Unsere Reaktoren - sicher oder unsicher

Über viele Jahre hinweg haben unsere konservativen Politiker und die Atomlobby uns eingehämmert, die deutschen Atomkraftwerke seien technisch auf dem neuesten Stand und sicher. Seit der Katastrophe in den japanischen Reaktoren scheint das alles nicht mehr zu gelten. Sieben alte Meiler werden bei uns gleich abgeschaltet und alle AKW’s, die doch eigentlich so sicher sind, werden einer Sicherheitsprüfung unterzogen. Wie sicher sind unsere Atomkraftwerke wirklich?

Überhang an Nachrüstungen

Die von der Bundesregierung jetzt angeordneten Sicherheitsüberprüfungen hält der Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz Sebastian Pflugbeil für überflüssig. In einem Interview des Deutschlandfunks wies er darauf hin, dass sowohl mit dem Ausstiegsbeschluss der vorigen Regierung als auch der Verlängerung der Laufzeit durch die jetzige Bundesregierung der Kernkraftindustrie Erleichterungen bei den Sicherheitsauflagen zugebilligt wurden. Seit vielen Jahren sei  daher ein Überhang an erforderlichen Nachrüstungen bekannt. Es sei eine absurde Situation, dass viele Maßnahmen, die man  tun müsste, den Kernkraftwerken erlassen werden.  

Gefahr im Rheingraben

Mehrere deutsche Kernkraftwerke stehen im sogenannten Rheingraben. Dort gibt es nach Aussagen von Gerhard Jentzsch, Professor für angewandte Geophysik, eine starke Erdbebengefahr. In einem Radiointerview sagte er, bei einem  Erdbeben sei ausschlaggebend, welche Erschütterungen am Standort ankommen. Ältere Kraftwerke in Deutschland seien nicht auf starke Erschütterungen ausgelegt. Erdbeben im Rheingraben seien zwar keine Beben der Stärke acht, aber da sie relativ flach verlaufen, könne es durchaus sein, dass sie  starke Erschütterungen auslösten. Wegen dieser Gefahr ging  der Reaktor Mülheim-Kärlich nie ans Netz.

Risikoannahmen ändern

Man müsse die Risikoannahmen überprüfen, sagt der Präsident des Branchenverbands BDEW, Ewald Woste. "Die Sicherheitsstandards sind immer nur so gut wie die zugrunde liegenden Risikoannahmen."

"Die Natur kann immer noch einen drauflegen", meint Greenpeace-Atomexperte Karsten Smid laut FTD.

Das sei das Restrisiko: Es tritt genau das ein, an das man nicht gedacht hat. Oder an das man nicht denken wollte.

Sturmflut und Orkan

"Dasselbe wird sich in Deutschland nicht wiederholen", sagt Reaktorsicherheitsexperte Christoph Pistner vom Öko-Institut.  Wenn es Ereignisse gebe, mit denen man nicht gerechnet hat und Defizite im Reaktor, die man nicht erkannt hat, dann könne  es auch in Deutschland zu einem schweren Unfall kommen, glaubt Pistner. Brunsbüttel, das an der Elbmündung liegt, sei auf eine Sturmflut ausgelegt. Aber was geschehe, wenn ein Orkan vorher die Strommasten in der Nachbarschaft zerstört?

Notstrom ist die Achillesferse

Das Umschalten von normalem Strom auf die Notstromversorgung ist die Achillesferse der Kernreaktoren.  Wenn der Strom ausbleibt, fallen die Kühlsysteme aus. Im schwedischen AKW Forsmark geschah dies 2006. Nach einem Kurzschluss bei Wartungsarbeiten fiel die Stromversorgung  aus und alle vier Notstromaggregate versagten. Man weiß bis heute noch nicht, warum später zwei der Generatoren doch noch  ansprangen und damit einen GAU verhinderten.

Würden zusätzliche Notstromgeneratoren die Gefahr mindern?  "Mehr ist nicht immer sicherer", wird Greenpeace-Vertreter Smid zitiert. Das System werde dadurch auch komplexer. So seien die Stromaggregate 2003 in Brunsbüttel einmal falsch gepolt gewesen - und damit im Notfall unbrauchbar.

Eine Leitwarte für zwei Reaktoren

In Biblis teilen sich zwei Reaktoren eine einzige Leitwarte für den Notfall. Doch Japan beweist, dass bei mehreren Blöcken gleichzeitig eine Krise auftreten kann.

Gefahren der alten Reaktoren

Atomkraftgegner kritisieren laut SPIEGEL, dass auch von deutschen Reaktoren unvertretbare Gefahren ausgehen könnten. Deutsche Siedewasserreaktoren seien denen in Japan im Grundsatz sehr ähnlich, vor allem die Alt-Meiler der Baulinie 69. Sie seien nur wenig jünger als die defekten japanischen Reaktoren. Zu dieser Gruppe gehören Brunsbüttel, Isar 1 und Philippsburg 1. Die Sicherheitsbehälter seien im Gegensatz zu dem japanischen AKW und den meisten anderen Atommeilern nicht aus Beton, sondern aus leicht schmelzendem Stahl.

Keine Abwehr gegen Kernschmelze

Man wisse, dass kein Atomkraftwerk in Europa gegen eine Kernschmelze ausgelegt ist, sagte der Rechtswissenschaftler Alexander Roßnagel dem Deutschlandradio Kultur. Keines verfüge über einen Core-Catcher - eine Vorrichtung, die die glühende Lava nach der Kernschmelze auffangen könnte. Die sieben alten Atomkraftwerke, die jetzt vorübergehend abgeschaltet werden, seien schon seit 1983 nicht mehr genehmigungsfähig gewesen, seien aber die ganze Zeit weiter betrieben worden.

RWE: Hier gibt’s keinen Tsunami

RWE -Chef Jürgen Großmann  verwies darauf, dass es in Deutschland keinen Tsunami geben könne - und gegen Erdbeben seien die deutschen Reaktoren gesichert. Die Atomkraftwerke müssten bei der Genehmigung nachweisen, dass sie der größten wissenschaftlich anzunehmende Intensität in der jeweiligen Region standhalten können. Das AKW Krümmel hält laut Vattenfall zum Beispiel bis zur Erdbeben-Stärke 6,0 - ein hoher Wert für die norddeutsche Tiefebene.

Die deutschen Reaktorn seien  besser ausgerüstet als der in Fukushima", so Atomforum-Präsident Ralf Güldner zur Presse. Der Stand der Notstromtechnik sei zur Zeit eine vierfache Versorgung mit Dieselgeneratoren als Plan B - und das Gleiche noch mal als Plan C. Danach gebe es noch Batterien, die mindestens zwei Stunden halten müssten

 Sicherheitschecks für alle Kernkraftwerke in der EU

Alle 143 Kernkraftwerke auf dem Gebiet der Europäischen Union sollen aufgrund der Ereignisse in Japan einem sogenannten Stresstest unterzogen werden. Diese werden nach Angaben von EU-Energiekommissar Günther Oettinger allerdings freiwillig sein. Der EU fehle bei festgestellten Sicherheitsmängeln die rechtliche Handhabe für Sanktionen.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen erklärte: "Die Grundfrage der Beherrschbarkeit von Gefahren ist mit dem heutigen Tag neu gestellt, und der werden wir uns auch zuwenden."

Horst (Quellen: Deutschlandradio Kultur, Deutschlandfunk, Berliner Zeitung, Financial Times Deutschland, SPIEGEL)

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