Gutes Gewissen beim Brathähnchen?

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Die Anwendung von hohen Antibiotika-Gaben in der Hühner-Massenhaltung steht zurzeit im Blickpunkt der öffentlichen Diskussion. Kann man noch guten Gewissens ein Brathähnchen essen?

Dieser Frage wollte ich mit der Teilnahme an einem Journalisten-Workshop nachgehen. Er stand unter dem Motto „Ab in den Hühnerstall“ und hatte natürlich das Ziel, das schlechte Image der Geflügelhalter-Industrie in der Öffentlichkeit zu verbessern. Auftraggeber war die Informationsgemeinschaft Deutsches Geflügel.

Der Workshop fand in Buchholz in der Nordheide statt und begann mit einer Reihe von Referaten. Anschließend gab es die Besichtigung eines Hühnermastbetriebs in Buchholz-Sprötze.

Brasilien liefert Fleisch für die Geflügelwurst

Welch riesigen Umfang der Geflügelmark in Deutschland hat, berichtete Margit M. Beck von der Marktinfo Eier & Geflügel. Pro Kopf der Bevölkerung werden jährlich 18,9 Kilogramm Geflügelfleisch verzehrt. Da reiche die Eigenerzeugung nicht aus. Sogar aus Brasilien wird Hühnerfleisch importiert, kommt aber nur in Form von Geflügelwurst oder ähnlichen Erzeugnissen auf die Ladentheke.

Ein blauer Pfeil soll die Qualität sichern

Weil die Verbraucher empfindlich auf schlechte Nachrichten reagieren, bemühen sich die Produzenten um Qualitätssicherung. Mareike Kistenmaker berichtete, dass  sich schon 130.000 Unternehmen freiwillig an das von den Verbänden eingerichtete Prüfsystem angeschlossen haben. So müssten alle Antibiotika-Verschreibungen seit April 2012 einer Datenbank gemeldet werden. Mit den 4000 größten Mastbetrieben hätten 107 Tierarztpraxen, in denen bis zu 10 Tierärzte arbeiten, Betreuungsverträge abgeschlossen und überwachten das System. Das Qualitätszeichen, ein blauer Rundpfeil, der die lückenlose Kontrolle vom Landwirt bis zum Supermarkt dokumentiert, ist allerdings in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt.
Hier das Prüfzeichen-Video:

Fernreisen verbreiten Keime

Dr. Erwin Sieverding, Fachtierarzt für Geflügel aus Lohne, gab zu, dass der Einsatz von Antibiotika in der Geflügelmast noch zu hoch sei. Er sei vom 2005 bis 2010 um 12 Prozent angestiegen. Die vom Gesetzgeber zugelassenen Medikamente seien zum Teil unwirksam. Den Tierärzten werde die Therapie erschwert. Es müssten Grenzwerte festgelegt werden. In Niedersachen seien 2011 nur in 74 von 16.862 Fleischproben Antibiotika-Rückstände gefunden worden, das sind 0,4 Prozent.

Durch Impfungen und durch eine Verbesserung der Zuchtbedingungen seien in der Geflügelhaltung verschiedene Krankheiten minimiert worden. So sei der Salmonellenbefall - früher ein Problem - auf unter 1 Prozent gesunken.

Die Ausbreitung resistenter MRSA-Keime in Krankenhäusern führt Dr. Sieverding nicht auf die Massentierhaltung, sondern eher auf die weltweite Reisetätigkeit der Menschen zurück.

Dazu ein Interview. Ich fragte Dr. Sieverding: „Der Lübecker Professor Werner Solbach, Leiter des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene, fordert einen kompletten Verzicht auf Antibiotika in der Landwirtschaft. Das sei hochgefährlich. Seit drei Jahren träten Antibiotika-resistente Keime, sogenannte ESBL-Keime, immer häufiger auf. Die Ursache dafür sieht Solbach in der industriellen Tierhaltung. Was sagen Sie dazu?“

Seine Antwort im Video:

Die Hähnchenfabrik

Aufschlussreich der Besuch auf dem 200-Hektar-Hof der Familie Eickhoff in Buchholz-Sprötze. Sie hatte zunächst mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, als sie sich entschloss, nach Rinder- und Schweinehaltung sowie einer Eierproduktion auch die Hühnermast aufzunehmen. Es gab Drohbriefe, Demonstrationen von Tierschützern, und als der riesige Stall kurz vor der Fertigstellung stand, wurde er von Unbekannten angezündet und brannte ab.

