plusminus: Viele Rentner schon jetzt in Armut

„Unserer Jugend droht die die Altersarmut“ heißt das Projekt von ViLE-Lübeck, das auf ein innenpolitisches Problem aufmerksam machen soll, welches von der Politik vernachlässigt wird. Auch das ARD-Magazin „plusminus“ griff mehrfach das Problem der Altersarmut auf. Den Text n zu der Sendung am 11. November 2015 geben wir mit Genehmigung der Redaktion hier wider:

plusminus: Warum Ruheständler trotzdem verlieren

„Vor kurzem erreichte uns die freudige Botschaft: Im nächsten Jahr sollen die gesetzlichen Renten kräftig steigen. Die Rede ist von 4 bis 5 Prozent. Das macht bei einer monatlichen Rente von 1200 € ein Plus von 48 € bis 60 € im Monat.

Grundsicherung

Kommen damit diejenigen Älteren, die heute Grundsicherung beziehen, raus aus der Altersarmut? Das waren 2013 immerhin rund 500 000 Personen. Sie erhalten eine bedürfnisorientierte Sozialleistung zur Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhalts. Unterkunft, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge werden berücksichtigt. Der Betrag variiert im Einzelfall, betrug aber 2014 im Durchschnitt 769 € im Monat.

Michael F. ist 69Jahre alt und lebt von Grundsicherung. Aufgrund seines Sprachtalents hat er als Dolmetscher für Ausländer in seinem Heimatort Lohr am Main gearbeitet. Er erläutert uns: "Ich war ein kleiner Freiberufler und konnte mir keine Rentenversicherung leisten. Ich hatte gedacht, ich brauche das auch gar nicht, ich kann meine Sprachen, die werde ich auch weiterhin können und kann sie auch jetzt noch. Nur die Nachfrage hat nachgelassen."

Er war Soloselbständiger, quasi ein Trendsetter, denn heute sind schon viele "neue" Selbständige in der digitalisierten Arbeitswelt nicht über die gesetzliche Rente abgesichert.

Mit der Grundsicherung kommt er nicht aus. Deshalb arbeitet er noch als Zeitungszusteller für den entsprechenden Mindestlohn, derzeit 6.38 €, und verdient rund 240 € im Monat dazu. Doch weil er Grundsicherung erhält, wird ihm der Zuverdienst zum größten Teil auf diese Sozialleistung angerechnet. Nur 30 Prozent, das sind 72 € im Monat, darf er behalten.

Wie wirkt sich die erwartete Rentenerhöhung von 4 bis 5 Prozent nächstes Jahr bei ihm aus? Eine kleine gesetzliche Rente von 89 € im Monat erhält er ja, weil er seine Tante gepflegt hat. Aber die Rentensteigerung wäre bei ihm nicht ausschlaggebend. Denn sie würde mit der Grundsicherung verrechnet, - und die Grundsicherung wird unabhängig von einer etwaigen Rentenerhöhung an die steigenden Kosten zur Sicherung des Existenzminimums angepasst. Sie steigt 2016 nur um 1.25 Prozent.

Christa R. war nie selbständig. Sie zahlt in die gesetzliche Rentenversicherung ein, seit sie 1974 ihre Maler- und Lackiererlehre begann. Dann kamen die Kinder. Von da an arbeitete sie als Reinigungskraft, weil sie so Kinder und Berufstätigkeit unter einen Hut bekommen konnte. So beschreibt sie ihre damalige Situation: "Natürlich war eine Vollzeit nicht möglich, also waren es immer 3 ½ Stunden, oder 5 Stunden, oftmals habe ich auch sozialversicherungspflichtig gearbeitet und einen Minijob gemacht, und das haben wir schon irgendwie hinbekommen, die Kinder haben auch alle gelernt, und sind gut gelungen, aber ich hab immer auf Steuerkarte gearbeitet, weil ich wusste, wir müssen ja auch an die Rente denken."

Auch heute noch putzt sie für ihren Lebensunterhalt. Wie wirkt sich bei der mittlerweile alleinstehenden 57Jährigen eine Rentenerhöhung im kommenden Jahr aus?

Gemäß ihrer Renteninformation muss sie noch bis zum 1.9.2024 arbeiten, um ihre Regelaltersrente zu erreichen. Die werde dann 1020 € betragen, sofern sie bis dahin Beiträge wie im Durchschnitt der letzten fünf Jahre einzahle.

Laut Bundesverband der Rentenberater würde eine 5prozentige Rentenerhöhung diese Regelaltersrente auf rund 1070 € erhöhen. Doch davon würde Kranken- und Pflegeversicherung abgehen. 955 € würden ihr netto bleiben. Das ist jedoch weniger als die Armutsgefährdungsschwelle von 987 € (2014).

Noch dazu fragt sie sich, ob sie im Job überhaupt bis 2024 durchhält: "Die Knie tun weh, die Schultern, die Handgelenke schmerzen und man braucht seine Gelenke, es könnte passieren, dass ich es gar nicht so weit schaffe."

Altersarmut

Prof. Gerhard Bäcker vom Institut Arbeit und Qualifikation in Duisburg beschäftigt sich mit Altersarmut. Mit Sorge betrachtet er die zunehmende Zahl von Niedriglöhnen, Teilzeit- und Minijobs und die vielen selbständigen Einzelkämpfer in der Computerbranche. Seine Einschätzung: "Es ist, glaube ich, offensichtlich, dass unter den gegebenen und weiter andauernden Umständen die Zahl der Älteren, die arm sind, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten deutlich zunehmen wird. Das Risiko ist sehr hoch."

Niedrige Löhne – niedrige Renten

Niedrige Löhne heute bedeuten niedrige Renten morgen. Beispiel Gebäudereiniger: 9.55 € pro Stunde bekommen sie derzeit im Westen in der untersten Lohngruppe. Das Bundesarbeitsministerium erklärt aber, um eine Nettorente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oberhalb der Grundsicherung im Alter zu erreichen, ist 2015 ein Stundenlohn von 11,50 € nötig, und zwar bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38.5 Stunden und über 45 Jahre hinweg. Dafür reicht also etwa der derzeitige Tariflohn der Gebäudereiniger nicht aus.

Zusätzliche Altersvorsorge

Das ist auch eine Folge der Rentenreform von 2001. Damals wurde beschlossen, das Leistungsniveau der Rentenversicherung kontinuierlich abzusenken. Das bedeutet, die Renten hinken den Löhnen immer weiter hinterher. Die Folge: Während im Jahr 2000 ein Standardrentner, der 45 Jahre lang das jeweilige durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt verdient hatte, auf 52.9 Prozent des durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts kam, sind es heute nur noch 47.4 Prozent. 2028 sollen es nur noch 44,4 Prozent sein.

Die entstehende Lücke sollten die Versicherten, so das Ziel der Reform, mit einer betrieblichen oder privaten Altersvorsorge, etwa der Riesterrente, schließen.

Hat Christa R. also für so eine zusätzliche Altersvorsorge angespart? Sie sagt uns: "Das ist mir leider nicht möglich, von was denn auch! Es bleibt ja so schon nichts über."

Prof. Gerhard Bäcker bestätigt uns, dass sie beileibe kein Einzelfall ist. Ein großer Teil der Versicherten, die künftig in Rente gehen werden, habe weder eine betriebliche, noch eine private Altersvorsorge: "Man könnte zugespitzt formulieren: diese Reformen nach der Jahrtausendwende sind wie eine Reform im Blindflug gewesen, Alterssicherung im Blindflug, weil keiner genau weiß, was dabei herauskommt."

Bericht: Katharina Adami“

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wp (14.11.2015)

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