Wie ViLE Lübeck die Grenzöffnung am 9.11.1989 erlebte

Wie ViLE Lübeck die Grenzöffnung am 9.11.1989 in Lübeck und Schlutup erlebt hat.

Lübeck war die einzige bundesdeutsche Großstadt, direkt an der Grenze zur DDR. Von daher haben wir jahrelange Erfahrungen mit Besuchen in der DDR und den damit verbundenen Problemen. Nun erlebten wir hautnah die Grenzöffnung mit all seinen unglaublichen Ereignissen und wollen deshalb darüber berichten.
Die noch offene Grenze nach 1945 wurde nur durch Wachsoldaten bewacht, erst 1952 wurden Zäune und später die umfangreichen Grenzsicherungsanlagen mit Todesstreifen, Minen und Hundelaufanlagen gebaut.
Es gab in Lübeck-Schlutup einen Grenzübergang nach Mecklenburg, der aber nicht für Transitverkehr geöffnet war. Seit 1972 konnten Lübecker diesen kleinen Grenzverkehr nutzen um Verwandte in Grenznähe zu besuchen. Später, in den 80 Jahren war es auch möglich, im Rahmen von Städtepartnerschaften (z. B. Wismar – Lübeck), gegenseitige Besuche durchzuführen.

Am Abend des 9.11.1989 wurde in der legendären Pressekonferenz von Günter Schabowski, Mitglied im Zentralkomitee und Politbüro der SED, die Grenzöffnung verkündet. Auf Nachfrage eines Reporters, ab wann das gelte antwortete Schabowski: „Das tritt nach meiner Kenntnis, ist das sofort, unverzüglich.“
https://www.youtube.com/watch?v=TQiriTompdY

Während in Berlin daraufhin Zehntausende sofort zur Mauer und den Übergängen strömten, ließen die Grenzbeamten in Schlutup den ersten Wagen aus dem Osten in den Westen erst um 21.53 Uhr fahren. Schon bald kam es zu einer kilometerlangen „Trabi- und Wartburg-Schlange“.

Insofern waren wir unmittelbare Zeitzeugen dieses historischen Ereignisses, mit dem zu diesem Zeitpunkt niemand gerechnet hatte.
Die Pkw-Insassen, Fußgänger aber auch Radfahrer wurden von den Lübecker*innen mit Sekt, Kaffee, Bananen, Apfelsinen und kleinen Geschenken begrüßt.[

https://www.willy-brandt.de/en/house-luebeck/aktuelles/archiv/meldung/article/9-november-mauerfall-in-luebeck.

Als Ursula die Nachricht im Radio hörte, fuhr sie sofort mit ihrem Mann nach Schlutup: Es war Donnerstag 9. November 1989,  21 Uhr 30.
Mein italienischer Sprachkurs in der Lübecker Volkshochschule ist zu Ende. Im lebhaften Treppenhaus hält sich das Gerücht: “DIe Schlutuper DDR Grenze“ soll in der Nacht geöffnet werden.
Zu Hause angekommen, wie immer am Donnerstagabend, hat sich meine Familie auf einen gemütlichen Heimabend eingerichtet.
Da platze ich mit meinem Wunsch nach einer Bestätigung, mit dem unglaublichen Gerücht der „DDR Grenzöffnung“ herein, aktuell kann mir nur das Fernsehprogramm helfen. Nach dessen Bestätigung konnte nur dem absoluten Unglauben des Ereignisses eine Ortsbesichtigung abhelfen.
Auf unserer neugierigen nächtlichen Autofahrt nach Schlutup begegneten uns die ersten hupenden und blinkenden Trabis. Mit Begeisterung erwiderten wir deren Begrüßung.
Am Schlutuper Grenzübergang steigerte sich diese emotionale beidseitige Begrüßung mit Händeschütteln und sprudelnden Sektflaschen und dem bundesdeutschen Jubellied „Einer geht noch, einer geht rein“. Mit Tränen der Freude beiderseits ließen wir die hauptsächlich jungen „Ossis“ in die Bundesrepublik rein. „

Den eigentlichen Ansturm gab es erst in den nächsten Tagen, insbesondere am Samstag und Sonntag. Tausende von Autos kamen nach Lübeck, viele wollten weiter nach Hamburg oder zu Verwandten, die meisten aber wollten nach Lübeck. Alle Zufahrtsstraßen waren verstopft. Die Autoschlange reichte von Lübeck-Schlutup zurück bis in das 65 km entfernte Wismar. Für den Samstag und Sonntag gab es von der Landesregierung in Schleswig Holstein Sondergenehmigungen zur Ladenöffnung in Lübeck und in den grenznahen Kreisen.

