Die Endlagersuche – 800 Seiten und keine Lösung

Die Gretchenfrage ist, wer von unseren Politikern hat den 800 Seiten umfassenden Abschlussbericht wirklich gelesen, den die „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ nach über zweijährigen Beratungen dem Bundestag vorlegte? Die Kommission rieb der Politik eine ganze Reihe von Fehlern bei den früheren Verfahren der Endlagersuche unter die Nase. Andererseits erkennt man Seite für Seite  ihre Bemühungen, ihre Arbeit so offen zu präsentieren, dass niemand auf die Idee kommen sollte, sie sei beeinflussbar gewesen. Ein Eiertanz auf 800 Seiten.

Sie habe in beispielloser Form transparent gearbeitet, heißt es im Abschlussbericht. Jeder konnte im Internet regelmäßig die Protokolle der Kommission lesen, es gab öffentliche Sitzungen und eine umfangreiche  Öffentlichkeitsbeteiligung. Doch die Materie ist für Nicht-Wissenschaftler so schwierig zu durchschauen, dass die Öffentlichkeit nicht sehr viel erfuhr – mit Ausnahme der interessierten Organisationen der Atomkraftgegner.

Der Abschlussbericht konzentriert sich vor allem auf Auswahl- und Abwägungskriterien für eine Endlagersuche sowie auf eine umfassende Bürgerbeteiligung. Mit der Suche selbst ist noch gar nicht begonnen worden.

Bei der Standortsuche will die Kommission den betroffenen Bürgern umfassende Rechte einräumen, sodass diese nach jedem Verfahrensschritt individuell Klage erheben könnten – gewissermaßen eine Garantie für ein endloses Verfahren. Da klingen die Worte „Jetzt ist der Gesetzgeber am Zug, die Empfehlungen zügig umzusetzen“ ein wenig hohl.

Sicherheit für eine Million Jahre

In ihren Grundsätzen schreibt die Kommission, sie bereite mit ihren  Empfehlungen die Suche nach einem Standort für die Lagerung insbesondere hoch radioaktiver Abfälle vor, der die bestmögliche Sicherheit für den Zeitraum von einer Million Jahren gewährleiste.

Und was mancher gar nicht so gern hören mag: Die Generationen, die den Strom aus der Kernkraft genutzt haben oder nutzen, seien in der Verantwortung, für eine bestmögliche Lagerung der dabei entstanden Abfallstoffe zu sorgen. Dafür bestehe eine gesellschaftliche Pflicht. Die Frage der Kosten überlässt sie einer gesonderten, von der Bunderegierung eingesetzten Kommission.

Frühere Fehler vermeiden und Kritik ernst nehmen

Die Kommission versuche, aus den Konflikten um die Kernenergie und um Endlager oder Endlagervorhaben zu lernen und die Wiederholung früherer Fehler zu vermeiden, so heißt es im Bericht. Allein durch die bislang praktizierten Verfahren würde dies schwer möglich sein. „Die Akzeptanz parlamentarisch ausgehandelter Lösungen ist deutlich gesunken.“

Politik muss wissenschaftliche Warnungen beachten

Aus dem Scheitern der Endlagerung radioaktiver Abfälle im ehemaligen Salzbergwerk Asse II würden sich nach Auffassung der Kommission auch Konsequenzen für den Umgang mit abweichenden wissenschaftlichen Meinungen ergeben. „Frühe Warnungen vor Zuflüssen in das Bergwerk Asse blieben seinerzeit ohne Konsequenzen und hatten sogar negative Folgen für warnende Wissenschaftler.“ Man hätte die kritischen  Stimmen ernst nehmen müssen.

Endlager muss in die Tiefe

Im Bericht heißt es: „Die Endlagerung in einer tiefen geologischen Formation bietet nach Meinung der Kommission als einzige Option die Aussicht auf eine dauerhafte und sichere Entsorgung der radioaktiven Abfälle für den Nachweiszeitraum von einer Million Jahren.“  

Überlegungen, stattdessen das gefährliche Material im Weltraum, in den Tiefen der Erdkruste - etwa durch tiefe Bohrlöcher in 3000 - 5000 m Tiefe -, in der Tiefsee oder im antarktischen oder grönländischen Inlandeis zu entsorgen, wurden nicht weiter verfolgt.

