Rituale in der Schule
                                       Renate Wiese
Ein Ritual ist ursprünglich ein religiöser Brauch. Es folgt bestimmten, ihm eigenen Regeln und besteht aus einem eingeübten oder unbewusst aufgenommenen Verhaltensablauf.

Vor- und Nachteile
Heute werden Rituale eher negativ verstanden. Meist werden die Nachteile betont: Sinnentleerte Prozeduren, die benutzt werden, um Ordnungssysteme aufzudrücken und um Disziplinierungsvorgänge zu erzwingen. Mögliche Betriebsblindheit, die durch routiniertes Handeln eintreten kann, das Abgleiten in einen Trott, wenn auf Reflexion verzichtet wird oder diese unterbunden wird.

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Ist man sich dieser Gefahren bewusst, haben Rituale auch Vorteile.
Die Routine im rituellen Handeln benötigt wenig Gedankenarbeit, wenige Signale reichen, um (zum Beispiel der Klasse) Verhaltensweisen mitzuteilen. Rituale reduzieren die Komplexität unseres Alltags, indem sie uns Orientierung vermitteln und sie werden sofort verstanden. Wenn sie einmal bekannt sind müssen sie nicht jedes Mal neu eingeführt werden, sie fördern die Konzentration und können zu einer Entspannung in einem hektischen Alltag beitragen.

Kritisches Hinterfragen
Ganz selbstverständlich finden wir Rituale auch in der Schule.
Die Begrüßung zum Unterrichtsbeginn beinhaltet die Mitteilung: „Wir konzentrieren uns nun auf den Unterrichtsstoff, Ruhe und Aufmerksamkeit sollen eintreten“.
Andererseits sehen Fachleute auch Gefahren. „Sie schaffen kalkulierbare Verhaltenserwartungen für Lehrer und Schüler, sie dienen der Demonstration der Macht der Institution Schule…und der Formierung und Unterdrückung der Interessen, Phantasien und motorischen Bedürfnisse der Schüler“, schreibt Hilbert Meyer.

Positive Anwendung
Rituale sind auf Gemeinschaft bezogen und müssen von allen Beteiligten akzeptiert werden. Es ist nötig sich auch immer wieder die Gefahren der negativen Ritualisierung zu vergegenwärtigen und ein Ritual, sobald es zwanghaft wird, möglichst aufzulösen.
Routinebildung und Reflexion müssen zusammen vollzogen werden, um ziellos gewordene Handlungsroutinen abbauen zu können.
Weil Rituale auch positive Aspekte beinhalten, kann man sich ihnen nur schwer entziehen. Sie wirken gemeinschaftstiftend und entlastend für die Schüler, sind auch Struktur bildende und vertrauenschaffende Erfahrungen in der Schule wie im Alltag. Sie können sich im Prozess zwischen SchülerInnen und LehrerInnen weiterentwickeln und verändern.

Alte Rituale
Rituale werden auch in Burschenschaften gepflegt. „Was die Außenwelt von studentischen Vereinigungen weiß, ist oft ein Gemisch von Halbwahrheiten und Hörensagen“, schreibt Matthias Lohre auf den Onlineseiten des Goethe-Instituts. Er ist Politikredakteur der taz in Berlin und Historiker. Er beschreibt, welche Sitten auch heute noch gepflegt werden.

Schulriten in Frankreich
Die Bizutage in Frankreich - ein auf Napoleon III. zurückgehendes Initiationsritual - hat schon wiederholt zu Gerichtsurteilen geführt. An Gymnasien, Universitäten und vor allem den Grandes Ecoles, auf denen die Eliten geschmiedet werden, wurden seit dem 19.Jahrhundert Neulinge mit skandalöser Brutalität traktiert. Gewöhnlich mit gemeinem Schabernack wie Erektionswettbewerben beginnend, endete das „Ritual“ oft mit größter Erniedrigung und Sadismus.
Ségolène Royal, frisch im Amt als Unter-Ministerin, verbot 1997 die Bizutage als einen Brauch mit Nazi-Merkmalen, wie sie befand. Obwohl schon 1928 verboten, schrieben die Medien erfolglos gegen die Gesetze der Meute an. Die Staatssekretärin für Familie und Kinder, S. Royal, wurde schlussendlich von der Anklage frei gesprochen „ in der Verdammung von sadistischen Schulriten zu weit gegangen zu sein“. Zu finden im Archiv der Berliner Zeitung „Frau Royal kämpft gegen ein Schulritual“.

Links

http://www.goethe.de/wis/fut/ins/de3007917.htm
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2000/0518/none/0055/index.html

Lehrbücher
Hilbert Meyer: Unterrichtsmethoden II. Cornelsen-Verlag Scriptor
Gerhard Steiner: Lernen. Verlag Hans Huber

 
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