Sicherheit und Geborgenheit. Mit dem nachlassenden Einfluss der Kirchen und der Auflösung der familialen und nachbarschaftlichen Traditionsgemeinschaften verschwinden in unserer Kommunikationsgesellschaft allmählich die Todesrituale. Niemand aber kann ohne Riten und Rituale leben. Schon gar nicht, wenn durch den Tod eines lieben Menschen, die eigene Welt sowieso in Unordnung geraten ist. Todesrituale sind Ordnungsrituale. Sie erleichtern den Überlebenden den Übergang von der Kollektivexistenz mit dem Toten, als Lebendigem, zu der Sozialform, in der der Tote nur noch in der Erinnerung existiert. Der Mangel an Zeremonien wird heute in der Regel auf kommerzielle Weise von den Bestattungsinstituten ausgeglichen, die mit ihrem Wissen den Lebenden die Beschäftigung mit dem Toten abnimmt, ja sie übernehmen sogar die Tröstung der Betroffenen. Damit aber leisten sie keine Hilfe bei der Trauerarbeit. So bleiben viele Trauernde bei der Trauerbewältigung allein. Denn anscheinend brauchen Menschen die Trauerrituale, um ohne Schuldgefühle weiter leben zu können. Ein Grab kann dabei Hilfe leisten. Andererseits finden sich jetzt wieder trauernde Angehörige, Freunde und Nachbarn zusammen, um den Verstorbenen mit einem, ihren Bedürfnissen entsprechenden, Übergangsritual einen würdigen Abgang und den Überlebenden eine Zeit der Trauer zu ermöglichen. In dieser Zeit werden neue Beziehungen zum Verstorbenen aufgebaut und das Weiterleben in der Gesellschaft ohne ihn eingeübt. Daher spielt das Grab für viele Menschen eine außerordentlich wichtige Rolle. Der Gang zum Friedhof wird für viele zu einem Bedürfnis und es werden regelrechte Gespräche mit den Verstorbenen am Grab geführt. Das Grab ist also zur Heimat sowohl des Toten als auch des Lebenden geworden, ein Stück ihres gemeinsamen Lebens. Aus diesem Grunde holen Angehörige ihre, an einem anderen Ort oder in einem anderen Lande Verstorbenen, in ihre Nähe, bestehen sie auf die Bergung von Unglücksopfern. Man denke nur an die Opfer der Kursk! Wo dies nicht mehr geht, übernehmen oft die Nachkommen die Pflege der Gräber ihrer Vorfahren in dem Land, die einmal deren Heimat war. Seitenanfang Zurück (Seite wird geschlossen) Zum Diskussionsforum |