Grünes Wahlprogramm: Alles soll besser werden

Bei der 35. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 26.- 28. April 2013 wurde das Bundestagswahlprogramm beschlossen. Jetzt, 100 Tage vor der Bundestagswahl, wurde es endlich veröffentlicht: Ein grünes Buch mit 336 engbeschriebenen Seiten mit nur sehr wenigen Absätzen – Lesestoff für den ganzen Sommer.

Allein die Einleitung mit der Überschrift „Teilhaben. Einmischen. Zukunft schaffen. Warum es Zeit ist, dass sich was ändert“ ist 26 Seiten lang. Darauf folgen weitere 18 Kapitel B. bis S. mit 110 Unterpunkten und insgesamt 58 Schlüsselprojekten (jeweils am Ende eines Kapitels werden diese Projekte aufgeführt). Behandelt werden ALLE Aspekte des Lebens.  vom Gebären bis zum Sterben, über Essen, Arbeiten, Freizeit ALLES soll besser werden für ALLE: Einwohner, Männer Frauen, Alte und Junge, Trans- und Intersexuelle, Tiere und Pflanzen. Eine kleine wahllose Auswahl:

Weniger Kaiserschnitte, mehr Hebammen; das Lebensende in Würde und Selbstbestimmung ermöglichen; Erdbeeren sollen im Sommer gegessen werden; sowohl der Storch als auch seine Nahrung, der Frosch, sollen geschützt werden, saubere Luft für alle, freies Netz für alle …

Es ist sehr schwierig aus dieser Masse von Themen, Forderungen, Versprechen, Projekten die wesentlichen Punkte des Programmes zu erkennen. Gottseidank haben uns die GRÜNEN eine Auswahl selbst dieser Tage abgenommen: Alle Mitglieder haben per Briefwahl oder bei über 330 Veranstaltungen auf Kreisebene aus den 58 Schlüsselprojekten zu den Themen Energiewende, Gerechtigkeit und Moderne Gesellschaft neun (9) Regierungsprioritäten bestimmt.

Am 11.06.2013 wurde das Ergebnis bekannt gegeben. Hier einige Auszüge:

Die Reihenfolge der Schlüsselprojekte bei den drei Themenschwerpunkten ergibt sich aus der Anzahl der abgegebenen Stimmen.

Regierungsprioritäten zum Thema "Energiewende"

Projekt 1 des
Mitgliederentscheids: 100 Prozent Erneuerbare Energien - für eine faire Energiewende in BürgerInnenhand

Der Ausbau Erneuerbarer Energien von 5 auf 25 Prozent der Stromproduktion in kurzer Zeit war ein bedeutender Beitrag zu nachhaltiger Energieversorgung, zum Klimaschutz und zur Ressourcenschonung. Bis zum Jahr 2020 wollen wir den Anteil der Erneuerbaren Energien mindestens verdoppeln und bis 2030 die Stromversorgung Deutschlands auf 100 Prozent Erneuerbare Energien umstellen. … werden wir dafür sorgen, dass die Energiewende in BürgerInnenhand bleibt. Damit diese „Energiewende von unten“ weitergeht, verteidigen wir den Einspeisevorrang für Erneuerbare, schaffen Planungssicherheit für Investoren, Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger und leiten damit auch den Kohleausstieg ein. Wir wollen die Regelungen des EEG zum Ausbau der Erneuerbaren Energien so überarbeiten, dass es weiterhin zu einem dynamischen Ausbau der Erneuerbaren kommt und die Kosten gerecht verteilt werden. Denn die Energiewende braucht Investitionen. Die Lasten müssen gerecht verteilt werden und der Strompreis muss auch während des Umstiegs für alle bezahlbar bleiben. Dafür werden wir zuerst die Industrieprivilegien zurückführen sowie Mittelstand und Privathaushalte um 4 Mrd. Euro Energiekosten entlasten.

Projekt 8 des
Mitgliederentscheids: Die Massentierhaltung beenden - ein neues Tierschutzgesetz für artgerechte Haltung.

Wir wollen die Subventionierung der Massentierhaltung beenden, ihre Privilegierung im Baurecht streichen und den Immissionsschutz verbessern und ein Label für Tierschutz sowie vegane und vegetarische Produkte einführen. Durch ein neues Tierschutzgesetz sorgen wir für tiergerechte Haltungsbedingungen, schaffen lückenlose Transparenz der Tierarzneimittelströme und stoppen den Missbrauch von Antibiotika durch strengere Haltungs- und ehandlungsvorschriften. Durch die deutliche Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung
sorgen wir gleichzeitig für einen nachhaltigen Umwelt- und Gesundheitsschutz. Auch auf europäischer Ebene setzen wir uns für bessere Tierschutzregeln in der Tierhaltung ein.

