von Hildegard Neufeld
Auswanderer verlassen oft aus wirtschaftlichen oder politischen sowie aus religiösen oder persönlichen Gründen ihr Land. Den Auswanderern, die 1948 aus dänischen Internierungslagern nach Uruguay aufbrachen, drohte die Auslieferung an die Sowjetunion.
Wer waren die Auswanderer?
Es waren Flüchtlinge aus dem damaligen deutschen Osten, überwiegend aus Westpreußen und dem Freistaat Danzig. Als in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges die sowjetischen Truppen ihre Heimat eroberten, flüchteten sie über die Ostsee und gelangten nach Dänemark. Hier wurden sie am Tag der Kapitulation interniert. Etwa 250.000 deutsche Flüchtlinge befanden sich bei Kriegsende in dänischen Internierungslagern. Nach Hause konnten sie nicht mehr zurück, und im überfüllten Restdeutschland, das etwa 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aufnehmen musste, war für sie kein Platz.
Für Dänemark, das damals nur etwa vier Millionen Einwohner zählte, waren die deutschen Flüchtlinge eine starke Belastung. Allein in Kopenhagen belegten sie lange Zeit über 100 Schulen, bevor sie in großen Lagern zusammen geführt werden konnten. Rund 2.000 dieser Flüchtlinge waren Mennoniten.
Die mennonitischen Ostflüchtlinge
Etwa vier Jahrhunderte vor dem 2.Weltkrieg begann die Einwanderung der Mennoniten aus den Niederlanden in Ostdeutschland. Dort siedelten sie sich in den Niederungen des Stromlaufs der Weichsel und besonders im Weichsel-Nogat-Delta an. Und dort haben sie bis zu ihrer Flucht im Jahre 1945 (fast alle als selbstständige Landwirte) das Land bebaut, das ihre Vorfahren vor Jahrhunderten urbar gemacht hatten. Seit ihrer Flucht waren sie nicht nur heimatlos, sondern hatten auch kaum noch Hoffnung auf eine neue Existenz.
Es waren fast ausschließlich Frauen und Kinder und zudem, wenn auch in der Minderzahl, Männer im Rentenalter. Sie alle befanden sich jetzt, nahezu drei Jahre nach Kriegsende, sozusagen auf dem Abstellgleis. Als ihnen die Auslieferung an die Sowjetunion drohte, kam ihnen das Mennonite Central Committee (MCC) zur Hilfe.
Das Hilfswerk der Mennonitengemeinden
Schon bald nach Kriegsende begann die große Hilfsarbeit des MCC in Europa, die sich auch auf die deutschen Flüchtlinge in Dänemark erstreckte. Als im Jahre 1947 die Lage der mennonitischen Flüchtlinge in den dänischen Internierungslagern immer kritischer wurde, bereitete das MCC eine Auswanderung vor.
Eilends fragten Beauftragte des MCC in allen Ländern an, die für die Aufnahme dieser Mennonitengruppe in Frage kamen. Kanada und die USA schieden aus, weil sie deutschen Staatsbürgern keine Einreise gestatteten. Argentinien wollte keine Witwen, Waisen, Kriegsverletzten und alten Leute aufnehmen. Paraguay und Uruguay erklärten sich zur Aufnahme bereit. Klimatische Gründe und die Bodenbeschaffenheit gaben den Ausschlag für die Auswanderung der mennonitischen Flüchtlinge nach Uruguay.
Die Auswanderer
Im Oktober 1948 traten 286 Flüchtlinge aus dänischen Internierungslagern mit ihren Familien die Ausreise nach Uruguay an. Die Reiseroute verlief über Deutschland, wo die sogenannten „Familiensplitter", also Familienangehörige der Auswanderer, die nach Westdeutschland verschlagen worden waren, aufgenommen wurden nach Montevideo. Nach dreiwöchiger Überfahrt kamen sie an ihrem ersten Ziel an. Ihr Weg führte sie zunächst in die vorbereiteten Aufnahmelager, in denen sie so lange wohnen sollten, bis das Land, das sie künftig bebauen wollten, zur Verfügung stand.
