Die Atompolitik anderer Länder

Aber nicht nur in weiter Ferne unterschätzt man die Gefahren der Atomenergie. "Wir dürfen nicht vergessen, dass in Europa, zum Teil in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, Kernkraftwerke betrieben werden, die auch einer Sicherheitsüberprüfung bedürfen", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin gesagt, als sie das deutsche Moratorium verkündete.

Atommeiler in unserer Nähe

Atomkraftwerke in Frankreich und Tschechien stehen in unmittelbarer Nähe zur deutschen Grenze. 143 Kernkraftwerke befinden sich auf dem Gebiet der Europäischen Union. Die EU hat zwar Sicherheits-Checks für sämtliche AKW’s beschlossen. Allerdings werden sie freiwillig sein und die Ergebnisse zu nichts verpflichten.

Frankreich ist für die Bundesrepublik angesichts der vorherrschenden westlichen Windströmungen das größte Problem. Das Land setzt seit 1956 auf Atomkraft. 19 Kraftwerke mit 58 Reaktoren decken 76 Prozent des Strombedarfs. Nach Angaben von Experten kommt es in Frankreichs Kernkraftwerken jährlich zu 1000 Zwischenfällen. Dabei ist das Gros der Meiler älter als 25 Jahre und weder gegen Terroranschläge noch Flugzeugabstürze oder Erdbeben ausreichend gesichert.

Polen fühlt sich erdbebensicher

Nachbar Polen hält am Baubeginn seines ersten Atomkraftwerks im Jahr 2016 fest. Möglicher Standort: Zarnowiec bei Danzig. Die Begründung: Polen liegt nicht in einer Erdbebenzone.

Im Mai 2011 beschloß das polnische Parlament in Warschau mehrere Gesetze zur Kernenergie. Staatspräsident Bronisław Komorowski  erklärte, er kenne keine Argumente, die eine reale Gefahr beim Bau moderner Atomkraftwerke belegen könnten und Umweltminister Andrezj Kraszewski äußerte, für Polen gebe es keinen anderen Weg als den der Atomkraft. Polen beabsichtigt, 6.000 Megawatt Strom mit AKW’s zu erzeugen.
In der Nähe des  Dorfes Żarnowiec, 70 Kilometer nordwestlich von Danzig war schon einmal der Bau eines Meilers begonnen worden. Er wurde aber nach Tschernobyl nicht  weitergebaut.

Auch Belgien verlängerte Laufzeiten

Die Regierung Belgiens beschloss 1999 den Ausstieg aus der Kernenergie. Nach jeweils 40 Betriebsjahren sollten die sieben belgischen Reaktoren abgeschaltet werden. Für drei Meiler sollten die Laufzeiten jedoch verlängert werden. Sie gehören zu den ältesten in Europa. Das Atomkraftwerk Tihange liegt nur etwa 80 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt.

Niederlande wollen einen neuen Meiler bauen

In den Niederlanden ist zur Zeit nur ein Atomkraftwerk in Borssele in Betrieb – seit 1973. Ein kleinerer Reaktor in Dodewaard ist stillgelegt. Die Regierung befürwortet den Bau eines neuen Meilers.

Schweiz lässt Atomenergie auslaufen

Ende April 2011 hat auch die Schweizer Regierung den Ausstieg aus der Kewrnkraft entschieden. Das Energieministeriums gab bekannt, dass die fünf Schweizer AKWs nach dem Ende ihrer Betriebsdauer nicht ersetzt werden. Unter Annahme einer durchschnittlichen Betriebsdauer von 50 Jahren müsste damit der erste Meiler 2019 vom Netz gehen, der letzte im Jahr 2034.

Tschechien: Ausbau der Kapazitäten geplant

Tschechien produziert ein Drittel seines Strombedarfs aus sechs Reaktoren in den beiden Kernkraftwerken Temelin und Dukovany. Die ältesten Anlagen russischer Bauart sind seit 1985 am Netz. Vor allem in Temelin kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Störfällen und Abschaltungen. Der staatliche Energiekonzern CEZ will zum Entsetzen der österreichischen Nachbarn in Temelin zwei neue Blöcke errichten. Das Genehmigungsverfahren ist seit sechs Monaten im Gange und soll auch nicht gestoppt werden. Auch in der benachbarten Slowakei plant CEZ einen Ausbau der bestehenden Kapazitäten.

Zehn Reaktoren in Schweden

In Schweden sind zehn Reaktoren weiter in Betrieb, obwohl in einem Referendum 1980 entschieden wurde, dass die Stromerzeugung durch AKW’s 2010 beendet werden sollte. Das bürgerliche Kabinett hob aber sogar das Verbot für den Bau neuer Reaktoren auf. Von den zehn Reaktoren sind nur Forsmark 3 und Oskarshamn 3 gegen Erdbeben gesichert. In Forsmark soll auch das Endlager für radioaktiven Atommüll gebaut werden.

Spanien wollte aussteigen

Spanien wollte bis 2024 aus der Kernenergie aussteigen. 2010 ließ es den Plan fallen, die AKW‘s nach einer Laufzeit von 40 Jahren abzuschalten.

Italien stoppt Einführung der Kernkraft

Nach der Katastrophe in Japan hatte Italien die Pläne für eine Einführung der Kernkraft zunächst für ein Jahr gestoppt. In einer Volksabstimmung im Juni 2011 wandten sich die Wähler  dann mit überwältigender Mehrheit gegen den Wiedereinstieg in die Atomkraft.
Italien hatte nach Tschernobyl 1987 in einem Referendum den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Wegen der teuren Stromimporte wollte man aber doch wieder vier Reaktoren bauen.

Neue Meiler in Großbritannien genehmigt

In Großbritannien erzeugen 19 Atomkraftwerke Strom. Eine Kommission soll nach den Erfahrungen von Japan prüfen, wie die Sicherheit der Meiler verbessern kann. Den geplanten Ausbau der Kernkraft stellt die Regierung nicht infrage. Erst im Oktober wurde neue Meiler an acht Standorten in England und Wales genehmigt.

Ein neues Atomkraftwerk für Finnland

Die finnische Regierung will die Sicherheit der beiden bestehenden Reaktoren überprüfen lassen, und beabsichtigt weiterhin die Errichtung eines neuen Atomkraftwerks.

Russland ändert seine Bauvorhaben nicht

Russland will 26 Atomkraftwerke bauen. "Wir werden unsere Pläne nicht ändern, aber Schlüsse daraus ziehen, was momentan in Japan passiert", wird Regierungschef Wladimir Putin zitiert. Der nächste Meiler soll im Gebiet Kaliningrad mit Hilfe von Siemens errichtet werden.

Japan: Stresstests und später Ausstieg

Die durch das schwere Erdbeben am 11. März 2011 verursachte Atomkatastrophe in Fukushima hat in Japan hatte  zunächst noch keine Sicherheitsbedenken für andere AKW’s ausgelöst. Inzwischen setzte ein Umdenken ein. Zunächst will die japanische Regierung auch alle anderen Atomkraftwerke einer Sicherheitsüberpüfung unterziehen. Zur Zeit liegen 35 der 54 japanischen Meiler still.

Neueste Wendung: Japans Regierungschef Naoto Kan sprach sich dafür aus, die Abhängigkeit seines Landes von der Atomenergie zu verringern. Japan müsse in Etappen aus der Atomkraft aussteigen. Einen Zeitplan nannte er nicht.

wp ( 06.07.2011, Quelle: SPIEGEL ONLINE, ZEIT) 

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