Große Giacometti-Doppelausstellung

Bis zum 19. Mai sind in der Hamburger Kunsthalle und im Bucerius Kunstforum Werke von Alberto Giacometti (1901-1966) zu sehen. Die Ausstellung in der Kunsthalle, die unter dem Thema „Die Spielfelder“ steht, zeigt über 200 zumTeil selten oder noch niemals ausgestellte Werke eines der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts.

Erstmals ist das surrealistische Frühwerk zu sehen: In diesen fragilen, an Brettspiele erinnernden Unikaten aus Holz oder Marmor zeigt sich bereits das Interesse des Künstlers an dem räumlichen Zusammenspiel der Dinge und ihre immer neue Wirkung durch die unterschiedliche Anordnung im Raum. Bei dem Exponat „Spielbrett“ z.B. lassen sich drei Figuren auf dem Holzbrett in Rillen bewegen – der Betrachter erhält die Rolle des Spielers. Auch das Atelier, in dem Giacometti 40 Jahre arbeitete, wird für ihn zur Spielfläche: Immer wieder ordnet er bestimmte Skulpturen neu an und hält dies in Skizzen und Fotos fest.

Das Ausstellungskonzept verfolgt die These, dass das gesamte Schaffen Giacomettis auf ein Ziel gerichtet ist – nämlich eine Skulpturengruppe für einen öffentlichen Platz zu schaffen, an dem sich Kunst und Leben treffen.

In den 50er Jahren entstehen zahlreiche kleine Bronzefigurengruppen, die als Vorläufer für eine Platzgestaltung gesehen werde können (z.B. Place -1948 oder Le Forêt – 1950) Die Figuren sind jetzt nicht mehr beweglich – die Bewegung kommt in die Figuren hinein, sie werden z.T. schreitend dargestellt und es entwickelt sich der für den Künstler so charakteristische überlängte Figurenstil. Allerdings wird keines der Schaumodelle und Platzentwürfe in der Realität umgesetzt.

1958 bekommt Giacometti mit dem Auftrag für die Gestaltung des Vorplatzes der Chase Manhattan Bank in New York erstmals die Chance, einen großen Platz in öffentlichen Raum mit Skulpturen zu gestalten. Er entwickelt die berühmte Figurengruppe „Schreitender – Große Stehende - Großer Kopf“. Alle drei Bronzefiguren stehen in der Ausstellung für sich in einem sonst leeren Raum. Sie symbolisieren unterschiedliche  grundlegende  Lebensformen: Der Schreitende kann als das strebende Leben interpretiert werden, die Große Stehende als Kultbild und der Große Kopf versinnbildlicht das schauende Bewußtsein. Die Werke faszinieren durch die Spannung zwischen ihrer fragilen Form und der einfachen, fast groben Materialität. Auch dieses Projekt wurde nicht verwirklicht, 1960 sagte der Auftraggeber ab.

Wenn wir uns heute im letzten Raum  dieser Ausstellung zwischen den Exponaten bewegen, werden wir selbst Figuren auf einem Spielfeld und spüren eine intensive Spannung zwischen den drei Skulpturen.

Die zweite Ausstellung im Bucerius Kunst Forum (26.Januar bis 20.Mai) steht unter dem  Thema „Begegnungen“. Sie widmet sich den Portraits, die der Künstler geschaffen hat, Neben den Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen seiner Familie die z.T. von dieser selbst erstmalig zu einer Ausstellung ausgeliehen wurden, sehen wir Künstler und Philosophen aus seinem Pariser Freundeskreis (Sartre, S.de Beauvoir, G. Bataille).

Das Portrait ist zentral für Giacomettis Werk, ihn faszinierte das menschliche Gesicht, er entwickelte eine regelrechte Obsession dafür. Er sucht im Porträt allerdings keine unbedingte  Ähnlichkeit, sondern die „Essenz“, die lebende Kraft in den Blicken seiner Modelle. Diese vollendet abzubilden ist nicht zu erreichen, in vielen Versuchen kann es nur zu einer Annäherung kommen. Bei der Betrachtung der 44 Plastiken, zehn Gemälden und 65 Zeichnungen fallen immer wieder die ausdrucksstarken Augen der Modelle auf. Für den Künstler hing alles davon ab, ob er den Blick eines Menschen in seiner Kunst lebendig werden lassen konnte. Besonders eindrucksvoll und anrührend sind die Bleistiftzeichnungen, die er in den 60er Jahren von seiner betagten Mutter gemacht hat: Sie bestehen fast nur noch aus den ausdrucksstarken Augen.
Ingeborg Seiler (30.01.2013)

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