Der Landkauf
Uruguay
Die Landsuche zog sich länger als erwartet hin, und als sie schließlich erfolgreich abgeschlossen und der Landkauf mit Hilfe und Unterstützung des MCC getätigt war, zeigte der Kalender bereits den 17. April 1950.
294 km nordwestlich von Montevideo, im Department Rio Negro, war ein 2.100 ha. umfassendes Restgrundstück der Estanzia El Ombú einschließlich einiger Gebäude erworben worden. Das für die Siedlung ausgewählte Land wurde vermessen und nach einem gemeinsam beschlossenen Schlüssel unter die Interessenten - 80 Familien und 12 Einzelpersonen - verteilt. Die neue Heimat der Auswanderergruppe war gegründet.
Die Aufbauarbeit
Die Siedler schlossen sich zu Familiengruppen zusammen, in denen jeweils zwei „starke" Familien eine „schwache" Familie (Witwen und Alleinstehende) in ihre Mitte nahmen. Eine Genossenschaft wurde gegründet und eine Schule eingerichtet. Nun konnte die Aufbauarbeit beginnen. Die Häuser wurden eigenhändig aus Grassoden oder gestampftem Lehm gebaut und mit Rohr und Schilf gedeckt. Brunnen mussten gegraben und Wege, Gärten und Felder angelegt werden. Der Aufbau der neuen Heimat machte schnelle Fortschritte.
Die zweite Auswanderergruppe
schon im folgenden Jahr (1951) kam eine weitere ostdeutsche Flüchtlingsgruppe, bestehend aus 450 heimatlosen Mennoniten, die beim ersten Transport nicht hatten berücksichtigt werden können, nach Uruguay. 300 Personen sollten in El Ombú untergebracht werden, die anderen in der weiteren Umgebung Unterkunft finden. Wieder wurde Land für weitere Siedlungen gesucht, und wieder galt es, sich der notwendigen und anspruchsvollen Aufbauarbeit zu stellen. Allerdings konnten die neuen Einwanderer von den Erfahrungen der Zuerstgekommenen profitieren.
Zwei neue Siedlungen entstanden: Neben der bereits etablierten Kolonie El Ombú gründeten die deutschen Einwanderer die Kolonien Gartental und Delta.
Die Entwicklung
Die Anfangsjahre waren für alle drei Siedlungen schwer. Es fehlte zunächst alles, vom Hammer und Nagel bis zu den erforderlichen Maschinen und Geräten, um das Land zu bebauen. Aber man packte gemeinsam an. Die Wege wurden befestigt, Schulen eingerichtet und die drei Siedlungen genossenschaftlich zusammen geschlossen. Bald zeichneten sich erfreuliche Fortschritte ab.
Schon die erste Generation der deutschen Einwanderer brachte es zu einem bescheidenen Wohlstand. Durch Zukauf, aber auch durch Abwanderung, konnten sich die meisten Betriebe vergrößern. Trotzdem wanderten viele nach Deutschland zurück. Der rasche wirtschaftliche Wiederaufstieg in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, das „Wirtschaftswunder", weckte neue Hoffnung auf günstigere Lebensbedingungen - oder war es (auch) Heimweh?
Neue Heimat - alte Heimat
Fast vier Jahrzehnte nach der Auswanderung der deutschen Flüchtlinge nach Uruguay erschien dort ein Buch mit dem Titel „Neue Heimat in Uruguay". Der Autor, selbst einer der Einwanderer, schließt seinen ausführlichen Bericht über die deutschen Auswanderer mit der Feststellung: „Uruguay ist einer Gruppe heimatloser Flüchtlinge und deren Nachkommen zu einer neuen Heimat geworden".
Inzwischen sind weitere Generationen der einstigen Einwanderer herangewachsen, und diese werden Uruguay nicht mehr als neue Heimat, sondern als ihre alte Heimat sehen.
Links:
Mennoniten in Uruguay
Uruguay-Magazin
Mennoniten
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