Hommage an meine Mutter
                               von Carmen Stadelhofer
Mit dem Ehrenamt bin ich groß geworden, ich habe es sozusagen mit der Muttermilch geschluckt. Seit ich mich erinnern kann, ist meine Mutter ehrenamtlich tätig, auch heute noch, mit ihren 87 Jahren. Dieses Engagement hat auch mein Leben geprägt.

Frühe Erinnerungen
Schon als kleines Mädchen saß ich hinten auf dem Fahrrad, wenn meine Mutter in die Gartenhäuser der Flüchtlingsfamilien fuhr, die unserem Wohnviertel vorgelagert waren.
Meine Mutter brachte diesen in kleinen Behelfsunterkünften wohnenden Menschen Lebensmittel und Kleider aus den Care-Paketen, die von irgendwoher aus Amerika irgendwie an unsere katholische Kirchengemeinde gelangten und von meiner Mutter und anderen Frauen aufgeteilt wurden.
Ich erinnere mich an viele Abende bei uns in dem kleinen Kellerraum, wo die Frauen die großen, runden, goldgelben Blechdosen öffneten und den knallgelben Käseballen, der sich jeweils darin verbarg, sorgsam mit Bindfäden in kleine Stücke teilten und diese dann verpackten, damit sie am nächsten Tag zu Bedürftigen ausgefahren werden konnten.

Meine Mutter und die "Elisabethen-Frauen"
Meine Mutter verkörpert für mich das Ehrenamt an sich. Ich kenne sie gar nicht ohne diese engagierte soziale Arbeit als so genannte "Elisabeth-Frau". Sie organisierte in unserer katholischen Kirchengemeinde Besuche bei älteren Gemeindemitgliedern, Besuche bei Kranken, bei bedürftigen Menschen, bei Sterbenden, vor allem war sie selbst sehr aktiv in diesen Besuchsdiensten tätig. Um sie herum gab es immer einen Stab anderer freiwilliger Helferinnen. Nach dem Vorbild der Heiligen Elisabeth von Thüringen, die sich, wie in verschiedenen Geschichten erzählt wird, trotz königlichen Standes persönlich der „Armen und Kranken" annahm und mit einem Korb mit Brot von Haus zu Haus zog, kümmerten sich diese so genannten "Elisabeth-Frauen" um Kranke, Alte und Bedürftige in unserer Gemeinde. Aber darüber hinaus organisierten sie unter Federführung  meine Mutter auch zahlreiche Gemeindefeste, Reisen, Bazare und vieles andere, um die Kommunikation zwischen den Gemeindemitgliedern zu fördern.

Mein Erleben als Kind
Ehrenamt, damit verbinde ich eine Frau und Mutter, die wegen des oft geschäftlich verreisten Ehemanns nicht nur den Haushalt und die vier Kinder alleine versorgte, sondern so stark engagiert ehrenamtlich tätig war, dass sie oft erst gleichzeitig mit uns Kindern zur Mittagszeit zu Hause eintraf, um dann noch schnell etwas zu essen für uns zuzubereiten. Eine (kurze) Zeit lang war ich sogar richtig eifersüchtig auf dieses Ehrenamt, das meiner Mutter so viel Zeit nahm und das sie so stark beschäftigte, dass sie uns manchmal zu vergessen schien. Ich wollte damals eine Mutter wie die anderen, die Zeit hatte und mit dem Essen auf das geplagte Schulkind wartete. Auch war es einfach lästig, immer wieder ungefragt in irgendwelche sozialen Aktionen mit eingespannt zu werden, als  ganz selbstverständlich.

Erkenntnisse und Gewinne
Als ich etwas älter wurde, wurde mir klar, dass wir durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit etwas sehr wichtiges von unserer Mutter mitbekommen haben. Nämlich Achtsamkeit für andere und Improvisationsfähigkeit, Organisationstalent, vor allem aber auch die Fähigkeit, eigene Dinge zu relativieren und zu reflektieren und eine Verantwortung für die Nöte von anderen zu übernehmen.
Meine Mutter ist für mich ein Vorbild von zupackender Menschlichkeit, die sie in vielen ehrenamtlichen Feldern einbrachte. Auch heute noch kümmert sie sich regelmäßig um ältere Menschen in einem Pflegeheim und stellt eigene gesundheitliche Probleme dabei immer in den Hintergrund.
Soziales Ehrenamt hat meine Kindheit und Jugend geprägt und wurde auch zum Teil meines Leben, indem ich in Jugendgruppen in der Kirchengemeinde, als Schulsprecherin, später als Sprecherin der Katholischen Studentengemeinde und in anderen Bereichen tätig war. Mein Tätigkeitsschwerpunkt liegt aber mehr im Bildungsbereich.

Ehrenamt heute
Meine Mutter bekam vor einigen Jahren zum 50. Jubiläum ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit vom Caritas-Verband eine Ehrenmedaille, einen Blumenstrauß und ein paar Dankesworte, als Anerkennung dafür, dass sie 50 Jahre lang ungefähr im Umfang einer halben Arbeitsstelle für die katholische Kirche unermüdlich tätig war.
Für meine Mutter und Ehrenamtliche ihrer Generation war das in Ordnung, ihr Engagement - unbezahlt, unversichert, mit viel persönlichem, finanziellem Aufwand - war für sie  selbstverständlich. Das ist bei Jüngeren heute nicht mehr der Fall.
Ich persönlich bin der Meinung, dass Ehrenamt, Freiwilligenarbeit  oder bürgerschaftliches Engagement, wie es heute heißt, ein wichtiger Bestandteil unserer Zivilgesellschaft ist, aber dass wir eine angemessene Anerkennungskultur für diese Leistungen brauchen

Einmal - immer Ehrenamt?
Ich bin nach wie vor in verschiedenster Weise ehrenamtlich tätig, auch wenn es mir meine berufliche Tätigkeit nicht in dem Umfang  erlaubt, wie ich es mir wünschte. Dieses ehrenamtliche Engagement bringt mich mit vielen Menschen in Kontakt und ermöglicht mir eine unmittelbare Kommunikation mit Menschen unterschiedlichster Art und Einblick in verschiedene Lebenswelten. Es schärft meinen Blick für viele Dinge des Lebens, durch diese Tätigkeiten sind auch meine beruflichen Handlungen beeinflusst und gefördert worden.
In meiner nachberuflichen Zeit werde ich sicher weiterhin und verstärkt ehrenamtlich tätig sein, vielleicht auch in ganz anderen Bereichen. Und ich habe ein gutes Vorbild dafür, das ehrenamtliches Engagement bis ins hohe Alter „jung" erhält: Meine Mutter.

 
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