Bewegungsunfähig und doch aktiv

Die Kunsthalle Rostock zeigt eine bemerkenswerte Performance-Ausstellung des bayerischen Künstlers Adi Hoesle. Mit Hilfe von Software-Entwicklern hat er ein Programm erstellt, das die Hirnströme von bewegungsunfähigen, an dem ALS-Syndrom erkrankten Menschen in Bilder auf einem angeschlossenen Computersystem umwandelt.

Die Gruppe ViLE-Lübeck entschloss sich auf Initiative unseres kunstinteressierten Mitglieds Axel, dieses Ereignis zu besichtigen und ihr seit drei Jahren an ALS erkranktes Mitglied Ewald mitzunehmen. Der Gedanke: Wird es möglich sein, ihm auf diese Weise zu helfen.

Mit einem Rot-Kreuz-Krankenwagen wurde unser Gruppenmitglied Ewald am 20.Februar 2012 von Lübeck nach Rostock gebracht und dort von seinen Betreuern in seinen Rollstuhl gesetzt und in die Ausstellung gefahren.

Zum Video: http://youtu.be/ijQ7TguMw6s

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In der Kunsthalle gab der Betreuer der Ausstellungs-Installation   Enrico Golly zunächst eine Einführung. Ewald wurde eine Art Netzhaube auf den Kopf gesetzt und mit einer Art Kontaktgel befestigt. Die Sensoren der Haube messen die Hirnströme und übertragen sie auf das Computer-Netzwerk.


Zum Video: http://youtu.be/

Auf einem als digitale Malpalette eingerichteten Monitor werden  Formen, Farben, Pinselstärken gezeigt. Der Patient muss sich  mit seiner Vorstellung auf eines dieser Elemente konzentrieren. Ein Zufallsgenerator steuert Elemente an. Wenn er dann auf das vom Patienten ausgesuchte Element trifft, gibt es eine Reaktion und diese erscheint als Farbe oder Form auf einem zweiten Bildschirm. Ein gut trainierter Künstler kann auf diese Art sogar Farben mischen, Hintergründe erstellen oder die Objekte auf der Leinwand verschieben – also malen mit dem Gehirn.

Zunächst wurde das Programm an den mit der Sensor-Maske verkabelten Ewald angepasst. Nach einigen Versuchen sah man dann den Erfolg auf der digitalen Leinwand.

Zum Video: http://youtu.be/hUqiRehoLys

Die Künstlerin Angela Jansen, seit 1998 an ALS erkrankt und inzwischen gänzlich gelähmt und auch nicht mehr sprechfähig, ist Teil des Museums-Projekts und wohnt zeitweise mit ihren Betreuern in den Containern vor der Kunsthalle. Sie war bei unserem Besuch nicht anwesend, aber man konnte über ein Notebook online mit ihr kommunizieren. Sie bediente ihren PC dabei mit den Augen. Unser Mitglied Friedel schrieb sie an und war über die sofort eintreffende Antwort erstaunt: „Die macht ja weniger Fehler beim Schreiben als ich!“

Bei einer gemeinsamen Pause in der Kunsthallen-Cafeteria kam der Künstler Adi Hoesle hinzu und sprach über die Ziele  seines über Jahre entwickelten Projekts, das er „Pingo ergo sum – Das Bild fällt aus dem Hirn“ nennt.
Hoesle ist gelernter Krankenpfleger mit Erfahrung in der Anästhesie und der Intensivmedizin. Außerdem hat er ein Kunststudium absolviert. Mit der Aktion in der Rostocker Kunsthalle möchte er die Menschen auch dazu anregen, die Kunst intensiver zu betrachten. Er sucht aber immer wieder den Kontakt zu erkrankten Menschen und sammelt dabei wertvolle Erfahrungen. Davon zu hören, vor allen von seinen erstaunlichen  Erfolgen, hat alle sehr bewegt.
Er versicherte, dass man auch als gelähmter Mensch durchaus noch Lebensqualität bewahren kann. Man könne Ziele verfolgen und erreichen und dadurch glücklich werden –nur auf einer anderen Ebene als gesunde Menschen.

Zum Video: http://youtu.be/LBVMgqDfTb4

Die  Exkursion , von  Axel organisiert, war für alle ein eindruckvolles Erlebnis. Wir hoffen, dass sie Ewald bei seinen Bemühungen, das computergesteuerte Schreiben mit den Augen zu erlernen, beflügelt. Den Kontakt zu Adi Hoesler wollen wir ausbauen.

Text Margret, Videos Horst

Nachtrag: Sein Ziel, seinen PC mit den Augen zu steuern, hat unser Gruppenmitglied und Freund Ewald nicht mehr erreicht. Am 24. Mai 2012 ist er gestorben. ViLE-Lübeck gehörte er seit zehn Jahren an. Ein schmerzlicher Verlust.

Horst

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