gemeinfrei, By Mario Nunes Vais (1856-1932). [Public domain], via Wikimedia Commons
Diese leidenschaftliche russische Frau, die heute in Italien als eine Außerparlamentarierin angesehen würde, hat als Ärztin mit sozialistischem Hintergrund sehr viel zur Emanzipation der italienischen Frauen beigetragen. Zu ihren Lebzeiten galt sie als eine gefährliche anarchistische Marxistin, heute, würde sie als eine normale Vertreterin des demokratischen Sozialismus in Europa betrachtet.
Als Anna Kuliscioff 1882 an der Universität in Neapel ihr Examen
ablegte, war sie eine der ersten Frauen mit Doktortitel. In Italien herrschte
die Theorie des Cesare Lombroso (Arzt
und Professor für Kriminologie, d. Ü.) dass
das kleinere Gehirn der Frau, im Vergleich mit dem Mann, ein Zeichen ihrer auch
moralischen Minderwertigkeit sei. Die allgemeine Rechtsprechung folgte der
Rechtsphilosophie des Abts Antonio
Rosmini (1797-1823), der schreibt: “...mit der Ehefrau zu konkurrieren,
bedeutet für den Ehemann, sich als ihr Anhängsel zu betrachten“.
Anja Moiseevna Rozenstein, eine jüdische Russin mit deutschen Wurzeln, kam wie
ein Zyklon über die stagnierende bürgerliche Gesellschaft Italiens. Um einer
Verhaftung durch Zar Alexander III zu
entkommen, hatte sie den Namen Anna
Kuliscioff angenommen, (in russisch manovale).
Über die Schweiz floh sie mit dem Sozialisten Andrea Costa nach Italien. Mit ihm hatte sie eine Tochter. Italien
wurde ihre zweite Heimat.
In Padua ließ sie sich 1888 als Gynäkologin ausbilden. Ihre Dissertation führte
zur Entdeckung der Ursachen für das durch Bakterien hervorgerufene
Jugendfieber. (febbre puerperali)
Mit ihrer medizinischen und psychologischen Arbeit widmete sie sich den armen
Frauen aus den mailändischen Vororten. Das brachte ihr den Beinamen: Frau Doktor für das Volk.
Nachdem Andrea Costa Anna
Kuliscioff sie verlassen hatte, ging sie eine Verbindung mit dem Sozialisten Filippo Turati ein, der mit ihr
Verfolgung und Verhaftung teilte. Im Gefängnis von Florenz erkrankte Anna
schwer an Tuberkulose.
Aus dem Gefängnis entlassen, nahm Anna Kuliscioff ihre politische Arbeit wieder
auf. Sie forderte Gesetze, die den Frauen die gleichen Rechte, die gleichen
Berufe und Löhne wie den Männern zugestanden. Sie forderte das Frauenwahlrecht.
Anna Kuliscioff hat sich gegen alle durchgesetzt. Die Damen der guten
Gesellschaft erhoben Protest. Die Studentenschaft berief sich auf den „hohen
Auftrag der Familie“.
Die Feministin, Gräfin Anna Mozzoni
legte 1906 einen Gesetzentwurf vor, der die Alphabetisierung der Frauen
forderte. Dieses „Recht der Frauen“ konnte Kuliscioff nur belächeln. Es löste
einen richtigen Klassenkampf aus, in den sich die Industriearbeiter aus dem
Norden einmischten. Sie hatten verstanden und schlossen sich der Bewegung an,
obwohl sie Analphabeten waren.
Mit der äußerst harten Enzyklika: „Pascendi“ 1‘8/9/1907 (ein päpstliches Schreiben
von 1907 gegen die modernistischen Irrtümer) verdammte Papst Pius X den
„Modernismus“ und belegte die mailändische Kurie mit dem Bann.
Die Sozialisten protestierten, (auch Turati).
Sie fürchteten den Widerstand der Männer. Die Regierung Giolitti (Giovanni
Giolitti, liberaler Sozilist,1842-1928) beschloss 1912 das Wahlrecht für alle
männlichen Bürger.
Das Frauenwahlrecht wurde endlich 1919 nach zwei Legislaturperioden von der
Abgeordnetenkammer beschlossen. Der darauf folgende Faschismus hat alles wieder
abgeschafft.
Bei Kuliscioffs Tod, am 27. Dezember 1925, griffen die darüber erfreuten
Faschisten ihren Trauerzug an.
Im Jahre 1946 gaben die italienischen Frauen zum ersten Mal ihre Stimme in
einem Referendum ab, (vor allem, um die Monarchie beizubehalten).
Heute sind viele italienische Straßen und Plätze nach Anna Kuliscioff benannt.