Am Sonntag wurde in Lübeck ein gesamtdeutsches Fest mit 25.000 Besuchern aus der DDR gefeiert. Alle wollten in die Lübecker Innenstadt, um sich dort das Begrüßungsgeld (100 DM pro Person) abzuholen.

Horst, damals Leiter des Pressamtes der Hansestadt Lübeck, schildert seine Erlebnisse: „Die ganze Lübecker Innenstadt roch nach den Auspuffgasen der Trabi-Zweitakter, die dicht an dicht durch das Burgtor in die Altstadt drängten, besetzt mit jubelnden Familien aus dem nahen Mecklenburg, als ich morgens ins Büro im städtischen Presseamt ging. Die Verwaltung reagierte schnell. In dem historischen Kanzleigebäude neben dem Rathaus wurde direkt vor der Tür des Presseamtes eine Ausgabestelle für das Begrüßungsgeld eingerichtet. Innerhalb von Minuten bildete sich eine breite Schlange mit den Besuchern aus dem Osten. Der Stau war groß und die Wartezeit lang. Schnell mussten die Mitarbeiter weiße Blätter mit den Buchstaben „D“ und „H“ an die Türen der Bürotoilette heften. Zu viele waren in der Aufregung in Not geraten.
Als uns das Geld ausgegangen war und ebenso wie auch den Banken, liehen wir uns „völlig unkonventionell“ von den nahegelegenen Kaufhäusern Geld.
Das natürlich dort sofort wieder ausgegeben wurde.“

Annegret wohnt in der Altstadt und mischte sich unter die vielen Besucher in der Innenstadt.
Die DDR-PKW's mit dem typischen Geruch des Zweitakters (ein 2-Takter fährt mit einem Benzin – Ölgemisch) hüllten die Altstadt in eine riesige Abgaswolke. Weiß-graue Qualmwolken stiegen aus den dünnen Auspuffrohren der Autos - und es stank erbärmlich. Parkplätze waren „Mangelware“ - also wurde auch auf dem Rathausmarkt geparkt.
Ein Symbol des Mangels in der DDR: die Banane. Die Wessis hatten an die Außenspiegel der Autos Tüten mit Bananen gehängt. Waren die Bürger*innen wegen der Bananen in den Westen gekommen? – der Mythos entwickelte sich wohl aus der permanenten Knappheit der Südfrucht. Denn Bananen waren nicht immer verfügbar. Vortritt bei den Lieferungen hatten vor allem städtische gegenüber ländlichen Regionen der DDR.“

https://www.willy-brandt.de/en/house-luebeck/aktuelles/archiv/meldung/article/9-november-mauerfall-in-luebeck

Rainer wohnt auf dem Priwall.
Der Priwall ist eine etwa drei Kilometer lange Halbinsel an der Travemündung. Er gehört seit 1226 zum Ortsteil Travemünde. Die Hansestadt Lübeck, ist von diesem durch die Trave getrennt und grenzte also unmittelbar an die DDR. Hier gab es keinen Grenzübergang, nur Überwachungstürme und die üblichen Grenzbefestigungen. Der Dienst an dieser Grenze war sehr begehrt, da der Wachturm direkt an den FKK Strand des Priwalls grenzte.
Die Bewohner der in der Nähe liegenden Dörfer der DDR konnten aber erst Monate später, am 3. April 1989 auf den Priwall kommen, da erst dann der Zaun entfernt wurde.  Viele kannten sich noch von früher und es gab auch verwandtschaftliche Bindungen. Die meisten kamen zu Fuß mit dem Rad oder dem Mofa.

