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Szenarium2

Stand:


Das Modellprojekt "Gemeinsam lernen übers Netz" des ZAWiW ist seit März 2005 abgeschlossen. Die Idee des Projekts und das Angebot wird vom ViLE-Netzwerk weitergeführt.www.vile-netzwerk.de

Szenarium 2 - Die virtuellen und realen Reisen von Anna und Peter M.

Anna und Peter M. gehören zu den sog. „jungen Alten“. Anna M. ist in diesem Jahr 60 geworden und freut sich schon seit Jahren auf die Zeit „danach“ - die Zeit nach der aktiven Familienarbeit, nach der Erwerbsarbeit. Ihr Beruf als Kindergärtnerin hat sie in letzter Zeit sehr gestreßt, und etwas neidisch hat sie die Aktivitäten ihres Mannes verfolgt, der nun schon seit vier Jahren im sog. „Vorruhestand“ ist. Peter M. war anfangs über die plötzlich „freigesetzte“ Zeit gar nicht glücklich, mit 58 gehörte er ja schließlich noch nicht „zum alten Eisen“, aber mittlerweile hat er eine Menge Beschäftigungen gefunden, die ihn interessieren und auf ganz neue Wege gebracht haben. Daß dabei die neuen Kommunikationstechnologien eine so große Rolle spielen würden, hätte er sich damals nicht vorstellen können.

Die Ms leben in einer mittleren Großstadt in Süddeutschland. Ihre zwei Kinder sind schon länger aus dem Haus. Der Sohn ist als Geschäftsführer in einer Firma in Bremen tätig. Seit seiner Trennung von seiner Frau lebt er mit der 13-jährigen Tochter Sabine in einer Hausgemeinschaft. Die Tochter der Ms ist vor einigen Jahren aus beruflichen Gründen in die USA gegangen, wo sie einen Techniker heiratete, mit dem sie nun zwei Kinder hat.

Zu der Familie im engeren Kreis gehört auch noch Peter Ms Mutter, die mit ihren 84 Jahren allein in einer Wohnung in der gleichen Stadt wie die Ms lebt. Sie ist insgesamt noch recht rüstig, aber die Ms machen sich Sorgen, weil ihr Gedächtnis spürbar nachgelassen hat, manchmal vergißt sie ganz einfache Dinge. Die Ärzte haben eine beginnende Alzheimer-Krankheit diagnostiziert.

Anna und Peter M. sind gesellige Leute, sie haben einen großen Freundeskreis, mit einigen von ihnen verbinden sie ihre Hobbys: sie wandern und tanzen gerne, er interessiert sich für mittelalterliche Geschichte und Geschichte der Neuzeit, speziell die Geschichte der Donauschwaben, sie liest gerne Biographien und interessiert sich für moderne Malerei. Sie verreisen gerne, einmal im Jahr machen sie eine Städtetour, die sie gemeinsam vorher mit Hilfe der neuen Medien planen.

Vor drei Jahren haben sich die Ms auf Rat ihres amerikanischen Schwiegersohnes einen Computer mit Internetanschluß angeschafft und die Nutzung des Internets durch den Besuch von Schnupper- und Aufbaukursen für SeniorInnen erlernt. Seitdem kommunizieren sie mit ihren Kindern und Enkelkindern in Amerika mehrmals wöchentlich per e-Mail, sie tauschen Texte, Bilder und Videos übers Netz aus und haben so das Gefühl, trotz der weiten Entfernung etwas von ihren heranwachsenden Enkeln mitzubekommen.

Heute muß Anna M. zugeben, daß ihre Vorbehalte gegen das „technische Monstrum“ nicht gerechtfertigt waren, daß seine Handhabung erlernbar ist, und daß sie es genießt, wenn sie von Amazon, Amerikas größter - virtueller - Buchhandlung oder einer anderen Buchhandlung, auf deren Liste sie abonniert ist, auf eine Neuerscheinung in den von ihr angegebenen Interessen-bereichen aufmerksam gemacht wird, wenn sie durch „ihre“ Literatur-Newsgroup einen guten Lesetip bekommt oder wenn sie sich selbst in eine heiße Diskussion einmischt, ob ein bestimmtes Buch lesenswert ist oder nicht und warum. Ihr Interesse an Frauenbiographien des 19. Jahrhunderts wurde durch den Besuch einer virtuellen Ausstellung zum Thema „Frauen bewegten die Welt“ geweckt, seitdem sammelt sie Links aus aller Welt zu diesem Thema. Sobald sie Zeit hat, will sie eine eigene Homepage erstellen, auf die viele Informationen über ihre „Lieblingsschriftstellerin“ Hedwig Dohm gestellt werden, da diese bisher im Internet noch nicht vertreten ist. Allerdings muß sie erst noch lernen, wie man eine Webseite technisch erstellt und graphisch gut gestaltet.

