Von Atomkraftwerken umgeben VI

Deutschland sagt dem Atomstrom bald ade, doch die Gefahren sind damit nicht gebannt. In der Nähe unserer Grenzen stehen viele Meiler – und nicht jeder ist wirklich sicher. ViLE-Lübeck hat recherchiert, wie es in unseren Nachbarländern mit der Atomkraft aussieht. Diese Übersicht endet mit einem Blick auf das Land mit den meisten Atomkraftwerken in Europa.

Frankreich

In unserem Nachbarland sind 19 Kernkraftwerke mit 58 Reaktorblöcken und einer installierten Bruttogesamtleistung von 66.130 MW am Netz. Vier Kernkraftwerke und Zwölf Reaktorblöcke mit einer Bruttogesamtleistung von 4.098 MW wurden bereits stillgelegt. Im Kernkraftwerk Flamanville befindet sich ein Reaktor des Typs  Europäischer Druckwasserreaktor  (EPR) mit einer Bruttoleistung von 1.650 MW in Bau.

Das Land hat fast ganz auf den Atomstrom gesetzt. Die Kernenergie ist mit einem Anteil von 78 Prozent an der Gesamtstromerzeugung beteiligt und steht bei der jährlichen Stromerzeugung durch Kernenergie weltweit an zweiter Stelle. Die Nuklearindustrie gehört im französischen Selbstverständnis zu den Trümpfen des Landes und steht für technologischen Fortschritt, günstige Strompreise und die Unabhängigkeit des Landes bei der Energieversorgung.

Probleme sind wegen der hohen Pensionierungsrate in Zukunft das Fehlen von Fachpersonal, die Alterung des Materials und seine hohe Beanspruchung durch die langen Laufzeiten sowie der ungenügende Schutz der Kernkraftwerke gegen Einwirkungen von außen.

Bereits im Mai 1959 war in Frankreich der erste Reaktorblock in Betrieb genommen worden. Die ältesten Blöcke, die heute noch genutzt werden, stehen im AKW Fessenheim, direkt an der deutschen Grenze. Sie erzeugen seit 1977 Strom.

Das Kernkraftwerk Gravelines ist mit seinen sechs Reaktorblöcken und einer installierten Bruttoleistung von 5.706 MW das leistungsstärkste. Es liegt nur jeweils 20 km von den Städten Dünkirchen und Calais entfernt und bezieht sein Kühlwasser aus dem Ärmelkanal.

Die zwei Reaktorblöcke von Civeaux sind mit einer Bruttoleistung von je 1.561 MW die stärksten weltweit. Es liegt 34 Kilometer südöstlich von Poitiers am linken Ufer der Vienne..

Kernkraftwerk im Erdbebengebiet

Besonders gefährlich für seine Umgebung ist das alte und störanfällige Kernkraftwerk Fessenheim. Es liegt  am Rheinseitenkanal, nur etwa einen Kilometer von der Grenze der Bundesrepublik entfernt. Die Orte Freiburg, Colmar und Mühlhausen sind nicht mehr als 25 km entfernt. In einem Umkreis von 30 km leben 930.000 Menschen, im Raum Basel 830.000 Menschen und im Ballungsraum Straßburg 770.000 Menschen.

Kritisch ist, dass sich das AKW Fessenheim in einem Erdbebengebiet befindet. Befürchtet wird, dass ein Dammbruch des höher liegenden Rheinkanals das Kraftwerk überfluten könnte.

Wohlwollen der Gewerkschaft erkauft

Fessenheim war kürzlich erneut in die Kritik geraten, nachdem SZ und WDR über einen Störfall im April 2014 berichtet hatten. Nach einem Wassereinbruch fiel damals eines der beiden Sicherheitssysteme aus, die Steuerstäbe ließen sich nicht mehr korrekt bedienen. Schließlich wurde der Reaktor mit Borsäure geflutet und dadurch heruntergefahren - ein ungewöhnliches Vorgehen.

Dennoch wird über die Abschaltung des veralteten Atomkraftwerks in Frankreich heftig gestritten. Die Energieministerin Ségolène Royal wollte  die Laufzeit sogar um 10 Jahre verlängern, bis sich Präsident Hollande und Royal auf eine Schließung "spätestens 2018" festlegten.

Der französische Staat könne den Entzug der Betriebserlaubnis veranlassen, sobald der Verwaltungsrat des mehrheitlich staatlichen Energieerzeugers EDF im Juni den Antrag stelle, sagte Ministerin Royal in einem Interview des Fernsehsenders TF1. Es müsse aber auch die Zukunft der Mitarbeiter geplant werden. "In einem Atomkraftwerk wie Fessenheim arbeiten 2.000 Menschen."

Die Versorgung der EDF-Mitarbeiter treibt  merkwürdige Blüten. So zahlt der Konzern seit 1946 jedes Jahr ein Prozent seines Umsatzes an die Sozialkasse CCAS. Diese hat rund 3700 Beschäftigte und besitzt Ferienzentren, Sanatorien und Restaurants, in denen sich EDF-Mitarbeiter mit ihren Angehörigen für wenig Geld verwöhnen lassen  können. Zudem ist die CCAS eng mit der mächtigen, kommunistisch orientierten Gewerkschaft CGT verflochten. Mithilfe der einprozentigen Abgabe habe sich EDF über Jahrzehnte das Wohlwollen der Gewerkschaft erkauft, sagt ein Branchenkenner.

Politische Turbulenzen

Gegen die Entscheidung, das altersschwache Atomkraftwerk Fessenheim abzuschalten entbrannte heftiger Widerstand. Rechtskonservative Politiker und die kommunistische Gewerkschaft CGT wollen die atomare   Gefahrzeitverlängerung. Die Gewerkschaften befürchten den Verlust von Arbeitsplätzen. Von Sicherheitsrisiken und den Chancen für wesentlich mehr Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien wollen sie nichts wissen.

Nach Ansicht von BUND-Geschäftsführer Axel Mayer geht es der CGT nicht allein um die Arbeitsplätze - was nachvollziehbar wäre -  sondern auch um die gigantischen Summen mit denen der Atomkonzern EDF einige Gewerkschaften seit vielen Jahren schmiert.

Jetzt wurde auch ein parlamentarischer Bericht zu Fessenheim veröffentlicht. Die Autoren, der konservative Abgeordnete Hervé Mariton und der Sozialist Marc Goua, beziffern die Kosten für eine Schließung auf fünf Milliarden Euro – und das zusätzlich zu den Kosten für den Abbau der Anlage selbst. So könnte EDF allein eine Entschädigung von vier Milliarden Euro fordern, Royal widersprach den Abgeordneten. Sie werde sich nicht von „Erpressung“ und „verrückten Berechnungen“ beeinflussen lassen, sagte die Umweltministerin, die jahrelang mit Staatschef Hollande liiert war.

Cattenom, ein weiteres Problem

Auch das Atomkraftwerk Cattenom an der Mosel in Lothringen  ist Deutschland sehr nahe, nur 12 km von der Grenze entfernt. In der Gefährdungszone befinden sich die Städte  Saarbrücken und Trier. In der Hauptwindrichtung liegen die  Großstädte Frankfurt am Main, Mainz, Wiesbaden, Darmstadt, Mannheim, Heidelberg und Karlsruhe. In einem Gutachten heißt es, dass Cattenom nicht den heutigen Sicherheitsanforderungen entspricht und auch nicht entsprechend nachgerüstet werden kann.

Ingrid/wp (19.05.2016, Quellen. Wikipedia, SZ, Spiegel-Online, ZEIT, RFT 1, Franz.Botschaft)

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