Hamburg: Bauausstellung auf einer Insel

Die IBA, die Internationale Bauausstellung in Hamburg-Wilhelmsburg, will zeigen, wie eine Stadt im 21. Jahrhundert aussehen könnte. Viele Experimente wurden erdacht und erbaut. Für die Gruppe ViLE-Lübeck war das Anlass, sich die neuen Ideen und ihre Realisierung anzusehen. Zusammen mit einigen Mitgliedern der Regionalgruppe Nord besuchten die Lübecker am 15. Juli 2013 die IBA.

Wilhelmsburg, eine von Norderelbe und Süderelbe umschlossene Insel, die seit ihrer Eingemeindung in die Großstadt Hamburg städtebaulich einen Dornröschenschlaf geträumt hatte, war in den letzten Jahrzehnten zu einem sozialen Problemgebiet geworden.

Besichtigung des Modells im IBA Point
Besichtigung des Modells im IBA Dock, Foto Horst


Das 36 Quadratkilometer große Projektgebiet der IBA umfasst die Elbinsel Wilhelmsburg und die vorgelagerte kleinere Insel Veddel sowie den Harburger Binnenhafen. Ein großer Teil liegt unterhalb des Meeresspiegels. Daher gibt es rundum hohe Deiche.

Die Besichtigung begann in einem Informationspavillon, IBA Dock genannt, der selbst ein Experiment ist. Er steht auf einem schwimmenden Ponton aus Beton, der sich mit dem Tidehub der Elbe bis zu 3,50 Meter hebt und senkt.

Wilhelmsburg hat große Vorteile: Es ist nur drei S-Bahn-Stationen vom Hamburger Stadtzentrum entfernt und besitzt noch viele Freiflächen für den Wohnungsbau, den Hamburg so dringend braucht.

Das Ziel des Projektes ist, dass Wilhelmsburg sich bis 2050 mit Energie und Wärme selbst versorgen kann. Ein riesiger Bunker, in dem beim Bombenkrieg etwa 15 000 Menschen Schutz fanden, wurde zum Energiebunker umgestaltet. Eine ehemalige Mülldeponie erzeugt Methan und Biogas, trägt Solaranlagen und Windräder.

Die verschiedenen neu entwickelten Haustypen, viele mit Holzelementen, realisieren Energiesparkonzepte verschiedener Art. Und bei der Altbausanierung geht man so behutsam und kostensparend vor, dass die bisherigen Bewohner nicht aus dem Viertel verdrängt werden.

Nachdem uns im IBA Point ein Überblick über das Projektgebiet gegeben worden war, fuhr unsere Gruppe mit dem IBA-Bus zunächst zum Energiebunker.

Horst

Ein Mahnmal als Zentrum der energetischen Erneuerung.

Es gibt Bauwerke, die im Stadtbild sofort auffallen, weil sie gewohnte Proportionen und Gliederungen sprengen und das Auge irritieren. ln Hamburg-Wilhelmsburg ragt so ein Gebäude mit fensterloser, grauer Betonfassade über 40 Metern in den Himmel.

Der Flakturm auf dem Rotenhäuser Feld wurde während des 2. Weltkrieges als Militär- und Zivilschutzanlage gebaut. 1943 entstanden der Bau als Leit- und Geschützturm. Auf dem Dach waren Flugabwehr-Kanonen installiert.
Die Bauarbeiten wurden vom Reichsluftfahrtministerium befehligt und vor allem von Polen, Ukrainern, Holländern, Letten und Franzosen als Zwangsarbeiter aus dem Arbeitslager Hamburg-Billstedt ausgeftthrt. ln Betrieb war die miltärische Anlage nur von 1943 bis 1945.

Die Form der Geschütztürme erinnern heute noch an mittelalterliche Festungsbauten. Sie betonen den Größenwahn des Nationalsozialistischen Regimes. Nach Kriegsende wurde über die Rolle des Bunkers heftig debattiert. Abriß oder Denkmal oder andere mögliche Nutzungen waren die Themen.

Der Bunker war inzwischen nicht mehr gefahrlos betretbar. Eingestürzte Decken durch die gezielte Sprengversuche der britischen Armee nach Kriegsende. Nur die äußere Hülle mit bis zu 3 Meter dicken Wänden hielt nahezu unzerstört den Explosionen stand. .Eine sinnvolle Nutzung des Gebäudes schien für mehr als 60 Jahre ausgeschlossen.

lm Jahr 2006 entstand die Projektidee,  den Bunker dauerhaft als Mahnmal-zu erhalten. Seit 2011 wurde das verwahrloste Gebäude für die IBA saniert.

