Erinnerungen

Ja ich denke oft daran, welche Hoffnungen ich, meine ganze Familie unsere Freunde und Verwandten mit unseren wöchentlichen Montagsdemos verbunden haben. Es war immer
sehr aufregend. Jedes mal die Angst, ob wir wieder gesund nach Hause kommen. Gerade
im Herbst, als es ja um 18 Uhr schon dunkel war. Jeder mit einer Kerze in der Hand, der Herbstwind hatte öfters die Gelegenheit, die Flamme zu löschen. Der Fremde nebenan auf der Straße war auch ein Freund der Freiheit, er gab Hilfestellung, die Kerze wieder an zu zünden. Dann wieder zu Hause, saß ich den restlichen Abend am Fernseher, sah im ARD und ZDF die Berichte an und bekam wieder Angst, wie sich die Lage entwickeln würde. Aber die Hoffnung, daß sich unser Aufmarsch auf den Straßen lohnt, war es wert nicht der Montagsdemo fern zu bleiben. Eigentlich war und ist auch seit 1977 der Montagabend meiner Sportgruppe gewidmet.

Am nächsten Tag auf der Arbeit wurde diskutiert, die Lage analysiert. Die Skeptiker, besser gesagt die noch nicht dabei waren, wurden aufgefordert auch mit zu kommen. Natürlich war
das auch nicht ganz ungefährlich mit wem man sich über die Demos oder die Berichte aus
dem Fernsehen aus tauschte. Bei mancher Kollegin oder manchem Kollegen wusste man ja aus Erfahrung wie sie/er zu der Sache eingestellt war. Also hat man sich in seine Äußerungen oft etwas zurück halten müssen.

Vor allem die nächsten oder übernächsten Vorgesetzten wollten immer gerne wissen was zur Demo gesprochen wurde bzw. wie viele Menschen (besonders weitere Betriebsangehörige) dabei waren. In meinem damaligen Betrieb (seit 1969), ein Forschungszentrum des Werkzeug-maschinenbaus (1.800 Arbeitnehmer) waren sehr viele SED Angehörige. Man wußte allerdings inzwischen, wer wirklich noch ein „echter Genosse„ oder wer nur noch ein „Mitläufer“ war.

Vor allem die Fernsehbilder aus der Prager Botschaft haben mir echt zu schaffen gemacht. Es war für mich unbegreiflich, wie sich diese vielen Menschen (Familien mit kleinen Kindern) dort auf diesem Gelände unter diesen Umständen aufhalten konnten. Ich stellte mir die Frage, ob ich

es als mutig oder leichtsinnig oder riskant bezeichnen sollte. Jedenfalls habe ich vor dem Fernseher „ Rotz und Wasser geheult“ als die erlösende Nachricht von Herrn Genscher überbracht wurde. Nachdem dann auch noch „versehentlich“ so schnell und scheinbar ganz unproblematisch die Grenze für alle geöffnet wurde, war die Freude überall unfassbar riesengroß. Irgendwie verlief dann alles so unplanmäßig, ja oft chaotisch. Ganz gemein fand ich aber, daß sich sofort nach der Grenzöffnung der Herr Schalk-Golodkowski heimlich nach Bayern abgesetzt hat, nachdem er sich doch bis zur letzten Minute sogar gegen die ange-strebten Reiseerleichterungen für alle DDR-Bürger im DDR-Fernsehen ausgesprochen hatte. Dass er bei Herrn Strauß & Co. Unterschlupf gefunden hatte, finde ich heute noch unver-ständlich. Ich kann mich noch sehr gut an eine Sendung im DDR-Fernsehen erinnern, wie

er gegen die geplanten Reiseerleichterungen gewettert hat, besonders auch trotz der Befürwortung von Herrn Gysi. Scheinbar wurde ihm damals schon bewusst, dass dann die Leute bemerken was er für unseriöse Geschäfte mit Herrn Strauß aushandelte bzw. wertvolle Kunstgüter veräußerte, um das System DDR zu stützen. Ein „Groß-Gauner“ der DDR erhält Unterschlupf bei CSU/CDU - Politikern und wird nie dafür belangt. Im Gegenteil er genießt sogar einen Schutz für seine schädigenden Handlungen mit wertvollen Antiquitäten aus Beständen von öffentlichen Einrichtungen oder ehemaligen privaten Besitz (Enteignungen).

Leider haben sich die Hoffnungen bei vielen Menschen, die damals für die Veränderungen

auf die Straße gegangen sind nicht erfüllt. Auch meine Hoffnungen und Erwartungen haben sich nicht erfüllt, denn ich wurde ja auch ganz schnell arbeitslos, obwohl ich mich nicht wegen Bananen und Reisen in die Ferne damals den Demonstrationen angeschlossen habe. Mein Antrieb waren die Erfahrungen aus dem „Zonenrand- / Sperrgebiet“ mit den dort ständigen Unannehmlichkeiten im ganz normalen Lebensalltag.

Als wir damals im Herbst auf die Straße gegangen sind hat keiner mit so einer super schnellen „Eingemeindung“ oder „Übernahme ?“ in die BRD gerechnet. Aber dennoch waren alle sehr erfreut, dass wir schon im Sommer 1990 die „harte D-Mark“ in die Hände bekamen.

