Dreizehn Jahre im Kindergarten
                             von Erna Subklew
In den Kindertagesstätten, den Kitas, war es schon immer üblich, dass die Fünfjährigen eine besondere Gruppe bildeten. Sie waren die Großen, blieben nur noch ein Jahr, wurden ein wenig auf die Schule vorbereitet und hatten einige Vorrechte vor den Jüngeren.
Ich bin Pensionärin
Nun war ich schon seit drei Jahren Pensionärin. Zwar hatte ich in diesen drei Jahren immer noch einen Lehrauftrag gehabt, doch dieser war jetzt ausgelaufen. Beim Überlegen, was ich nun tun könnte, fielen mir die Fünfjährigen ein, die ich in der Zeit, in der ich im Kindergarten arbeitete, betreut hatte. In meiner aktiven Zeit als Lehrerin hatte ich einen Eingangsunterricht vor dem Schulanfang für ausländische Schulanfänger mit wenigen Deutschkenntnissen, den so genannten Vorlauf, konzipiert und maßgeblich begleitet und dachte, dass man dies auch schon im Kindergarten machen könnte.

Der Beginn
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Kindergarten Foto J..Birrle

Ich setzte mich also mit der Kindergartenleitung des nahen Kindergartens in Verbindung und trug ihr mein Angebot vor. Mit großer Begeisterung hörten sie mir gerade nicht zu. Sie meinten, sie würden den Kindern genügend Geschichten vorlesen. Es dauerte eine Weile, bis ich sie davon überzeugt hatte, dass ich gerade dies nicht wollte. Sie wiesen darauf hin, dass sie ja auch eine Vorbereitung auf die Schule vornehmen und Fähigkeiten und Fertigkeiten einüben würden, die nötig sind, damit ein Kind „schulreif" wird. Aber schließlich konnte ich die Erzieherinnen überzeugen, dass ich nicht ihre Arbeit machen, sondern die Kinder sprachlich fördern wollte. Ich bekam einen Raum im Keller zugewiesen, in dem ich meine Arbeit beginnen konnte.

Warum dieses Angebot?
Wie schon erwähnt, hatte ich mit der Erlaubnis des Schulamtes und der Hilfe des späteren Internationalen Familienzentrums 1976 in Frankfurt einen Vorlauf für die ausländischen Schulanfänger einrichten können. Sie wurden in die Grundkenntnisse der deutschen Sprache eingeführt. Nach einiger Zeit wurde dieser Vorlauf an allen Schulen Hessens eingerichtet.
In einem Interview hatte ich zudem die Aussagen von Hilmar Hoffmann, dem Kulturdezernenten der Stadt Frankfurt und späterem Direktor der Goethe - Institute gehört, dass der Wortschatz unserer deutschen Kinder immer eingeschränkter würde. Dies war für mich der Grund, dieses Angebot dem Kindergarten zu machen.

Wie die Arbeit verlief
Es war durchaus nicht so, dass meine Arbeit eine in den Kindergarten transportierte Schulstunde war. Vieles wurde aber dem Unterricht in der Grundschule entnommen. So kam es zu bestimmten Ritualen, die eine Art von Übung waren. Jedes Mal beim Zusammentreffen und nach der Begrüßung wurde der Tag und der Monat genannt also: Heute ist Dienstag, der neunte Oktober. Der Tag wurde auf einem Kalender gesucht und angestrichen. Ähnliches wurde bei verschiedenen anderen Gelegenheiten ebenso gemacht.
Beim Quartettspielen wurde auf einen vollständigen Fragesatz geachtet, möglichst auch noch mit dem Wörtchen „bitte".
Zahlen wurden zunächst durch eine Geschichte, die erzählt oder vorgelesen wurde, eingeführt. Dann wurde die Zahl mit Steinen gelegt - in unterschiedlichen Formen.
Sie wurde auf einem Arbeitsblatt gesucht, ehe sie von den Kindern selbst geschrieben wurde. Oft wurde die Zahl auch in einer Art von Laufspiel durch immer wieder neuer Gruppenbildung dargestellt.

Andere Spiele zur Spracherweiterung
Es wurden also vorwiegend Spiele ausgesucht, bei denen man die Sprache brauchte. Wenn es nicht üblich war bei einem Spiel zu reden, wurde es umfunktioniert.
Memory wurde also nicht nur durch das Umdrehen der Kärtchen gespielt, sondern die Kärtchen benannt. Hier ließen sich sogar Singular und Plural üben, obwohl es immer ein Spiel blieb. Ein anderes Spiel, dass die Sprache fördert, ist das Koffer packen. Besonders dann, wenn man die zu packenden Dinge unter einen bestimmten Oberbegriff stellt.
Einen großen Raum nahm auch das Erzählen zu großen Bildern ein.
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Wandbild Arche Noah - Foto J.Birrle

Mit der Zeit ergaben sich immer mehr Möglichkeiten, jegliches Tun durch Sprache zu begleiten.

Fortgang
Es sollen hier nicht die vielen Spiele (Übungen) aufgeführt werden, die im Laufe der Zeit erfunden wurden, um Sprache zu üben. Mit der Zeit bekommt man ein Gespür dafür, wo noch etwas versprachlicht werden kann. Wichtig ist es, dass die Kinder sprechen und zwar in ganzen grammatikalisch richtigen Sätzen.
Neben der Sprache war es mir aber auch wichtig, dass Arbeitsblätter, die im Kindergarten nicht fertig gestellt werden konnten, zu Hause beendet wurden. Sie wurden in einer Mappe gesammelt, und gaben beim Durchblättern den Kindern ein Gefühl des Stolzes und der Zufriedenheit.
War am Anfang die Begeisterung für diese Arbeit nicht gerade groß gewesen, so stellten dann Eltern, Schule und Kindergarten bald fest, dass die Schulanfänger ohne jede Anstrengung den Schulanfang erlebten und wesentlich weniger Schwierigkeiten hatten, als erwartet.

Ausblick
So reihte sich ein Jahr an das andere und als ich endlich aufhörte, waren es dreizehn Jahre geworden.
Der Vorschulunterricht war ein wichtiger Bestandteil dieser Kindertagesstätte geworden. Lange Zeit suchte man nach einer Nachfolgerin. Endlich, ein Jahr später, erklärte sich eine pensionierte Lehrerin bereit, diese Arbeit weiter zu machen.
In der Zwischenzeit, vielleicht auch angeregt durch Pisa, hat sich auch die Arbeit in den Kindergärten verändert. Viele der Arbeitsformen aber auch der Inhalte, die ich bereits verwendet hatte, haben heute ihren Eingang in die pädagogische Arbeit der Kindertagesstätten gefunden.
Diese Arbeit hat einen sehr positiven Nebeneffekt: Sie macht Groß und Klein Spaß und gibt den Ehrenamtlichen eine große Befriedigung.

Links:

Webseiten zur Kindergartenarbeit::

Praxisgestaltung

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