Nach dem Wiederaufbau zogen Ende 2010 die ersten 10 bis 12 Stunden alten Küken in den 82 Meter langen und 22 Meter breiten Stall ein. So klein wie sie waren, hatten sie noch viel Platz. Das änderte sich bald durch Wachstum und Gewichtszunahme.

Es gibt heute kaum noch Proteste gegen die Hühnermast. Es stinkt nicht, die Umgebung wird nicht belästigt und die Familie Eickhoff setzt auf Öffentlichkeitsarbeit. Von einem Nebenraum aus können Besuchergruppen durch ein großes Fenster in den Stall hineinsehen.

Video

37.000 Tiere werden jeweils gemästet, berichtete Malte Eickhoff. Er ist in der Landwirtsfamilie für die Hühnermast zuständig. Die Hühner werden zu 50 bis 60 Prozent mit selbstangebautem Weizen gefüttert, der Rest sind Mais, Soja und Mineralfutter.

Nach etwa 40 Tagen sind die Tiere 2,5 Kilo schwer und schlachtreif. Aber schon nach 31 Tagen müssen 10.000 von ihnen – erst 1,5 Kilo schwer - herausgenommen werden, weil sonst die vorgeschriebene Besatzdichte überschritten wird. Diese Hühner finden wir dann wieder in unseren Hähnchengrills um die Ecke.

Das ganze Verfahren der Hähnchenfabrikation ist bis ins Letzte ausgeklügelt und technisiert. Futtermittel und Wasser werden automatisch zugeführt und sind ebenso wie das Stallklima von einem Computersystem gesteuert und überwacht. Das schlägt sofort Alarm, wenn es Unregelmäßigkeiten gibt.

Die Hühner fühlen sich angeblich wohl. Geimpft wird drei Mal über das Trinkwasser. Erkrankungen gebe es selten. Die Ausfälle lägen bei 1,8 bis 2,3 Prozent.

Es gibt pro Jahr 8 Mast-Durchgänge. Jedes Mal wird der Stall gereinigt und desinfiziert. Die übrigen Aufgaben übernimmt ein Großabnehmer. Er liefert die Küken und das Zusatzfutter, schickt die Fangkolonnen, die die im abgedunkelten Stall schlafenden Hühner fangen, und sie zu je 25 bis 30 Stück in  sogenannte Schubladen stecken. Diese werden wiederum in einen Transportcontainer gestapelt und zum Schlachtbetrieb  des Abnehmers gefahren.

Beim Anblick der dichtgedrängt in der Halle sitzenden Hühner überkommen den Beschauer ungute Gefühle. Malte Eickhoff versteht das wohl nicht.

Er meint:
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Als einer der wenigen Teilnehmer durfte ich sogar den Stall  betreten und innen filmen. Aber nur vermummt in einen sterilisierenden Overall und Plastikhüllen über den Schuhen. An Menschen kaum gewöhnt flüchteten die Tiere, als ein vorwitziger Fotograf in die Menge trat, um das beste Bild zu schießen.

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Was hat es gebracht?

Hat der Workshop nun das Image der Geflügelindustrie verbessert? Ich bin im Zweifel. Es gab nur positive Informationen, aber nicht alles konnte gefallen, so die Verwendung brasilianischen Fleisches ohne Herkunftsangabe oder die Tatsache, dass die meisten Masthähnchen aus Deutschland zum Schlachten sogar in die Niederlande transportiert werden.

Der letzte Referent der Vortragsreihe, Agrarstatistiker Georg Keckl, schob die Schuld für das schlechte Image den Medien zu. Sie hätten vorgefasste Meinungen und würden die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen. Die geforderte artgerechte Haltung sei in der Konsequenz nur möglich, wenn man die Tiere freilasse. Und er vermittelte in seinem Referat seine persönliche Weltsicht: Es sei auch nicht artgerecht, wenn brasilianische Indios im Urwald mit dem Moped herumfahren. Na ja, da waren die anwesenden Journalisten sprachlos. Keine Fragen.

Horst Westphal

 

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