Die Umnutzung in einen Energiebunker als Ökokraftwerk mit Solaranlage und einem riesigen Heißwasserspeicher, der der Versorgung des Wohnbestandes der SAGA,GWA Wohnbaugenossenschaften mit Strom und Energie dient, war das Ziel.

Nach Herstellung der Statik sind im lnnern ein 2000 Kubikmeter Wasser fassender Wärmespeicher, ein Holzschnitzelkessel und ein Biomethan-Blockheizkraftwerk eingebaut worden. Die Abwärme benachbarter lndustriewerke wird in das Wärmenetz eingespeist. Der Wärmespeicher,,bunkert" die Wärme.
Auf dem Dach ist eine Photovoltaikanlage und auf der Südseite des Bunkers eine beeindruckende Solarthermieanlage installiert. Eine der weltgrößten Solarkollektorenanlage ist hier entstanden.

Der Besucher fährt mit einem Lift auf eine Terrasse in 30 Meter Höhe, findet hier ein Cafe und hat eine umwerfende Aussicht auf Stadt, Hafen, Deichanlagen und Umland.
Erstmals wurde ein Flakbunker in eine regenerative Energiezentrale verwandelt.

Ursula

Ein Besuch im IBA Info-Point Wilhelmsburg Mitte

Unsere dritte Station war der IBA Point in Wilhelmsburg Mitte. Er liegt mitten im Gebiet des experimentellen Wohnungsbaus. Zugleich ist dort der Eingang zur IGS der Internationalen Gartenschau. die sich innerhalb des IBA Geländes befindet. Eine gelungene Kombination wie wir im Verlauf des Vortrages erfuhren.

An einem riesigen Modelle wurde uns die Geschichte dieser großen Elbinsel erläutert. Wilhelmsburg. war bis 1937 selbständig und wurde dann mit dem Groß-Hamburg-Gesetz der Nazis zu Hamburg eingemeindet.
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Modell im IBA-Infopoint. Foto: Axel.


Da Wilhelmsburg schon immer aus zwei verschiedenen Stadteilen bestand - einem ländlich strukturierten und einem städtischen mit hohem Arbeiteranteil - wird nun versucht, im Rahmen der IBA eine neue Mitte zu schaffen. Das wurde schon einmal 1901 mit dem Neubau des Rathauses versucht – das aber heute noch völlig isoliert steht.

Das soll sich mit der neuen Mitte nun ändern. Mit neuen Bauten soll der Stadtteil belebt werden. Geplant und zum Teil auch schon fertiggestellt sind 1.218 Wohnungen, davon sollen 70 Prozent Eigentumswohnungen und 30 Prozent freifinanziert werden. Fertiggestellt ist ein Ärztezentrum und ein Seniorenzentrum mit einer Kita und einer Pflegeschule, eine große Freizeit- und Sportanlage. Die große Blumenhalle der IGS soll Basketballhalle werden. Außerdem gibt es schon eine Kletterhalle, Hochseilgarten und eine Skateranlage. Fertig ist auch ein neues Bildungszentrum, in dem alle Bildungseinrichtungen von Kindern bis zu Senioren zusammengefasst werden. Einmalig in der BRD.

Die gesamte Fläche der IGS soll zukünftig ein Park für die Bewohner werden. Als ersten und wichtigen Schritt hat Hamburg die gesamte Stadtentwicklungs- und Umweltbehörde aus der Innenstadt nach Wilhelmsburg Mitte verlegt. Der riesige, sehr moderne und bunte Neubau prägt städtebaulich die neue Mitte.
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Bunter Verwaltungsbau. Foto: IBA-Grimmenstein.


Oberstes Gebot bei der Sanierung der Bestandsgebäude ist, dass die ansässige gemischte Bevölkerung nicht vertrieben wird. Eine solche gelungene Sanierung haben wir später auch besichtigt, wo zu moderaten Mieten die alten Mieter wieder einziehen konnten.

Durch IBA und IGS erhofft man sich nun einen Entwicklungs- und Wachstumsschub für Wilhelmsburg.
Tatsächlich ist Wilhelmsburg nur drei S- Bahnstationen vom Hauptbahnhof entfernt, liegt im Bewusstsein der Hamburger aber viel weiter draußen.

Zusätzlich sind aufwendige Infrastrukturmaßnahmen geplant: Eine vierspurige Schnellstraße, die das Gebiet durchschneidet, soll auf eine Bahntrasse verlagert werden unter Beibehaltung der Bahn. Dadurch würden die Immissionen der Wohnquartiere an der Schnellstraßen-Trasse reduziert und neue Möglichkeiten zur Bebauung entstehen.

Im Anschluss an die recht umfassenden Informationen eines IBA-Mitarbeiters sahen wir uns die verschiedenen Gebäudetypen an. Da die IBA einen hervorragenden Internet-Auftritt hat, haben wir die ganze Besichtigung im Internet ausgearbeitet und somit auf eine teure Führung verzichtet.