Besuche in virtuellen Museen sind für sie eine bestechende Möglichkeit, Bilder bekannter Meister ganz aus der Nähe zu betrachten. Für ihre dritte Lebensphase hat sich Anna M. vorgenommen, ihren „Lebenstraum“ zu realisieren und zu studieren. Sie war bereits bei einer örtlichen Lernberaterin und hat sich über Studienmöglichkeiten und - kosten in einem virtuellen College informiert, um Literatur- und Kunstkurse zu belegen. Diese Fächer werden an der Universität ihres Wohnorts nicht angeboten und eine Fahrt zum nächst möglichen Studienort kommt für sie aus zeitlichen und finanziellen Gründen nicht in Frage. Sie strebt zwar keinen verwertbaren Studienabschluß mehr an, aber sie möchte ein Ziel, auf das sie hinarbeiten kann, um geistig fit zu bleiben. Aus diesem Grund wird sie auch ehrenamtlich bei der Caritas zweimal wöchentlich Deutschkurse für ausländische Kinder geben. An ihrem Arbeitsplatz im Kindergarten hat sie computerunterstützte Sprachlernprogramme für Kinder kennengelernt und will diese in den Stützunterricht integrieren. Sie hat gute Erfahrungen gemacht mit Computerspielen zur Förderung der Sprachfähigkeit, weiß aber auch, daß Kinder sich leicht am Computer „verspielen“. Außerdem hat sie sich vorgenommen, sich mehr mit den neueren technischen Fragen und Entwicklungen zu beschäftigen, damit sie mitreden kann, wenn ihre Enkelin Sabine mit ihrem Mann per Bildschirmtelefon über MUDs fachsimpelt.

Peter M. hat sich gleich zu Beginn seines Ruhestandes im Seniorenstudium der Universität eingeschrieben, auch wenn er diese Bezeichnung gräßlich fand. Er hatte von ehemaligen Kollegen gehört, daß man dazu keinen höheren Schulabschluß bräuchte, den er wegen der wirtschaftlichen Lage seiner Familie in der Nachkriegszeit nie hatte machen können. Sein Interesse galt schon immer geschichtlichen Fragen, und die Chance, hierzu Vorlesungen zu hören, wollte er nutzen. Er lernte dort eine Gruppe SeniorInnen kennen, die ebenfalls Interesse daran hatten, in einer Projektgruppe eigenständig über das Thema „Donauschwaben“ zu forschen und die Auswanderungsbewegung der BewohnerInnen eines kleinen Dorfes Mitte des 19.Jh., ihre Beweggründe und Begleitumstände und ihren Verbleib in den östlichen Donauländern zu untersuchen. Die Gruppe machte zunächst einen Einführungskurs in die Bibliotheksrecherche mit Hilfe des Internet. Schnell hatten alle erkannt, welche Chancen ihnen die multimedialen Techniken für ihre Arbeit bieten würden, und heute sind sie ihnen als Arbeitsinstrument selbstverständlich geworden. Peter M. ist in zwei offenen „History- Newsgroups“ eingetragen und bekommt darüber manche gute Anregung für die Arbeit seiner Gruppe. Diese arbeitet seit einem Jahr auf europäischer Ebene in einem Projekt mit einer Seniorengruppe aus Österreich, Slowakei und Rumänien zusammen. Sie vergleichen Kirchenbucheinträge, Chroniken, tauschen Bilder und Karten aus, aber auch Materialien über die Situation heute, was mit Hilfe einer Mailinglist kein Problem ist. Für die SeniorInnen aus Slowakei und Rumänien ist der Umgang mit Computer und Internet noch ganz neu, daher gibt es auch manche technische Probleme zu überwinden, und Rat von den Internet-Erfahrenen ist hilfreich. Ein Teilnehmer der Projektgruppe von Peter M. ist blind. Von zu Hause aus kommuniziert er mit der Gesamtgruppe per mail und Unterstützung eines Sprachcomputers. In diesem Monat hat er die Aufgabe des Mailkoordinators übernommen. Peter M. bevorzugt geschlossene Mailinglist, weil bei den offenen Newsgroups oft auch unqualifizierte Bemerkungen und Werbespots auftauchen, über die er sich ärgert. In den ersten Monaten hatte er viel Zeit mit Surfen im Internet verbracht, doch bald hat er gelernt, mit seiner Zeit und den anfallenden Kosten sparsam umzugehen. Mittlerweile findet er schnell heraus, welche Internet-Seiten oder Mails ihn interessieren, die Suche nach interessanten Informationen wird ihm durch die Bildungsserver und den Austausch von guten Adressen mit seinen Mitstudierenden erleichtert. Durch eingebaute Filter wird er selten direkt mit der Unmenge „Schrott“ konfrontiert, die im Internet zu finden ist, aber ab und zu tauchen auch in seinem Interessensbereich „Geschichte“ tendenziöse Texte von rechtsradikalen Gruppen auf - das ist immer Anlaß, mit seiner Frau und anderen über pro und contra einer Zensur der Internet-Inhalte nachzudenken. Diese Erfahrungen haben ihn veranlaßt, dem Angebot im Netz gegenüber erst einmal vorsichtig zu sein.

