Pfälzer am Niederrhein |
von Lore Wagener Jede Auswanderung ist und bleibt ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Nicht jeder erreicht sein Traumziel. Das erfuhr auch eine Gruppe von Pfälzern, deren Reise im Jahre 1741 anstatt im fernen Pennsylvania bereits am linken Niederrhein endete. Wirtschaftsflüchtlinge? Unter den deutschen Auswanderern waren die Pfälzer eine der stärksten Gruppen. Sie zogen nach Ungarn, Rumänien, Irland, Dänemark, Nordamerika oder Brasilien. In Pennsylvania entstand der Begriff „Palatines" (Pfälzer) für arme deutsche Einwanderer. Die Pfalz - an der deutschen Westgrenze gelegen - wurde im 17. bis 19. Jahrhundert von kriegerischen Auseinandersetzungen schwer getroffen. Diese brachten dem Land Verwüstungen und Plünderungen, dazu mehrfach wechselnde Obrigkeiten mit ebenso wechselnden Konfessionen. Es gab Missernten, Frostschäden, Hungersnöte und Seuchen. Meist war es die pure Not, die diese Landsleute zur Auswanderung trieb. Sie sahen in ihrer geliebten Heimat keine Perspektive mehr für sich und ihre Kinder. Heute würde man sie vermutlich als Wirtschaftsflüchtlinge einordnen. Sie selbst sehen sich eher als Religionsflüchtlinge. Auswandern 1741 Unsere Auswanderergruppe aus dem Jahr 1741 stammte aus den pfälzischen Oberämtern Kreuznach und Simmern. Sie bestand aus 20 Familien mit ungefähr 130 Personen. Die Gruppe hatte Verträge mit zwei Rheinschiffern für eine Passage von Bacharach nach Rotterdam abgeschlossen. In Rotterdam wollte man dann eine günstige Schiffspassage nach Nordamerika suchen. Bei ihrem Entschluss war den Auswanderern wohl noch nicht bekannt, dass seit 1739 ein Seekrieg zwischen England und Spanien tobte. Deshalb war die Überfahrt mit so großen Risiken verbunden, dass nur noch wenige Reeder ihre Schiffe diesen Gefahren aussetzten. Schiffspassagen nach Übersee waren also nur noch begrenzt zu haben und entsprechend teuer geworden. Deshalb stauten sich die ärmeren Auswanderwilligen in den Hafenstädten Europas. Da dort ein Massenelend drohte, sperrte man vielerorts die Zugänge zu den Hafenstädten. Auch die Niederländer machten das - und zu ihnen wollten ja unsere Pfälzer. Die Reise und ihr frühes Ende Auf ihrer Rheinreise mussten die Auswanderer vor ihrer Einfahrt in die Niederlande das zu Preußen gehörende Herzogtum Kleve passieren. Die Preußen ließen sie auch problemlos ein, denn sie wussten vermutlich auch noch nichts von der neuen Entwicklung. Und so strandeten die Pfälzer erst in Schenkenschanz an der niederländischen Grenze. Dort hatten die Grenzposten den Befehl, nur noch Reisende mit gültiger Schiffspassage durchzulassen. Da unsere Reisenden diese noch nicht hatten, wurden sie natürlich abgewiesen. Verhandlungen mit englischen Schiffskapitänen vor Ort scheiterten, weil deren Angebote für die Gruppe zu teuer waren. Nun hielten die Pfälzer die beiden Rheinschiffe zunächst besetzt. Die Reeder wandten sich daraufhin an die klevesche Kriegs- und Domainenkammer, die ihrer Klage stattgab. Die Gruppe wurde unter Strafandrohung zur Räumung der Schiffe aufgefordert. So standen nun die Unglücklichen im Juli 1741 mit ihren Habseligkeiten in der Fremde ohne Obdach da. Eine Agrarkolonie bei Goch Die Gruppe schrieb noch am gleichen Tag an die preußische Kriegs - und Domainenkammer im damaligen Stil, sie möge „ihnen ein Stück wüst Land zur Bebauung und Bewohnung anweisen lassen; sie würden solch Benefizium als getreueste Unterthanen mit allerunterthänigsten Diensten und inbrünstigem Gebet für Seine Königliche Majestät und Dero Hohen Königlichen Hauses Wohlsein zu demerieren suchen.