Rainer: „Es kam zu überschwänglichen Begrüßungen und die Priwall Bewohner, die in kleinen Ferienhäusern wohnten, luden die Besucher zu sich ein. 
Zum Teil sind daraus Freundschaften entstanden, die insbesondere in den Jahren danach intensiv gepflegt wurden.“

Margret wohnt in der Nähe der Schlutuperstrasse, die in die Innenstadt führt.
Am Nachmittag des 10. November fuhr ich mit meiner Familie und Freunden nach Schlutup, um dort die Besucher aus dem Osten zu begrüßen. Während sich die Trabi-Schlange staute, kamen wir mit einigen unserer „Schwestern und Brüder“ ins Gespräch. Junge Männer wollten ganz schnell einmal nach Hamburg auf die Reeperbahn. Ein Garten Fan hatte sein Auto mit Kanistern voller Benzingemisch beladen. Sein Ziel war der Palmengarten in Frankfurt. Alle waren nicht sicher, ob die Grenze wirklich geöffnet bleiben würde. Deshalb hatten sie sich sofort auf den Weg gemacht. Später sammelten wir an der Arnimstraße eine Familie aus Boltenhagen ein und bewirteten sie zuhause mit Kaffee und Kuchen.                                            

Axel wohnt in einem altstadtnahen Gründerzeitviertel.
„Hier standen viele auf den Balkonen und schwenkten Fahnen, Bettlaken und Tücher. Aus allen Häusern klang laute Musik, viele, vor allem  Kinder, standen an der Straße und verteilten Obst, Spielsachen und Süßigkeiten. Auch hier war die Luft voll vom Geruch der Zweitakter.
Als ich am Samstag in die Innenstadt ging, brauchte ich statt 10 Minuten 30 Minuten. Alles war zugeparkt, überall standen Menschen, die sich umarmten, vor den Kneipen gab es große Menschenmengen fröhlich Feiernder. Direkt am Rathaus ging gar nichts mehr. Hier wollten alle hin, erst zum Geldabholen dann in die Kaufhäuser, um es sofort auszugeben. Alle Geschäfte hatten am folgenden Samstag und Sonntag geöffnet.“ 

Leny, die zu der Zeit in Bonn wohnte, im gleichen Haus wie Egon Bahr, berichtet: 
“Ich war sehr erstaunt, dass selbst Egon Bahr von der Grenzöffnung völlig überrascht war. Immerhin war er ehemaliger Außenminister und rechte Hand von Willy Brand. Wie ich später hörte galt das gleiche auch für Willy Brandt, der am Abend informiert wurde und nächsten morgen Probleme hatte einen Flug nach Berlin zu bekommen“.(Bericht von Egon Bahr auf einer Veranstaltung in Lübeck).

Grenzmuseum in Lübeck
Im Jahre 2005 wurde in Lübeck-Schlutup ein Verein gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Erinnerung an die Teilung Deutschlands, den Bau der Mauer, den Mauerfall und die Wiedervereinigung in einer Gedenkstätte aufrecht zu erhalten. Das Grenzmuseum wurde in einer ehemaligen Zollstation untergebracht. Heute wird die Gedenkstätte auch vom Land unterstützt und ist Bestandteil der Lübecker Museumslandschaft.

Zur Vervollständigung unserer Grenzerinnerungen gehört ein Besuch des
Grenzmuseums in Schlutup, Ursula und Rainer waren vor Ort.
„Schon am Eingang begleiten Relikte, die ehemals Respekt auslösten wie
Wachhäuser mit Sehschlitzen, Stacheldrahtverhaue, ein 2 Meter hohes
Betonmauerstück und Grenzpfähle. Ein dumpfer Grenzsoldat in voller
militärischer Montur mit einer ordengeschmückten Brust und mit Waffe.
Erinnerungen werden wach an zeitlich limitierte Grenzbesuche. In
Vitrinen liegen Passagierscheine, Waffen und Orden aller Couleur aus
Metall und "Plaste," alles tote Materie und doch lebendig.
In schöner Ordnung Fotos, Filme und Pressetexte der örtlichen Presse zur
Grenzöffnung 1989.

Die vielen jungen und älteren Besucher in der Erinnerungsstätte
bestätigen täglich das große Interesse an dem Ereignis vor 30 Jahren.“

 

ViLE Lübeck September 2019

 

Quellen:

Lübecker Nachrichten, Grenzdokumentations e. V. Lübeck-Schlutup
Willy Brandt Haus Lübeck, Wikipedia, youtube

Weitere Informationen und Videos unter folgenden Adressen:
 www.grenze-luebeck.de
https://www.youtube.com/watch?v=_-YwIynj8js
https://www.youtube.com/watch?v=zzF2IhAynmA

 

 

 

 

 

 

 

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