Projekt 5 des
Mitgliederentscheids: Wirtschaftswachstum ist nicht das Maß der Dinge – neue
Indikatoren für Wohlstand und Lebensqualität

… etablieren wir
einen neuen Wohlstandsindikator. Der „grüne Wohlstandskompass“ umfasst auch die sozialen und ökologischen Aspekte. Entsprechend fordern wir für Unternehmen ab einer bestimmten Größe neben der vorgeschriebenen finanziellen auch eine verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung über soziale und ökologische Kennzahlen. …

Unsere Regierungsprioritäten zum Thema "Gerechtigkeit"

Projekt 20 des
Mitgliederentscheids: Niedriglöhne abschaffen - einen allgemeinen Mindestlohn einführen.

… fordern wir einen allgemeinen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro. Die genaue Höhe des Mindestlohns
wird von einer Mindestlohnkommission festgelegt, zusammengesetzt aus Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und ExpertInnen aus der Wissenschaft. Gleichzeitig müssen die Möglichkeiten geschaffen werden für mehr branchenspezifische Mindestlöhne und allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge, die dann für alle Beschäftigten einer Branche gelten. …

Projekt 27 des Mitgliederentscheids: Zwei-Klassen-Medizin abschaffen - EINE Bürgerversicherung
für Alle.

… Unsere Bürgerversicherung bezieht alle ein: gesetzlich Versicherte, Privatversicherte, Beamte und Selbständige. Zukünftig wollen wir alle Einkommensarten gleichbehandeln und zur Finanzierung heranziehen: neben Arbeitseinkommen auch Kapitaleinkommen, zum Beispiel durch Aktiengewinne, Zinsen und Mieteinnahmen. Gleichzeitig wird die paritätische Finanzierung zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen wiederhergestellt. So tragen wir das Gesundheits- und Pflegesystem gemeinsam und alle können davon profitieren.

Projekt 17 des
Mitgliederentscheids: Die Finanzmärkte neu ordnen – eine Schuldenbremse für Banken.

… brauchen wir neben einer Europäischen Bankenunion mit schlagkräftiger Aufsicht und bankenfinanziertem
Rettungsfonds vor allem eine verbindliche Schuldenbremse für Banken. Banken müssen bis 2017 mindestens 3 Prozent Eigenkapital im Verhältnis zu ihrer Bilanzsumme vorhalten. Diese Schuldenbremse wird die hochspekulativen Geschäfte der Vergangenheit faktisch unmöglich machen und das Finanzsystem deutlich stabilisieren.

Unsere Regierungsprioritäten zum Thema "Moderne Gesellschaft"

Projekt 57 des Mitgliederentscheids: Keine Rüstungsexporte zu Lasten von Menschenrechten - ein
Rüstungsexportgesetz beschließen.

Wir wollen Rüstungsexporte stärker als bisher kontrollieren. Dazu wollen wir ein Gesetz, das die Kriterien der Rüstungsexportrichtlinie, insbesondere die Menschenrechtslage im Empfängerland und die Gefahr der inneren Repression, fest verankert. Außerdem soll das Auswärtige Amt für Rüstungsexporte zuständig sein. Wir wollen den Bundessicherheitsrat in seiner jetzigen Form abschaffen. Die Geheimhaltung der Beschlüsse über Rüstungsexporte wollen wir aufheben. Der Deutsche Bundestag wird vor einer beabsichtigten Rüstungsexportgenehmigung bei besonders sensiblen Exporten unterrichtet und erhält die Möglichkeit für ein aufschiebendes Veto zur Stellungnahme. Zudem brauchen wir vergleichbar strikte Regeln für den Export von Überwachungstechnologien. Der Export von Waffen und Software zur Überwachung von Kommunikation und Internet an Diktaturen muss gestoppt werden. So können wir die Exporte der Rüstungsindustrie besser kontrollieren.

Projekt 38 des
Mitgliederentscheids: Das Betreuungsgeld abschaffen - gute Kita-Plätze besser ausbauen.

Vielerorts fehlt es an Kita-Plätzen. Deshalb müssen wir rasch mehr und auch qualitativ hochwertige Kita-Plätze schaffen. Für uns ist klar, dass auch der Bund Verantwortung trägt, denn es muss vieles gleichzeitig geschehen: Der ab Augst 2013 geltende Rechtsanspruch muss angemessener finanziert, der Bedarf realistischer geplant werden. Damit die Qualität nicht auf der Strecke bleibt, legen wir bundesweite Qualitätsstandards fest. Und natürlich braucht es dafür mehr Fachkräfte, die zu einem relevanten Teil auf Hochschulniveau ausgebildet und angemessen bezahlt werden. Außerdem fordern wir die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz in der Kita bzw. in der Kindertagespflege und unterstützen den bedarfsgerechten Ausbau der Ganztagsbetreuung in allen Altersgruppen. Wir wollen eine echte Wahlfreiheit für Familien, die nur dadurch gewährleistet ist, dass für alle Familien, die das wollen, auch ein Kitaplatz zur Verfügung steht. Das Betreuungsgeld, das Kinder von frühkindlicher Bildung ausschließt, alte Rollenmuster zementiert und den Ausbau der Kitaplätze blockiert, schaffen wir ab. So bekommen alle Kinder eine Chance, ihre Potentiale und Interessen zu entfalten, und so schaffen wir die Voraussetzung für eine wirkliche Vereinbarkeit von Beruf und Eltern-Sein.