Das Oberthema der IBA ist: Stadt im Klimawandel. Das heißt Vorrang haben die ökologischen, insbesondere die energetischen Aspekte. Und das sieht man den meisten Gebäuden auch an, wie wir später kritisch feststellten. Unser Besuch im imposanten Wälderhaus beschränkte sich auf die Gastronomie im Erdgeschoß. Siehe hierzu den Bericht von Friedel.
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Lärchenholzfasade. Foto: IBA-Grimmenstein.


Unser nächstes Ziel waren die Water Houses. Der neungeschossige Water Tower und die 4 dreigeschossigen Neubauten stehen in einem 4000 qm großen Regenrückhaltebecken, das mit den vielen Kanälen der wilhelmsburger Insel verbunden ist. Die Wohnungen waren schon vor Baubeginn alle verkauft. Die Quadratmeterpreise sind mit 2.600 Euro für Hamburger Verhältnisse enorm günstig. Sie liegen in vergleichbaren Lagen sonst doppelt oder sogar dreimal so hoch.
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Haus am Wasser. Foto:Axel.


Möglich ist das nur, weil die Investoren erhoffen, mit diesem Pilotprojekt weitere Aufträge zu bekommen. Das Projekt zeigt, wie Wasserlagen, die bisher nicht genutzt wurden, als Wohnstandort mit optimaler Energieeffizienz und hoher Lebensqualität genutzt werden können. Und solche Flächen gibt es in jeder Stadt. Weitere Einzelheiten zu diesem interessanten  Projekt gibt es im Bericht von Ingeborg.

Ungewohnt ist das dann folgende knallgrüne Algenhaus, bei dem in vorgehängten Glaskästen Algen gezüchtet werden, die später als Biomasse in Energie umgewandelt werden.
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Ungewöhnlicher Anblick: Das Algenhaus.Foto: IBA-Arlt.


So effektiv die Biomasse auch sein mag, die Architektur des Hauses, die Farbe, die vorgehängten Glaskästen. und die schmalen Fenster lassen vermuten, dass es sich hier um ein erstes Pilotprojekt handelt, das hoffentlich auch in anderen Architekturformen möglich sein wird oder noch besser an anderen Gebäuden. Näheres zum Algenhaus im Bericht von Horst.

Von den vielen Holzhäusern haben wir eine Wohnung im Haus der Firma Schwörer, ein sogenanntes Smart Price House besichtigt. Das Haus basiert auf 45 qm großen Wohnmodulen, die vorgefertigt und vorinstalliert sind. Fest ist lediglich ein Installationskern mit den Nassräumen. Durch horizontale und vertikale Kombinationen entstehen höchst unterschiedliche Grundrisse. Lichtdurchflutete Räume mit bodentiefen Fenstern verbinden außen und innen. Die Konstruktion ist ein Novum für den Geschosswohnungsbau. Alles Nähere hierzu in dem Bericht von Friedel.

Voller neuer Eindrücke und mit vielen neuen Erkenntnissen gingen wir ziemlich erschöpft (bei ca 26 Grad ) zur nahegelegenen S-Bahnstation um den Heimweg anzutreten.


Unser Fazit:

Die IBA Hamburg ist ein höchst interessanter Versuch, eine ganzen Stadtteil zu entwickeln und die sonst üblichen Verdrängungseffekte zu vermeiden. Die ersten Bürgerinitiativen, die genau das befürchten gibt es allerdings  schon.

Bei so einem riesigen Gebiet und mit so viel sozialer Infrastruktur für die vorhandene Bevölkerung (über 50.000 Einwohner) und der gleichzeitigen Modernisierung des Bestandes werden die 1218 neuen Wohnungen zwar andere soziale Schichten anziehen und den Stadtteil auch attraktiver machen. Es wird aber sicher nicht zur massenhaften Vertreibung der ansässigen Bevölkerung führen.

Wichtig ist nur, dass die Hansestadt Hamburg auch langfristig die Kontrolle behält, um ihre Ziele durchzusetzen und die nun folgende Entwicklung nicht dem Markt überlässt. Instrumente hierfür gibt es im Baurecht.

Denn wenn 100 Millionen Euro öffentliche Mittel bereitgestellt werden, um der ansässigen Bevölkerung eine bessere Lebensqualität, mehr Bildung. mehr Berufschancen zu geben, dann muss auf jeden Fall verhindert werden, dass Spekulanten, die sicher kommen werden, diese Ziele konterkarieren.

Wer auch immer von unseren Vile Mitgliedern nach Hamburg kommt, sollte sich auf jeden Fall die IBA (bis 3.11.2013) und auch die IGS (bis 13.10.2013) ansehen.

Axel


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