Eine Hoffnung der Zukunft: Langlebiger Radionuklide könnten in weniger langlebige Nuklide umgewandelt werden, um das Entsorgungsproblem zumindest zu vereinfachen. Daher müssten die radioaktiven Abfälle über längere Zeiträume aus einem Endlager rückholbar sein.

Bei der Suche gehe man vom gesamten Bundesgebiet aus. Alle potenziell geeigneten Gesteinsarten und alle potenziell geeigneten Standorte müssten in die Auswahl einbezogen  und Vorfestlegungen vermieden werden. Aber auch eine künftige Endlagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe werde nicht ohne Konflikte zu verwirklichen sein.

Die Dimension der Endlagersuche

Mit dem Abschalten des letzten deutschen Kernkraftwerkes endet 2022 auch die Produktion hoch radioaktiver Abfallstoffe. Danach werden rund 30.000 Kubikmeter hoch radioaktive Abfallstoffe endzulagern sein. Bis dahin wird die Nutzung der Kernenergie in Deutschland insgesamt bestrahlte Brennelemente mit einem Kernbrennstoffgehalt von rund 17.000 Tonnen erzeugt haben, rechnet die Kommission.

Das Gesamtvolumen der zu entsorgenden schwach und mittel radioaktiven Abfallstoffe kann 600.000 Kubikmeter erreichen, das Zwanzigfache des Volumens der hoch radioaktiven Abfälle. Diese  enthalten rund 99 Prozent der gesamten Radioaktivität. Die viel stärkere Strahlung und die erhebliche Wärmemenge, die sie abgeben, mache ihre sichere Endlagerung zu einer schwierigen Herausforderung.

Erste Reaktionen und kritische Stimmen zum Abschlussbericht

Im Mittelpunkt der Kritik an dem Kommissionsbericht: Das Gremium hätte für die Suche nach einem geeigneten Endlager auch den jahrzehntelang ausschließlich fokussierten Salzstock im niedersächsischen Gorleben nicht ausgeschlossen. Atomkraftgegner aus dem Wendland veranstalteten deswegen bereits einen Treckerkorso durch das Berliner Regierungsviertel, um gegen die Empfehlungen zu protestieren.

Bärbel Höhn (Grüne), Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit kommentierte den Abschlussbericht in einem Rundfunkinterview so: „Es gibt natürlich Bundesländer, die mehr betroffen sind als andere. Es gibt drei Gesteinsmöglichkeiten: Salz, Ton oder Granit. Bisher hat man sich immer auf Salz konzentriert, das wird jetzt erweitert auf Ton und Granit. Und da weiß natürlich jedes Bundesland, ob es diese Gesteinsformation dort gibt.“

Greenpeace sehr unzufrieden

Herausgekommen ist nicht mehr als ein "Schnellschuss", kritisierte  Greenpeace-Atomexperte Tobias Münchmeyer den Bericht. „Wir sind sehr, sehr unzufrieden.“ Die Kommission habe sich auf eine geologische Tiefenlage festgelegt, ohne Alternativen ausreichend zu prüfen.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete: „Im Bayerischen Wald geht die Furcht um, die Region könnte erneut als Standort für ein Atommüll-Endlager in Betracht kommen. Der Grund ist, dass die Endlagerkommission des Bundestags ein unterirdisches Endlager in Granitgestein ausdrücklich für möglich hält, wie es in Ostbayern vom Bayerischen Wald bis ins Fichtelgebirge vorkommt.“

„Das Lager soll Eiszeiten und politische Verwerfungen aller Art überste­hen. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass die zivile Nutzung der Atomenergie von Anfang an ein Irrweg war und kom­mende Generationen die Zeche zahlen müssen: Hier ist er.“ So kommenterite Thorsten Knuf in der Berliner Zeitung.

Horst (14.07.2016, Quellen Kommissionsbericht, Radio Bremen, ZEIT, Deutschlandradio Kultur, Berliner Zeitung, SZ)

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