Lübeck: Flüchtlingshilfe in der Praxis

Ein Mitglied von ViLE.Lübeck engagiert sich in der Flüchtlingshilfe. Hier der Bericht über seine persönlichen und positiven Erfahrungen:

Seit September vergangenen Jahres besuche ich regelmäßig das interkulturelle Frühstück, das im Mai 2015 von engagierten Lübecker Frauen gegründet wurde. Es findet immer am zweiten Sonntag im Monat statt. Aus anfänglich 8 Personen, dann 40, wurden inzwischen über 100. Das letzte Frühstück im Januar 2016 besuchten 130 Personen.

Über den Inhalt und das Ziel dieses monatlichen Treffens habe ich im Oktober bei VILE berichtet.

Seit dem Kennenlernen habe ich mit meiner iranischen  Patenfamilie - Vater, Mutter und 2 Töchter  - schon viele Treffen, zusätzlich zum  Frühstück gehabt.

Worum geht es dabei und wie sieht die Hilfe aus?

Ich kann natürlich keine professionelle Hilfe anbieten, dazu sind die Fachleute der Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, der Behörden und Ämter und der Migrantenorganisationen da. Es geht eher um kleine Hilfen, Unterstützungen, Übersetzungen und Begleitung bei Behörden und Arbeitgebern. Aber auch um Stadtrundgänge mit Hinweisen auf die wichtigen Einrichtungen in unserer Stadt.


Unterschrift: Ein iranisches Büfett

Bei meinem Freund Masood geht es konkret um die Besorgung eines Praktikums bei einer großen Wohnungsbau-Gesellschaft. Da sind  mir meine Kenntnisse aus meiner Dienstzeit im Stadtplanungsamt natürlich hilfreich. Da mein Freund aus dem Iran zwar viele Fähigkeiten und Kenntnisse und auch Abitur hat, aber keine hier anerkannte Ausbildung, ist es schwer, einen passenden Beruf zu finden.

Wir versuchen es nun als Hausmeister - zunächst mit einem Praktikum. Das würde seinen vielfältigen Fähigkeiten entsprechen. Aber schon die ersten Gespräche zeigen, wie wichtig eine Berufsausbildung ist, die nun in seinem Alter (52) nicht mehr nachgeholt werden kann.

Seine Frau - Gymnasiallehrerin im Iran - hat zur Zeit ihren zweiten Sprachkurs und arbeitet in einer Kindertagesstätte. Ob es zu einem Einsatz im Schuldienst kommen kann, ist noch fraglich. Auf jeden Fall muss sie ihre Sprachkenntnisse vervollkommnen. Die Familie ist nun seit zweieinhalb  Jahren in Deutschland - hat noch keine Anerkennung und bewohnt aber eine eigene Wohnung

Die jüngste Tochter - 16 Jahre und Schülerin - spricht fließend Deutsch. Sie sucht eine Möglichkeit in einem Karateclub zu trainieren, in dem nur Mädchen Sport treiben. So etwas gibt es bei uns nicht. Nun muss der Vater überzeugt werden, dass es bei uns nur gemischte Gruppen gibt. Das ist auch gelungen.

Die ältere Tochter hatte im Iran schon angefangen zu studieren. Das wird hier aber nicht anerkannt.


Unterschrift: Masood und seine Freunde

Sie möchte deswegen einen Lehre als Elektronikerin machen. Eine Bewerbung bei einer Weltfirma in Lübeck hat auch stattgefunden- aber es gibt noch keine Zusage.

Das klingt jetzt alles relativ einfach und logisch: Dazu sind aber viele Behördengänge, Telefonate, Begleitungen  bei Vorstellungen, Schreiben von Bewerbungen und Lebensläufen etc. notwendig.


Unterschrift: Masood und seine Familie

Außerdem gibt es natürlich auch private Treffen im Cafe oder zuhause oder z.B. Besuche im Rathaus. Die Stadtpräsidentin hatte unsere kleine Gruppe eingeladen, nachdem sie die Iraner bei den Nordischen Filmtagen kennengelernt hatte. Sie nahm sich viel Zeit für das Gespräch und konnte auch bei einigen Problemen Hilfe in Aussicht stellen, bzw. ihre Kontakte anbieten.

Beim anschließenden Rundgang durch das historische Rathaus war ich doch sehr überrascht, dass meine iranischen Freunde Thomas Mann , Willy Brandt und Günter Grass kannten. Neben den vielen Bildern der  Bürgermeister hängen nämlich auch die Fotos von diesen drei Lübecker Nobelpreisträgern. Aber nicht nur die Namen sondern auch ihre Bücher bzw. bei Willy Brandt seine Ämter, Funktionen und vor allem Verdienste in internationalen Gremien(Nord- Süd Dialog) waren ihnen bekannt.

Dass solche Begegnungen Spaß machen, ist nachvollziehbar und bei allem Lernen und Lehren wird daher auch das Feiern nicht vergessen.

So hat eine große Gruppe von befreundeten Iranern das im Iran traditionelle Sonnenwendefest gefeiert, das zwar am 21/22.Dezember terminiert ist, aber wegen der vielen Beschäftigungen der Flüchtlinge und mit Rücksicht auf die Kinder am Wochenende davor gefeiert wurde.

Es war ein sehr gelungenes, fröhliches, sehr gut vorbereitetes Fest - mit vielen Deutschen als Gästen und auch Prominente als Ehrengäste .

Es gab mitgebrachte iranischen Speisen, viele Tänze und auch Reden (zu viele) und Spiele.

Im Mittelpunkt standen fast immer die Kinder, die zahlreich mitgebracht wurden. Und die auch bis spät in die Nacht teilnehmen durften.

Es gab neben einem Begrüßungsgetränk viele, Säfte, Cola, Wasser und, wie ich mit Überraschung feststellte, an einzelnen Tischen auch (mitgebrachten) Alkohol.

Die zweite Überraschung war die Musik. Gleich zu Beginn wurden  Lieder von Dieter Bohlen gesungen, die im Iran in den 80er Jahren ein absoluter Hit waren. Es wurden aber auch – ein Weg zur Integration - deutsche Weihnachtslieder gesungen und die deutschen Gepflogenheiten  des Weihnachtsfeierns erzählt und vorgelesen.

Das schönste an dem Abend war die Lebenslust und Lebensfreude der iranischen Teilnehmerinnen, ihre Ausgelassenheit und Fröhlichkeit und ihre gelebte Gastfreundschaft. Für mich ein unvergessliches Erlebnis.

Noch eine Notiz am Rande: Seit ich den Kontakt zu der iranischen  Familie habe, verbessern sich meine Computer - und Smartphone-Kenntnisse ständig. Denn vieles was ich noch nicht weiß oder kann, insbesondere beim Smartphone, wird mir mühelos gezeigt. Und es freut meine Freunde, dass sie mir etwas beibringen können.

Text und Fotos Axel (15.01.2016)

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