Projekt 45 des Mitgliederentscheids: Rechtsextremismus entschieden entgegentreten – Projekte
gegen Rechtsextremismus systematisch fördern.

Intoleranz, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Antiziganismus, Rassismus, Transphobie und Homophobie sind leider allzu oft Alltag in Deutschland. Dem stellen wir uns entschieden entgegen. Mit unserer Offensive für Demokratie gegen rechts setzen wir alles daran, die durch Rechtsextreme bedrohten Orte und Regionen für unsere Demokratie zu schützen. Die Verantwortung für diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe müssen Bund, Länder, Kommunen und die Zivilgesellschaft gemeinsam tragen. Die Umsetzung der gesamtstaatlichen Aufgabe muss unter Beteiligung der Zivilgesellschaft erfolgen. Dafür bauen wir die Förderung von Projekten der Zivilgesellschaft und einer demokratischen Alltagskultur aus, dennDemokratieförderung ist eine Daueraufgabe und muss eine zukunftsfeste Finanzgrundlage erhalten. Der Bund muss seine Verantwortung wahrnehmen. Er muss mindestens 50 Mio. Euro jährlich für die kontinuierliche Förderung von Maßnahmen und Strukturen für Demokratie und gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zur Verfügung stellen. Außerdem wollen wir die unsägliche Extremismusklausel abschaffen. So werden wir dem Rechtsextremismus ebenso entschieden entgegentreten wie rechtspopulistischen Haltungen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der gesamten Gesellschaft.

Nicht enthalten in diesen prioritären Projekten, sind u.a. folgende – auf dem Parteitag im April betonten – im Wahlprogramm enthaltenen Schlüsselprojekte:

Der Spitzensteuersatz für Einkommen soll von 42 auf 49 Prozent angehoben werden. Dies soll ab einem
Bruttoeinkommen von 80.000 Euro gelten. Niedrige Einkommen sollen dagegen länger steuerfrei bleiben, der Steuerfreibetrag soll von 8.130 Euro auf 8.700 Euro angehoben werden.

Eine Vermögensabgabe von 1,5 Prozent soll auf Vermögen ab einer Million Euro erhoben werden. Die
Partei erhofft sich davon zusätzliche 100 Milliarden Euro zum Schuldenabbau. Die Abgabe soll auf zehn Jahre befristet sein und danach einer Vermögenssteuer weichen.

Diese Steuerbeschlüsse – wenn sie denn irgendwann einmal eins zu eins umgesetzt werden – dürften Gutverdiener empfindlich treffen. Aber die Partei ist wenigstens ehrlich – sie sagt schon jetzt, wo und wen sie belasten und was sie mt dem Geld anstellen will, das sie den Privilegierten nehmen will: den Staat stärken, die Kommunen, die öffentlichen Kitas und Schulen, die Schwimmbäder, die soziale Fürsorge.

Die Wirtschaftspolitik will Boni für Unternehmer und Manager auf ein Viertel des jeweiligen Gehalts begrenzt werden. oll eine Schuldenbremse für Banken eingerichtet werden.

Der Bildungspolitik soll mehr Geld zur Verfügung stehen. So soll jährlich eine Milliarde Euro mehr für
Hochschulen ausgegeben werden. Zudem soll das Bafög um 300 Millionen Euro im Jahr angehoben werden. Auch das Erwachsenen-Bafög soll ausgebaut werden.

Bezahlbares Wohnen ermöglichen – soziales Mietrecht, gemeinwohlorientierten Wohnungsbau und energetische Modernisierung zusammen danken.

Zwar gibt es im Wahlprogramm ein Unterkapitel „Teilhabe und Selbstbestimmung im Alter“, ein Schlüsselprojekt speziell für Alte wurde jedoch nicht formuliert. Es gibt folgende Versprechen:

„Einer sozialen Spaltung im Alter wollen wir entgegentreten mit einer Garantierente, die den
langjährig Versicherten eine Rente oberhalb der Grundsicherung garantiert.

  • Barrierefreien Zugang zu Kultur und erreichbare Gesundheitsinfrastruktur und bezahlbaren Wohnraum
    Pflege möglichst wohnortnah organisieren, Vorrang für ambulante Versorgung
  • Finanzierung durch eine Pflegebürgerversicherung, in die alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen und
    in die alle Einkunftsarten einbezogen werden.
  • Ein neuer Generationenvertrag soll die Aufgaben und Lasten zwischen Alt und Jung neu
    verteilen.“

Die GRÜNEN haben an alles gedacht, oft auch durchgerechnet, was Wahlversprechen kosten würden und eine entsprechende Finanzierung vorgeschlagen. Letzteres ist selten in Wahlprogrammen.

Friedel (17.05.2013)

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