Die zunehmende Altersarmut – ein Zustandsbericht

Wegen der Flüchtlingsproblematik bleiben die wichtigen innenpolitischen Themen unbeachtet. Die Altersarmut wird in Deutschland künftig dramatisch zunehmen, doch unsere Politiker wollen sich nicht die Finger verbrennen und sind froh, dass die Öffentlichkeit sich anderen Sorgen zuwendet.

Doch die Warnungen nehmen zu. Das Statistische Bundesamt stellte fest: Beinahe ein Drittel der Geringqualifizierten im Alter von mehr als 25 Jahren galten 2014 als armutsgefährdet. 2005 waren es weniger als ein Viertel. Der Anteil der armutsgefährdeten Geringqualifizierten in Ostdeutschland lag bei 37,5 Prozent. In den alten Bundesländern (ohne Berlin) waren es 29,8 Prozent.

Als armutsgefährdet gilt, wer einschließlich aller staatlichen Transfers wie zum Beispiel Wohn- oder Kindergeld weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erzielt. 2014 zum Beispiel lag diese Schwelle für Einpersonenhaushalte bei monatlich weniger als 917 Euro.

Magazin plusminus: Grundsicherung für immer mehr Alte

Das ARD-Magazin „plusminus“ berichtete in einer Sendung vom 9. September, immer mehr Alte sind auf Grundsicherung angewiesen. Und die Entwicklung ist erst am Anfang. Das Drei-Säulen-Modell aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Rente funktioniere gerade bei denen nicht, die es besonders nötig haben, warnt der Paritätische Wohlfahrtsverband:

„Wir müssen feststellen, dass die gesetzliche Rente nach wie vor die entscheidende Einkommensquelle von Menschen mit niedrigen Einkommen ist im Alter. Die Menschen mit nur kleinem Einkommen können sich entweder überhaupt nicht leisten zu riestern oder sie sind noch gar nicht so weit, dass sie bei den jetzigen Nöten nachdenken, über Situationen in 30 Jahren. Mit anderen Worten, Riester ist komplett gescheitert,“ So zitiert plusminus den Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider.

Professor Gerd Bosbach, Experte für Statistik, hat laut plusminus festgestellt, was ein Versicherter nach 35 Beitragsjahren mit durchschnittlichem Einkommen vor den Reformen bekommen hat und wie viel er heute bei Renteneintritt bekommt. Im Jahr 2000 waren das umgerechnet rund 1020 Euro, heute sind es nur noch 916,00 Euro. Berücksichtigt man die Inflation der letzten 15 Jahre können sich die Neurentner heute sogar 30 Prozent weniger leisten als zur Jahrtausendwende.

Arbeitnehmerkammer: Lebensstandardsicherung ist Illusion

Die Bundesregierung geht davon aus, dass das mit der Einführung des Drei-Säulen-Modells (gesetzliche, private und betriebliche Rente) möglich ist. "Doch das Drei-Säulen-Modell in der Altersvorsorge erfüllt diese geweckten Erwartungen nicht“, sagt Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen. „Auch wer heute über alle drei Wege spart, wird nicht an das einstige Leistungsniveau der gesetzlichen Rente herankommen." Dazu hat die Kammer die Studie „Die Illusion von der Lebensstandardsicherung“ veröffentlicht.

Das Drei-Säulen-Modell sei von seiner Struktur her problematisch. Denn in der gesetzlichen Rente sinkt politisch gewollt das Rentenniveau und die privaten Vorsorgeprodukte steigen während der Bezugsjahre kaum. Die Alterseinkommen sind damit von Lohnentwicklungen faktisch komplett abgekoppelt. Gegenüber der Netto-Lohnentwicklung summiert sich dies auf einen Verlust von gut zehn Prozent bezogen auf einen Zeitraum von zwanzig Jahren“, rechnet Fachreferent Ingo Schäfer vor.

Im Fernseh-Interview sagte Schäfer, die Studie sei zu dem Ergebnis gekommen, dass man fast doppelt so viel privat vorsorgen müsste als bei dem Drei-Säulen-Modell, also statt neun Prozent etwa 18 Prozent.