Durch Videokonferenzen mit den europäischen Partnergruppen, die in regelmäßigen Abständen vom örtlichen Tele-Videokonferenz-Zentrum gegen Gebühr organisiert werden, können die einzelnen Arbeitsschritte besprochen und über das weitere Vorgehen beraten werden. Geplant ist eine Zusammenführung und Dokumentation der Arbeitsergebnisse im nächsten Jahr bei einem internationalen Treffen in der Heimatstadt von Peter M. Er ist gespannt, ob da die Verständigung auch so gut klappt wie mit Hilfe der Übersetzungsprogramme im Internet oder den Simultanübersetzungsgeräten ohne DolmetscherInnen bei den Videokonferenzen. Jedenfalls hat er sich für das Vorbereitungskommittee der Tagung gemeldet und über das Internet bereits das städtische Tagungshaus gebucht und Sonderkonditionen für die Nutzung ausgehandelt. Sein multifunktionaler Laptop begleitet ihn überall hin, mit ihm kann er problemlos telefonieren, Mailen und surfen.

Für diesen Sommer haben die Ms. eine Städtetour nach Wien geplant. Sie kennen die Stadt noch nicht, und beide finden dort genügend Anknüpfungspunkte bezüglich ihrer Interessen. Wie üblich, bereiten sie ihre Fahrt virtuell vor. Das Wiener Info-Netz für Kultur und Freizeit bietet Programmhinweise, die auf die jeweiligen individuellen Interessen der NutzerInnen zugeschnitten werden können, eine Diskussionsplattform für lokale Kommunikation, und vieles mehr. Das Info-Netz liefert Informationen zum kulturellen Erbe und zur Geschichte Europas. Mit Hilfe dieses Netzes können die Ms. schon im voraus ihr persönliches Besichtigungs-programm zusammenstellen, sie können vorgeschlagenen Routen folgen oder sich einen persönlichen „Reiseführer“ zusammenstellen lassen, der auf ihre individuellen Interessenschwerpunkte abgestimmt ist. Wenn sie dann vor Ort dieser „Reiseroute“ folgen, werden sie über ein tragbares Informationssystem Informationen, z. B. über den geschichtlichen Hintergrund eines Bauwerks, direkt von einer zentralen multimedialen Datenbank abrufen können. Die Ms. sind schon sehr gespannt, wie das funktionieren wird und haben in der Vorbereitung zwei Stadttouren mit unterschiedlichen Interessenschwerpunkten ausgewählt. Der Zugang zu der zentralen Multimedia-Datenbank - vor Ort auch über öffentliche Terminals möglich - wird sie über den aktuellen Stand der Veranstaltungen oder Verkehrsmittel informieren.

Wohnen in Wien für 10 Tage werden die Ms. übrigens in der Wohnung des Ehepaars W., das in dieser Zeit in ihrer Wohnung wohnt. Die Paare haben sich über den Senioren-Wohnungstauschdienst im Internet kennengelernt. Zuerst wurden ganz vorsichtig Mails ausgetauscht, aber mittlerweile sind sie virtuell ganz vertraut miteinander, und was die beiderseitigen Wohnungsausstattungen betrifft, haben sie keine Bedenken mehr, seit ein paar Bilder hin- und hergeschickt wurden, sie haben nämlich einen ähnlichen Geschmack. Dieses Vorgehen entlastet den Geldbeutel beider Paare, außerdem finden es die Ms. viel angenehmer, in einer Wohnung zu wohnen als in einem unpersönlichen Hotelzimmer. Vielleicht wird die Zeitplanung auch so sein, daß sie sich die ersten zwei Tage mit Herrn und Frau W. noch in Wien treffen.

Es freut die Ms., daß sich die Ws. bereit erklärt haben, auch mal bei der Mutter von Peter M. vorbeizuschauen. Was sie aber auf jeden Fall beruhigt ist die Tatsache, daß die Wohnanlage, in der Peter Ms. Mutter wohnt, mit einem Telematik-Hausdienst ausgestattet ist, der ihr die Alltagserledigungen erleichtert und wo bei Bedarf schnelle Hilfe gegeben ist. Daß sie damit die Krankheit von Peters Mutter nicht aufhalten können, ist ihnen bewußt. Inhaltlich und seelisch bereiten sie sich darauf vor, wie es sein wird, wenn die Krankheit fortschreitet. Mit Hilfe des Internet haben sie sich mit dieser Krankheit befaßt, kennen Fachbücher und Adressen von Selbsthilfegruppen, sind über die Möglichkeit der Tagespflege informiert... die neuen Technologien können ihr und ihnen Informant , Vermittler und Unterstützer sein, aber es gibt auch Grenzen des Machbaren - und des ethisch Vertretbaren - dessen sind sie sich bewußt.