Noch vor der D-Mark haben sich in vielen Betrieben gegen den Willen der damaligen Einheits-gewerkschaft (FDGB) Betriebsräte gegründet. So war es auch in meinem Betrieb, und da war ich auch gleich aktiv mit dabei, denn die „Kündigungswelle“ rollte schon an.

Sehr gut kann ich mich noch an die Gewerkschaftsvertreter (IG-Metall) erinnern, die uns schon gewarnt haben vor den „Praktiken“ des Unternehmers, der unsere Firma zerschlug und die wertvolle Immobilie im Stadtzentrum und die Versuchshallen am Stadtrand zum „Schnäppchen - Preis“ von der Treuhand erwarb. Nach einigen Jahren habe ich sogar auch erfahren, daß dieser Herr mit dem Finanzminister, Herrn Waigel, weitläufig familiär verbandelt war.
Die meisten Betriebe wurden möglichst schnell „abgewickelt“ - oft von jungen Leuten aus dem Westen, die ja die Produktion bzw. Geschäftstätigkeit gar nicht kannten. Sie wollten uns aber zeigen was sie an ihren Hochschulen und Unis gelernt hatten. Auch wenn sie ihre Abschluß-prüfungen gerade so bestanden hatten, hier haben sie unter der Leitung der Treuhand „ganze Arbeit“ geleistet – im Dienste der Marktwirtschaft. Manche hielten uns auch für „Dummis

und wollten uns das „Arbeiten erst mal beibringen“. Ganze Familien wurden schnell oder langsam, aber unschuldig, ins das soziale Abseits befördert. Dort wieder heraus zu kommen war sehr schwierig, sei denn man machte sich noch auf in den Westen (wöchentlich pendeln).

Der Umzug 1969 aus meiner Heimatstadt im Grenzgebiet Thüringen/ Bayern nach Karl-Marx-Stadt war dem plötzlichen Tod der Mutter meines Mannes geschuldet, da wir ihre Wohnung übernehmen konnten, denn im Grenzgebiet (Sperrgebiet) wurden ja so gut wie keine

Wohnung gebaut. Angefangen habe ich hier als Buchhalterin und wurde von der damaligen Hauptbuchhalterin wiederholt angesprochen doch unbedingt ein Fernstudium als „Ökonom“ aufzunehmen. Es war für mich eine schwere Zeit (1970 bis 1975), als Verantwortliche der Kostenrechnung mit Anleitung für 5 Mitarbeiterinnen abends noch zu lernen. In der Woche war dann ein Schultag an der Außenstelle der Fachschule für Ökonomie Rodewisch/Vogtland.

Nach 1992 bis 2009 habe ich dann mit einigen Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit oder Anpassungslehrgängen doch noch mit 10 befristeten Arbeitsverhältnisse einige Rentenpunkte erarbeiten können. Es garantiert mir so eine bescheidene Ostrente, und ich nutze jede Gelegenheit unser Haushaltseinkommen mit Nebenjobs auf zu bessern. In diesen vielen verschiedenen Arbeitsverhältnissen konnte ich dennoch meine über 20 - jährige berufliche kaufmännische Erfahrung einbringen und mich auf neue Herausforderungen in dieser so viel gelobten Marktwirtschaft einstellen/eingewöhnen. Mußte aber feststellen, daß auch hier die soliden buchhalterischen Grundlagen mit „Soll und Haben“ gelten. Die Auslegungen des Zahlenmaterials werden allerdings der Öffentlichkeit wesentlich anders vermittelt, wenn auch nicht immer allgemein verständlich.

Selbst wenn wir (mein Mann und ich) nicht ins Ausland fahren, wir uns kein neues Auto oder sonstigen Luxus leisten können, bin ich froh und dankbar an der „Wende aktiv beteiligt“ gewesen zu sein. Meine Erinnerungen sollen nicht mit „Jammern“ ausklingen. Es war ab Sommer 1989 eine sehr aufregende Zeit, die Menschen haben viel bewegt und mit einer erfolgreichen friedlichen Revolution einen „Staat von der Landkarte gefegt“.

In der „Frauenbrücke Ost-West“ e.V. habe ich 1996 eine Plattform gefunden, wo ich bei Foren und Seminaren in Ost und West Landschaften und Städte im geeinten Deutschland kennen lernen kann. Wichtig sind mir dabei vor allem die vielen Kontakte und Gespräche mit unter-schiedlichen Lebenserfahrungen von Frauen und Familien in Ost und West. Auch sonst bringe ich mich in sozialen (u. politischen) Bereichen in Chemnitz weiterhin ehrenamtlich ein.

Die Tatsache, daß ich 1969 (20-jährig) nach Karl-Marx-Stadt gezogen bin, nun seit Juni 1990 in Chemnitz wohne, ohne aber einen arbeitsreichen und kostenpflichtigen Umzug bewältigen zu müssen, ist u.a. auch meinem Kreuz zur Abstimmung im April 1990 zu verdanken.

Renate Mäding

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