Fernweh stillen - vom Reisen vor und nach der Wende

Unsere Hochzeit war für den 15. August 1961 in Leipzig geplant. Daran sollte sich ein 14-tägiger Urlaub südlich von Berlin anschließen, wo u.a. geplant war die Grenze in den Westen zu überwinden.

Nun dieser letzte Punkt fiel aus, weil inzwischen die Grenze mit der Mauer noch fester geschlossen wurde. Nicht clever genug, eine sicher vorhandene Lücke zu finden und nicht bereit uns dafür erschießen zu lassen, fuhren wir - artig - wieder nach Sachsen zurück.

Im Nachhinein war ich froh über die uns abgenommene Entscheidung, da unsere Ehe nach
Jahren zerbrach und ich als alleinstehende Mutter im Osten problemloser leben konnte.

Zwei Fachschulstudien folgten – neben Kind und Fulltimejob. Ich hatte mich eingerichtet.
Meine Arbeit als Bauleiterin im Heizkraftwerk machte mir viele Spaß, mein Sohn war bestens aufgehoben, erst im Kindergarten, später im Schulhort mit einem Betreuer, der den Kindern viel handwerkliches vermittelte.

Mein Fernweh, meine Sehnsucht fremde Länder und Menschen kennen zu lernen, wurde zum gemeinsamen Hobby in meiner zweiten Ehe. Wir bereisten alles was uns damals möglich war, und das war für unsere damaligen Verhältnisse sehr viel: von der tschechoslowakischen, rumänischen und bulgarischen Berg- und Wasserwelt bis nach Moskau, Leningrad und zum Baikalsee.

Ich hätte noch 1988 gewettet, dass ich in meinem Leben nie mehr Wien zu sehen bekomme. Ohne Bezugspunkte, Verwandte und Bekannte im westlichen Teil Deutschlands. Eingesponnen in meine Familie und in meine mich voll in Anspruch nehmende interessante Arbeit, hätte ich bis zum Ende meiner Lebenstage so weiter gelebt.

Ich bin heute glücklich, daß mir mein Schicksal, durch die Öffnung der Mauer so viel mehr geboten hat. Wir konnten unser Fernweh ordentlich stillen. Durch eine weltweite Freund-schaftsgesellschaft, der ich angehöre, die Friendship Force, konnte ich mit meinem Mann u.a. Mexiko, Neuseeland, Australien und Japan bereisen.

Ein weiterer großer Pluspunkt in meinem jetzigen Leben ist für mich die Mitgliedschaft im bundesweiten Verein „Frauenbrücke Ost-West“. Angenehme und interessante Freundschaften sind entstanden. Viele Denkanstöße und Zusammenhänge eröffneten sich mir durch die Teilnahme an den jährlich interessanten Foren in zahlreichen Städten im ganzen Bundesgebiet. Es gab mir Hilfestellung mich in dem neuen Gesellschaftssystem besser einzuleben und auch mein Interesse mich zu einem politisch denkenden und aktiven Menschen zu entwickeln.

Erika Böhme (Jahrgang 1941 aus dem Erzgebirge )

 

Zurück