von Roswitha Ludwig
Sie sind unter uns, die Engel, und wir befremden nicht, wenn wir in
unserer multireligiösen Gesellschaft über sie sprechen. Ob wir uns von
ihnen ansprechen lassen, ob sie uns begleiten, bewegen oder berühren,
das ist eine andere Frage.
Sie sind sogar ganz „in“, die Engel. Wie passen sie in unsere Zeit, in
der die Rationalität gefragt ist? Vielleicht spüren wir gerade deshalb
eher ihren Flügelschlag, weil wir merken, dass die Kräfte des Verstandes
eben nur einen Teil der Lebenswirklichkeit ausmachen. Fern der
Erdenschwere leben sie in der Vorstellungswelt.
Wie sprechen wir ganz profan von Engeln? „Mein Engel“ als
Liebeserklärung drückt größte Innigkeit aus. „Engelchen flieg“, ist ein
Spiel, das Kinder beim Spaziergang lieben. Wenn sie zwischen Vater und
Mutter gehen, werden sie an den Händen gefasst, teils springen sie hoch,
teils werden sie gehoben und belohnen die Leichtigkeit mit begeistertem
Juchzen. Mit dem Gefühl der Geborgenheit und schwebend kann man sich
Engeln nahe fühlen.
Die Schutzengel der Kindergebete haben heutzutage für viele Erwachsene
Gestalt gewonnen in Schutzengelfiguren, im offenen Bekenntnis zu ihrem
Schutzengel. In Buchhandlungen finden sich gerade um die Weihnachtszeit
oder zum Jahreswechsel zahlreiche Titel im Bereich Esoterik und
Religion: Engelsbücher, Engelskarten mit ermutigenden Texten für jeden
Tag des Jahres, Engelsstempel, Engelsbilder.
Wenn die Engel nach der theologischen Entmythologisierung wieder in
unseren Horizont gerückt sind, so liegt es vielleicht auch daran, dass
die modernen Kommunikationsmöglichkeiten etwas „Entstofflichtes“ haben,
das den Engeln entspricht. Eine Nachricht ist in kürzester Zeit rund um
den Globus präsent, die Sender und Empfänger treten hinter ihr zurück.
Spricht man von einer Botschaft statt von einer Nachricht, so nähern wir
uns mancher biblischen Engelsrede, z.B.: „Fürchtet euch nicht“... bei
der Geburt Christi oder der Auferstehungsbotschaft am leeren Grab. Was
Engel verkünden, soll die Menschen erreichen, doch die Engel als
Überbringer sind entschwunden. Man versucht sie aber immer wieder
darzustellen.
Bericht vom Besuch im deutschen Schutzengelmuseum Die Stauferstadt Bad Wimpfen lohnt einen Ausflug als historische
Stadt. Doch sie bietet auch ein kleines Museum der besonderen Art: Das
Deutsche Schutzengelmuseum. Über 600 Exponate von Schutzengeln,
gefertigt in verschiedenen Techniken, kann man hier besichtigen. Öffnet
man die Haustüre des kleinen Hauses, steht man bereits im ersten Raum
und wird empfangen vom Museumsleiter und Sammler, Herr Friedrich. Er
verbringt nicht nur die Öffnungszeiten zwischen seinen Engelsexponaten.
Er sammelt solche Motive schon seit fünf Jahrzehnten und gibt gerne
Auskunft darüber. Die familiäre Prägung, beschützt und bewahrt zu sein,
habe ihn zu den Schutzengeln gebracht. Doch Kirchenfrömmigkeit wolle er
nicht vermitteln. Fündig wurde er anfangs auf Flohmärkten, bekam
Hinweise von Immobilienmaklern und kennt sich einfach aus in diesem
Bereich. Nun hält er Ausschau nach einem Nachfolger für sein Werk.
Die Präsentation Dicht an dicht hängen die Bilder in eher aufwendigen Rahmen. In
allen Größen und Techniken sind sie gefertigt: Bunte Drucke, Gobelins,
kolorierte Fotos mit und ohne Texte. Um 1900 habe ein wahrer Engelsboom
geherrscht, erfahren wir. Dieser Zeit kann man auch die Kleidung der
Kinder zuordnen, die von den Schutzengeln auf Wegen, über Stege oder
durch wilde Landschaften geleitet werden. Sogar Matrosenanzüge tragen
sie. Die großen Engelsgestalten mit wallenden Gewändern und Flügeln
wirken eher weiblich oder geschlechtslos. Heiligenscheine wie in der
mittelalterlichen Kunst fehlen. Vergegenwärtigt man sich die hohe
Kindersterblichkeit jener Zeit, so versteht man die Beliebtheit dieser
Darstellungen. Der biblische Bezug für die Schutzengel der Kinder findet
sich in Matth. 18,10. Jesus verweist darauf, dass die Kleinen ihren
Engel haben. Die trostvollste Schutzengelverheißung des Alten Testaments
in Psalm 91,11 lautet:
„Denn seinen Engeln befiehlt er deinetwegen,
dich zu bewahren auf allen deinen Wegen.
Auf den Händen werden sie dich tragen,
dass an keinen Stein stoße dein Fuß.“
Eine Vitrine enthält Engelskärtchen mit Sprüchen, die z.B. zur Kommunion
von Verwandten geschenkt wurden und begehrte Tauschobjekte waren. Auch
Engelsmotive aus Poesiealben sind vertreten.
Motivkreis Engel und Soldat Der Motivkreis Engel und Soldat zeigt, wie die Politik
Glaubenshaltungen auch bei uns für ihre Ziele eingespannt hat. „Für Gott
und Vaterland“ stand auf dem Koppelschloss der Soldaten im Ersten
Weltkrieg. Gesegnete Waffen wurden auf die Feinde gerichtet, die mit
ebensolchen ausgestattet waren. Ein Engel hält einem Soldaten einen
Siegeskranz entgegen. Engel und Soldat als beliebtes Motiv zeigt aber
auch, dass man in der Ohnmacht und Todesgefahr bei den Schutzengeln
Zuflucht suchte. Der Engel, der neben dem aufgebahrten Soldaten steht,
soll ihn in die andere Welt geleiten. Während die Engel meist schützend
hinter den Kindern stehen, ihre Schritte quasi lenken können, stehen die
deutlich weiblicher wirkenden Engelsgestalten vor den Soldaten oder
schweben über ihnen, als würden sie den entgegen kommenden Feind
abwehren.
Engelsdarstellungen allgemein Die Exponate dieses Museums zeigen beliebte und verbreitete
Engelsdarstellungen seit 1870 und aus dem beginnenden 20. Jahrhundert.
Die Wohnungen wurden aus einer Glaubenshaltung heraus damit geschmückt.
Die künstlerische Gestaltung wurde als sekundär angesehen. Man kann den
Hintergrund des Jugendstils und vielleicht der Nazarener ahnen. So
vermittelt die Sammlung den Zeitgeschmack und eine Glaubenshaltung, die
sehr gegenständliche Engelsdarstellungen liebte. Einen Eindruck über
dieses Motiv in anderen Kunstepochen vermittelt die Ansichtskartenwand
am Eingang. Hier finden sich Motive vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Die Vielgestaltigkeit belegt auch, dass Engel nicht festlegbar sind.
Jede Zeit sucht ihren eigenen Ausdruck, und jeder Mensch sollte sich
davon anregen lassen für sein eigenes Nachdenken.