Vorlesen im Kindergarten
                              von Erdmute Dietmann-Beckert
Vorlesen im Kindergarten ist ein Ehrenamt. In vielen Familien wird den Kindern nicht mehr vorgelesen. Die Bedeutung, die das Vorlesen für die spätere Lesekompetenz unserer Schüler hat, ist seit langem bekannt.

Wie groß ist die „Lesegruppe"?
Während die Erzieherinnen in ihren Gruppen um die zwanzig Kinder betreuen, sollten nur zwei bis drei Kinder zum Vorlesen kommen. Da ich bisher kleinen Kindern noch nicht vorgelesen habe, bin ich gerne dem Rat der Erzieherin gefolgt. Weil die Kinder freiwillig kommen, bringen sie eine gewisse Bereitschaft mit, eine Weile, ungefähr fünfzehn Minuten, ruhig an meiner Seite zu sitzen und zuzuhören. Es ist auffallend, dass sich nur Mädchen melden.

Wer sind die Kinder?

Die Kita, in der ich tätig bin, heißt Kinder der Welt. In der Tat kommen die Kinder aus den unterschiedlichsten Familien. Einige haben türkische Wurzeln, andere vietnamesische, andere bulgarische oder sie sind einmal vom Balkan her gekommen.
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Aber alle verstehen deutsch. Weil sie zum Teil in den Familien die Muttersprache der Eltern benutzen, machen sie, wenn sie deutsch sprechen, noch viele Fehler. In meinen Antworten wiederhole ich die Sätze der Kinder, damit sie auf diese Weise über das Hören korrekt sprechen lernen.

Wie muss ich vorlesen?
Damit die Kinder nicht nur über das Ohr die Texte aufnehmen, gehören sowohl Augen als Hände dazu. Wenn ein Reim vorkommt, wird er rhythmisiert. Das erleichtert die Wiederholung. Ich möchte auch, dass die Kinder Fragen stellen oder das Gehörte kommentieren. Manchmal fällt einem kleinen Mädchen ein, dass es seiner Mama in der Küche hilft oder dass es schon selber sein Zimmer aufräumen kann. Es ist mir wichtig, dass das Gehörte zum Erzählen anregt.

Welche Geschichten lese ich vor?
Die Bibliothek in der „Weltkita" ist recht umfangreich. Es gibt Märchenbücher, Geschichten von und über Tiere, und es gibt Bücher, die über Ereignisse in bestimmten Jahreszeiten informieren. Es gibt aber auch Kinderbücher, in denen bestimmte Oberflächen ertastet werden können oder die kleinen Finger können durch eine Pferdemähne streichen. Aus dieser Vielfalt suche ich die Texte mit einer klaren Sprache. Manchmal suche ich auch eine einfache Formulierung. Für die kleinen Mädchen sind die Märchentexte häufig nicht einfach. Darum ziehe ich die Geschichten vor, die die Kinder über Bilder und einfache Sachverhalte leichter verstehen und unter Umständen mit ihrer eigenen Lebenswelt in Verbindung bringen können.

Dafür ein Beispiel
Es ist die Geschichte vom kleinen „Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hatte". Es wird geschildert und bildlich begleitet, was der kleine Maulwurf über die ganz unterschiedlichen Häufchen der Tiere erfährt. Weder die Kuh, noch das Pferd, weder der Esel noch die Taube hatten ihm auf den Kopf gesch... Jedes Tier hinterlässt einen anderen Haufen oder ein Häufchen. Schließlich verraten ihm die Fliegen, dass es der Hund Hans Heinerich gewesen war, der ihm die besondere „Kopfbedeckung" verpasst hatte. Den findet der kleine Maulwurf schlafend in seiner Hütte. Als gerechten Ausgleich lässt er sein Häufchen mitten auf Hans Heinerichs Kopf fallen. Diese unterschiedlichsten Hinterlassenschaften der Tiere waren den kleinen Mädchen bekannt und sie verfolgten mit Interesse die Reise des kleinen Maulwurfs.

Wie die Lust am „Selber-Lesen" auch geweckt werden könnte
Einmal war ein etwas älteres Mädchen, vielleicht acht Jahre alt, in den Kreis gekommen. Weil ich ihren Namen nicht richtig ausgesprochen hatte, schrieb sie ihn mir auf. Auf meine Frage: „Kannst du schon schreiben?" schüttelte sie den Kopf. Nein, nur ihren und ihres Vater Namen könne sie schreiben. Das brachte mich auf die Idee, sie zu bitten, in dem vorliegenden Text nach einem Wort zu suchen, das mit dem Buchstaben K beginne, so wie ihr Name KEVSER. Tatsächlich wurde sie fündig. Es war der Name Kati. Und tatsächlich fand sie das Wort auch auf den folgenden Seiten. Leider war das Interesse nicht von Dauer. Ich hoffe, dass sie bis zur Einschulung im Sommer mehr Ausdauer entwickeln kann. Zu welcher Ethnie sie gehört, konnte ich nicht ausmachen, auch nicht, warum sie noch nicht zur Schule ging.

Nur noch der Hausmeister kann helfen
Große Aufregung in der Mittagspause. Es wir heftig an der Tür zu den Toiletten und dem Waschraum geklopft. Was ist geschehen? Ein Kind hat die Tür zu den Toiletten und den Waschbecken von innen verriegelt. Vielleicht, weil diese Tür nie verschlossen wird - sie führt ja zu allen Schwingtürtoiletten - kann das Kind die Tür nicht mehr öffnen. Es ist verständlich, dass das Kind in Panik geriet. Es selbst hatte die Tür von Innen verriegelt jetzt konnte es nicht mehr hinaus. Niemand konnte helfen. Der Hausmeister musste mit seinem Werkzeugkasten kommen, das Schloss ausbauen und das Kind „befreien". Alle atmeten auf. Ob das Kind jemals wieder die Tür verschließen wird? In dieser Kita wird das auch nicht mehr möglich sein, man will dem vorbeugen.

In der Kita gibt es auch Angebote für die Eltern
Zwei Frauen, eine Familienbegleiterin, genannt „Hausmutter" und eine Sozialarbeiterin nutzen die Räume der Kita, um im Rahmen des OPSTAPJE  Projekts eine Elternschulung zu machen. Dazu kommen die Eltern, die von der Hausmutter zu Hause bereits besucht wurden, zusammen mit ihren Kindern, um ein Gruppengespräch zu führen. OPSTAPJE ist niederländisch und heißt zu Deutsch: kleiner Schemel, Aufstiegshilfe. Das Projekt hat zum Ziel, Eltern und Kindern dabei behilflich zu sein, die Sprache nicht mit deutschem Fernsehen zu erlernen, sondern im direkten Umgang mit Menschen und Dingen. Außerdem soll es dabei helfen, das deutsche Bildungssystem zu verstehen.

Links

Zur Kreativitätsförderung im Kindergarten

Lektürevorschläge und Leseförderung

Förderprogramme für Eltern und Kinder

 


 

 
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