Mittelschicht deutlich geschrumpft

Dazu kommt nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung, dass trotz eines neuen Beschäftigungsrekords die deutsche Mittelschicht in den vergangenen 20 Jahren deutlich geschrumpft ist Nach einer Studie der Universität Duisburg-Essen ging der Anteil von Haushalten mit mittleren Einkommen zwischen 1993 und 2013 von 56 auf 48 Prozent zurück. Gleichzeitig stieg die Quote der schlechter Verdienenden. Offenbar steigen auch nicht mehr so viele Deutsche von unten auf wie in früheren Konjunkturphasen.

Rentenbericht ist ein Märchenbuch

Auf dem Papier ist alles in Ordnung, stellt Karl Doemens in der Berliner Zeitung fest. . „Wer die Seite 39 des aktuellen Rentenversicherungsberichts aufschlägt, den plagen keine Ängste wegen seiner Altersversorgung. Zwar sinkt das gesetzliche Rentenniveau vor Steuern durch die diversen Einschnitte der Vergangenheit von ehemals 50,5 Prozent (2008) des Durchschnittseinkommens auf 44,4 Prozent im Jahr 2028. Doch das Gesamtversorgungsniveau bleibt über zwei Jahrzehnte stabil. Die Einbußen werden voll durch die private Riester-Rente ausgeglichen.

Mit der Realität hat diese Prognose wenig zu tun. Die Beamten unterstellen nämlich kurzerhand, dass jeder Arbeitnehmer vier Prozent seines Gehalts spart und die Police mit vier Prozent im Jahr verzinst wird. Damit entpuppt sich der Rentenversicherungsbericht als Märchenbuch.

Nach einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Freien Universität Berlin landen nur sieben Prozent.der staatlichen Riester-Förrderung bei den Geringverdienern. Viele schließen schon deshalb keinen Vertrag ab, weil  die Riester-Rente auf die Grundsicherung im Alter angerechnet wird,“

Vom Lohn nicht leben und nicht sterben können

Es sei in den letzten zwei Jahrzehnten ein Dienstleistungsproletariat entstanden, schrieb  Prof. Dr. Heinz Bude, Professor für Soziologie an der Universität Kassel, in der FAZ.

„Es sind die Leute, die einem die Pakete ins Haus bringen, die die Gebäude reinigen, die im ICE mit dem blauen Plastiksack unterwegs sind, die bei den Discountern diesen Moment an der Kasse sitzen, im nächsten die Regale auffüllen und zum Schluss den Laden schließen, und nicht zuletzt diejenigen, die die Pflege der hochbetagten Familienangehörigen übernehmen.

Man nennt, was sie tun, „einfache Dienstleistung“. Das macht einen Anteil von 12 bis 15 Prozent der Beschäftigten in der deutschen Volkswirtschaft aus. Sie besitzen in der Regel ein unbefristetes und vollzeitiges Normalarbeitsverhältnis, aber kommen bei 40 bis 50 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit auf ein monatliches Nettoeinkommen von lediglich 900 bis 1100 Euro. Damit kann man in Hamburg, Leipzig oder München, aber auch in Ingolstadt, Ratingen oder Potsdam nicht leben und nicht sterben.“

Bundeszentrale: Risiko- und Problempotenzial baut sich auf

Wie sollen diese Menschen für das Alter vorsorgen? Zu ihrer Rente heißt es in einer Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung: „Ein Blick auf die Umbrüche, die den Arbeitsmarkt seit Jahren prägen, zeigt, dass sich hier ein Risiko- und Problempotenzial aufbaut und kumuliert. Die Anwartschaften/Entgeltpunkte werden in vielen Fällen zurückgehen und zugleich verringert sich deren "Wert“ durch das absinkende Rentenniveau. Betroffen werden neben den Erwerbsminderungsrentnern in erster Linie Langzeitarbeitslose, Beschäftigte in Niedriglohnbranchen und -regionen, Versicherte mit unterbrochenen Versicherungsverläufen sowie "kleine“ Selbstständige sein.

Eine  traurige Problembeschreibung in einem der reichsten Länder der Erde. Ob sich die Meinung von Experten durchsetzt, dass man zum alten Rentenniveau zurückkehren oder aber eine grundsätzliche Rentenreform anpacken sollte, ist ungewiss.

Horst, (02.10.2015, Quellen: Arbeitnehmerkammer Bremen, Berliner Zeitung, bpb, FAZ, plusminus, Spiegel, Stat.Bundesamt, SZ)

Diskussion über die kommende Altersarmut im Forum !

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