“ (Zitat „Die Geschichte von Pfalzdorf“). Die Kammer gab die Bitte an die kleveschen Städte weiter und erhielt von Goch eine positive Antwort. Goch bot seine Heide zur Besiedlung an, ein 10000 Morgen großes ungenutztes Areal, das 1458 als Geschenk an die Stadt gekommen war. Die Aussiedler vereinbarten schon im August 1741 mit dem Magistrat der Stadt Goch den Entwurf eines Erbpachtkontraktes, nach dem den Immigranten circa 130 Hektar Heidegrund zugewiesen wurden. Die finanziellen Bedingungen der Erbpacht waren relativ günstig. Eine spätere Erbteilung war aber ausdrücklich ausgeschlossen. Die Anfänge der Kolonisation Zügig begannen die Kolonisten mit der Rodung der Heide und dem Hausbau. Das war aber eine sehr schwere Arbeit für die mangelhaft ernährten Menschen. So starben während der ersten Winter mehrere der entkräfteten Kolonisten. Da es noch an Wohnraum fehlte, suchten einige Familien Obdach in der Stadt Goch, wo sie aber als Last empfunden wurden. Da ihnen 1743 die Ausweisung drohte, sandten die Siedler in ihrer Not zwei Delegierte mit einer Petition nach Berlin. Sie fanden bei König Friedrich dem Großen ein offenes Ohr. Er gab ihnen wunschgemäß ein Dokument mit, das die Pfälzer Ansiedlung auf der Gocher Heide ausdrücklich bestätigte. Sie bekamen zwar keine finanzielle Unterstützung, aber das vom König bestätigte Ansiedlungsrecht führte dennoch zu einer besseren Behandlung durch die lokalen Behörden. So gelang es, den Aufbau der Kolonie fortzusetzen und allmählich eine Art Ortschaft zu bilden, die von der preußischen Regierung im Jahre 1747 unter dem Namen Pfalzdorf anerkannt wurde. Agrarkolonien Unsere Auswanderer hatten also letztlich Erfolg und eine neue Existenz gefunden. Ob man von „Heimat“ sprechen kann, sei dahingestellt. Jedenfalls müssen die Kolonisten Positives berichtet haben, denn es kamen weitere Familien aus dem Hunsrück nach. Die Gocher Heide war bereits 1771 vollständig vergeben. 1777 gab es in Pfalzdorf 103 Familien mit 568 Personen. Weitere Siedlerstellen brauchte man dann für die nachgeborenen Kinder, da die Erbteilung der alten Stellen ja ausgeschlossen war. So boten die Behörden bei Oberhausen und Sonsbeck - aber auch im zu Preußen gehörenden Ostfriesland - neue Agrarkolonien an. 1820 und 1827 wurden am Niederrhein dann die Pfalzdorfer Tochtersiedlungen Louisendorf und Neu-Louisendorf gegründet. Noch heute ist Louisendorf geprägt von dem vorgeschriebenen Grundriss, der 4 Straßen mit dem riesigen, rautenförmig versetzten Louisenplatz in der Ortsmitte vorsah. Der Name wurde zum Gedenken an die preußische Königin Louise gewählt. Pfälzische Dialektinseln Die Kolonisten vermischten sich nicht mit der niederrheinischen katholischen Bevölkerung, in erster Linie wegen ihres Glaubens. Sie bildeten eigene lutherische und reformierte Gemeinden. Obwohl auch katholische Pfälzer zuwanderten, waren „Mischehen“ sehr selten. So erhielten sich traditionelle „pfälzische“ Familiennamen, wie Puff, Saueressig oder Thomas. Und die Kinder der Siedler hatten bis in die 1940er Jahre ihre eigenen konfessionellen Schulen. So kam es, dass sich die pfälzischen kulturellen Eigenarten bis heute erhielten und den Siedlern andererseits rheinische Bräuche fremd blieben. Die Siedler sprachen ihr „Pälzersch“, das aber im Lauf der Zeit von den Dialekten, die von den Linguisten der Pfalz zugeordnet werden, merklich abwich. Das Pälzersch wird heute noch von den Älteren gesprochen. Die Jüngeren wechseln in der Regel mit der Einschulung zum Hochdeutsch. Nun fürchten Heimatfreunde um den Erhalt dieses Dialekts. Hörbeispiele findet man über die Links. Die Pfalzdorfer Pfalzdorf konnte sich verhältnismäßig rasch zu einem blühenden Gemeinwesen entwickeln. Seine Bewohner bildeten eine Minoritätengruppe, die sich von ihrer Umgebung unterschied. Aber die Frage, ob die Pfalzdorfer ihre neue Heimat angenommen haben, lässt sich nach dem Studium der Homepage ihres Heimat- und Verschönerungsvereins doch positiv beantworten. Dort heißt es: „Sie wahren auch heute noch ihre Eigenart durch ihren eigenen Dialekt, durch den Pfälzerbund am Niederrhein, die Erforschung ihrer eigenen Geschichte und die Pflege von Volkstanz und Gebräuchen ihrer alten Heimat im Hunsrück. Aber es gibt keine Straßenschlachten mehr zwischen evangelischen und katholischen Kindern auf dem Weg zur Schule. Alle Einwohner – ob katholisch oder evangelisch – sind zu Pfalzdorfern geworden,“ Zitat siehe Links. Links Die Geschichte von Pfalzdorf, entnommen dem Buch "175 Jahre Louisendorf" von Josef Jörissen Homepage des Heimat- und Verschönerungsvereins Pfalzdorf mit einer Bildergalerie Amt für rheinische Landeskunde: Abhandlung über Inseldialekte mit Hörbeispielen Homepage von Louisendorf |
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